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01 Dezember 2025

Mehrebenen-Demokratie und Vertrauen in Europa: die Rolle der subnationalen Ebene

Von Felix-Christopher von Nostitz

Das Horizon-Europe-Projekt Activating European Citizens’ Trust in Times of Crisis and Polarisation (ActEU) untersucht Fragen politischen Vertrauens und demokratischer Legitimität in Europa. Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der ActEU-Forscher:innen ihre Ergebnisse präsentieren.
A plenary meeting of the Corts Valencianes (regional parliament of Valencia, Spain) in 2022
„Um Vertrauen in das politische System zu fördern, ist es wesentlich, die demokratische Qualität auf subnationaler Ebene zu verbessern.“

Mehrebenen-Governance ist ein Schlüsselkonzept, um die Funktionsweise der Europäischen Union zu beschreiben. Wie Demokratie in diesem mehrstufigen Umfeld strukturiert ist, wurde lange jedoch kaum untersucht, was in letzter Zeit zu einem gestiegenen Interesse an Mehrebenen-Demokratie in Europa geführt hat (Giegerich 2026; Sellers et al. 2020). Das quasi-föderale, aber nicht-staatliche politische System der EU mit ihren weiterhin souveränen Mitgliedstaaten führt dazu, dass demokratische Institutionen auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene europaweit auf sehr unterschiedliche Weise umgesetzt und organisiert werden.

In diesem Blogartikel geht es darum, wie sich die institutionelle Ausgestaltung der Mehrebenendemokratie auf subnationaler Ebene innerhalb der EU unterscheidet – und wie sich diese Unterschiede nicht nur auf das Vertrauen in die Politik der subnationalen Ebene selbst, sondern auch auf das Vertrauen in die höheren Ebenen auswirken. Wie wir zeigen werden, kann die demokratische Ausgestaltung der subnationalen Ebene das Vertrauen in subnationale politische Institutionen fördern, was sich wiederum positiv auf das Vertrauen in die höheren Ebenen auswirkt.

Systemische Faktoren wirken sich auf das subnationale Vertrauen aus

Anders als die bisherige Literatur (Harteveld et al., 2013; Schakel & Brown, 2022; Scholte, 2019) richtet sich unser Ansatz weniger auf Faktoren der individuellen Ebene, etwa die Verbundenheit einer Person mit ihrer Wohnregion oder ihr Interesse an lokaler Politik. Vielmehr interessieren uns systemische Variablen wie die Entscheidungsautonomie und die demokratische Legitimität auf subnationaler Ebene. Wir gehen dabei davon aus, dass regionale politische Institutionen umso mehr Vertauen genießen, je höher ihre Autonomie gegenüber der nationalen Zentralgewalt ist und je stärker das subnationale politische Leben demokratisch geprägt ist.

Unsere Analyse beruht auf Datensätzen, die die 27 EU-Mitgliedstaaten zwischen 2019 und 2023 abdecken. Dies umfasst mehrere Wellen individueller Daten aus dem Standard Eurobarometer sowie institutioneller Daten aus V-Dem.

Vertrauen in eine politische Institution stärkt das Vertrauen in andere

Trust towards the national parliament
Abb. 1: Vertrauen in das nationale Parlament (zum Vergrößern anklicken).

Auf Grundlage von Daten aus dem European Social Survey (ESS) haben wir das Vertrauen in subnationale Behörden, die nationale Regierung und das nationale Parlament analysiert. Dabei können wir hinsichtlich des Vertrauens in das nationale Parlament und die nationale Regierung feststellen, dass es zwischen den EU-Mitgliedstaaten große Unterschiede, aber ähnliche Trends gibt. Beispielsweise ist das Vertrauen in beide Institutionen in Luxemburg, Finnland und Dänemark besonders stark ausgeprägt. Hingegen weisen Bulgarien und die Slowakei das geringste politische Vertrauen auf, wobei das Vertrauen in die nationalen Regierungen und Parlamente besonders niedrig ist.

Die Beobachtungen lassen die Hypothese zu, dass es einen Zusammenhang mit der Verwendung bestimmter Wahlsysteme bei Parlamentswahlen gibt. In Staaten mit proportionaleren Wahlsystemen (Schweden, Luxemburg und Finnland) liegt das Vertrauensniveau in der Regel höher als in Staaten mit Mehrheitswahlsystemen (Bulgarien, Litauen und Slowakei).

Trust towards subnational political authorities
Abb. 2: Vertrauen in subnationale politische Institutionen (zum Vergrößern anklicken).

Was das Vertrauen in subnationale politische Institutionen angeht, sehen wir ebenfalls große Unterschiede, jedoch kein klares Muster. So gibt es beispielsweise keine eindeutigen Unterschiede zwischen dezentralisierten und zentralisierten Ländern. Es wäre daher voreilig, aus unseren derzeitigen deskriptiven Analysen einen Zusammenhang zwischen der (de-)zentralisierten Organisation eines Landes und dem Grad des Vertrauens in subnationale Behörden herzustellen. Hingegen können hier andere Faktoren wie der formale Grad der subnationalen Autonomie eine Rolle spielen.

Insgesamt lässt sich allerdings feststellen, dass das politische Vertrauen in eine Institution tendenziell das Vertrauen in andere Institutionen beeinflusst – eine Tendenz, die noch stärker wird, wenn beide Institutionen innerhalb eines politischen Mehrebenensystems auf derselben Regierungsebene angesiedelt sind (z. B. nationale Parlamente und Regierungen).

Subnationale Autonomie

In Bezug auf unseren ersten systemischen Faktor ist unsere Annahme, dass Bürger:innen ein höheres Maß an politischem Vertrauen in subnationale Institutionen bekunden, wenn sie auf subnationaler Ebene über Entscheidungsautonomie verfügen. Für einen Überblick über die jüngste Entwicklung der Machtverhältnisse zwischen zentralen und regionalen Regierungen stützten wir uns auf fünf Punkte des V-Dem-Datensatzes zwischen 2019 und 2023. Wie Abbildung 3 zeigt, ging die relative Macht gewählter und nicht gewählter politischer Autoritäten auf lokaler und regionaler Ebene in diesem Zeitraum zurück.

Abb. 3: Indizes subnationaler Regierungen und Machtverhältnisse in den EU-Mitgliedstaaten (zum Vergrößern anklicken).

Unsere OLS-Regressionsanalyse zeigt, dass sich der Zusammenhang zwischen subnationaler Autonomie und politischem Vertrauen in politischen Mehrebenensystemen in unterschiedliche (und sogar gegensätzliche) Richtungen auswirken kann. In Regionen mit größerer subnationaler Autonomie ist das politische Vertrauen in die subnationalen Institutionen tendenziell höher, das Vertrauen in die Europäische Union hingegen tendenziell geringer. Beim Vertrauen in nationale Regierungen und Parlamente sind die Ergebnisse gemischt.

Insgesamt lassen die Ergebnisse einen linearen Trend erkennen: Je näher bei den Bürger:innen eine politische Institution wahrgenommen wird, desto stärker wirken sich politisch-institutionelle Faktoren positiv auf das Vertrauen in diese Institution aus.

Qualität der Demokratie

Als zweiten systemischen Faktor haben wir analysiert, wie sich die Qualität der Demokratie auf subnationaler Ebene auf das politische Vertrauen auswirkt. Dafür haben wir uns zum einen auf den politisch-institutionellen Rahmen der subnationalen Demokratie, zum anderen auf die Dynamik des demokratischen Lebens auf subnationaler Ebene konzentriert. Hinsichtlich des politisch-institutionellen Rahmens haben wir die folgenden Merkmale untersucht:

  1. die durchschnittliche Freiheit und Fairness bei lokalen und regionalen Wahlen,
  2. die geringsten Unterschiede hinsichtlich der Freiheit und Fairness subnationaler Wahlen in verschiedenen Regionen des betreffenden Landes,
  3. die geringsten Unterschiede hinsichtlich der Achtung bürgerlicher Freiheiten durch die Behörden in den verschiedenen Regionen des Landes.

Um die Dynamik des demokratischen Lebens auf subnationaler Ebene zu erfassen, betrachteten wir

  1. die Dezentralisierung parteiinterner Auswahlverfahren (Vorwahlen) für die Kandidatenaufstellung bei Parlamentswahlen sowie
  2. den Anteil der Parteien mit dauerhaften lokalen Sektionen (Ortsvereinen).

Anders als bei der subnationalen Autonomie können wir im Zusammenhang zwischen der Qualität der subnationalen Demokratie und dem politischen Vertrauen keine klaren Unterschiede hinsichtlich der untersuchten Ebene feststellen. Vielmehr zeigt sich, dass ein höheres Maß an subnationaler Demokratiequalität in der Regel dazu führt, dass das politische Vertrauen der Bürger:innen in alle Ebenen des politischen Systems steigt. Dieser positive Effekt der subnationalen Demokratiequalität auf das politische Vertrauen gilt sowohl für die politisch-institutionellen Faktoren als auch für die Variablen, die die Dynamik des subnationalen demokratischen Lebens messen.

Schlussfolgerungen

Unsere vergleichende Analyse zeigt zunächst, dass sowohl der Grad an subnationaler Autonomie als auch die subnationale demokratische Qualität positiv mit dem Vertrauen in subnationale Institutionen korrelieren. Institutionen, die als transparent und inklusiv wahrgenommen werden, führen zu einem höheren Maß an Vertrauen.

Die beiden Faktoren wirken sich jedoch in unterschiedlicher Weise auf das Vertrauen in die anderen Regierungsebenen aus. Mehr subnationale Autonomie kann dazu führen, dass das Vertrauen in nationale Regierungen oder die EU-Institutionen sinkt – ein Phänomen, das wir als „Nullsummen-Legitimität“ bezeichnen. Beim Verhältnis zwischen subnationaler Autonomie und dem Vertrauen in das nationale Parlament sind die Ergebnisse gemischt. Demgegenüber ist eine höhere demokratische Qualität auf subnationaler Ebene mit mehr Vertrauen sowohl in nationale Regierungen und Parlamente als auch in die EU-Institutionen verbunden, was auf eine Kohäsion der demokratischen Regierungsführung hindeutet.

Hohe subnationale Demokratiequalität stärkt Vertrauen in alle Ebenen

Die Qualität der Demokratie auf subnationaler Ebene ist also ein besserer Indikator für öffentliches Vertrauen als der Grad der subnationalen Autonomie. Mehr Autonomie kann zwar das Vertrauen in die lokalen Regierungsstrukturen stärken, birgt dabei jedoch die Gefahr, Vertrauen in höhere Regierungsebenen zu untergraben. Eine höhere Qualität der subnationalen Demokratie hingegen stärkt die gemeinsamen demokratischen Werte auf allen Ebenen.

Daraus ergeben sich zwei politische Schlussfolgerungen: Um Vertrauen in das politische System zu fördern, ist es zum einen wesentlich, der Verbesserung der demokratischen Qualität auf subnationaler Ebene hohe Priorität einzuräumen. Dies lässt sich etwa dadurch erreichen, dass transparente Wahlprozesse sichergestellt und partizipative Entscheidungsmechanismen gefördert werden. Zum anderen gilt es, ein institutionelles Gleichgewicht zwischen der Gewährung subnationaler Autonomie und der Bewahrung demokratischer Kohäsion zu finden, um so das systemische Vertrauen auf die verschiedenen Regierungsebenen zu erhalten und eine Mehrebenen-Demokratie in Europa zu ermöglichen.

Felix-Christopher von Nostitz ist Maître de Conférences am Forschungszentrum der European School of Political and Social Sciences (ESPOL-LAB) der Université Catholique de Lille.

Dieser Artikel basiert auf dem Kapitel „Territories, identities and attachment: patterns and determinants of political trust at subnational level in Europe“ von Max-Valentin Robert, Giulia Sandri und Felix-Christopher von Nostitz. Das Kapitel ist Teil des von ActEU veröffentlichten “Report on how trends in trust among specific social and political groups, including ethnic and territorial identities, territorial attachment and regime types at subnational level impact on varying levels of trust across European subnational units”, der im März 2025 erschienen ist.



Bild: Corts Valencianes: José Cuéllar/Corts Valencianes [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr; Grafiken: Felix-Christopher von Nostitz; Porträt Felix-Christopher von Nostitz: privat [alle Rechte vorbehalten].

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