- Mit manchen Dingen will sich Angela Merkel (CDU/EVP) im Wahlkampf lieber nicht beschäftigen. Der AfD zum Beispiel.
Vier Monate vor der
nächsten deutschen Bundestagswahl liegt die CDU/CSU (EVP) in
Umfragen zwölf bis fünfzehn Prozentpunkte vor der
SPD (SPE), und auch wenn sie die derzeitige
Koalition mit der FDP (ALDE) wohl nicht fortsetzen kann, ist es doch
sehr wahrscheinlich, dass sie auch die nächste Bundesregierung
anführen wird. Eigentlich eine komfortable Lage – und doch zeigten die Christdemokraten in der letzten
Woche einige Nervosität vor dem Wahlkampf. Ursache dafür ist die
unlängst gegründete nationalkonservativ-europaskeptische
Partei Alternative für Deutschland (AfD). Diese kommt zwar in
Umfragen bislang nur auf rund drei Prozent und würde damit nicht in
den Bundestag einziehen. Diese drei Prozent aber dürften vor
allem den heutigen Regierungsparteien fehlen: Von den derzeit rund 10 000 AfD-Parteimitgliedern war etwa jeder Zehnte zuvor in der CDU aktiv, weitere 500 in der FDP.
Schlimmstenfalls könnte die AfD der CDU einen Teil ihres
Wählerpotenzials dauerhaft abspenstig machen, ähnlich wie vor
einigen Jahren die Linkspartei (EL) der SPD.
Die CDU-Parteispitze
reagierte auf diese Bedrohung bislang, indem sie sie ignorierte. Nachdem
Fraktionschef Volker Kauder die AfD im März als
„institutionalisierte Angst vor der Zukunft“ bezeichnet hatte, nahm kaum ein
prominentes Parteimitglied noch öffentlich auf sie Bezug. Dahinter
dürfte ein doppeltes Kalkül stecken: Zum einen die Hoffnung, dass
sich die AfD, wenn man ihr nicht zu viel Aufmerksamkeit schenkt, nach
dem Scheitern ihrer Bundestagsambitionen selbst zerlegen und als
rechtspopulistische Splittergruppe enden wird. Und zum anderen das
Bewusstsein, dass die Europapolitik für die CDU im Wahlkampf zu
einem allzu heißen Pflaster werden könnte.
Warum die CDU das
Europathema lieber meidet
Denn
bislang zeigen die deutschen Umfragen einerseits eine hohe Zustimmung
zu der Europapolitik der Bundesregierung, und insbesondere Kanzlerin Angela Merkel profitiert davon, dass sie auf den europäischen
Gipfeln so gut die deutschen Interessen zu vertreten scheint.
Andererseits aber ist die Eurokrise heute nach wie vor nicht vorüber
– was nicht zuletzt an der Bundesregierung liegt, die in den
vergangenen Jahren etliche Lösungswege zurückgewiesen (Ausweitung
des gemeinsamen Haushalts, Eurobonds) oder verschleppt hat
(Bankenunion), ohne schlüssige Alternativen aufzuzeigen.
Stattdessen
setzte sie auf eine Sparpolitik, die die wirtschaftliche
Lage der Krisenstaaten nur noch weiter verschlimmerte, und
auf kleinere institutionelle Nachbesserungen wie den
Europäischen Stabilitätsmechanismus. Letzterer genügte zwar, um
Teile der nationalen Öffentlichkeit in Empörung zu versetzen, blieb
aber weit hinter dem zurück, was für die Überwindung der Krise
notwendig wäre. Inzwischen dürfte deshalb auch im Kanzleramt klar
sein, dass die bisherigen Durchwurstelversuche gescheitert sind. Und
so kann man davon ausgehen, dass die Bundesregierung in den nächsten
Jahren entweder ihren Widerstand gegen eine weitere
Vergemeinschaftung finanzieller Risiken aufgeben – oder den Zerfall
der Eurozone in Kauf nehmen wird.
Einstweilen
jedoch hat sich die CDU mit ihrem gleichzeitigen Ja zur
Gemeinschaftswährung und Nein zu jeder Form von „Transferunion“
in eine argumentative Sackgasse befördert, aus der sie vor der
Bundestagswahl kaum wieder herauskommen kann. Besonders unglücklich
ist dabei, dass auch ihre Wähler nur allzu geneigt sind, einen
solchen Weg für möglich zu halten. Für den Meinungsforscher Bruce
Stokes, der zuletzt für das Pew Research Center eine Studie über die Krisenwahrnehmung in den verschiedenen europäischen Staaten durchgeführt hat, lebt die deutsche Bevölkerung „mental auf ihrem eigenen Kontinent“: Anders als ihre Nachbarn, die die
derzeitige wirtschaftliche und politische Lage durchweg als düster
einschätzen, sehen die Deutschen keine besonderen Probleme – nicht
gerade die beste Ausgangslage für eine Regierung, um im Wahlkampf
die Notwendigkeit eines großen politischen Richtungswechsels
anzukündigen.
Der Streit über den Umgang mit der AfD
Während
es für die CDU-Bundespartei also naheliegend scheint,
das Europathema vorerst besser zu meiden, regte sich in den
Landesverbänden zuletzt Widerstand gegen diesen Kurs. In einem
gemeinsamen Positionspapier forderten die CDU-Fraktionsvorsitzenden
von Thüringen, Sachsen und Hessen „eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Programmatik der AfD und den hieraus folgenden Konsequenzen“. Merkel und einige andere
Mitglieder der Parteispitze wiesen dieses Ansinnen zwar umgehend brüsk zurück; nur kurz danach jedoch legten die
CDU-Ministerpräsidenten von Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt
sowie einige Bundestagsabgeordnete nach und unterstützten die drei Fraktionsvorsitzenden. Wenigstens parteiintern dürfte
die Dethematisierungsstrategie der Bundesregierung damit gescheitert
und eine intensivere Europadebatte kaum zu verhindern sein.
Was
stand hinter diesem Vorstoß der drei Fraktionschefs? Betrachtet man
die europapolitischen Positionen der Beteiligten, so scheint die
Rollenverteilung klar zu sein. Die Befürworter einer intensiveren
Auseinandersetzung mit der AfD entstammen zum großen Teil nämlich
selbst dem europaskeptischen Flügel der CDU; mehrere von ihnen sind
Mitglieder des konservativen „Berliner Kreises“. Mehr noch: Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet,
beinhaltete das Schreiben der
drei Fraktionschefs auch die Forderung, dass die CDU auf die „nie
wirklich zu Ende diskutierte Frage nach der Finalität des
Europäischen Integrationsprozesses“ endlich mit einer klaren
Absage an die „Vereinigten Staaten von Europa“ antworten und sich
für einen Staatenverbund „mit den europäischen Nationen als
entscheidender Größe“ aussprechen solle. Umgekehrt fanden sich
unter den Verteidigern des bisherigen Kurses gegenüber der AfD
mehrere prominente Integrationsbefürworter,
etwa Elmar Brok, CDU-Europaabgeordneter und Ehrenpräsident der
föderalistischen Europa-Union.
Insgesamt scheint es
also, als ob es in der CDU-internen
Debatte über die Auseinandersetzung mit der AfD in Wahrheit eher um
eine Annäherung an die AfD
geht: Während die Mitglieder des „Berliner Kreises“ darin eine
Chance sehen, nationalkonservative Argumente wieder stärker in der
Partei zu verankern, ist den Merkelianern vor allem daran gelegen,
den Ball flach zu halten: Einerseits wollen sie sich nicht zu einer
umfassenden europäischen Fiskalunion mit Souveränitätsübertragungen
im steuer- und sozialpolitischen Bereich bekennen, weil sie das
Stimmen im konservativen Lager kosten könnte; andererseits wollen
sie eine solche Fiskalunion aber auch nicht ausschließen, weil sie
wissen, dass das vielleicht die einzige Möglichkeit sein wird, um
die Währungsunion zu erhalten. Also versuchen sie, sich im
Bundestagswahlkampf nicht zu kompromittieren – und dadurch für die
Zeit danach alle Optionen offen zu halten
Die AfD kann sich als glückliche Fügung erweisen
Doch
so schlau diese Taktik auf den ersten Blick wirken mag: Auf die Dauer
dürfte sie sich für die Proeuropäer in der CDU als schwere Last
erweisen. Denn sie verstößt nicht nur gegen die schlichte
demokratische Forderung, dass die Regierung im Wahlkampf klare
Positionen zu den zentralen politischen Themen beziehen soll. Auch
für den Fortgang der europäischen Integration selbst wird es einen
wichtigen Unterschied machen, ob sich die Parteien, die die nächste
Bundesregierung stellen, schon jetzt zu der Notwendigkeit weiterer
institutioneller Reformen bekennen. Nur dann werden sie nämlich nach
der Wahl darauf verweisen können, dass sie von den Bürgern zur
Durchführung dieser Reformen legitimiert sind.
Wenn die übrigen Parteien die richtige Antwort darauf finden,
könnte sich die Gründung der AfD daher im Nachhinein sogar als eine
glückliche Fügung für die europäische Integration erweisen.
Jahrzehntelang war die mehrheitliche Europafreundlichkeit der
deutschen Bevölkerung eine bloße Behauptung: gestützt durch
unverbindliche Meinungsumfragen, aber aufgrund des weitreichenden
Konsenses unter den Bundestagsparteien niemals in der echten
politischen Auseinandersetzung erprobt. Mit der AfD wird dieser
Konsens nun herausgefordert, sodass es erstmals zu einem
tatsächlichen Kräftemessen zwischen Integrationsbefürwortern und
-gegnern kommen kann. Aber nur wenn die Befürworter diese
Herausforderung annehmen, können sie auch gewinnen – und nur wenn
sie gewinnen, können sie hinterher entschlossen ihre politischen
Ziele in die Tat umsetzen. Wenn die großen Parteien sich hingegen
wegducken und den Anschein erwecken wollen, als
genügte eine einfache Fortsetzung der bisherigen Politik, wird es
ihnen in ein oder zwei Jahren umso schwerer fallen, öffentliche
Zustimmung zu dem dann nötigen großen Integrationsschritt zu
mobilisieren.
Der Gegner, auf den
wir gewartet haben
Ganz
in diesem Sinn bekundete kürzlich übrigens auch Jürgen Habermas, seit Jahren einer der
prominentesten Verfechter überstaatlicher Demokratie (und damit
anders als etwa die Mitglieder des „Berliner Kreises“ reichlich
unverdächtig, die inhaltlichen Ziele der Europaskeptiker insgeheim
zu teilen):
In der Bundesrepublik bestärkt eine unsäglich merkelfromme Medienlandschaft alle Beteiligten darin, das heiße Eisen der Europapolitik im Wahlkampf nicht anzufassen und Merkels clever-böses Spiel der Dethematisierung mitzuspielen. Daher ist der „Alternative für Deutschland“ Erfolg zu wünschen. Ich hoffe, dass es ihr gelingt, die anderen Parteien zu nötigen, ihre europapolitischen Tarnkappen abzustreifen. Dann könnte sich nach der Bundestagswahl die Chance ergeben, dass sich für den fälligen ersten Schritt eine „ganz große“ Koalition abzeichnet.
Wer es in den deutschen Parteien
gut meint mit der europäischen Integration, wer für eine vertiefte
Wirtschafts- und Währungsunion, für eine föderale Kompetenzordnung
und für mehr supranationale Demokratie ist, der sollte sich gerade
durch die AfD zu einer offenen Auseinandersetzung über diese Fragen
anspornen lassen. Es mag sein, dass die Parteispitzen – in der CDU
und anderswo – das nicht wollen, weil sie Angst haben, dadurch im
Wahlkampf ihre Siegchancen zu mindern. Aber der schönste Wahlerfolg
hilft nichts, wenn man hinterher seine politischen Ziele nicht
umsetzen kann, weil es dafür an Rückhalt in der Bevölkerung fehlt.
Und diesen Rückhalt wird es nur geben, wenn die Bürger schon vor
der Wahl erfahren, für welche europapolitischen Optionen die
verschiedenen Parteien stehen, und sich dann mehrheitlich für eine
vertiefte Integration entscheiden.
Liebe Europafreunde in allen Parteien: Die AfD kann der Gegner
sein, auf den wir gewartet haben. Nutzen wir die Gelegenheit!
Bild: By Kuebi = Armin Kübelbeck (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.
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