28 April 2017

Transnationale Wahllisten für eine demokratischere EU: Die Gelegenheit ist jetzt

Kommt ein demokratischer Frühling für die EU?
Vergangene Woche habe ich hier über die Frage geschrieben, worauf Freunde der europäischen Integration bei der Reform der EU ihren Schwerpunkt setzen sollten: Welche Maßnahmen bieten den besten Hebel, um langfristig die demokratische Legitimität und gesellschaftliche Akzeptanz der EU zu stärken? Als Antwort darauf sehe ich vor allem zwei Prioritäten, von denen ich die eine, nämlich die Wahl der Europäischen Kommission allein durch das Europäische Parlament, bereits im letzten Artikel beschrieben habe.

Heute soll es nun um den zweiten Vorschlag gehen – die Einführung transnationaler Listen bei der Europawahl. Diese Reform hätte zum einen bedeutende Auswirkungen auf die europäische Demokratie und Öffentlichkeit. Zum anderen öffnet sich durch den britischen EU-Austritt ein Gelegenheitsfenster, durch die transnationale Listen einfacher zu erreichen sein werden als bisher. Es lohnt sich also, sich gerade jetzt für diese Reform einzusetzen. Aber dazu weiter unten mehr.

28 nationale Teilwahlen

Zum Vorschlag selbst: Die Wahlen zum Europäischen Parlament bestehen derzeit bekanntlich aus 28 nationalen Teilwahlen. Diese finden zwar alle mehr oder weniger gleichzeitig statt (nämlich alle fünf Jahre innerhalb eines viertägigen Zeitraums) und haben auch einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen. Jeder Mitgliedstaat hat aber ein eigenes festes Sitzkontingent, um das sich nur die jeweils nationalen Parteien bewerben.

Auch die Kandidatenlisten werden deshalb jeweils von den nationalen Parteien aufgestellt, auf dem Stimmzettel stehen die Namen der nationalen Parteien, und auch der Wahlkampf wird von den Themen dominiert, die die nationalen Parteien für interessant halten – ganz gleichgültig, ob die EU dafür tatsächlich zuständig ist oder nicht. Wenig überraschend interessieren sich deshalb auch die Medien am Wahlabend meist vor allem für das nationale Ergebnis. Aus welchen Parteien und Fraktionen sich das Europäische Parlament eigentlich zusammensetzt, ist vielen europäischen Bürgern hingegen unbekannt.

Der Reformvorschlag

Der Reformvorschlag besteht nun darin, diese nationalen Teilwahlen um einen gesamteuropäischen Wahlkreis zu ergänzen. Jeder Bürger hätte bei der Europawahl dann zwei Stimmen: Die erste ginge wie bisher an die Liste einer nationalen Partei für die Besetzung des nationalen Sitzkontingents. Mit der zweite Stimme aber würden die Bürger eine der transnationalen Listen wählen, die von den europäischen Parteien aufgestellt würden. Auf dem zweiten Wahlzettel stünden also nicht die Namen der nationalen, sondern der europäischen Parteien: die christdemokratische EVP, die sozialdemokratische SPE, die liberale ALDE usw. Die transnationalen Listen wären in jedem europäischen Mitgliedstaat identisch, und auch bei ihrer Auszählung hätte natürlich die Stimme jedes Unionsbürgers dasselbe Gewicht.

Wie viele der Sitze im Europäischen Parlament über diese gesamteuropäischen Listen besetzt werden sollten, dazu gibt es unterschiedliche Modelle. In der Europäischen Bewegung etwa kursierte Anfang der 1990er Jahre die Forderung, ein Fünftel aller Mandate über transnationale Listen zu wählen – nach heutiger Größe des Parlaments also 150 Sitze. Sehr viel bescheidener war ein Bericht des Europaabgeordneten Andrew Duff (LibDem/ALDE), der Anfang 2012 die Einführung von nur 25 transnationalen Parlamentssitzen vorschlug, die zu den nationalen Sitzkontingenten hinzukommen sollten.

Mehr Sichtbarkeit für die europäischen Parteien

Worin bestünden nun die Vorteile der transnationalen Listen? Ein erster wichtiger Aspekt ist symbolischer Natur: Durch den gesamteuropäischen Wahlkreis würde deutlich, dass das Europäische Parlament tatsächlich ein Organ zur Vertretung der europäischen Bürgerinnen und Bürger ist (wie in Art. 14 EU-Vertrag vorgesehen) und nicht etwa zur Repräsentation der nationalen Staatsvölker, wie es zum Beispiel das deutsche Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil (Rn. 280) deutete.

Konkret würde sich diese symbolische Veränderung in der besseren öffentlichen Sichtbarkeit der europäischen Parteien bemerkbar machen, die vor allem über ihre Fraktionen im Europäischen Parlament schon heute großen Einfluss auf die europäische Politik nehmen. Transnationale Listen würden dazu führen, dass auf Stimmzetteln und Wahlplakaten endlich auch die Namen dieser Parteien erscheinen – und dass Medien und Wähler erkennen, dass man vor der Europawahl eher die europäischen als die nationalen Wahlprogramme lesen sollte. Das wiederum könnte auch die Inhalte der Wahlkämpfe beeinflussen und dazu beitragen, dass die Wahl tatsächlich zu einer europaweiten Entscheidung über die großen gemeinsamen Richtungsfragen wird.

Strukturelle Loyalität der Abgeordneten

Darüber hinaus brächten transnationale Listen aber auch einen ganz konkreten Machtgewinn für die europäischen Parteien mit sich – nämlich bei der Auswahl der Kandidaten. Zwar gilt auch im Europäischen Parlament das freie Mandat, sodass Abgeordnete bei ihrer Arbeit rechtlich nicht an Weisungen von anderen gebunden sind. Parlamentarier, die wiedergewählt werden wollen, sind aber darauf angewiesen, dass ihre Partei sie erneut auf die Wahlliste setzt. Das setzt einen starken strukturellen Anreiz zu einer Loyalität der Abgeordneten gegenüber ihrer Partei (was demokratisch durchaus wünschenswert ist, da ja auch die Wähler nur Parteilisten, nicht einzelne Abgeordnete wählen können).

Da die Wahllisten für die Europawahl bis jetzt jedoch auf nationaler Ebene aufgestellt werden, gilt auch die strukturelle Loyalität der Abgeordneten in erster Linie ihren jeweiligen nationalen Parteien. Dies schwächt nicht nur den Zusammenhalt der Fraktionen im Europäischen Parlament, sondern führt auch dazu, dass Meinungskämpfe innerhalb der europäischen Parteien oft entlang nationaler Grenzen ausgetragen werden – und nicht, wie innerhalb nationaler Parteien üblich, entlang weltanschaulicher Flügel.

Die transnationalen Listen hingegen würden von den europäischen Parteien aufgestellt. Kandidaten, die darauf antreten wollen, müssten sich deshalb nicht nur national, sondern europaweit um die Unterstützung ihrer Parteifreunde bemühen. Damit aber wären sie auch strukturell einer gesamteuropäischen Programmatik verpflichtet. Transnationale Wahllisten sind insofern die logische Fortsetzung der Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten, die bislang als einzige politische Akteure von den europäischen Parteien nominiert werden.

Wahlgleichheit

Und schließlich könnten transnationale Wahllisten auch noch ein Hebel sein, um mit einem weiteren Ärgernis aufzuräumen, das die Legitimität der Europawahlen bis heute einschränkt: nämlich das je nach Land ungleiche Gewicht der abgegebenen Stimmen.

Diese Ungleichheit hat zwei Ursachen, die sich beide aus den festen nationalen Sitzkontingenten ergeben. Die erste Ursache ist der Grundsatz der degressiven Proportionalität, nach dem größere Staaten zwar mehr Sitze erhalten als kleinere, kleinere aber mehr Sitze pro Einwohner. Eine Stimme, die in einem kleinen Land abgegeben wird, beeinflusst das Gesamtergebnis deshalb stärker als eine Stimme in einem großen Land. Die zweite Ursache ist, dass die Größe der nationalen Sitzkontingente nicht an die Wahlbeteiligung angeglichen wird. In einem Land mit niedriger Wahlbeteiligung zählt die einzelne Stimme deshalb mehr als in einem Land mit höherer Beteiligung. Im Ergebnis führten diese Ungleichheiten zum Beispiel dazu, dass die europäische Partei, die bei der Europawahl 2014 die meisten Stimmen holte, im Europäischen Parlament nur die zweitstärkste Fraktion stellt.

Volle formale Legitimität

Für die transnationalen Listen hingegen würde ein strikter Gleichheitsgrundsatz gelten: Jede Stimme, egal wo in der EU sie abgegeben würde, wäre tatsächlich gleich viel wert. Idealerweise würde man bei der Sitzverteilung zunächst die Mandate berücksichtigen, die die europäischen Fraktionen bereits über die nationalen Listen gewonnen haben, und die transnationalen Listen dann für einen Verhältnisausgleich nutzen. Dadurch könnte man für die nationalen Sitzkontingente das Prinzip der degressiven Proportionalität beibehalten – für die Stärke der einzelnen Fraktionen aber wäre allein das Verhältnis der „transnationalen“ Zweitstimmen ausschlaggebend. Wie das im Einzelnen aussehen könnte, habe ich an anderer Stelle ausführlicher beschrieben.

Diese Herstellung einer strikten Stimmgleichheit ist für die europäische Demokratie zwar eher von formaler als von praktischer Bedeutung. Sie würde aber all jenen EU-Kritikern (vom oben zitierten Bundesverfassungsgericht bis zu der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot) den Wind aus den Segeln nehmen, die das ungleiche Stimmgewicht als liebstes Argument verwenden, um dem Europäischen Parlament die volle Legitimität abzusprechen. Und das wiederum würde die Chance erhöhen, künftig Mehrheiten für eine weitere Stärkung des Parlaments zu erreichen.

Die letzten Anläufe zur Wahlrechtsreform

Mehr formale Legitimität für das Parlament, mehr Einfluss für die europäischen Parteien, eine bessere öffentliche Debatte im Wahlkampf und klarere europäische Richtungsentscheidungen durch die europäischen Bürger – es wird tatsächlich nur wenig andere Reformen geben, durch die sich mit einem Schlag so viel für die europäische Demokratie erreichen lässt. Trotzdem mussten die Befürworter transnationaler Listen in den letzten Jahren einigen Frust ertragen. Denn obwohl der Vorschlag bereits seit vielen Jahren in der politischen Debatte präsent ist, sind alle Versuche zu einer entsprechenden Änderung des Europawahlrechts bislang gescheitert.

Den vorletzten Anlauf dazu machte der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments 2012 mit seinem oben schon erwähnten Duff-Bericht. Dieser kam letztlich jedoch nicht zur Abstimmung, da die Ablehnung unter Christdemokraten, Nationalkonservativen, Rechtspopulisten und Linken zu groß war. Stattdessen verabschiedete das Europäische Parlament 2015 mit den Stimmen der Großen Koalition einen anderen, abgeschwächten Entwurf zur Wahlrechtsreform, in dem transnationale Listen nur noch als vage Möglichkeit für die Zukunft enthalten waren. Jo Leinen (SPD/SPE), einer der Autoren dieses abgeschwächten Entwurfs, erklärte in einem Interview, transnationale Listen blieben zwar ein Ziel, aber nicht für die nächste Europawahl 2019.

Und selbst so zeigte der Ministerrat – der die Reform des Europawahlrechts einstimmig beschließen muss – bislang große Skepsis gegenüber dem Parlamentsvorschlag. Die Wahlrechtsreform liegt derzeit deshalb auf Eis. Eine Entscheidung darüber soll zwar eigentlich noch in dieser Legislaturperiode fallen, aber ob es dazu kommt, ist ungewiss.

Brexit als Chance

Zuletzt allerdings ist wieder Bewegung in die Angelegenheit gekommen, denn eines der Hindernisse, die der Einführung transnationaler Listen bislang im Weg standen, könnte plötzlich entfallen. Ungeklärt war nämlich stets die Frage, wo eigentlich die zusätzlichen Parlamentssitze für die transnationalen Listen herkommen sollten: Art. 14 EU-Vertrag begrenzt die Zahl der Abgeordneten auf 751 und schreibt gleichzeitig vor, dass jedes Land mit mindestens sechs Sitzen vertreten sein muss. Man hätte das heutige Parlament also weder einfach um die transnationalen Sitze erweitern noch die nationalen Sitzkontingente der Mitgliedstaaten entsprechend reduzieren können. Gesamteuropäische Listen wären nur mit einer Vertragsreform möglich gewesen.

Vor einem Monat aber hat Großbritannien offiziell seinen Entschluss erklärt, aus der Europäischen Union auszutreten – und damit werden voraussichtlich schon 2019 die 73 Sitze im Europäischen Parlament frei, die bislang von britischen Abgeordneten eingenommen werden. Was könnte man Besseres damit tun, als sie künftig über transnationale Listen besetzen zu lassen?

Italien und Frankreich sind dafür – und Deutschland?

Die italienische Regierung hat am gestrigen Donnerstag jedenfalls einen entsprechenden Vorschlag im Ministerrat eingebracht, und auch der aussichtsreiche französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron (EM/–) hat diese Idee in seinem Wahlprogramm stehen. Gewiss: Bis zur Einstimmigkeit unter den 27 Regierungen ist es noch ein weiter Weg. Aber wenn die großen Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament in dieser Frage an einem Strang ziehen, gibt es erstmals eine echte Chance für die Reform.

Entscheidend könnte dabei sein, wie sich die deutsche Bundesregierung positioniert – und das Zeitfenster dafür ist jetzt geöffnet. Werden wir die große proeuropäische Mobilisierung, die der Pulse of Europe in den letzten Wochen erreicht hat, nutzen können, damit dieser konkrete Schritt in Richtung einer demokratischeren Europäischen Union endlich Wirklichkeit wird?

Bild: © European Union 2017 - European Parliament [CC BY-NC-ND 4.0], via Flickr.

5 Kommentare:

  1. Jörg Warneke13/5/17 18:12

    Dieser Kommentar setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Dies ist Teil 1.

    Hallo Herr Müller,

    ersteinmal vielen Dank für Ihren Blog "der Föderalist". Nicht nur die regelmäßige Übersicht über potentielle Stimmungsbilder zur zukünftigen Europawahl machen den Blog so interessant, auch die Diskussionen über Möglichkeiten zur Verbesserung der EU-Organe.

    Ich stimmen Ihnen zu, dass jetzt mit dem "Freiwerden" der Sitze des UK zur nächsten Wahl die einmalige Möglichkeit besteht, Transnationale Listen einzuführen, so dass die Europäischen Parteien Europaweit mit einem Spitzenkandidaten werben können. Ich gehe davon aus, dass die Parteien sich auch wie zur letzten Wahl sich auf einen Spitzenkandidaten einigen können. Etwas skeptischer bin ich da schon, wenn es um die restlichen Plätze der Transnationalen Liste geht, da dann sehr schnell nationale Befindlichkeiten eine Rolle spielen könnten.

    Ich hätte deswegen den folgenden Vorschlag, der nicht auf die Ausgleichung des Parlamentes bezüglich der degressiven Proportionalität zielt, sondern die Bildung der Kommission mit in den Fokus rückt.
    Wenn die europäischen Parteien mit den Transnationalen Listen (TNL) sich europaweit mit einem Spitzenkandidaten bewerben, der Platz 1 der jeweiligen TNL einnimmt, sollte national jede europäische Partei einen Mann und eine Frau auswählen, die die nationalen Spitzenkandidaten des jeweiligen Landes aus Sicht der europäischen Partei sind. Somit würde der Spitzenkandidat und Kandidat für den Posten des Kommissionspräsidenten flankiert durch zwei nationale Gesichter derselben Partei. Die Wähler würden dann das Kreuz bei einer der Personen und somit nicht nur eine Partei wählen sondern auch ein nationales Gesicht dazu. Langfristig könnten aus dieser Liste von Personen, die über die TNL einer Partei entstehen, auch die potentiellen nationalen Kommissare hervorgehen, wenn der jeweilige gewählte Kommissionspräsident die TNL für seine Entscheidungsfindung mit in den Blick nimmt. Sollte ein gewähltes Mitglied des Parlamentes zum Kommissar ernannt werden, wird der freiwerdende Platz entsprechend der TNL aufgefüllt. Der Kommissionspräsident könnte somit bei der Wahl der Kommissare ohne die Vorschläge der nationalen Regierungen sein Kabinett besetzen. Ein politisches Kabinett wäre somit möglich und somit kommt der Mehrheitsbildung im Europäischen Parlament eine besondere Rolle zu. Eine Absicherung der Spitzenkandidaten über die nationalen Listen wäre immer noch möglich.

    Selbst wenn in einem Land die europäische Partei nicht mit nationalen Parteien vertreten ist, wären die Wähler über die TNL in der Lage ihre Stimme abzugeben. Es würden dann zwar keine nationalen Politiker mit dieser Stimme unterstützt, jedoch die Europäische Partei.

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  2. Jörg Warneke13/5/17 18:16

    Dieser Kommentar setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Dies ist Teil 2.

    Die 73 Sitze, die nach dem Ausscheidens des UK für eine TNL im Europäischen Parlament zur Verfügung stehen, würden sich proportional auf die Stimmen der europäischen Parteien aufteilen. In welcher Reihenfolge nun die Kandidaten der europäischen Parteien aus den einzelnen Mitgliedsländern ihre Plätze einnehmen, kann durch eine implizite Liste realisiert werden. Das heißt, dass der Stimmenanteil der Kandidaten einer Partei die Rangfolge der Liste bestimmt. Ist der Stimmenanteil höher gegenüber dem Mitbewerber im eigenen Land oder den Kandidaten aus anderen Ländern ist die Platzierung entsprechend weiter oben und umgekehrt. Um jedoch zu vermeiden, dass große Staaten einen "eingebauten" Vorteil bei der Besetzung der TNL haben, da hier im Zweifel eher mehr Stimmen abgegeben werden, sollte man nicht die absoluten Stimmen miteinander vergleichen, sondern die relativen Stimmen, d.h. den Anteil der Stimmen eines Kandidaten bezogen auf alle abgegebenen Stimmen im jeweiligen Land.

    Um die Mehrheitsbildung im Europaparlament zu festigen, ist meiner Ansicht nach Ihre Anmerkung unerlässlich, dass nur solche Parteien zur Europawahl antreten, die bereits Mitglied in einer anerkannten Europäischen Partei sind. Im Gegensatz zu Ihnen gehe ich jedoch davon aus, dass die Fraktionslosen nicht ganz vermieden werden können, da auch bei den jetzigen Fraktionslosen die Abgeordneten Mitglied in einer europäischen Partei sind jedoch keine Fraktionsstärke erreichen konnten. Ob nach dieser Neuerung eine europaweite Sperrklausel eingeführt wird, sollte dann in einem nächsten Schritt entschieden werden, nachdem sich das Parlament mit den neuen Vorgaben für die Teilnahme an den Wahlen etwas konsolidieren konnte.

    Nachfolgend möchte ich noch erläutern, warum ich grade diese Art der impliziten Liste gewählt habe:

    Durch die Transnationale Liste (TNL) alleine wird meiner Ansicht nach garantiert, dass die Europäischen Parteien unter ihrem Namen Europaweit antreten und mit einem eigenen überregionalen Spitzenkandidaten werben. Dieser Spitzenkandidat ist immer auf Platz eins der Liste, wird von den jeweiligen Parteitagen bestimmt und muss nicht in seinem Heimatland separat gewählt werden. Er wird über Platz 1 der TNL abgesichert. Alleine hierdurch sehe ich die Symbolik der einheitlichen Europäischen Wahl gewährleistet. Die Europäischen Wähler könnten über ihre Landesgrenzen hinaus sich für eine Europäische Partei mit ihren Spitzenkandidaten entscheiden.

    Die Aufstellung der restlichen Liste einer Partei würde dann, wenn man die Deutschen Erfahrungen zugrunde legt, in der Regel auf den europäischen Parteitagen durch Einfluss der jeweiligen nationalen Parteien erfolgen. Hierbei würden neben Kompetenz, Bekanntheit und Ansehen, wie es eigentlich die ausschlaggebenden Argumente für die Listenplatzierung sein sollte, insbesondere der regionale Proporz eine Rolle spielen. D.h. die großen Mitgliedsländer werden versuchen ihre Kandidaten möglichst weit vorne zu platzieren, da sie voraussichtlich auch am meisten Delegierte auf die Parteitage schicken werden. Erst bei in großen Mitgliedsländern eher "kleineren" Parteien wird sich dieser Einfluss relativieren, wobei auch hier die Parteimitglieder in größeren Mitgliedsstaaten voraussichtlich höher sein werden, was als ein struktureller Nachteil angesehen werden könnte. Aus diesem Grunde habe ich eine geschlossene von einem Parteitag festgelegte Liste in meinen Überlegungen verworfen.

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  3. Jörg Warneke13/5/17 18:17

    Dieser Kommentar setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Dies ist Teil 3.

    Aus fast denselben Gründen habe ich eine offene Liste als nicht zielführend erachtet, da dann die Stimmenanzahl direkten Einfluss auf die Listenzusammensetzung hat und im Zweifel die Wähler eher ihre nationalen Kandidaten wählen werden. Das heißt, je mehr Stimmen die nationalen Kandidaten erhalten, desto weiter oben stehen sie in der offenen TNL. In größeren Ländern gibt es potentiell mehr Stimmen, so dass hier strukturell eine Benachteiligung von kleinen Staaten enthalten wäre.
    So bin ich auf die implizite Liste gekommen. Sie hat den Vorteil, dass sich Parteitage nur auf die Spitzenkandidaten einigen müssen, jedoch nicht die gesamte Liste erstellen, bei der kleinere Länder im Zweifel benachteiligt werden. Auch die Sortierung der impliziten Liste nach den relativen Stimmen hat das Ziel wie bei den offenen Listen nicht die Staaten mit den meisten absoluten Stimmen die Reihenfolge bestimmen zu lassen, da sonst ein struktureller Fehler im Sinne der Chancengleichheit der Kandidaten vorliegen würde.
    Somit war der relative Stimmenvergleich aus meiner Sicht das sinnvollste Mittel, um die Listen zu bilden.

    Dass national jeweils zwei Kandidaten ergänzend zum Spitzenkandidaten der jeweiligen Europäischen Partei aufgestellt werden, führt meiner Ansicht nach ebenfalls zu mehreren Vorteilen:
    - Erstens ist die direkte Vorgabe möglich, sowohl einen weiblichen als auch einen männlichen Kandidaten zu nominieren.
    - Zweitens kann die jeweilige Europäische Partei mit nationalen Gesichtern für die Wähler begreifbarer werden. Nicht jeder europäische Spitzenkandidat spricht so viele Sprachen, um in den jeweiligen Ländern sich hinreichend zu verständigen und die Sprache ist nunmal vielfach der Faktor, der vertrauen schafft.
    - Drittens sind in vielen Ländern mehrere nationale Parteien in einer Europäischen Partei organisiert, so dass sie eine Möglichkeit bekommen, diese Vielfalt abzubilden.
    - Viertens können selbst bei einem traditionell hohen Anteil an Stimmen für eine nationale Partei (wie es z.B. im Zweiparteiensystem in Malta), durch das Aufstellen von zwei Kandidaten sich diese Stimmen aufteilen. Sie zählen immer noch für dieselbe europäische Partei aber würden bei der Festlegung der Reihenfolge bei den impliziten TNL sich auswirken. Selbst in Ländern, die eher mehrere gleichstarke Parteien haben, wie z.B. die Niederlande, ist hierdurch gewährleistet, dass zumindest die Chance besteht, bei einem charismatischen Kandidaten der viele Stimmen auf sich vereint, in der TNL weiter nach oben zu rutschen. Die Chance besteht in den anderen Wahlverfahren mit geschlossenen oder offenen Listen meiner Ansicht nach aufgrund der oben beschriebenen strukturellen Probleme nicht.

    Abschließend bleibt mir nur noch auf eine weitere Notwendigkeit nochmal hinzuweisen: Zukünftig sollten die für die Europawahl zugelassenen Parteien als Voraussetzung Mitglied in einer anerkannten europäischen Partei sein. Hierdurch wird das Parlament ein wenig homogener und kann langfristig seine Aufgabe zur Kontrolle der Kommission besser nachkommen.

    Ich hoffe Ihnen ein paar neue Anregungen mitgegeben zu haben. Machen Sie weiter so und vielen Dank, dass Sie so viel Zeit in Ihren Blog stecken!

    Beste Grüße

    Jörg Warneke

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  4. Da kann mann nur den Kopf schütteln

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