16 August 2015

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen (1): Eine Sommerserie

In Dänemark plakatiert die ALDE-Partei vor der Europawahl unter dem Namen „Venstre“. In Rumänien wird sie das künftig etwas einfacher handhaben.
Als sich Spanien in den 1970er Jahren auf den Weg in die Demokratie machte, wurde der Begriff „Homologierung“ zu einem weitverbreiteten Schlagwort. Gemeint war damit die Angleichung des eigenen politischen Systems an die übrigen westeuropäischen Staaten. Schon zuvor hatten die spanischen Medien das Ziel eines EG-Beitritts als zentrales Argument für die Forderung nach mehr nationaler Demokratie genutzt. Als nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 beides in Griffweite erschien, bemühten sich die politischen Akteure fast aller Couleur, ihre Europafähigkeit öffentlich unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass die von ihnen vertretenen Ansichten auch in anderen europäischen Demokratien verbreitet waren.

Dies galt vor allem für die politischen Parteien, die in jener Zeit teils nach langem Verbot wieder zugelassen, teils völlig neu gegründet wurden. „Homologiert“ zu sein, bedeutete für sie, auf ähnlich ausgerichtete Parteien in anderen EG-Mitgliedstaaten verweisen zu können und damit als der legitime nationale Vertreter einer europaweiten demokratischen Bewegung gelten zu können. So profitierte etwa die spanische PSOE wesentlich von der Anerkennung als Schwesterpartei der deutschen SPD und anderer sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien.

In anderen Fällen könnte der Wunsch nach „Homologierung“ sogar eine Rolle bei der Namenswahl der neuen Parteien gespielt haben. So bezeichnete sich die gemäßigt-konservative Gruppierung, die in den ersten Jahren der spanischen Demokratie die Regierung stellte, als Unión de Centro Democrático (UCD, „Union des demokratischen Zentrums“) – und übernahm damit die Initialen von ihrem deutschen Pendant CDU (und deren damaligen Europaverband, der Europäischen Union Christlicher Demokraten EUCD).

Die Namen der europäischen Parteien sind kaum bekannt

Seitdem sind mehrere Jahrzehnte ins Land gegangen, Spanien ist eine stabile Demokratie geworden und das Wort „Homologierung“ gebraucht dort heute niemand mehr. Die EU-Parteiennetzwerke hingegen spielen eine wichtigere Rolle denn je: Seit 1992 offiziell als politische Parteien auf europäischer Ebene anerkannt, bilden sie die Grundlage für die Fraktionen im Europäischen Parlament und damit das logische Rückgrat für eine gesamteuropäische repräsentative Demokratie.

In der öffentlichen Wahrnehmung allerdings spielen sie nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle. Zwar lassen sich viele der großen politischen Auseinandersetzungen in der EU besser verstehen, wenn man statt der nationalen Regierungen die europäischen Parteien in den Blick nimmt (wie ich das hier zum Beispiel für die Griechenland-Krise getan habe). Dennoch sind die Namen etwa der Europäischen Volkspartei (EVP, Nachfolgeorganisation der EUCD), der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), der Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten (AEKR), der Europäischen Linken (EL) oder der Europäischen Grünen Partei (EGP) jenseits eines Expertenpublikums bislang nur wenig bekannt.

Ein neuer Europäisierungstrend

Der Grund dafür dürfte sein, dass Wahlkämpfe, selbst für Europawahlen, weiterhin vor allem auf nationaler Ebene ausgetragen werden. Auf den Wahlzetteln (und Wahlplakaten) stehen deshalb nicht die Namen der EU-Parteien, sondern ihrer nationalen Mitgliedsverbände – was die Herausbildung gesamteuropäischer Parteiidentitäten deutlich erschwert.

Will man dieses Problem an der Wurzel packen, so muss man natürlich bei einer institutionellen Stärkung der europäischen Parteien ansetzen – wie das gehen könnte, habe ich hier schon ausführlicher beschrieben. Einstweilen aber kann es auch interessant sein, den Blick einmal auf die Namen der nationalen Mitgliedsparteien zu lenken. Tatsächlich scheint es hier einen interessanten neuen Europäisierungstrend zu geben, der durchaus an das Streben nach „Homologierung“ im Spanien der 1970er Jahre erinnert: Allein im letzten Vierteljahr wurden in drei europäischen Ländern neue Parteien gegründet, die ihren Namen unmittelbar von einer der Fraktionen im Europäischen Parlament ableiteten.

Drei Neugründungen mit europäischen Namen

Den Anfang machte im Mai die rechtspopulistische Svoboda a přímá demokracie (SPD, „Freiheit und direkte Demokratie“) in Tschechien. Dass deren Initialen mit denen der deutschen Sozialdemokraten übereinstimmen, ist Zufall. Worum es laut dem Parteichef Tomio Okamura bei der Namenswahl tatsächlich ging, war vielmehr die Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie, die derzeit von dem britischen Nationalpopulisten Nigel Farage angeführt wird – und der die tschechische SPD, so sie bei der Europawahl 2019 ein Mandat gewinnt, gerne beitreten würde.

Wenig später folgte die italienische Partei Conservatori e Riformisti (CR, „Konservative und Reformisten“). Gegründet wurde sie von Raffaele Fitto, der bei der Europawahl 2014 für die EVP-Mitgliedspartei Forza Italia ins Europäische Parlament gewählt worden war, sich dann jedoch mit dem FI-Chef Silvio Berlusconi überworfen hatte. Um den Bruch noch wirksamer zu inszenieren, beschloss Fitto, auch die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament zu verlassen und sich stattdessen der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten anzuschließen. Und so benannte er auch seine neue Partei.

Im Juni schließlich kam es auch in Rumänien zu einer europäisch inspirierten Namensgebung für eine Parteineugründung: die Alianța Liberalilor și Democraților (ALDE, „Allianz der Liberalen und Demokraten“), entstanden aus der Fusion zweier kleinerer Parteien. Schon mit ihrer Selbstbezeichnung drückte sie den Wunsch aus, sich der gleichnamigen Partei auf europäischer Ebene anzuschließen – und erhielt dazu auch die guten Wünsche des (europäischen) ALDE-Chefs Graham Watson.

Parteinamen sind ein wichtiges symbolisches Werkzeug

Wie erfolgreich diese drei Neugründungen in der Zukunft sein werden, steht natürlich in den Sternen. Die besten Chancen dürfte noch die rumänische ALDE haben, die in den Umfragen derzeit immerhin auf 3 Prozent kommt. Die tschechische SPD und die italienischen CR hingegen sind derzeit nicht mehr als Kleinstparteien, auch wenn beide dank Überläufern anderer Parteien Abgeordnete in ihren jeweiligen nationalen Parlamenten haben.

Dennoch können diese Beispiele ein Anlass sein, die Namen der nationalen Mitgliedsverbände der europäischen Parteien etwas eingehender zu betrachten. Denn die sind zwar einerseits Schall und Rauch, andererseits aber auch ein wichtiges symbolisches Werkzeug, mit dem die Parteien sich selbst definieren, ihre zentralen Werte benennen und ihre Zugehörigkeit zu bestimmten, staatenübergreifenden politischen Richtungen signalisieren.

Natürlich gibt es einige Länder mit stabilen Parteiensystemen, in denen die Namen der Parteien vor allem auf vergangene historische Umstände verweisen – Deutschland ist dafür ein gutes Beispiel. In vielen anderen Ländern sind Neugründungen und Umbenennungen von Parteien hingegen durchaus verbreitet: In Italien etwa existiert die älteste heute bedeutende Partei seit gerade einmal 25 Jahren, und in Frankreich legte sich die größte Partei des Landes erst vor wenigen Monaten aus bloßen Imagegründen einen neuen Namen zu.

Eine Sommerserie

Wie ihre nationalen Mitgliedsparteien heißen, kann deshalb auch ein Indiz für den inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten ihre Mitglieder in allen Ländern unter ähnlichen Labeln auf? Suchen sie den symbolischen Schulterschluss und bekennen sich mit ihrer Selbstbezeichnung zu ähnlichen politischen Zielen? Und wie stark legen umgekehrt die europäischen Parteien selbst Wert darauf, dass ihre Mitglieder einen länderübergreifend einheitlichen Diskurs vertreten und dieselben Schlagwörter in den Mittelpunkt stellen?

In einer kleinen Sommerserie wird dieses Blog in den nächsten Wochen diesen Fragen nachgehen. Den Anfang macht demnächst die Europäische Volkspartei.



Bild: By Aridd (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons.

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