03 September 2013

Die Bundestagswahl und Europa (9): Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht

Bei der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien – CDU/CSU (EVP), SPD (SPE), FDP (ALDE), Grüne (EGP) und Linke (EL). Heute: #Neuland. (Zum Anfang der Serie.)

Die „digitale Agenda“ der EU

Außer mit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung beschäftigen sich europäische Internetnutzer gerne auch mit Katzenbildern.
Wie wichtig das Internet für das gesellschaftliche Zusammenleben geworden ist, schienen viele deutsche Parteien (wie auch die Nachrichtenredaktionen vieler Medien) erst durch den Aufstieg der Piratenpartei zu bemerken, die es im Frühjahr 2012 in einigen Meinungsumfragen auf zweistellige Prozentwerte schaffte. Inzwischen sieht es zwar wieder so aus, als ob die Piraten den Einzug in den Bundestag verpassen werden. Immerhin aber ist es ihnen gelungen, ihre Kernthemen so weit im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, dass auch die Programme der übrigen Parteien nicht mehr ohne ein paar Worte dazu auskommen. Und mit Edward Snowden und dem NSA-Skandal rückte der Datenschutz zwischenzeitlich sogar ins Zentrum des Wahlkampfes.

Nun zeichnet sich das Internet aber nicht zuletzt dadurch aus, dass die Kommunikation darin nicht an nationalen Grenzen macht. Für viele netzpolitische Herausforderungen sind deshalb überstaatliche Lösungen nötig, und nicht zufällig hat die EU bereits vor mehreren Jahren begonnen, sich verstärkt mit diesen Themen zu befassen. Insbesondere gibt es seit 2010 in der Europäischen Kommission ein eigenes Ressort für „Digitale Agenda“ (Amtsinhaberin ist Neelie Kroes, VVD/ALDE), das sich für die nächsten Jahre einige ambitionierte Ziele gesetzt hat. Ihr Kerngedanke ist es, die europaweite Internetkommunikation fördern, indem man rechtliche und technische Standards vereinheitlicht und den Netzzugang verbessert.

Insbesondere diesen letzten Punkt unterstützen auch die deutschen Parteien in ihren Bundestagswahlprogrammen recht einhellig. Die SPD etwa will sich europaweit für den „Zugang zum Internet als demokratisches Bürgerrecht“ einsetzen. Die CDU verlangt etwas schlichter, „dass der Breitbandausbau auch durch die Mittel der Europäischen Union förderfähig bleibt“, und unterstützt dafür die von der Kommission vorgeschlagene „Connecting Europe Facility“ (ein 50 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm, von dem etwa 9 Milliarden für Breitbandnetze gedacht sind). Die einzige Partei, die beim Zugang zum Internet einen eigenen anderen Kurs verfolgt, ist die Linke: Ihr zufolge ist der „Ausbau von Breitbandinternetanschlüssen auf dem flachen Land […] nach den Spielregeln des freien Markts nicht zu leisten“. Daher möchte die Telekommunikationsinfrastruktur am liebsten wieder verstaatlichen; die EU-Richtlinien, die dem im Wege stehen, sollen entsprechend geändert werden.

Datenschutzverordnung

Weit umstrittener als der Netzausbau ist jedoch ein anderes Thema, das die europäischen Institutionen derzeit beschäftigt: die Entwicklung einer neuen EU-Datenschutzverordnung. Nach einem Vorschlag der Kommission von Anfang 2012 (Wortlaut) soll diese Verordnung die bisherige Datenschutzrichtlinie von 1995 ersetzen und so die bislang 28 teils recht unterschiedlichen nationalen Datenschutzgesetze der Mitgliedstaaten in einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen gießen. Da diese Reform natürlich nicht nur für jeden Bürger, sondern auch für die IT-Industrie gewaltige Auswirkungen haben kann, war sie in den letzten Monaten Gegenstand massiver Lobbyaktivitäten und heftiger Auseinandersetzungen sowohl im Europäischen Parlament als auch im Ministerrat.

Während sich im Parlament wie bei der Kommission anscheinend Unterstützung für einen hohen gesamteuropäischen Datenschutzstandard abzeichnet, versuchen im Rat mehrere Regierungen, vor allem Großbritannien, das Projekt möglichst zu verwässern. Inzwischen scheinen dabei sowohl Länder mit einem hohen als auch Länder mit einem niedrigen nationalen Datenschutz Zweifel an dem Ziel einer europaweit einheitlichen Regelung zu hegen. Der deutsche Bundesrat jedenfalls gab bereits Anfang 2012 eine Subsidiaritätsrüge ab, und einem kürzlich geleakten Verhandlungsdokument des Rates zufolge bezweifelt auch die deutsche Bundesregierung, ob eine Verordnung die beste Rechtsform für den europäischen Datenschutz ist.

In den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien finden sich zu dieser Frage allerdings vor allem Gemeinplätze. So sind sich CDU, SPD, Grüne und FDP einig, dass ein hohes Datenschutzniveau wichtig ist und auch auf europäischer Ebene sichergestellt werden soll. Die SPD setzt dabei unter anderem auf „starke und unabhängige Datenschutzbeauftragte“; die Grünen wollen „den Datenschutz gegenüber Unternehmen aus Drittstaaten“ und „die Durchsetzungsbefugnisse für die Datenschutzbehörden“ erhöhen; die FDP baut auf „Selbstdatenschutz und den Datenschutz durch Technik“. Wie weit die Regelungen dabei europaweit vereinheitlicht werden bzw. welche Umsetzungsspielräume den einzelnen Mitgliedstaaten noch bleiben sollen, erklären die Parteien hingegen nicht – obwohl man sicher sein kann, dass diese Frage spätestens in einigen Monaten wieder auf der Tagesordnung stehen wird.

Vorratsdatenspeicherung

Und noch ein weiteres Thema führte in den letzten Jahren wiederholt zu heftigen Diskussionen: nämlich die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Diese verpflichtet die Anbieter von Internet- und Telefondiensten, bestimmte Kommunikationsdaten ihrer Kunden für sechs Monate zu speichern, um so die Verfolgung von Straftaten zu erleichtern. Erlassen wurde die Richtlinie bereits 2006; im Jahr darauf (also noch vor der letzten Bundestagswahl) folgte das deutsche Umsetzungsgesetz. In einem Urteil von 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht dieses Umsetzungsgesetz allerdings für nichtig, da es gegen das Telekommunikationsgeheimnis in Art. 10 Grundgesetz verstoße. Zwar betonte das Gericht dabei ausdrücklich, dass es ihm nur um die Umsetzung, nicht um die Richtlinie selbst ging. Dennoch konnte sich die seit 2009 amtierende Koalition nicht auf eine Neufassung des Gesetzes einigen. Zwischenzeitlich war gar von einer „Kriegserklärung“ zwischen Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP/ALDE) und Innenminister Friedrich (CSU/EVP) die Rede. 2012 schließlich leitete die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, da es seiner Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie nicht nachkomme.

Gleichzeitig läuft vor dem EuGH allerdings noch ein anderer Prozess. Im Jahr 2009 – also zwei Jahre nach der Vorratsdaten-Richtlinie – trat nämlich der Vertrag von Lissabon und damit auch die EU-Grundrechtecharta in Kraft, die in ihren Artikeln 7 und 8 den Schutz von Kommunikation und persönlichen Daten garantiert. 2010 legte ein irisches Gericht deshalb dem EuGH die Frage vor, ob die Vorratsdatenspeicherung denn mit der Grundrechtecharta vereinbar sei. 2012 folgte eine ähnliche Vorlage aus Österreich. Ein Urteil wird frühestens Ende 2013 erwartet; nach dem bisherigen Verhandlungsverlauf könnte es durchaus gegen die Vorratsdatenspeicherung ausfallen. Und ohnehin kündigte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström (FP/ALDE) bereits 2010 eine Reform der Richtlinie an, die allerdings bis heute auf sich warten lässt.

Wie positionieren sich nun die deutschen Parteien zu dieser etwas vertrackten Lage? Als einzige Partei für die Vorratsdatenspeicherung ist die CDU/CSU, die die derzeit gültige EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen will. Die SPD äußert sich in ihrem Programm nur vage; Gesche Joost und Thomas Oppermann, die im SPD-Schattenkabinett für Netz- und Innenpolitik zuständig sind, erklärten inzwischen allerdings in einem Gastbeitrag für die FAZ, dass die EU-Richtlinie „grundsätzlich überarbeitet und neu bewertet werden“ müsse. Grüne und Linke sind ebenfalls klar gegen die Vorratsdatenspeicherung, gehen in ihren Programmen allerdings nicht weiter auf die EU-Richtlinie ein.

Am ausführlichsten äußert sich die FDP. Diese will „[g]egenüber der Europäischen Kommission […] darauf dringen, dass die verfehlte Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie an der Europäischen Grundrechtecharta gemessen und grundlegend überarbeitet wird“, und bis dahin „vor dem Europäischen Gerichtshof weiterhin dafür eintreten, dass es kein Urteil im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland gibt, bevor sich der Gerichtshof inhaltlich zur Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie mit der EU-Grundrechtecharta geäußert hat“. Außerdem lehnt sie „[j]ede Forderung nach einer Verschärfung der europäischen Richtlinie […], etwa auf Kommunikationsdaten aus sozialen Netzwerken“ ab. Was sie tun will, wenn der EuGH für die Vorratsdatenspeicherung und gegen Deutschland entscheidet, verrät die FDP allerdings nicht.

Urheberrecht

Ein weiteres Thema, das vor allem durch das Internet an Bedeutung gewonnen hat, ist das Urheberrecht. Raubkopien von Filmen, Musikstücken und anderen Produkten lassen sich über Online-Tauschbörsen einfach und grenzüberschreitend massenhaft verbreiten – zum Ärger der Produzenten und zur Freude von Millionen Benutzern, denen man die neuen Gewohnheiten wohl nicht so einfach wird austreiben können.

Alle Bundestagsparteien sind sich deshalb darüber einig, dass eine Reform des Urheberrechts notwendig ist, und insbesondere SPD und Grüne machen dazu auch recht detaillierte Vorschläge. Zudem stellt die SPD fest, „dass wir mittel- und langfristig internationale und europäische Lösungen finden und zur Anwendung bringen müssen“, was „eine komplexe und langfristige Herausforderung“ sei, „der wir uns jedoch stellen müssen, um sie mit unseren bundesdeutschen Wertvorstellungen zu prägen“. Und auch die CDU will ihre (inhaltlich allerdings reichlich vagen) Vorstellungen zum Urheberrecht „auch auf EU-Ebene bzw. international einbringen“. Was genau auf überstaatlicher Ebene verwirklicht werden soll, bleibt jedoch bei allen Parteien offen.

Leerstellen: NSA-Skandal und Netzneutralität

Zu zwei weiteren europäischen Netzthemen schließlich findet sich in den Wahlprogrammen überhaupt nichts. Das eine ist der NSA-Skandal speziell die Forderung des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA zu stoppen, bis die Überwachungsaffäre aufgeklärt ist. Der Grund dafür ist allerdings einfach: Die meisten der Programme wurden bereits im Frühling 2013 verabschiedet, als von den Enthüllungen Edward Snowdens noch nichts bekannt war.

Dieselbe Erklärung trifft auch auf eine andere Lücke zu: nämlich die Frage nach der Netzneutralität, also dem Prinzip, dass die Daten aller Anbieter bei der Übertragung im Internet gleich behandelt werden. Zwar sprechen sich alle Parteien in ihren Programmen mehr oder weniger klar dafür aus, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern, wobei die Opposition weiter gehen will als die Regierungsparteien. Doch ihre Vorschläge beziehen sich sämtlich nur auf die nationale Ebene. Dass Mitte Juli ein Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission bekannt wurde, der Internetprovidern europaweit eine Bevorzugung bestimmter Anbieter erlauben (und dem entgegenstehende nationale Regeln unwirksam machen) würde, überraschte die deutschen Parteien anscheinend. Wenig später erklärte die Kommission zwar, dass der Entwurf vor der endgültigen Präsentation im Herbst noch einmal überarbeitet werden soll. Jedenfalls aber deutet inzwischen alles darauf hin, dass die zentralen Entscheidungen über die Netzneutralität in den nächsten Jahren nicht auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene fallen werden.

Fazit

Netzpolitik ist wichtig und muss auch auf europäischer Ebene gestaltet werden: Darüber sind sich alle deutschen Parteien einig. Was genau die EU in diesem Bereich tun soll, bleibt jedoch meist recht unklar. Weder bei der heiß diskutierten Datenschutzverordnung noch beim Urheberrecht legen sich die Wahlprogramme auf allzu explizite Positionen fest. Deutliche Unterschiede sind jedoch beim Umgang mit der Vorratsdatenspeicherung zu erkennen: Hier will allein die CDU/CSU die bestehende EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Alle anderen Parteien hoffen hingegen offenbar darauf, dass der Europäische Gerichtshof die Richtlinie möglichst bald kippt – oder wollen die Kommission dazu bringen, einen neuen, gemäßigteren Vorschlag zu machen. Da sich seit einiger Zeit auch in anderen Mitgliedstaaten in dieser Sache Unmut regt, könnten sie damit durchaus Erfolg haben.

Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:

1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung

Bild: By only_point_five [CC BY-NC-2.0], via Flickr.

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