13 Oktober 2025

Stärkung des regelbasierten Handels: Deutschlands Rolle in der EU-Handelspolitik

Von Claudia Schmucker
Crane lifts a container from colorful stacks.
In einem geoökonomischen Umfeld haben Deutschland und die EU ein gemeinsames strategisches Interesse an offenem Handel.

Der Außenhandel fällt in die Zuständigkeit der Europäischen Union, wobei die Europäische Kommission 27 Mitgliedstaaten und einen gemeinsamen Markt mit 450 Millionen Menschen vertritt. Die EU – und damit auch Deutschland – ist im Handel ein globaler Akteur, der wirtschaftlich auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten und China steht. Deutschland und die EU sind stark in globale Wertschöpfungsketten eingebunden und haben jahrzehntelang von dem durch die Welthandelsorganisation WTO garantierten transparenten und regelbasierten Handelssystem profitiert. Beide haben daher ein Interesse, das bestehende offene globale Handelssystem zu fördern und zu reformieren.

Allerdings sehen sich die EU und Deutschland in dem derzeitigen konfliktgeladenen geoökonomischen Umfeld, das von Handelsfragmentierung und Protektionismus geprägt ist, mit Gegenwind konfrontiert. Die geoökonomische Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China verschärft sich. Beide Seiten nutzen ihre Märkte zunehmend als Hebel, um strategische Ziele in den internationalen Beziehungen zu erreichen. Dabei wandelt sich das regelbasierte zu einem machtbasierten Handelssystem, in dem multilaterale Organisationen (wie die WTO) an Bedeutung verlieren.

Zwischen zwei Mächten

Die EU steht zwischen zwei Mächten. Auf der einen Seite steht ein zunehmend aggressives China mit einem geschlossenen Markt und einer geoökonomisch geprägten Handelspolitik – auf der anderen Seite die Vereinigten Staaten, die mit ihrer „America First“-Handelspolitik  unter der zweiten Trump-Regierung nicht mehr zwischen Rivalen wie China und gleichgesinnten G7-Verbündeten wie der EU, Kanada oder Japan unterscheiden.

So sieht sich die EU nach der Rahmenvereinbarung mit Donald Trump vom 27. Juli nun mit einem Basis-Zollsatz von 15 Prozent konfrontiert, der Autos, Autoteile und pharmazeutische Produkte umfasst. Die EU hat weiterhin mit Zöllen von 50 Prozent auf Stahl und Aluminium zu kämpfen. Seit Januar 2025 ist der durchschnittliche US-Zollsatz für die EU laut WTO von 3,47 Prozent auf 14,95 Prozent gestiegen. Dazu werden weitere Handelsuntersuchungen, unter anderem in Bezug auf Halbleiter und Holz, durchgeführt, was in Zukunft zu weiteren Zollerhöhungen führen könnte.

Deutschlands strategisches Interesse an offenem Handel

Ein offener und regelbasierter Handel ist für die deutsche Wirtschaft und ihre wichtigsten Industrie- und Exportbranchen wie die Automobilindustrie, den Maschinenbau sowie die Chemie- und Elektroindustrie von zentraler Bedeutung. Im Jahr 2024 machte der Handel mit Waren und Dienstleistungen 80,3 Prozent des deutschen BIP aus. Fast jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Export ab.

Auch die Handels- und Investitionsbeziehungen Deutschlands zu den Vereinigten Staaten sind besonders eng. Im Jahr 2024 waren die Vereinigten Staaten zum ersten Mal seit 2015 wieder vor China Deutschlands wichtigster Handelspartner. Sie bleiben auch die wichtigste Zielregion für deutsche Unternehmen im Hinblick auf Direktinvestitionen. Daher ist es für Deutschland von zentraler Bedeutung, Protektionismus und Handelskonflikte mit den Vereinigten Staaten zu vermeiden. Deutschland und die EU sind auch daran interessiert, ausgeglichene Wettbewerbsbedingungen mit China zu schaffen.

Auf einer Linie mit der EU

Die deutsche Handelspolitik steht im Einklang mit dem aktiven und offenen Ansatz der Europäischen Kommission. Der Koalitionsvertrag der neuen deutschen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD vom Mai 2025 fordert unter dem Kapitel „Handel und Außenwirtschaft“ eine „pragmatische und regelbasierte Handelspolitik“, bietet Unterstützung für EU-Abkommen mit dem Mercosur und Mexiko an und verspricht deren baldige Ratifizierung. Das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen ist dabei von besonderer wirtschaftlicher und geopolitischer Bedeutung, da es der EU und Deutschland ermöglicht, ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Südamerika auszubauen und gleichzeitig ihre Abhängigkeit von China zu verringern. Die bestehenden hohen Marktzugangsbarrieren werden abgeschafft, was für die wettbewerbsfähigen europäischen und deutschen Exportbranchen wichtig ist. Das Abkommen fördert auch eine Partnerschaft mit Brasilien und dem Globalen Süden.

In der Handelspolitik liegen die Positionen und strategischen Ziele Deutschlands also auf einer Linie mit der EU. Beide schätzen das globale Handelssystem und die WTO weiterhin sehr, auch wenn ihre Bemühungen um eine WTO-Reform aufgrund der aktuellen geoökonomischen Realitäten nachlassen. Beide konzentrieren sich darauf, sowohl neue bilaterale Partnerschaften zu erschließen als auch Kompromisse mit der Trump-Regierung zu finden, um einen Handelskrieg zu vermeiden, der dramatische Auswirkungen auf die vom Handel abhängigen europäischen und deutschen Volkswirtschaften hätte.

Empfehlungen an die deutsche Bundesregierung

1. Deutschland spielt zu Recht wieder eine aktive Rolle in der EU-Handelspolitik

Der Abschluss von Handelsabkommen mit dem Mercosur und Mexiko ist zwar ein großer Erfolg, aber nur ein erster Schritt, der zeigt, wie wichtig eine aktive Rolle in der Handelspolitik sein kann. Deutschland und die EU müssen sich nun auf regelbasierte Freihandelsabkommen in der wachsenden und dynamischen Indo-Pazifik-Region konzentrieren. Prioritär ist dabei die Unterstützung der EU-Verhandlungen mit Indonesien (am 23. September unterzeichnet), weiteren ASEAN-Staaten wie Malaysia und den Philippinen sowie mit Indien und Australien.

Um die Ratifizierung neuer Abkommen zu verbessern, fordert die deutsche Regierungskoalition außerdem, künftige Abkommen als „EU-only“-Abkommen zu schließen. Dies ist ein vielversprechender Ansatz, der lange und schwierige Ratifizierungsprozesse in den 27 Mitgliedstaaten verhindert. Stattdessen müssen solche Abkommen nach der Annahme durch den Rat nur noch vom Europäischen Parlament ratifiziert werden, was eine schnelle Umsetzung der Handelsabkommen gewährleistet und die Glaubwürdigkeit der EU als Verhandlungspartner stärkt.

Daneben drängt Deutschland zu Recht darauf, gemischte Handelsabkommen, die teilweise in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten fallen, schnell zu ratifizieren. Deutschland hat versprochen, das EU-Chile-Rahmenabkommen von 2023 sowie die Investitionsabkommen mit Singapur und Vietnam so schnell wie möglich zu ratifizieren.

2. Deutschland muss sich auf die Einheit der EU und den sozialen Zusammenhalt im Handel konzentrieren.

Deutschland unterstützt die EU darin, eine aktive Rolle in Handelsverhandlungen zu übernehmen. Dies wird in Brüssel positiv aufgenommen und gibt wichtige Impulse, um die laufenden Handelsverhandlungen in der ASEAN-Region und die Ratifizierung umstrittener Abkommen wie dem EU-Mercosur-Abkommen voranzubringen.

Die deutsche Regierung darf dabei jedoch nicht das Ziel aus den Augen verlieren, eine möglichst einheitliche EU-Position mit der Unterstützung der Mehrzahl der Mitgliedstaaten anzustreben. Da Frankreich viele der offenen Handelsansätze ablehnt, sollte Deutschland aktiv die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten handelsfreundlichen Mitgliedstaaten suchen. Auch wenn Deutschland die größte Volkswirtschaft Europas ist, wäre es kontraproduktiv, mögliche Lösungen ohne die Unterstützung kleinerer EU-Mitgliedstaaten voranzutreiben. Die EU kann nur dann entschlossen und stark auf Handelskonflikte mit Handelspartnern wie China und (derzeit) den Vereinigten Staaten reagieren, wenn die 27 Mitgliedstaaten so gut wie möglich geeint auftreten.

Aber europäische Einheit allein genügt nicht. Auch der deutschen Öffentlichkeit muss die Bedeutung des freien Handels deutlicher vermittelt werden. Deutschland droht eine interne gesellschaftliche Spaltung: Rechtsextreme Parteien wie die AfD – mit ihrem nationalistischen und protektionistischen Fokus – gewinnen an Stimmen und gefährden den sozialen Zusammenhalt. Handel sollte deshalb nicht nur ein Thema für liberale Eliten sein. Die politische, wirtschaftliche und geostrategische Bedeutung von Partnerschaften und Handelsabkommen muss von der deutschen Regierung klarer kommuniziert werden, insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene.

3. Eine Eskalation mit den Vereinigten Staaten verhindern, ohne europäische Standards aufzugeben

Die „America First“-Handelspolitik trifft Deutschland und die EU hart. Trotz des Rahmenabkommens vom 27. Juli bleibt das Zollniveau mit einer Basis von 15 Prozent hoch. Die Unsicherheit bleibt erhalten und wirkt sich nachteilig auf langfristige Geschäfts- und Investitionsentscheidungen aus.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich für einen raschen Deal und mittelfristig für ein mögliches TTIP 2.0 ausgesprochen. Deutschland hat grundsätzlich Recht, wenn es auf eine Deeskalation und eine transatlantische Lösung drängt, um langfristige Schäden für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie abzuwehren. Doch auch wenn eine konstruktive und schnelle Lösung wichtig ist, sollte Deutschland weiterhin entschlossen hinter bestehenden europäischen Standards und Werten stehen, sei es im digitalen Bereich (mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act) oder in Bezug auf Lebensmittel und Agrarprodukte. Europäische Standards sind wichtig für den inneren Zusammenhalt. Deutschland kommt bei der Gestaltung einer starken und offenen Handelspolitik eine besondere Rolle zu, doch es muss dabei gemeinsame europäische Positionen fördern.

Claudia Schmucker ist Leiterin des Zentrums für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch in der Reihe Berlin Perspectives des Instituts für Europäische Politik (IEP).


Übersetzung: Manuel Müller.
Bilder: Container: TSD Studio [Unsplash license], via Unsplash; Porträt Claudia Schmucker: DGAP [alle Rechte vorbehalten].

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