14 Januar 2012

S&P und die deutschen Medien

Als Hüte sind Zeitungen immer gut.
Nun ist es also wieder einmal passiert. Gerade einen Tag, nachdem Italien und Spanien neue Staatsanleihen zu deutlich niedrigeren Zinsen als zuvor herausgegeben haben, stufte am Freitag die Ratingagentur Standard & Poor's die Bonität dieser beiden Länder herab. Außerdem traf es noch sieben Staaten der Eurozone, darunter Frankreich und Österreich, die ihr bisheriges AAA-Spitzenrating verloren. Sieht man sich an, wie die deutschen Medien über den S&P-Rundumschlag berichten, dann fällt vor allem eines auf: Sie scheinen noch immer nicht so recht begriffen zu haben, dass diese Krise unsere Krise ist – eine gesamteuropäische, und das heißt auch: eine deutsche.

Die deutsche Indolenz verlängert die Krise

Unter Politikern ist es inzwischen zu einer Art Reflex geworden, bei jedem Bonitätsverlust eines Landes auf die Ratingagenturen zu schimpfen. Nun mag man von deren Rolle in der Krise halten, was man möchte – sicher bilden sie ein Oligopol, sicher sind ihre Analysen auch nicht weniger fehleranfällig als die von anderen Fachleuten, und sicher haben sie durch ihren Einfluss auf den Markt auch eine politische Macht gewonnen, die sie gerne mal nutzen, um der Politik in Form freundlich formulierter Ratschläge bestimmte ökonomische Rezepte aufzuzwingen. Auf jeden Fall aber kommt die Abstufung durch Standard & Poor's nicht besonders überraschend: Der Fiskalpakt, der Anfang Dezember von 26 der 27 EU-Mitgliedstaaten vereinbart und als der lang erwartete große Wurf präsentiert wurde, enthält zwar eine Reihe von Maßnahmen, durch die das Wirtschaftswachstum in der Eurozone dauerhaft geschädigt werden könnte, aber zur Lösung der Krise ist er eher ungeeignet. Und die Europäische Zentralbank, die vor kurzem durch ihre Liquiditätsflut für kurzfristige Entspannung sorgte und es vermutlich in der Hand hätte, durch den unbeschränkten Ankauf von Staatsanleihen die Krise mit einem Schlag zu beenden, hat gute Gründe, sich nicht vorschnell auf diese Weise vor den Karren der Politik spannen zu lassen. Der Ball liegt bei den Staats- und Regierungschefs, die sich endlich zu wirksamen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung aufraffen müssten: am besten durch eine echte Fiskalunion, mindestens aber durch die Einführung von Eurobonds.

Dass das nicht geschieht, liegt hauptsächlich daran, dass die deutsche Bundesregierung derartige Maßnahmen im Europäischen Rat regelmäßig blockiert. Dafür wiederum scheint es mir vor allem zwei Gründe zu geben: Erstens werden die Ursachen der Euro-Krise in Deutschland an einer völlig anderen Stelle gesehen als so ziemlich im gesamten Rest der Welt: Während die meisten Analysten systemische Gründe, vor allem asymmetrische Schocks, als Hauptproblem der Europäischen Währungsunion sehen, gehen die deutschen Medien in der Regel immer noch davon aus, die Schuld liege allein bei den Krisenstaaten und ihrer fehlenden Haushaltsdisziplin. Und zweitens betrachtet die deutsche Öffentlichkeit die Krise noch immer vor allem als ein Problem der „anderen“, weil die deutsche Haushaltslage ja entspannt und die deutsche Arbeitslosigkeit verhältnismäßig niedrig ist, und übt deshalb nicht besonders viel Druck auf die Regierung aus, um eine tragfähige Lösung zu erzielen. Deutschland sieht sich in der Krise nicht als Betroffener, sondern als Vorbild – und lässt sich dabei auch nicht davon stören, dass ein Zerfall der Währungsunion auch für die eigene nationale Wirtschaft ein Desaster wäre. Dass die Krise bis heute nicht gelöst wurde, geht nicht zuletzt auf diese Indolenz zurück.

Schuld ist, wer Schulden hat?

Die heutige Berichterstattung über die Ankündigung von Standard & Poor's bestätigt diese bekannten Deutungsmuster der deutschen Krisenwahrnehmung. So versäumt kaum eine Zeitung zu betonen, dass das deutsche AAA-Ranking nicht gefährdet ist und dass die Herabstufung Frankreichs „eine Flucht in deutsche Anleihen ausgelöst“ hat – lieber Spiegel, sollen wir darüber etwa erleichtert sein? Immerhin stellt Süddeutsche.de fest, dass die verstärkte Rolle Deutschlands als „sicherer Hafen der EU“ nicht ganz unproblematisch ist, weil sie die „Spannungen in der Eurozone erhöhen“ dürfte. Was sie damit genau meint, führt die Süddeutsche leider nicht aus. Man kann nur hoffen, dass die Leser selbst verstehen, dass es mit dem sicheren Hafen bald vorbei sein könnte, wenn eine weitere innereuropäische Kapitalflucht Richtung Deutschland den Rest der Eurozone in eine Rezession stößt, die schließlich auch die deutsche Exportwirtschaft treffen würde.

In den meisten Berichten stehen aber ohnehin nicht die Konsequenzen für die Eurozone insgesamt im Mittelpunkt, sondern nur die Reaktionen in den betroffenen Ländern selbst. Da und dort liest man zwar auch etwas darüber, dass durch die Herabstufungen nun auch das Rating des Rettungsfonds EFSF gefährdet sei (weshalb Angela Merkel laut Süddeutsche.de „jetzt endlich handeln“ will, was jedoch nur bedeutet, den Fiskalpakt etwas schneller als ursprünglich vorgesehen zu verabschieden). Viel interessanter ist für die meisten Zeitungen aber offensichtlich, wie die S&P-Entscheidung die Wiederwahlchancen von Nicolas Sarkozy in Frankreich beeinflussen wird. So ein Wahlspektakel im Nachbarland ist ja auch weit unterhaltsamer als ein Nachdenken darüber, weshalb alle bisherigen Rettungsmaßnahmen – die im Wesentlichen von der deutschen Bundesregierung zu verantworten waren – die Eurozone nicht vor diesem Bonitätsverlust bewahren konnten.

Überhaupt, die Ursachenforschung: Auch hier folgen die deutschen Medien ihren bewährten Erklärungen. Spiegel online etwa zeigt sich nach wie vor überzeugt davon, dass die Mitgliedstaaten der EU „über ihre Verhältnisse leben“, dies auch immer weiter tun werden, solange die Zinsen auf Staatsanleihen „künstlich niedrig“ sind, und dass die S&P-Herunterstufung deshalb einen „heilsamen Schock“ darstellt, damit das „Finanzierungskarussell“ nur ja nicht allzu schnell wieder an Fahrt gewinnt. Die Frankfurter Allgemeine wiederum macht für die Herabstufung allein Sarkozy verantwortlich, der „die Tugend der Haushaltsdisziplin in seiner Amtszeit zu spät entdeckte“: Schließlich 
konnte Frankreichs Regierung während der Weltwirtschaftskrise 2008 und 2009 gar nicht genug Geld ausgeben, um sich gegen die Talfahrt zu stemmen. Der Wachstumseinbruch wurde damit zwar abgedämpft. Doch die Quittung hierfür wird nun in Form von Stagnation und höheren Zinsen für den französischen Staat präsentiert.
Das ist nicht nur deshalb Unsinn, weil ohne die ungelöste Euro-Krise niemals jemand daran gedacht hätte, die französische Bonität wegen der erfolgreichen Konjunkturprogramme von 2008/09 herunterzustufen. Die FAZ scheint auch vergessen zu haben, dass die Weltwirtschaft damals vor dem Abgrund stand und nur durch Maßnahmen wie die Frankreichs gerettet wurde – ganz zu schweigen davon, dass das exportorientierte Deutschland selbst enorm von der Konjunkturpolitik seines Nachbarn profitierte. Schuld ist der, der Schulden hat: Eine tiefer gehende Analyse als diese, gar die Frage nach einer deutschen Mitverantwortung, sucht man in den großen Medien hierzulande meist vergebens.

Europäische Öffentlichkeit

Eine besonders schöne Ironie ist dabei, dass die Frankfurter Allgemeine selbst erst vor einer Woche das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit in der Euro-Krise beklagt hat:
Es gibt wohl kein Volk in der EU, das in der Diskussion über die Euro-Krise die nationale Perspektive verließ. Ob Deutsche, Griechen oder Slowaken – jeder rechnete sich aus, was die Krise ihn kostet, nicht, was sie Europa kosten könnte. […] Selten ist über ein wichtiges Thema so viel Unsinn berichtet worden wie über die Euro-Krise. Auch das hat den Spielraum der Politik in entscheidenden Momenten eingeengt, weil die öffentliche Stimmung mit irrigen Erwartungen aufgeheizt wurde.
Nun denn: Die Einsicht ist schon da, die Besserung lässt aber leider noch auf sich warten. In der Zwischenzeit kann man allen Deutschen, die eine Fremdsprache lesen können, nur empfehlen, sich nicht nur aus einheimischen, sondern auch aus ausländischen Medien über die Euro-Krise zu informieren.

Bild: By Kate Ter Haar from Cedarville, MI, USA [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.

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