17 Januar 2012

Martin Schulz in der europäischen Öffentlichkeit

Heute Morgen wurde Martin Schulz (SPD/SPE), bisheriger Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion S&D, zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt, und bei Gelegenheit soll auf diesem Blog auch noch etwas mehr über diese Wahl zu lesen sein. Fürs Erste aber nur eine kurze Bemerkung dazu, wie die europäischen Medien auf dieses Ereignis reagieren, bei dem immerhin eines der wichtigsten politischen Ämter der Europäischen Union neu besetzt wurde: fast gar nicht.

Nutzt man in diesen Minuten die Suchfunktion von Le Monde, El País, The Guardian oder Svenska Dagbladet (die Auswahl ist willkürlich), um neueste Informationen über Martin Schulz zu finden, so bleibt man erfolglos. In der italienischen Repubblica sieht es etwas besser aus – dort erinnert man sich bis heute daran, dass Schulz vor fast zehn Jahren auf die Interessenkonflikte des damaligen EU-Ratspräsidenten Silvio Berlusconi hinwies und daraufhin von diesem öffentlich beleidigt wurde. Und auch der Wiener Standard hat einen Artikel zu Schulz auf seiner Homepage, wobei die Relevanz des Ereignisses dort vor allem darin zu bestehen scheint, dass dem Österreicher Hannes Swoboda gute Chancen zugeschrieben werden, Schulz' Nachfolger als S&D-Fraktionsvorsitzender zu werden.

Lediglich auf den Internetseiten der großen deutschen Medien (etwa Süddeutsche, FAZ, Spiegel, ZEIT) finden sich durchgehend Berichte über die Wahl, teils sogar an halbwegs prominenter Stelle. Aber auch hier braucht man sich wohl keinen Illusionen darüber hinzugeben, wo das plötzliche Interesse für die europäische Volksvertretung herkommt. Der Spiegel jedenfalls lässt seinen Artikel mit der stolzen Feststellung beginnen:
Das Europaparlament wird künftig von einem Deutschen geführt.
Und die ZEIT schafft es sogar, in der Einleitung ihres Artikels Schulz' Parteizugehörigkeit überhaupt nicht zu erwähnen. Stattdessen erfährt man dort über „den Deutschen Martin Schulz“, dass er sich einen Twitter-Account eingerichtet hat. Ist ja auch interessant.

(Fairerweise ist zu sagen, dass die ZEIT bereits gestern ein Porträt über Schulz auf der Homepage hatte, wo er ausnahmsweise nicht als Deutscher, sondern als „leidenschaftlicher Europäer“ vorgestellt wurde. Über seine Parteizugehörigkeit erfährt man jedoch auch in der Einleitung dort erst einmal nichts. Man stelle sich vor, bei der Wahl Norbert Lammerts zum Bundestagspräsidenten 2005 wären die Artikel über ihn mit der Feststellung eröffnet worden, dass das zweithöchste Amt der Bundesrepublik künftig von einem „Nordrhein-Westfalen“ und „leidenschaftlichen Deutschen“ eingenommen wird!)

Nachtrag: Svenska Dagbladet hat inzwischen auch eine (sehr kurze) Meldung über den „deutschen neuen Präsidenten im EU-Parlament“. Und auch El País ist nachgezogen und hat ein Interview mit Schulz veröffentlicht, in dem es sogar um politische Inhalte geht.

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