Die Union stattet sich
mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre
Politik durchführen zu können.
Ich weiß nicht, ob das
Wort „Eigenmittelsystem“ jemals in der Tagesschau oder im
Aufmacher einer großen deutschen Zeitung verwendet wurde: Es klingt
so technisch und sperrig, dass jeder gute Journalist befürchten
müsste, damit seine Leser und Zuschauer zu vergraulen. Für
diejenigen, die sich intensiver mit Europapolitik beschäftigen,
bezeichnet dieses Wort hingegen ein Thema, über das mit größter
Leidenschaft diskutiert wird. Denn es handelt sich dabei um nichts anderes
als um die Frage, wie sich die EU finanzieren soll – und damit
indirekt auch um die Frage, ob sie sich als eine Union der
europäischen Bürger oder nur ein Bündnis ihrer Mitgliedstaaten
versteht.
Und darum geht es: Wie
jeder Staat und jede internationale Organisation benötigt die EU zur
Erfüllung ihrer Aufgaben finanzielle Mittel. Zu deren Beschaffung
gibt es typischerweise zwei Modelle: Staaten finanzieren sich
größtenteils über Steuern, die sie von ihren Bürgern erheben;
internationale Organisationen hingegen leben meist von den Beiträgen
ihrer Mitgliedstaaten. Unabhängig von der Höhe des Budgets haben
internationale Organisationen deshalb in finanziellen Fragen weniger
Autonomie, da sie letztlich Jahr für Jahr auf den guten Willen ihrer
Mitglieder angewiesen sind. Insbesondere die reichen Staaten, die für
den größten Teil des Budgets aufkommen, können dies zur Ausübung
von Macht nutzen – was beispielsweise die USA gegenüber den Vereinten Nationen auch recht unverblümt tun.
Die „Eigenmittel“ der EU
Damit so etwas in der
Europäischen Union nicht geschieht, wurde bereits in den 1960er
Jahren beschlossen, dass die europäische Ebene über Finanzautonomie
verfügen und nicht auf nationale Beitragszahlungen angewiesen sein
sollte. Allerdings schreckten die Mitgliedstaaten davor zurück, den
Europäischen Gemeinschaften ein eigenes Besteuerungsrecht
einzuräumen. Stattdessen sollten sich die „Eigenmittel“ der EG
aus deren eigenen Tätigkeiten ergeben. Im Wesentlichen handelte es
sich dabei um die Einnahmen aus den Importzöllen auf Produkte aus
Nicht-EG-Staaten, die in einer Wirtschaftsgemeinschaft mit
einheitlichen Außenzöllen und freiem Binnenhandel ohnehin nicht
mehr sinnvoll einzelnen Mitgliedstaaten zugerechnet werden konnten.
Für einige Jahre ging
dies gut. Doch mit den Jahren stiegen einerseits die Aufgaben – und
damit der Finanzbedarf – der EG, während andererseits die
Einnahmen zurückgingen, da die EU mit den übrigen Mitgliedern der
Welthandelsorganisation immer neue Zollsenkungen vereinbarte. Um
diese Lücke zu füllen, wurden seit den 1980er Jahren die
sogenannten Mehrwertsteuer- und BNE-Eigenmittel eingeführt, die
heute zusammen rund 85 Prozent des EU-Haushalts ausmachen.
Bei diesen
BNE-Eigenmitteln handelt es sich letztlich doch wieder um nationale
Beiträge der Mitgliedstaaten, die sich nach dem
Bruttonationaleinkommen des Landes berechnen. „Eigenmittel“ der
EU sind sie nur insofern, als sie (anders als etwa die Beiträge zu
den Vereinten Nationen) formal nicht aus den nationalen Haushalten
stammen, sondern nur von den Mitgliedstaaten für die EU eingetrieben
werden, wobei den Mitgliedstaaten die Art der Erhebung freigestellt
ist. Auch dieser feine Unterschied wird in der Praxis allerdings von
mehreren Mitgliedstaaten ignoriert – und so finden sich die
BNE-Eigenmittel nicht selten als Ausgabenpunkt in den nationalen
Haushaltsplänen wieder. Es ist nur Glück, dass dabei noch niemals
der verfassungsrechtliche Ernstfall eingetreten ist, bei dem ein
nationales Parlament die volle Überweisung dieser Beiträge an die
Europäische Union verweigert oder einseitig an politische
Forderungen geknüpft hätte.
Der Nettozahlerstreit
Doch auch so richtete die
faktische Rückkehr zu nationalen Beiträgen einigen Schaden an. Denn
die Tatsache, dass die BNE-Eigenmittel jeweils einzelnen
Mitgliedstaaten zugeordnet werden können, verleitete viele nationale
Politiker und Medien dazu, sie als den „Preis“ anzusehen, den das
eigene Land für die EU-Mitgliedschaft zu entrichten hat. Von dort
ist der Schritt nicht weit, auch die finanziellen Rückflüsse aus
dem EU-Haushalt in das eigene Land zu berechnen und einen Saldo
aufzustellen. Das Ergebnis ist die leidige Nettozahler-Debatte, die
seit den 1980er Jahren die öffentliche Auseinandersetzung vor allem
in den reichen Mitgliedstaaten dominiert.
Wie absurd diese
Diskussion ist, zeigt sich schon an der Vielzahl von Methoden, nach denen die nationalen Nettosalden je nach
Belieben groß oder klein gerechnet werden können. Für die
öffentliche Wahrnehmung der europäischen Finanzpolitik jedoch
spielte dies keine Rolle: Die Vorstellung, dass Deutschland als
„größter Nettozahler“ für alle Kosten aufkommen müsse,
während sich die „Nettoempfänger“ ein schönes Leben machen,
ist fest in vielen Köpfen verankert. Und die EU wusste sich dagegen
lange Zeit nicht anders zu helfen, als etlichen Nettozahlern (vor
allem Großbritannien, aber auch Deutschland, den Niederlanden,
Schweden und Österreich) Beitragsrabatte zuzugestehen, die das
Eigenmittelsystem nach und nach immer komplizierter machten und
zuletzt doch nicht zu einer größeren Akzeptanz in der
Öffentlichkeit beitrugen. Es ist wie beim deutschen Länderfinanzausgleich: Wenn staatliche
Umverteilung in erster Linie als ein Transfer zwischen
Gebietskörperschaften wahrgenommen wird, stößt sie fast immer auf
Ablehnung. Wird sie dagegen als ein Transfer von reichen zu armen
Bürgern verstanden, ist die öffentliche Zustimmung höher –
selbst wenn die interregionalen Effekte dabei in der Praxis genauso
groß sind.
Die
Finanztransaktionssteuer als Eigenmittel
In den letzten Jahren
forderten deshalb vor allem die supranationalen Organe der EU immer
wieder eine Reform des Eigenmittelsystems, bei der die nationalen Beiträge durch eigene europäische Steuern ersetzt würden (hier
ein Arbeitsdokument der Kommission, hier
ein gemeinsames Papier dreier prominenter Europaabgeordneter). Einen
entscheidenden Vorstoß machte die Kommission schließlich in diesem
Sommer, als sie ihren Vorschlag für den nächsten „mehrjährigen Finanzrahmen“ (das Grundgerüst für den EU-Haushalt im Zeitraum 2014-2020) präsentierte. Darin sah sie insbesondere die Einführung einer
europaweiten Finanztransaktionssteuer vor, die als neuer
Eigenmittel-Typ unmittelbar das europäische Budget speisen sollte.
Die Einnahmen von geschätzt 50 Milliarden Euro jährlich würden
etwa ein Drittel der gesamten EU-Ausgaben abdecken und damit den
Bedarf an BNE-Eigenmitteln deutlich reduzieren.
Dass die Wahl auf die
Finanztransaktionssteuer fiel, ist dabei auf den ersten Blick
durchaus passend. Außer fiskalischen Zwecken soll diese Steuer auf
alle Bankentätigkeiten nämlich vor allem der Finanzmarktregulierung
dienen, die seit Ausbruch der Eurokrise als ein wichtiges Politikfeld
der EU gilt. Und zudem herrscht Einigkeit darüber, dass eine
Finanztransaktionssteuer nicht nur in einzelnen Ländern eingeführt
werden sollte, sondern möglichst den gesamten Binnenmarkt abdecken
muss, um eine Steuerflucht der Banken zu verhindern. Wenn man also
eine Finanztransaktionssteuer will, dann sollte sie europaweit einheitlich gelten
– und es ist durchaus naheliegend, ihre Einnahmen dann auch für
den europäischen Haushalt zu nutzen.
Doch während das
Europäische Parlament diese Reformpläne der Kommission nachdrücklich
unterstützte, regte sich in einigen Mitgliedstaaten Widerstand.
Bemerkenswerterweise war es dabei insbesondere die deutsche
Bundesregierung, die schon 2011 auf die ersten Ideen einer
Eigenmittelreform mit einer scharfen Ablehnung reagierte. Auf eine Begründung für
dieses strikte Nein verzichteten die Politiker von CDU/CSU (EVP) und
FDP (ELDR) allerdings weitgehend. Eine Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärte, es bestehe „überhaupt
kein Handlungsbedarf, das bewährte System der EU-Finanzierung zu
ändern“; und der finanzpolitische Sprecher der FDP behauptete etwas dreist, die
Kommission suche lediglich nach Mitteln, „wie sie den ohnehin schon
durch die Eurokrise stark belasteten Bürgern der Geberländer
verstärkt und nun auch noch ohne Umwege an den Geldbeutel kann“.
Dass die Umstellung des Eigenmittelsystems nichts mit der (aus anderen Gründen notwendigen) Erhöhung des EU-Haushalts zu tun
hat, wurde dabei schlicht ignoriert. Letztlich drängt sich nur eine
Schlussfolgerung auf: Gerade in Deutschland, wo die
Nettozahler-Diskussion besonders virulent ist, will die Regierung
offenbar auch in Zukunft nicht darauf verzichten, politisches Kapital
aus der Größe ihres nationalen Beitrags zu schlagen.
Verstärkte
Zusammenarbeit
Immerhin aber war
Deutschland wenigstens grundsätzlich zur Einführung einer
europaweiten Finanztransaktionssteuer bereit; nur sollten die
Einnahmen daraus eben in den eigenen nationalen Haushalt fließen. Noch
schärfer hingegen war die Kritik vonseiten anderer Länder wie
Großbritannien und Schweden, die – vor allem aus wirtschaftspolitischen Gründen – eine Besteuerung der
Bankaktivitäten vollständig ablehnen. Da diese Gegensätze nicht zu überwinden waren, bildete sich in den letzten Monaten
eine Gruppe von elf Mitgliedstaaten der Eurozone
(unter ihnen Deutschland, Frankreich und Österreich) heraus, die eine
Finanztransaktionssteuer auf Basis einer verstärkten Zusammenarbeit anstreben. Demnach soll die Steuer europaweit einheitlich
ausgestaltet werden, aber lediglich für diejenigen Mitgliedstaaten
gelten, die sich an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligen.
Doch auch in der
Pioniergruppe ist weiterhin umstritten, in welchen Haushalt die
Einnahmen aus der neuen Steuer letztlich einfließen sollen. Zuletzt
zeigte sich dies in einem kleinen Disput zwischen der niederländischen und der belgischen Regierung:
Nachdem der neu ernannte niederländische Finanzminister vergangenen
Dienstag erklärt hatte, sein Land werde sich der verstärkten
Zusammenarbeit möglicherweise anschließen, aber nur, wenn die
Einnahmen daraus in den nationalen Haushalt gingen, antwortete der
belgische EU-Botschafter, sein Land wolle die Option einer
Eigenmittelreform auf jeden Fall offen halten. Und auch das
Europäische Parlament ist bislang nicht von seiner Position
abgerückt, dass die Reform des Eigenmittelsystems eine zwingende Bedingung für seine Zustimmung zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen ist.
Es ist der Europäischen
Union zu wünschen, dass sich die Reformfraktion zuletzt durchsetzt.
Das derzeitige System, das in erster Linie auf nationalen Beiträgen
beruht, vergiftet die öffentliche Debatte, da es die
Interessengegensätze zwischen den Mitgliedsländern, zwischen
„Nettozahlern“ und „Nettoempfängern“, in den Vordergrund
stellt. Doch die EU dient nicht
einzelnen Staaten, sondern den gemeinsamen Interessen aller
europäischen Bürger. Entsprechend sollte auch ihre Finanzierung so
weit wie möglich von der nationalen Ebene entkoppelt werden und auf
echten Eigenmitteln, das heißt: auf eigenen europäischen Steuern
beruhen. Die EU-Finanztransaktionssteuer, so viele Probleme sie im
Einzelnen auch aufwerfen mag, ist auf jeden Fall ein Schritt in die
richtige Richtung.
PS
In
dem letzten Papier zum mehrjährigen Finanzrahmen, das Ratspräsident
Herman Van Rompuy (CD&V/EVP) vergangene Woche präsentierte, war
der Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer als Eigenmittel übrigens vorhanden.
Wenn ich richtig verstanden habe, will Van Rompuy dabei allerdings
für jeden Staat, der sich an der verstärkten Zusammenarbeit
beteiligt, einzeln den Ertrag berechnen, der sich aus der Steuer
ergibt – und diesen Betrag dann von den BNE-Eigenmitteln des
betreffenden Landes abziehen. Diese Lösung soll offenbar ein
Kompromiss zwischen den verschiedenen Positionen sein; sie ist aber
nichts als ein alberner Trick, da die Beiträge ja weiterhin Land
für Land ausgerechnet würden und letztlich nur vom Bruttonationaleinkommen abhängig wären. Dann aber wird sich auch an der öffentlichen
Wahrnehmung und der Nettozahler-Diskussion nichts ändern.
Worum es bei der ganzen Sache geht, ist doch, dass die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer eben nicht mehr einzelnen Staaten zuzuordnen sein sollen. Wenn überhaupt, müsste man also die Mitgliedstaaten, die sich an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligen, als eine Einheit betrachten und ihre BNE-Eigenmittel jeweils anteilig um den Gesamtbetrag der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer reduzieren. Aber wie es aussieht, hat der Europäische Rat bis heute nicht so recht begriffen, worin der tiefere Sinn des Kommissionsvorschlags überhaupt besteht.
Worum es bei der ganzen Sache geht, ist doch, dass die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer eben nicht mehr einzelnen Staaten zuzuordnen sein sollen. Wenn überhaupt, müsste man also die Mitgliedstaaten, die sich an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligen, als eine Einheit betrachten und ihre BNE-Eigenmittel jeweils anteilig um den Gesamtbetrag der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer reduzieren. Aber wie es aussieht, hat der Europäische Rat bis heute nicht so recht begriffen, worin der tiefere Sinn des Kommissionsvorschlags überhaupt besteht.
Bild: By User:Anameofmyveryown [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.
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