Kaum angekommen im neuen Jahr, schon meldet sich die Krise mit neuen Bürden zurück, jedenfalls in Spanien. Dessen neugewählte Regierung unter Mariano Rajoy (PP/EVP) nutzte die geringe mediale Aufmerksamkeit in der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester, um ihre ökonomische Agenda für die nächsten Monate vorzustellen. Knapp sechs Wochen nach der Wahl am 20. November und keine vierzehn Tage nach der Amtseinführung des neuen Ministerpräsidenten brach sie darin gleich zwei ihrer zentralen wirtschaftspolitischen Wahlversprechen – nämlich keine Steuern zu erhöhen und die Rentner nicht zu belasten. Hinzu kam die größte Kürzung öffentlicher Ausgaben in der jüngeren Geschichte des Landes. Als Grund dafür führte Wirtschaftsminister Luis de Guindos das öffentliche Defizit an, das sich 2011 voraussichtlich auf acht Prozent des (zuletzt wieder geschrumpften) Bruttoinlandsprodukts belaufen habe. Damit bleibe der Regierung keine Alternative, als die Steuern zu erhöhen, erklärte de Guindos: „Wenn nicht, hätten andere uns dazu gezwungen.“
Diese anderen, liebe Miteuropäer, sind wir. Im Aufmacher ihrer gestrigen Online-Ausgabe rekonstruierte El País, wie die Entscheidung zustande kam:
Diese anderen, liebe Miteuropäer, sind wir. Im Aufmacher ihrer gestrigen Online-Ausgabe rekonstruierte El País, wie die Entscheidung zustande kam:
Fue una semana frenética. Todo se cocinó en secreto y entre pocas personas. El Gobierno conoció el lunes la estimación de que el déficit llegaría al 8%. Ante el temor de que la prima de riesgo española se disparase en febrero, cuando se conociese la cifra oficial, ya sin tiempo para reaccionar, decidió adelantarse. A costa de empezar a incumplir sus principales promesas desde el primer Consejo de Ministros con contenido. Para el Ejecutivo de Rajoy, es clave dar la sensación de que lleva la iniciativa. No puede ir por detrás del mercado nada más empezar, según fuentes del Gobierno.
Las decisiones se tomaron en contacto con Berlín, el Gobierno más poderoso de Europa […], y con Bruselas, según las mismas fuentes. No en vano el mismo día en que se dio a conocer el ajuste, Olli Rehn, vicepresidente de la Comisión Europea encargado de asuntos económicos, hizo una nota para aplaudir las medidas —que conocía mucho antes de que se hicieran públicas— y reclamar al Gobierno español que ahora se centre en la reforma laboral.
Es war eine frenetische Woche. Alles wurde im Geheimen und in einem kleinen Kreis vereinbart. Am Montag erfuhr die Regierung die Schätzung, dass das Defizit 8% erreichen würde. Aus Furcht, dass der spanische Risikoaufschlag im Februar, wenn die offiziellen Daten bekannt würden, in die Höhe schnellen und keine Zeit zur Reaktion lassen würde, beschloss sie, dem zuvorzukommen. Auch wenn das hieß, von der ersten Kabinettssitzung an ihre wichtigsten Versprechen zu brechen. Für die Regierung Rajoy ist es entscheidend, den Eindruck zu erwecken, dass sie das Heft in der Hand hält. Sie kann nicht von Anfang an den Märkten nachlaufen, heißt es aus Regierungskreisen.
Denselben Quellen zufolge wurden die Entscheidungen in Absprache mit Berlin, der mächtigsten Regierung Europas […], und mit Brüssel getroffen. Nicht umsonst gab noch am selben Tag, an dem die Anpassung bekannt gegeben wurde, der für Wirtschaftsfragen zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission Olli Rehn eine Presseerklärung ab, um die Maßnahmen zu loben – die er lange vor ihrer Veröffentlichung kannte – und von der spanischen Regierung zu fordern, sich nun auf die Arbeitsmarktreform zu konzentrieren.
Fanal für die Demokratie
Nun ist es nicht das erste Mal, dass eine Regierung gleich nach ihrem Amtsantritt eine politische Kehrtwende macht, und gerade die Spanier zeigten schon im vergangenen Wahlkampf eine gewisse Resignation, was die wirtschaftspolitische Gestaltungskraft auf nationaler Ebene betrifft. Aber dennoch erscheinen mir die Entwicklungen in Spanien ein fast noch schlechteres Zeichen für die Demokratie in Europa zu sein als die Technokratenregierungen in Griechenland und Italien. In Griechenland hatte sich das Parteiensystem als unfähig erwiesen, mit der Krise fertig zu werden, woran die ND (EVP), die erst in der Regierung Statistiken fälschte und dann in der Opposition jeden Lösungsversuch blockierte, zweifellos größeren Anteil hatte als die PASOK (SPE). In Italien wiederum hatte man ohnehin schon seit Monaten über eine Übergangsregierung diskutiert, da Berlusconis Mehrheit im Parlament erodierte und die Bevölkerung seiner Clownerien überdrüssig war. Beides waren krisenhafte Ausnahmesituationen, die sich so wohl nicht wiederholen werden.
In Spanien dagegen fand der Regierungswechsel bei einer ganz regulären (wenn auch um einige Monate vorgezogenen) Wahl statt, mit ganz normalen Parteiprogrammen, einem TV-Duell der Spitzenkandidaten und einer zwar niedrigen, aber nicht spektakulär schlechten Beteiligung von 69 Prozent. Und dennoch entpuppt sich all das nur wenige Wochen später als ein bloßes Theater, da die neue Regierung, Parteiprogramm hin oder her, eben doch nur tun kann, wozu sie sonst „andere zwingen würden“. Bei aller Einsicht in wirtschaftspolitische Dilemmata: So verliert das Wählen seinen Sinn, und diese Aushöhlung der demokratischen Institutionen ist es, die letztlich zur Politikverdrossenheit der Bevölkerung führt.
Lassen wir es Brüssel machen!
Nun ist es nicht das erste Mal, dass eine Regierung gleich nach ihrem Amtsantritt eine politische Kehrtwende macht, und gerade die Spanier zeigten schon im vergangenen Wahlkampf eine gewisse Resignation, was die wirtschaftspolitische Gestaltungskraft auf nationaler Ebene betrifft. Aber dennoch erscheinen mir die Entwicklungen in Spanien ein fast noch schlechteres Zeichen für die Demokratie in Europa zu sein als die Technokratenregierungen in Griechenland und Italien. In Griechenland hatte sich das Parteiensystem als unfähig erwiesen, mit der Krise fertig zu werden, woran die ND (EVP), die erst in der Regierung Statistiken fälschte und dann in der Opposition jeden Lösungsversuch blockierte, zweifellos größeren Anteil hatte als die PASOK (SPE). In Italien wiederum hatte man ohnehin schon seit Monaten über eine Übergangsregierung diskutiert, da Berlusconis Mehrheit im Parlament erodierte und die Bevölkerung seiner Clownerien überdrüssig war. Beides waren krisenhafte Ausnahmesituationen, die sich so wohl nicht wiederholen werden.
In Spanien dagegen fand der Regierungswechsel bei einer ganz regulären (wenn auch um einige Monate vorgezogenen) Wahl statt, mit ganz normalen Parteiprogrammen, einem TV-Duell der Spitzenkandidaten und einer zwar niedrigen, aber nicht spektakulär schlechten Beteiligung von 69 Prozent. Und dennoch entpuppt sich all das nur wenige Wochen später als ein bloßes Theater, da die neue Regierung, Parteiprogramm hin oder her, eben doch nur tun kann, wozu sie sonst „andere zwingen würden“. Bei aller Einsicht in wirtschaftspolitische Dilemmata: So verliert das Wählen seinen Sinn, und diese Aushöhlung der demokratischen Institutionen ist es, die letztlich zur Politikverdrossenheit der Bevölkerung führt.
Lassen wir es Brüssel machen!
Wenn aber die spanische Wirtschaftspolitik angesichts der Verflechtungen in der Eurozone nur noch als Teilbereich der europäischen Wirtschaftspolitik zu verstehen ist und deshalb ohnehin nicht in Madrid gemacht werden kann, warum sparen wir uns dann nicht einfach das peinliche Schauspiel nationaler Politiker, die Wahlkampf betreiben, ohne auch nur ansatzweise zu wissen, ob sie ihre Versprechen werden einlösen können? Warum übertragen wir die Zuständigkeit für makroökonomische Entscheidungen nicht auch ganz offiziell an die EU, wenn diese faktisch ohnehin die Kontrolle darüber hat? Wenn Olli Rehn der spanischen Regierung die Agenda vorgibt – Steuerreform, Arbeitsmarktreform –, warum gestaltet die Kommission diese Maßnahmen nicht auch noch inhaltlich aus und verantwortet sich dann dafür vor dem Europäischen Parlament?
Denn die Kommission ist immerhin vom Europäischen Parlament gewählt, das seinerseits die europäischen Bürger vertritt und legitimiert ist, Angelegenheiten zu regeln, die die Unionsbürger insgesamt betreffen: so wie die Wirtschaftspolitik Spaniens und, natürlich, jedes anderen Mitgliedstaats. Indem man Kommission und Parlament auch formell die Kompetenz dafür überträgt, würde man für die Bevölkerung verdeutlichen, bei welcher Gelegenheit sie politischen Einfluss auf die ökonomische Entwicklung nehmen kann: nämlich alle fünf Jahre zu den Europawahlen.
Und vor allem würde man die Entwicklung stoppen, die sich in den letzten Monaten abgezeichnet hat – dass nämlich die Entscheidungen nicht von den durch die Unionsbürger gewählten supranationalen Organen getroffen werden, sondern vom Europäischen Rat, und das heißt in letzter Instanz: von der deutschen Bundesregierung. Diese ist von der deutschen Bevölkerung gewählt und damit legitimiert, Angelegenheiten zu regeln, die allein die deutsche Bevölkerung betreffen: aber mehr auch nicht. Wenn es dazu kommt, dass der Wählerwille der spanischen Bevölkerung für die dortige Wirtschaftspolitik eine geringere Rolle spielt als die Vorgaben aus Berlin, dann befindet sich Europa auf einer abschüssigen Bahn, und es muss im Interesse aller Demokraten liegen, dass wir diese so bald wie möglich wieder verlassen.
In diesem Sinne: ein frohes und erfolgreiches 2012!
Bild: European People's Party (EPP Congress Marseille 7594) [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.
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