18 März 2025

Eine neue deutsche Europapolitik: Merz’scher Gaullismus oder Supranationalisierung von der Leyens?

Von Julian Plottka
Friedrich Merz gives a speech at an EPP meeting in Bucharest in 2024

Die europapolitischen Positionen der CDU unter Friedrich Merz sind vom Föderalismus Helmut Kohls weit entfernt.

Die Erwartungen, die im In- und Ausland an die Europapolitik der potenziellen neuen deutschen Bundesregierung gerichtet werden, könnten kaum weiter auseinanderliegen: Nach der fehlenden europapolitischen Initiative der Ampel-Regierung mit ihren erheblichen internen Abstimmungsproblemen, gerade auch in der Europapolitik, sind die Erwartungen in den europäischen Partnerstaaten riesig. Endlich solle die deutsche Bundesregierung eine führende Rolle in der Europapolitik einnehmen und Initiativen anstoßen, um die EU zu befähigen, die aktuellen politischen, besonders die geopolitischen Herausforderungen zu meistern. Die Hoffnungen reichen von einer Wiederbelebung des deutsch-französischen Motors über eine grundlegende Reform der Asyl- und Migrationspolitik und mehr Unterstützung für die Ukraine bis hin zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit.

Im Bundestagswahlkampf hat die Europapolitik hingegen kaum eine Rolle gespielt. Zwar ist den Parteien zuzugestehen, dass sie nur wenig Zeit hatten, ihre Wahlprogramme zu verfassen. Es ist aber ein deutliches Zeichen, dass nur die Programme von SPD (SPE) und Bündnis 90/Die Grünen (EGP) über eigenständige Europakapitel verfügen. CDU/CSU (EVP), FDP (ALDE), Die Linke (EL) sowie BSW (–) und AfD (ESN) haben auf separate Europaprogramme verzichtet und europapolitische Vorhaben nur im Rahmen anderer Kapitel erwähnt.

Veränderte Positionen der Bundestagsparteien

Während die Salienz der Europapolitik im vergangenen Bundestagswahlkampf sehr gering war, fügen sich die Wahlprogramme der Parteien in ein seit Ende der 1990er Jahre zu beobachtendes Muster. Die europapolitischen Positionen der pro-europäischen Parteien verändern sich: Traditionell war im deutschen Parteiensystem die CDU als Partei Konrad Adenauers Heimat föderalistischer Positionen. Noch in den 1990er Jahren gehörten die Vereinigten Staaten von Europa zur konservativen Programmatik. Im linken Spektrum des Parteiensystems standen die SPD sowie seit den 1980er Jahren auch Bündnis 90/Die Grünen der mit der Marktintegration verbundenen Liberalisierung skeptischer als die CDU gegenüber.

Seit dem Ende des permissiven Konsenses – der unkritischen Europatoleranz in der Bevölkerung, die die europäische Integration bis Anfang der 1990er Jahre getragen hatte – kommt es jedoch zu einer Veränderung der europapolitischen Leitbilder auf beiden Seiten des pro-europäischen politischen Spektrums, verbunden mit einer langsam zunehmenden Polarisierung.

Wachsender Intergouvernementalismus der CDU

Auf der einen Seite rückt die CDU seit fast 30 Jahren das Subsidiaritätsprinzip und Entbürokratisierung in das Zentrum ihrer europapolitischen Forderungen und vertritt eine zunehmend intergouvernementale Perspektive. In diesem Wahlkampf hat dies fast schon Anklänge an ein gaullistisches „Europa der Vaterländer“ angenommen. Die Forderung nach „[m]ehr Europa nur dort, wo Europa einen Mehrwert für alle schafft“, ist von der föderalistischen CDU unter Helmut Kohl weit entfernt.

Diese Positionen haben heute ihre Heimat bei Bündnis 90/Die Grünen und der SPD gefunden, die in ihren Wahlprogrammen eine föderale Republik mit einer Verfassung bzw. einen Konvent zur Vertragsreform forderten. Zwar spricht sich auch die CDU für eine EU-Reform mit dem Ziel von mehr Handlungsfähigkeit aus, aber nur SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP machen konkrete Vorschläge, wie diese erreicht werden soll.

Diese im Kern pro-europäischen Parteien werden von einem anti-kapitalistischen weichen Europaskeptizismus der Linken und einem nationale Souveränität über Handlungsfähigkeit stellenden harten Europapopulismus der AfD und des BSW von rechts flankiert.

Nationale Interessen statt europapolitischer Leitbilder

Will eine neue von der CDU geführte Bundesregierung vor dem Hintergrund dieser intergouvernementalen Parteiprogrammatik die Initiative ergreifen, müsste sie einen neuen Ansatz in der deutschen Europapolitik entwickeln und mit deren etablierten Leitbildern brechen. Traditionell war die Europapolitik der deutschen Bundesregierung von Leitbildern wie den „Vereinigten Staaten von Europa“ geprägt, die nicht nur Ziele vorgeben, sondern Politik auch argumentativ legitimieren. Da für Deutschland die Abgabe von Kompetenzen an die supranationale Ebene stets mit der Rückgewinnung von internationaler Handlungsfähigkeit verbunden war, waren die Bundesregierungen zu umfangreichen Zugeständnissen an die Partnerstaaten bereit, um Reformen und Integrationsfortschritte zu ermöglichen.

Das hat sich geändert. Zwar hat bisher keine Bundesregierung mit diesen Leitbildern gebrochen, jedoch gab es seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 keine umfassenden Reforminitiativen deutscher Regierungen mehr. Im Bereich der Sekundärrechtsetzung ist die deutsche Europapolitik sogar bereits seit Ende der 1990er Jahre zunehmend von der Vertretung nationaler Interessen und von europapolitischen Alleingängen deutscher Bundesregierungen geprägt.

Flexible Koalitionen als Lösung?

Der Politikwissenschaftler Timo Lochocki schreibt diesen möglichen Wechsel im europapolitischen Ansatz der kommenden Bundesregierung nicht Friedrich Merz zu, der noch vom alten Ansatz geprägt sei, sondern einem generationellen Wechsel in der zweiten Reihe der CDU. Elemente eines solchen neuen Ansatz deutscher Europapolitik seien eine stärkere Ausrichtung auf kurzfristige Vorteile Deutschlands, die die neue Bundesregierung versuche, auf Basis flexibler Koalitionen mit Partnerstaaten zu erreichen. Dies wäre ein Abwenden vom Modell supranationaler Integration. Integrationsfortschritte seien nur noch als nicht intendierte Nebeneffekte solcher flexiblen Koalitionen zu erwarten. Aus Sicht der Personen, die auf EU-Ebene die Verhandlungen führen, mag ein solche Bi- oder Minilateralisierung deutscher Europapolitik verlockend sein. Widerstände anderer Mitgliedstaaten müssten nicht überwunden, sondern könnten einfach umgangen werden.

Indessen: Der Ansatz, auf flexible Koalitionen von Mitgliedstaaten statt auf die EU insgesamt zu setzen, ist nicht neu. In der internationalen Politik scheinen solche Ansätze in den letzten Jahren en vogue zu werden, sie waren in der Vergangenheit oft nicht erfolgreich. Man denke etwa an den gescheiterten Versuch der britischen Regierung, die EU-27-Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen über den Brexit auseinanderzudividieren, oder an die Erwartungen, dass auch die Trump-Administration lieber Verhandlungen mit einzelnen Mitgliedstaaten, statt mit der EU auf Augenhöhe führen wird.

Die Fragmentierung internationaler Verhandlungen oder der Europapolitik ist kaum geeignet, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Die deutsche Europapolitik benötigt vielmehr einen integrativen Ansatz, dem es gelingt, die Partnerstaaten für europäische Initiativen zu gewinnen, statt mit flexiblen Koalitionen punktuelle Lösungen anzustreben. Für ein solches Klein-Klein sind die aktuellen Herausforderungen einfach zu groß.

Größere Reformpakete bieten mehr Kompromissmöglichkeiten

Eine bessere Pflege der bilateralen Beziehungen Deutschlands zu seinen EU-Partnerstaaten kann aber durchaus helfen, solche integrativen Initiativen anzustoßen. Viele EU-Mitgliedstaaten suchen durchaus Orientierung an der Position der deutschen Bundesregierung zu europapolitischen Themen, die für die Partnerregierungen von nachrangiger Bedeutung sind. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten zunehmenden Beispiele europapolitischer Alleingänge deutscher Bundesregierungen bedarf es hier einer europapolitischen Umkehr und keiner Fortentwicklung dieses Trends. Die neue Bundesregierung muss wieder stärker auf ihre europäischen Partner eingehen, deren Interessen und Positionen zur Kenntnis nehmen und im günstigsten Fall in gemeinsame Initiativen integrieren.

Themenspezifische Initiativen und flexible Koalitionen bieten dabei wenig Spielraum, um Zugeständnisse einzelner Regierungen zu erreichen. Ein umfassendes, Politikbereiche übergreifendes Reformpaket würde erheblich mehr Verhandlungsmasse und Potenzial für Kompromisse schaffen. Angesichts der aktuellen Verschiebungen des politischen Zentrums der EU gen Osten und Norden böte sich eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks als Basis für solche Initiativen an, die auch von allen Parteien im Bundestagswahlkampf gefordert wurde. Initiativen, die zwischen Deutschland, Frankreich und Polen kompromissfähig sind, haben gute Aussichten, auch unter weiteren Mitgliedstaaten Unterstützung zu finden.

Nationale Europakoordinierung: Herausforderung „German Vote“

Voraussetzung dafür, dass die neue deutsche Bundesregierung im Rahmen des Weimarer Dreiecks Initiativen ergreift, ist jedoch, dass sie sich auch intern auf eine Position einigen kann. War die Ampel-Koalition noch mit dem Versprechen einer besseren europapolitischen Koordinierung angetreten, schlug in der gerade ablaufenden Legislaturperiode die Kritik am „German Vote“, der Enthaltung der Bundesregierung im Rat der EU aufgrund fehlender Einigung auf eine Position, selbst medial hohe Wellen und wurde von der kommenden Kanzlerpartei aufgegriffen.

Laut dem EU Council Monitor der Stiftung Wissenschaft und Politik rangiert Deutschland mit seiner Anzahl an Enthaltungen eher im Mittelfeld. Der Politikwissenschaftler Andreas Wimmel hat jedoch gezeigt, dass die Anzahl der „German Votes“ angesichts der deutschen Verhandlungsmacht in Brüssel erheblich ist und auf Defizite in der europapolitischen Koordinierung deutet.

Ob eine Zentralisierung der europapolitischen Koordinierung im Bundeskanzleramt, wie sie sich unter einer CDU-geführten Bundesregierung anzudeuten scheint, geeignet ist, das strukturelle Problem zu lösen, ist allerdings fraglich. Die Funktionslogik von Koalitionsregierungen und das Ressortprinzip stehen dem entgegen. Diese zentripetalen Kräfte zu überwinden, wird sehr viel europapolitisches Verhandlungsgeschick im Kanzleramt erfordern. Die Richtlinienkompetenz kann hier nur als letztes Mittel in extremen Ausnahmesituationen gewählt werden, sonst verliert der neue Kanzler seine Autorität noch schneller als der aktuelle.

Die Rolle der Europäischen Kommission

Selbst wenn der neuen Bundesregierung eine effizientere interne Koordinierung gelingt und sie es vermag, die europäischen Partnerstaaten besser einzubinden, ist nicht ausgemacht, dass es einem möglichen Kanzler Merz mit einem intergouvernementalen Ansatz gelingt, Impulse in der Europapolitik zu setzen. Die hängt maßgeblich noch von einem weiteren Akteur ab: der Europäischen Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU/EVP). Diese ist – unterstützt von Manfred Weber (CSU/EVP) als Vorsitzendem der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament – ihre zweite Amtszeit mit dem Ziel angetreten, der Politik der EU ein stärker konservatives Profil zu geben.

Wirtschaft
Henna Virkkunen Vizepräsidentin für Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie
Ekaterina Sachariewa Startups, Forschung und Innovation
Valdis Dombrovskis Wirtschaft und Produktivität; Umsetzung und Vereinfachung
Maria Luís Albuquerque Finanzdienstleistungen, Spar- und Investitionsunion
Außenbeziehungen
Andrius Kubilius Verteidigung und Weltraum
Dubravka Šuica Mittelmeerraum
Jozef Síkela Internationale Partnerschaften
Nachhaltigkeit
Apostolos Tzitzikostas Nachhaltiger Verkehr und Tourismus
Wopke Hoekstra Klima, Netto-Null-Emissionen und sauberes Wachstum
Jessika Roswall Umwelt, resiliente Wasserversorgung und wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft
Costas Kadis Fischerei und Meere
Weitere Ressorts
Christophe Hansen Landwirtschaft und Ernährung
Magnus Brunner Inneres und Migration
Piotr Serafin Haushalt, Betrugsbekämpfung und öffentliche Verwaltung
Tabelle 1: Konservative Portfolios in der Europäischen Kommission (2024-29).

Dies zeigt sich schon an der Zusammensetzung der Europäischen Kommission: Politiker:innen aus der Europäischen Volkspartei verantworten für eine konservative Programmatik entscheidende Dossiers wie Sicherheit, Landwirtschaft, Migration und Haushalt. Zudem sind die Themencluster Wirtschaft, Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit mit EVP-Politiker:innen besetzt (siehe Tabelle 1). Der letzte Cluster ist insbesondere für die anvisierte Überarbeitung des European Green Deal von entscheidender Bedeutung.

Auch von der Leyens politische Leitlinien für ihr zweite Amtszeit haben mit Themen wie Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung und Sicherheit sowie Bürokratieabbau klar konservative Prioritäten. „Weiblicher, grüner, digitaler“ und die europäische Zukunftskonferenz, zentrale Schlagworte von 2019, gehören der Vergangenheit an.

Von der Leyen bestimmt zunehmend die Agenda

Bei der Umsetzung dieses Programms wird ein konservativer deutscher Bundeskanzler einer Schlüsselfunktion einnehmen. Ob es Friedrich Merz jedoch, die Handlungsprärogative von der Präsidentin der Europäischen Kommission übernehmen wird, ist eine offene Frage. Selbst in einem so intergouvernementalen Bereich wie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gelingt es von der Leyen inzwischen, die Agenda zu bestimmen.

Dies zeigte sich besonders deutlich bei der jüngsten Reaktion der EU auf die außenpolitischen Turbulenzen in den USA nach dem gescheiterten Treffen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seinem US-amerikanischen Gegenpart Donald Trump. Die erste Reaktion der EU darauf war die Ankündigung der Kommissionspräsidentin, dass Europa 800 Milliarden Euro in Verteidigung investieren werde. In einem Brief an die Staats- und Regierungschef:innen legte sie ihre weiteren Vorschläge zur Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik vor.

Supranationalisierung statt deutscher Führung?

Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 6. März 2025 lesen sich über weite Strecken nur noch wie eine Bestätigung der Agenda der Kommissionspräsidentin. Eigene Impulse haben die Staats- und Regierungschefs im EU-Rahmen kaum hinzugefügt. Lediglich die Liste mit Prioritäten der Fähigkeitsentwicklung sowie die Aufforderung an die europäischen NATO-Mitglieder, sich vor dem nächsten NATO-Gipfel im EU-Rahmen abzustimmen, haben keinen direkten Bezug zur Europäischen Kommission. Alle anderen Beschlüsse des Europäischen Rates gehen entweder auf Kommissionsinitiativen zurück oder sind an diese gerichtet. Der Vier-Punkte-Plan des französischen Präsidenten Emmanuel Macron (RE/–) und des britischen Premierministers Keir Starmer (Labour/SPE) wiederum entstammt einem NATO-ohne-USA-Rahmen und ist bisher auch weitestgehend eine Ankündigung geblieben.

Dies deutet darauf hin, dass es seit Langem erstmals wieder zu einer weiteren Supranationalisierung der EU kommen könnte – statt auf eine Wiederkehr deutscher Führung wie ehedem in der Krise in der Eurozone. Dass Deutschland zeitgleich auch innenpolitisch die Relikte der Merkel’schen Austeritätspolitik abräumt, ist dabei ein ironischer Zufall.

Vorschläge der KommissionSchlussfolgerungen des Europäischen Rates
  • Finanzierungsinstrument in Höhe von 150 Mrd. Euro
  • Finanzierungsinstrument in Höhe von 150 Mrd. Euro
  • Aktivierung der nationalen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts
  • Aktivierung der nationalen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts
  • Prüfung der Nutzung von Kohäsionsmitteln für Verteidigungsausgaben
  • Beschleunigung der Mobilisierung der erforderlichen Instrumente und Finanzmittel
  • Vorschlag zusätzlicher Finanzierungsquellen für die Verteidigung auf EU-Ebene
  • Erweiterung des Finanzierungsrahmens der Europäischen Investitionsbank (EIB)
  • Anpassung der Finanzierungsinstrumente der Europäischen Investitionsbank (EIB)
  • Mobilisierung privaten Kapitals 
  • Mobilisierung privaten Kapitals 
  • Auflistung von Prioritäten zur Verbesserung militärischer Fähigkeiten
  • Wichtigkeit gemeinsamer Beschaffung, Aufforderung an Verteidigungsagentur und Mitgliedstaaten zur Überprüfung von Verfahren 
  • Finanzierung von Forschung und Entwicklung aus dem Verteidigungsfonds
  • Vereinfachung des rechtlichen und administrativen Rahmens für Vergaben
  • Abstimmung der NATO-Mitglieder innerhalb der EU vor dem NATO-Gipfel
  • Weißbuch Verteidigung
  • Weißbuch Verteidigung der Kommission
  • European Defence Industrial Strategy
    (EDIP-Verordnung) 
  • European Defence Industrial Strategy
    (EDIP-Verordnung) 
Tabelle 2: Verteidigungspolitische Initiativen der EU im März 2025.


Bilder: Merz: European People’s Party [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons; Porträt Julian Plottka: privat [alle Rechte vorbehalten].

11 März 2025

Der Regierungswechsel in Deutschland wird erhebliche Auswirkungen auf Europa haben

Von Sophie Pornschlegel und Sophia Russack
Friedrich Merz and Ursula von der Leyen at an EPP Leaders' Retreat in January 2025

Das Verhältnis zwischen Friedrich Merz und Ursula von der Leyen wird einer der Schlüsselfaktoren dafür sein, wie konstruktiv Deutschland in Europa auftritt.

Bei der deutschen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 hat die konservative CDU (EVP) den ersten Platz belegt, gefolgt von der rechtsextremen AfD (ESN). Jetzt stehen Koalitionsverhandlungen an, deren Ergebnis letztlich über die Zusammensetzung der nächsten Regierung entscheiden wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber wird CDU-Chef Friedrich Merz der nächste Bundeskanzler werden, vermutlich mit der SPD (SPE) als Juniorpartner in der Koalition.

Die letzten 3,5 Jahre waren ernüchternd. Die „Ampel“-Koalition aus SPD, Grünen (EGP) und FDP (ALDE) hat es trotz der ehrgeizigen Vorhaben ihres Koalitionsvertrags nicht geschafft, in der Europapolitik eine konstruktive Rolle zu spielen. Die Kompromissfindung in einer Dreierkoalition erwies sich als schwierig, und die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, ohnehin nicht in bester Verfassung, verschlechterten sich weiter.

Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage wird die neue Regierung viel mehr Führungsstärke in der EU zeigen müssen als die bisherige. Doch ob sie das wirklich wird leisten können, ist eine andere Frage.

Eine handlungsfähigere neue Regierung?

Wenn sich die Koalitionsparteien nicht einig sind, muss sich Deutschland im Rat der EU der Stimme enthalten, das sogenannte „German Vote“. Dies war bereits unter Angela Merkel der Fall, kam unter der Ampelkoalition aber noch deutlich häufiger vor. In der Praxis bedeutet es, dass Deutschland manchmal EU-Gesetze blockiert, da bei der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit Enthaltungen wie Gegenstimmen gewertet werden. In Fällen wie der Lieferketten-Richtlinie (CSDDD), der Verpackungsverordnung (PPWR) oder dem Europäischen AI-Gesetz hat sich Deutschland nicht nur der Stimme enthalten, sondern manchmal sogar zuvor getroffene Entscheidungen rückgängig gemacht.

Dies hat zwei Auswirkungen: Zum einen wird es dadurch für andere Mitgliedstaaten schwieriger, stabile Mehrheiten zu finden. Zum anderen untergräbt es die Entscheidungskultur der EU, indem es andere Mitgliedstaaten dazu ermutigt, sich genauso zu verhalten.

Viele in den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten hoffen, dass die neue Regierung ein verlässlicherer Partner sein wird. Merz hat versprochen, Deutschland wieder mit einer Stimme sprechen zu lassen. Seine Regierung wird wahrscheinlich nur aus zwei Parteien bestehen, was es leichter machen könnte, eine gemeinsame Basis zu finden. Zudem scheint es, als wolle er die Europapolitik zur „Chefsache“ machen, indem er dem Kanzleramt mehr Entscheidungsmacht einräumt. Dies könnte eine positive Entwicklung sein: Damit Europa mit einer einheitlichen Stimme sprechen kann, ist eine einheitliche deutsche Stimme unverzichtbar.

Das Verhältnis zwischen Merz und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird ein anderer Schlüsselfaktor dafür sein, wie konstruktiv Deutschland in Europa auftritt. Wenn die beiden Politiker:innen eine gute Gesprächsbasis entwickeln, könnte der nächste Bundeskanzler Deutschland wieder eine starke Führungsrolle in Europa verschaffen. Für die Auseinandersetzung mit einer zunehmend unfreundlichen US-Regierung und für die Unterstützung der Ukraine werden solch enge, vertrauensvolle Beziehungen von zentraler Bedeutung sein.

Welche Europapolitik ist zu erwarten?

Wenig überraschend dominierten die Themen Sicherheit und Verteidigung die Wahlprogramme der deutschen Parteien. Das CDU-Programm unterstützt eine stärkere Basis für die europäische Verteidigungsindustrie, eine gemeinsame Koordinierung von Verteidigung und Sicherheit, eine Aufstockung der Mittel für die Bundeswehr und die weitere Unterstützung der Ukraine. Hier werden CDU und SPD wahrscheinlich eine Einigung finden, auch wenn (der scheidende) Scholz eine gewisse Abneigung gegen die Entsendung deutscher Panzer in die Ukraine gezeigt hat.

Die entscheidende Frage wird sein, inwieweit die deutschen Entscheidungsträger:innen nach den drastischen Ankündigungen von Präsident Trump und Vizepräsident J.D. Vance zur Ukraine ihre transatlantische Haltung ablegen können – und ob sie bereit und in der Lage sind, Sicherheitsgarantien und Finanzmittel für mehr europäische Zusammenarbeit bereitzustellen. Unmittelbar nach seinem Wahlsieg erklärte Merz, dass Europa von den USA unabhängiger werden müsse, und gab damit einen klaren Hinweis auf die von ihm angestrebte Marschrichtung. 

Einigung zur Reform der Schuldenbremse

Anfang März kündigten Scholz und Merz im Rahmen der Koalitionsverhandlungen Reformen der deutschen Finanzpolitik an, die eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben ermöglichen sollen. Dazu gehört eine Reform der „Schuldenbremse“, die die deutsche Verschuldung auf 0,35 % des BIP begrenzt. Künftig würde diese Bremse nicht mehr auf Verteidigungsausgaben oberhalb von 1 % des BIP angewandt werden, was nahezu unbegrenzte Verteidigungsausgaben ermöglichen würde. Dieser Kompromiss wurde überraschend schnell ausgehandelt und versöhnte die ursprünglich recht gegensätzlichen Positionen der beiden voraussichtlichen künftigen Regierungsparteien zu diesem Thema. 

Dass Deutschland bereit ist, bedeutende Investitionen zu tätigen, ist eine gute Nachricht für die Verteidigung und ein starkes Signal an die europäischen Partner, auch im Hinblick auf das von von der Leyen angekündigte gesamteuropäische Verteidigungspaket mit dem Titel „ReArm Europe“. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich Deutschland bei den Verhandlungen über schwierige Haushaltsfragen, wie den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen und die Erhebung der EU-Eigenmittel, positionieren wird.

Wettbewerbsfähigkeit und Infrastruktur-Investitionen

Wirtschaftspolitisch stimmt das CDU-Programm weitgehend mit der Agenda der Kommission überein. Es konzentriert sich stark auf die Wettbewerbsfähigkeit und vertritt die Auffassung, dass Bürokratieabbau und Deregulierung zu einer stärkeren EU-Wirtschaft führen werden. Sie befürwortet das „Omnibus-Paket“ und ist für die Rücknahme einiger Klimagesetze

Die SPD will die marode deutsche Wirtschaft ebenfalls stärken. Allerdings unterscheiden sich die Auffassungen über den richtigen Weg dorthin, insbesondere was die Investitionsfähigkeit Deutschlands und die grüne Wende betrifft. Immerhin haben die Konservativen und die Sozialdemokrat:innen für die kommende Koalition aber ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur vorgeschlagen. Darin enthalten wären zusätzliche Mittel für die Verkehrs- und Energieinfrastruktur, Krankenhäuser und Schulen sowie für die digitale Transformation, bei der Deutschland immer noch hinter seinen europäischen Nachbarn herhinkt.

Das Thema Migration schließlich spielte im Wahlkampf zwar eine wichtige Rolle, aber hauptsächlich aus nationaler Sicht. Die wiederholten Verstöße Deutschlands gegen die Schengen-Bestimmungen könnten auf EU-Ebene allerdings problematisch werden, und auch die zunehmend harte Linie in der Migrationsfrage könnte zu Reibungen mit anderen europäischen Partnern führen. 

Regierung der letzten Chance?

Wer auch immer die neue Koalition bildet, wird wahrscheinlich von der AfD, der größten Oppositionspartei, stark unter Druck gesetzt werden. Sie hat mehr als 20 % der Stimmen gewonnen und den Wahlkampf stark beeinflusst.

Sollte die Regierung Merz nicht erfolgreich sein, könnte die AfD bei den Wahlen 2029 den ersten Platz belegen. Die (bereits brüchige) „Brandmauer“ könnte dann endgültig fallen. Wie gut die AfD abschneidet, hängt von den Parteien der Mitte und vor allem von der CDU ab. Merz’ Versuch, AfD-Wähler:innen zu gewinnen, indem er wenige Wochen vor der Wahl härtere neue Migrationsregeln vorschlug, hat sich für ihn nicht ausgezahlt – wie man in anderen Ländern gesehen hat, bevorzugen die Wähler:innen in solchen Fällen das Original. Doch auch wenn im AfD-getriebenen Wahlkampf die Migration im Mittelpunkt stand, wird der entscheidende Faktor in den nächsten Jahren die Entwicklung der deutschen Wirtschaft sein.

Auf jeden Fall ist der Druck enorm. Während es wie andere EU-Länder mit hoher Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen hat, ist Deutschland zudem mit dem Zusammenbruch seines langjährigen „Geschäftsmodells“ konfrontiert, das sich auf den umfangreichen Handel mit China, billige Energie aus Russland und Sicherheitsgarantien der USA stützte. Angesichts der wirtschaftlichen und geopolitischen Lage muss Deutschland seine europapolitischen Ziele klar definieren, gemeinsame Grundlagen mit seinen Verbündeten suchen, seine Kompromissbereitschaft unter Beweis stellen und konstruktiv mit seinen europäischen Partnern zusammenarbeiten.

Vor allem aber sollte die nächste deutsche Regierung anerkennen, dass ihr nationales Interesse klar in einer starken EU liegt. Angesichts des Umstands, dass die USA eher Russland als die Ukraine unterstützen, muss die nächste deutsche Regierung alles dafür tun, die Sicherheit und Verteidigung Europas zu verbessern und seine Wirtschaft zu stärken. Merz’ Besuch in Paris unmittelbar nach den Wahlen und die Ankündigung, dass seine ersten Staatsbesuche Polen und Frankreich gelten werden, senden die richtigen Signale: Deutschland wird hoffentlich ein verlässlicher Partner für seine Nachbarn sein, der in diesen schwierigen Zeiten ehrgeizige Ziele verfolgt.

Sophie Pornschlegel ist stellvertretende Direktorin bei Europe Jacques Delors in Brüssel.

Eine frühere Fassung dieses Artikels ist zuerst auf Englisch auf den Webseiten des Centre for European Policy Studies und von Europe Jacques Delors erschienen.


Übersetzung: Manuel Müller.
Bilder: Merz und von der Leyen: European People’s Party, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons [cropped]; Porträts Sophie Pornschlegel, Sophia Russack: privat [alle Rechte vorbehalten].

10 März 2025

With a new German government incoming, the implications for Europe are substantial

By Sophie Pornschlegel and Sophia Russack
Friedrich Merz and Ursula von der Leyen at an EPP Leaders' Retreat in January 2025

The relationship between Friedrich Merz and Ursula von der Leyen will be among the key factors in determining how constructive Germany will be in Europe.

Germany went to the polls on 23 February 2025, and the conservative CDU (EPP) came first, followed by the far-right AfD (ESN). Upcoming coalition negotiations will ultimately determine the next government’s composition, but CDU leader Friedrich Merz will likely become the next Chancellor, with the Social Democrats (SPD/PES) as the probable junior coalition partner.

The past 3.5 years were sobering. The ‘traffic-light’ coalition of the SPD, Greens (EGP) and liberal FDP (ALDE) fell short of playing a constructive role in EU policymaking, despite having set itself an ambitious EU programme. Finding compromise in a tripartite coalition proved challenging and relations between France and Germany – already not in the best shape – further eroded.

With the current geopolitical situation, the new government will have to show much more EU leadership than before. But whether they can deliver is another matter entirely.

A new government better able to act?

Germany must abstain in the Council of the EU if there’s disagreement among the coalition parties, dubbed the ‘German vote’. While this already happened under Angela Merkel, it significantly increased under the traffic-light coalition. Effectively, this means that Germany often blocks EU legislation, as under qualified majority voting (QMV), abstentions are counted as votes against. In cases like the Due Diligence Directive (CSDDD), the Packaging Regulation (PPWR) or the European AI Act, Germany not only abstained but at times even reversed previously agreed decisions.

This has two ramifications: It makes it more challenging for other member states to find stable majorities, and it undermines the EU’s decision-making culture by encouraging other member states to behave in the same way.

Many in the EU institutions and in member states hope that the new government will be a more reliable partner. Merz has pledged to make Germany speak with one voice again. His government will likely be composed of only two parties, which may make it easier to find common ground. It also looks like he plans to make EU affairs ‘Chefsache’ by giving the Chancellery a bigger say. This could be a positive development, as a united German voice is absolutely necessary for a united European voice.

The relationship between Merz and Commission President Ursula von der Leyen will also be essential to determining how constructive Germany will be in Europe. If the two leaders develop a good ‘terrain d’entente’, the next Chancellor could ensure that Germany is back in the European driving seat. Such strong, trust-based relationships will be essential in confronting an increasingly unfriendly US administration and in supporting Ukraine.

What should we expect in terms of EU policies?

Unsurprisingly, security and defence dominated German parties’ electoral programmes. The CDU manifesto supports a stronger industrial base for the European defence industry, joint defence and security coordination, increased funding for the German military and continued support for Ukraine. Here, the CDU and SPD are likely to find compromise, even if (the departing) Scholz has shown a certain reluctance to send German tanks to Ukraine.

The essential question will be how far German decision-makers will be able to shake off their transatlantic attitudes following President Trump and Vice-President JD Vance’s bombshell announcements on Ukraine – and whether they’re willing and able to provide security guarantees and funding for more European cooperation. Right after his electoral victory, Merz stated that Europe will have to become more independent from the US, giving clear indications about his intended direction of travel. 

Agreement on reforming the ‘debt brake’

At the beginning of March and in the context of the coalition negotiations, Scholz and Merz announced reforms to Germany’s fiscal policy, which would allow for increased defence spending. This includes a reform of the ‘debt brake’ that limits German debt to 0.35 % of GDP. In the future, this brake would not be applied to defence spending over the 1% of GDP, which would facilitate almost unlimited defence spending. This compromise was negotiated surprisingly quickly and reconciled originally rather opposed positions on the topic of the two soon-to-be governing parties. 

That Germany is ready to make a significant investment is good news for defence and sends a strong signal to the European partners, also in view of the overall European defence package entitled ‘ReArm Europe’ announced by von der Leyen. It yet remains to be seen how Germany will position itself when negotiating difficult budget files, such as the next Multiannual Financial Framework (MFF) and the collection of EU ‘own resources’.

Competitiveness and infrastructure investment

On the economy, the CDU manifesto is very much in line with the Commission’s agenda, focussing heavily on competitiveness and suggesting that less red tape and deregulation will lead to a stronger EU economy. They advocate for the ‘omnibus package’ and favour rolling back some climate legislation

While the SPD also wants to strengthen the moribund German economy, there are some divergent views on getting there, particularly regarding Germany’s investment capacity and the green transition. However, the Conservatives and Social Democrats proposed a special fund (so-called ‘Sondervermögen’) of 500 billion € for infrastructure for the upcoming coalition. This would include extra money for transport and energy infrastructure, hospitals and schools, as well as the digital transformation, where Germany is still lagging behind its European neighbours.

Finally, while migration featured prominently in the campaign, it was mostly through a national lens. However, Germany’s repeated infringements of Schengen rules could become problematic at EU level, and the hardened line on migration could lead to frictions with other European partners. 

The last chance government?

Regardless of whoever forms the new coalition, it is likely to be heavily pressured by the AfD, the largest opposition party. It won more than 20 % of the vote and heavily influenced the campaign.

If Merz’s government fails to perform, the AfD could potentially come first in the 2029 elections. The (already frayed) ‘cordon sanitaire’ might then finally break. How well the AfD fares will depend on the centre parties and, most importantly, the CDU. Merz attempting to win over AfD voters by proposing harsher new migration rules a few weeks before the election did not pay off for him in electoral terms – as seen in other countries, voters prefer the original brand. Yet despite the AfD-driven campaign focus on migration, Germany’s economy over the next few years will be the decisive factor.

Suffice to say, the pressure is enormous. While EU countries have grappled with high inflation and soaring living costs, Germany is also burdened with the collapse of its long-standing ‘business model’ – relying on copious trade with China, cheap energy from Russia and security guarantees from the US. Given the economic and geopolitical situation, Germany must clearly define its European policy objectives, look for common ground with its allies, showcase that it’s willing to compromise and constructively liaise with its European partners.

Above all, the next German government should recognise that its national interest lays firmly in a strong EU. With the US supporting Russia rather than Ukraine, the next German government needs to do the utmost to step up Europe’s security and defence and strengthen its economy. The visit of Merz in Paris right after the elections and the announcement that his first state visits in Poland and France send the right signals that Germany will hopefully be a reliable partner to its neighbours pushing ambitious goals in these difficult times.

Sophie Pornschlegel is deputy director at Europe Jacques Delors in Brussels.

A previous version of this article was first published on the websites of the Centre for European Policy Studies and Europe Jacques Delors.


Pictures: Merz and von der Leyen: European People’s Party, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons [cropped]; portraits Sophie Pornschlegel, Sophia Russack: private [all rights reserved].

27 Februar 2025

Nichtwähler wider Willen: Zum versagten Wahlrecht für Auslandsdeutsche bei der Bundestagswahl

Von Manuel Müller
Stimmzettel mit Briefwahlumschlag

Deutsche, die im Ausland leben, können an der Bundestagswahl nur per Briefwahl teilnehmen. Und in diesem Jahr viele nicht einmal das.

Bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben zum Nichtwähler. Unfreiwillig, ebenso wie mutmaßlich zehntausende andere Deutsche mit Wohnsitz im Ausland. Angesichts der erwartbar knappen Fristen (die Bundeswahlleiterin hatte schon Anfang November davor gewarnt, dass bei einer Wahl im Januar oder Februar zu wenig Vorbereitungszeit bleiben könnte) nutzte ich im Dezember die erste Gelegenheit, um mich ins Wahlregister einzutragen und Briefwahlunterlagen anzufordern.

Anders als die in Deutschland lebenden Wahlberechtigten müssen sich Auslandsdeutsche für jede Wahl einzeln registrieren. Immerhin ging das in diesem Jahr erstmals per E-Mail – was dazu führte, dass sich die Zahl der eingetragenen Auslandswähler:innen im Vergleich zur letzten Bundestagswahl um rund zwei Drittel erhöhte, von knapp 130.000 auf über 210.000. Angesichts von geschätzt insgesamt 3 bis 4 Millionen Deutschen im Ausland ist das allerdings immer noch ein bemerkenswert niedriger Anteil.

Wahlunterlagen kamen bis heute nicht an

Wahlberechtigt war ich in Berlin-Mitte, weil dort mein letzter Wohnsitz vor dem Wegzug aus Deutschland lag. Angesichts der notorischen Überforderung der Berliner Verwaltung bat ich sicherheitshalber um eine Empfangsbestätigung für meine Wahlanmeldung, die ich auch prompt erhielt. Auch die Deutsche Botschaft in Helsinki tat, was sie konnte, und organisierte für den 18. Februar einen Sonderkurier, der Wahlbriefe nach Deutschland mitnehmen würde. Einige meiner Bekannten konnten diesen nutzen, um an der Wahl teilzunehmen. Doch für mich selbst und viele andere waren alle Mühen vergebens: Die Briefwahlunterlagen – die in Berlin-Mitte ab dem 10. Februar verschickt wurden – kamen bis heute nicht bei mir an.

Die Regellaufzeit von Priority-Briefsendungen zwischen Deutschland und Finnland beträgt laut Deutscher Post 5-8 Werktage; längere Laufzeiten sind möglich und erfahrungsgemäß nicht selten. Selbst im besten Fall hätte ich also noch ein wenig Glück benötigt, um rechtzeitig an meinen Stimmzettel zu kommen. Und damit war ich nicht allein: In die USA, wo besonders viele Auslandsdeutsche leben, benötigt ein Brief im Regelfall 6-10 Tage. Aber auch in der EU-Hauptstadt Brüssel gab es (auch wegen eines Streiks der belgischen Post) zahlreiche Betroffene. Und selbst beim deutschen Botschafter in London kamen keine Wahlunterlagen an. Wie viele auslandsdeutsche Wahlberechtigte genau keine Gelegenheit bekamen, an der Wahl teilzunehmen, ist nicht bekannt; aber es scheint naheliegend, dass es sich um eine fünfstellige Zahl handelt.

Mandatsrelevanz dürfte gegeben sein

Das alles ist nicht nur persönlich frustrierend, sondern könnte auch Auswirkungen auf die Gültigkeit der Wahl haben. Für eine wenigstens teilweise Wiederholung der Wahl müssten zwei Voraussetzungen gegeben sein: Zum einen müsste es sich bei den massenhaft nicht angekommenen Briefwahlunterlagen um einen Wahlfehler handeln. Und zum anderen müsste dieser Wahlfehler so gravierend sein, dass er wenigstens potenziell Auswirkungen auf die Mandatsverteilung im Bundestag hat.

In der Öffentlichkeit wurde zuletzt vor allem über Letzteres diskutiert. Das liegt vor allem am Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW/–), das den Einzug in den Bundestag um weniger als 13.500 Stimmen verpasste. Unmittelbar nach der Wahl kündigte Wagenknecht eine „Anfechtung“ der Wahl an und verwies dafür unter anderem auf die Auslandsdeutschen.

Dieser Fokus auf das BSW und die Fünfprozenthürde ist allerdings etwas irreführend: Mandatsrelevant ist ein Wahlfehler schon dann, wenn irgendeine Partei mehr Sitze hätte gewinnen können, falls ein großer Teil der nicht gewerteten Stimmen an sie gegangen wäre. Im vorliegenden Fall hätte die CDU (EVP) nach dem vorläufigen Endergebnis weniger als 13.000 zusätzliche Zweitstimmen benötigt, um einen weiteren Sitz im Bundestag zu gewinnen. Im Vergleich zu den geschätzten Betroffenenzahlen sind das nicht besonders viele. Die Mandatsrelevanz dürfte also gegeben sein – vorausgesetzt natürlich, dass sich die Betroffenen auch wirklich die Mühe machen, ihre verhinderte Wahlteilnahme per Wahleinspruch zu dokumentieren.

Alternative Deutschlandreise – aber ist das lebensnah?

Juristisch ist darüber hinaus aber auch die Frage interessant, ob es sich bei der verhinderten Wahlteilnahme der Auslandsdeutschen überhaupt um einen Wahlfehler handelt. Ein solcher Fehler ist dann gegeben, wenn entweder das Wahlgesetz nicht richtig angewandt wurde oder das Wahlgesetz selbst im Widerspruch zu höherrangigem Recht steht. Einschlägig ist in diesem Fall insbesondere Art. 38 (1) GG, der die Allgemeinheit der Wahl garantiert.

In öffentlichen Stellungnahmen von Jurist:innen vor und nach der Wahl waren einige Begründungen zu hören, warum das nicht der Fall sei. Im Wesentlichen gibt es dabei zwei Argumente: Erstens wird darauf hingewiesen, dass es am Ende in der Eigenverantwortung der Wahlberechtigten liege, dass ihr Stimmzettel rechtzeitig im Wahllokal ankomme. Statt sich auf die Briefwahl zu verlassen, hätten sie ja auch nach Deutschland reisen und den Wahlschein dort in Person abgeben können. (Wenn die Unterlagen – wie in meinem Fall – gar nicht erst angekommen sind, hätte man bis am Tag vor der Wahl um 12 Uhr im Wahlamt vorsprechen können, um dann vor Ort einen Ersatzwahlschein zu erhalten.)

Wirklich plausibel ist diese Deutschlandreise-Option jedoch allenfalls für Menschen in den Nachbarländern Deutschlands. Für Auslandsdeutsche, die mehrere Flugstunden von ihrem Wahlamt entfernt leben, erscheint sie kaum als eine lebensnahe, verhältnismäßige Alternative. Ob sie genügt, um die Allgemeinheit der Wahl zu retten, wird deshalb wohl erst das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Die Überforderung der Verwaltung hat keinen Verfassungsrang

Das zweite Argument ist verfassungsrechtlicher Natur und zielt darauf ab, dass es zwar Probleme gab, diese aber leider unvermeidlich seien. Schließlich sehe Art. 39 (1) GG ausdrücklich vor, dass im Fall einer Auflösung des Bundestags die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen stattfinden müsse. Als lex specialis habe diese Regelung Vorrang gegenüber dem Grundsatz der allgemeinen Wahl. Die schnelle Frist sei der Verfassung wichtiger, als dass auch wirklich alle Deutschen die Gelegenheit zur Stimmabgabe erhalten.

Allerdings setzt dieses Argument implizit voraus, dass eine effektive Organisation von Auslandswahlen innerhalb der Sechzig-Tage-Frist faktisch unmöglich sei – dass Gesetzgeber, Regierung und Verwaltung wirklich ihr Äußerstes getan hätten, um die beiden verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen. Das aber ist ziemlich offensichtlich nicht der Fall. Denn zum einen ist die vielfache Überforderung der deutschen Verwaltung, die zu verspätet in Auftrag gegebenen Druckaufträgen oder zur Wahl billiger und langsamer Postanbieter führt, ja weder naturgegeben noch von der Verfassung vorgeschrieben, sondern in der Regel schlicht eine Folge personeller und finanzieller Unterausstattung. Und zum anderen ließe sich auch im Wahlgesetz einiges ändern, um Auslandsdeutschen das Wählen zu erleichtern und damit dem Verfassungsgrundsatz der allgemeinen Wahl auch innerhalb der Sechzig-Tage-Frist gerecht zu werden.

Ineffizientes und bürokratisches Auslandswahlrecht

Auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist das deutsche Wahlrecht für Auslandsbürger:innen ineffizient und bürokratisch gestaltet.

Das fängt schon mit der eingangs erwähnten Pflicht an, sich für jede Bundestagswahl einzeln ins Wählerregister eintragen zu lassen. (Wen es interessiert: Hier ist das Formular dafür.) Hintergrund dafür ist, dass Deutschland kein allgemeines Auslandsbürgerverzeichnis hat. In Frankreich gibt es das Registre des Français établis hors de France, in das sich Auslandsfranzös:innen freiwillig eintragen können und das neben konsularischen Diensten auch die Teilnahme an nationalen Wahlen ermöglicht. In Italien gab es bis vor einigen Jahren das Anagrafe Italiani Residenti all’Estero (AIRE), ein von den Kommunen betriebenes verpflichtendes Melderegister für Auslandsitaliener:innen; inzwischen ist es im einheitlichen nationalen Register ANPR aufgegangen.

Deutschland hingegen betreibt lediglich die ELEFAND-Liste, durch die Auslandsbürger:innen in Krisenfällen Nachrichten des Auswärtigen Amts erhalten können. Darüber hinaus werden Auslandsdeutsche nicht erfasst – was nicht nur dazu führt, dass ihre genaue Zahl unbekannt ist, sondern eben auch dazu, dass sie sich für jede Wahl einzeln anmelden müssen.

Und nicht nur das: Deutsche, die seit mehr als 25 Jahren im Ausland leben, verlieren ihr Bundestagswahlrecht nach § 12 (2) BWahlG sogar vollständig, sofern sie nicht zeigen können, dass sie „persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind“. Was das genau bedeutet, erläutert die Bundeswahlleiterin in diesem vierseitigen Merkblatt; das Formular dazu gibt es hier. Einen echten Sinn hat die Regelung nicht. Auslandsbürger:innen, die mit den politischen Verhältnissen in Deutschland nicht vertraut sind, würden sich wohl ohnehin kaum die Mühe machen, an einer Wahl teilzunehmen.

Stimmabgabe in Botschaften und Konsulaten

Diese Hürden bei der Registrierung machen das Wählen umständlich und schrecken bereits viele deutsche Auslandsbürger:innen ab, wie man an den recht niedrigen Registrierungszahlen sieht. Gravierender sind allerdings die Probleme bei der Stimmabgabe. Dass man nicht per Internet wählen kann (wie es in Estland für alle Wähler:innen, in Frankreich für Auslandsbürger:innen möglich ist), mag bei einem so digitalisierungsskeptischen Land wie Deutschland nicht überraschen; auch die meisten anderen europäischen Länder haben sich aus Sicherheitsgründen gegen ein solches Modell entschieden.

Daneben gäbe es aber auch noch die Möglichkeit einer Stimmabgabe in diplomatischen Vertretungen, also Botschaften und Konsulaten. Dieses Modell ist in Europa weit verbreitet, zwei Drittel der EU-Mitgliedstaaten bieten ihren Auslandsbürger:innen eine entsprechende Option an. Wäre ich zum Beispiel finnischer Staatsbürger in Deutschland, so könnte ich an den finnischen Parlamentswahlen in der finnischen Botschaft in Berlin teilnehmen. Deutschland, das nach Frankreich von allen EU-Staaten über das zweitdichteste Netz an Auslandsvertretungen verfügt, erlaubt diese Möglichkeit hingegen nicht. Wer als Auslandsdeutsche:r an der Bundestagswahl teilnehmen will, kann das nur per Briefwahl tun.

Auslandswahlkreise würden die Wahl erleichtern

Ein Grund dafür mag sein, dass Auslandsdeutsche (wie bereits erwähnt) jeweils in dem Wahlkreis stimmberechtigt sind, in dem ihr letzter deutscher Wohnsitz lag. Da bei der Bundestagswahl jeder der 299 Wahlkreise andere Direktkandidat:innen und damit auch andere Wahlzettel hat, müssten die Botschaften also hunderte unterschiedliche Zettel vorrätig halten und für jede Wähler:in den richtigen heraussuchen. Selbst mit einem einheitlichen Auslandswählerregister wäre das ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand.

Aber auch das ist kein unumgängliches Hindernis: In mehreren anderen europäischen Ländern – etwa Frankreich, Italien oder Rumänien – gibt es bei nationalen Parlamentswahlen eigene Auslandswahlkreise. Warum sollte nicht auch bei Bundestagswahlen das Ausland wie ein „17. Bundesland“ behandelt werden, mit einer eigenen Landesliste und eigenen Direktkandidat:innen, die von den Auslandsverbänden der Parteien nominiert werden könnten?

Auslandsbürger:innen wären dann nicht mehr in ihrer früheren Heimatgemeinde wahlberechtigt, sondern zum Beispiel in einem Wahlkreis „Europa“ oder „Amerika“. Wie viele Auslandswahlkreise es genau gäbe und wie sie zugeschnitten wären, hinge von den im Auslandswahlverzeichnis eingetragenen Wähler:innen ab. Die Zahl der 3-4 Millionen Auslandsdeutschen ist in etwa mit der Einwohnerzahl von Schleswig-Holstein oder Sachsen vergleichbar. Aber selbst wenn man sich nur an der deutlich niedrigeren Zahl der rund 215.000 Auslandsdeutschen orientiert, die sich dieses Jahr ins Wählerverzeichnis haben eintragen lassen, wäre das noch genug für einen Bundestagswahlkreis. (Bremen, mit 450.000 Wahlberechtigten und 350.000 Wählenden, hat zwei.)

Auslandsdeutschen fehlt es im Bundestag an Repräsentation

Ein solches Modell würde die Auslandswahl, insbesondere das Wählen in Botschaften und Konsulaten, stark vereinfachen, da nur noch ein einheitlicher Stimmzettel benötigt würde. Gleichzeitig gibt es auch gute demokratietheoretische Gründe, die für einen Auslandswahlkreis sprechen. Dass es bei der Bundestagswahl überhaupt Wahlkreise gibt, soll eine ausgewogene geografische Verteilung der Abgeordneten sicherstellen. Das ist wichtig, da man davon ausgeht, dass Menschen, die am selben Ort leben, strukturell auch bestimmte gemeinsame Interessen haben, die im Bundestag durch einen Abgeordneten von diesem Ort repräsentiert sein sollten.

Dies lässt sich aber auch auf Auslandsbürger:innen übertragen: Auch sie teilen durch ihren Wohnort bestimmte strukturelle Interessen, die sie von Inlandsbürger:innen unterscheiden. Insbesondere sind sie besonders stark von den außen- und europapolitischen Entscheidungen des Bundestags und der Bundesregierung betroffen. Zu der früheren Wohnort-Gemeinde, in der die Auslandsdeutschen nach dem jetzigen Wahlsystem wahlberechtigt sind, haben sie hingegen teilweise kaum noch Kontakt. Und natürlich wird sich auch die Wahlkreisabgeordnete von Berlin-Mitte in erster Linie als Repräsentant:in der Bewohner:innen von Berlin-Mitte sehen und sich wenig Gedanken darüber machen, welche besonderen Bedürfnisse ihre Wähler:innen in Helsinki, Beijing oder Aix-en-Provence haben.

Sollten Auslandsbürger:innen überhaupt wählen dürfen?

Noch eine grundsätzliche Frage zum Schluss: Sollten Staatsbürger:innen, die im Ausland leben, überhaupt an nationalen Parlamentswahlen teilnehmen? In einem supranationalen demokratischen Föderalsystem gäbe es dafür aus meiner Sicht keinen guten Grund, und auch in der heutigen Welt sehe ich ein allgemeines Wahlrecht im Wohnsitzland (wo die Menschen Steuern zahlen und im Alltag den lokalen Gesetzen unterworfen sind) als das wichtigere politische Ziel an. Wenn ich selbst an der finnischen Parlamentswahl teilnehmen könnte und eine in Deutschland lebende Finn:in an der Bundestagswahl, fände ich das jedenfalls sinnvoller als umgekehrt.

Von einem allgemeinen Wohnort-Wahlrecht für nationale Parlamentswahlen sind wir allerdings noch recht weit entfernt. Und zudem steht außer Zweifel, dass im Ausland lebende Staatsbürger:innen auch von den Entscheidungen des Parlaments und der Regierung ihres Herkunftslands stark betroffen sein können. Man denke, um ein Extrembeispiel zu nennen, nur an die in der EU lebenden Brit:innen, die sich durch den vom britischen Parlament beschlossenen Brexit 2020 plötzlich ihrer Unionsbürgerschaft beraubt sahen.

Wie die Dinge stehen, ist eine gute Organisation des Auslandswahlrechts deshalb eine zentrale Voraussetzung für die demokratische Teilhabe von Migrant:innen. Mit seinen übermäßig bürokratischen Verfahren, seiner überforderten Verwaltung und der knappen Wahlfrist hat Deutschland seine Auslandsbürger:innen bei dieser Bundestagswahl im Stich gelassen. Ob die Wahl nun – wenigstens teilweise – wiederholt werden muss, wird sich zeigen. Klar ist aber, dass das Wahlsystem reformiert werden sollte, damit so etwas nicht noch einmal geschieht.


Korrekturhinweis, 27.2.2025: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es irrtümlich, die CDU benötige nur weniger als 8000 zusätzliche Stimmen für einen weiteren Sitz. Tatsächlich sind es knapp 13.000 Stimmen.

Non-voters against their will: On the disenfranchisement of Germans living abroad in the last Bundestag elections

By Manuel Müller
Ballot paper with postal voting envelope

Germans living abroad can only vote in the Bundestag elections by post. And this year, many of them couldnt even do that.

For the first time in my life, I did not vote in last Sunday’s German federal election. Involuntarily, like probably tens of thousands of other Germans living abroad. Given the expected tight schedule (the Federal Returning Officer had warned already in early November that there might not be enough time to prepare if the elections were held in January or February), I took the first opportunity in December to register to vote and request an absentee ballot.

Unlike voters living in Germany, Germans living abroad have to register each time they want to take part in an election. This year, for the first time, this could be done by e-mail – which led to the number of registered voters abroad rising by around two-thirds compared to the last Bundestag election, from just under 130,000 to over 210,000. But with an estimated 3-4 million Germans living abroad, this is still a remarkably low proportion.

My ballot paper never arrived

I was eligible to vote in Berlin-Mitte because that was my last place of residence before leaving Germany. Given the notoriously overburdened Berlin administration, I asked for an acknowledgement of receipt for my voter registration, which I promptly received. The German embassy in Helsinki also did what it could and organised a special courier for 18 February to take the ballot letters to Germany. Some of my friends were able to use this to take part in the election. But for me and many others, all efforts were in vain: The postal voting documents – which were sent out in Berlin-Mitte from 10 February on – have still not reached me.

According to Deutsche Post, the standard transit time for Priority letters from Germany to Finland is 5-8 working days; longer transit times are possible and experience shows that they are not uncommon. So even in the best-case scenario, I would have needed a bit of luck to get my ballot paper in time. And I wasn’t the only one: A letter to the USA, where many German expats live, has a standard transit time of 6-10 days. In the EU capital, Brussels, many people were affected, too (also due to a strike by the Belgian postal service). Even the German ambassador in London did not receive his ballot paper. It is not known exactly how many German expatriates were unable to vote, but the number is likely to have been in the five-figure range.

Will the election have to be repeated?

All this is not only personally frustrating, but could also affect the validity of the election. Two conditions would have to be met for the election to be at least partially re-run: First, the fact that so many absentee ballots did not arrive in time would have to be an electoral error. And secondly, the error would have to be serious enough to have at least a potential impact on the distribution of seats in the Bundestag.

The post-election public debate in Germany has focused mostly on the latter. This is mainly due to the left-conservative party Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW/–), which missed out on entering the Bundestag by less than 13,500 votes. Immediately after the election, Wagenknecht announced that the party would challenge the election, referring in part to the voting problems of Germans living abroad.

However, this focus on the BSW and the five-per-cent threshold is somewhat misleading. An electoral error already has “mandate relevance” if any party could have won an additional seat by winning a large proportion of the uncounted votes. In this case, according to the provisional results, the CDU (EPP) would have needed less than 13,000 additional votes to win one more seat in the Bundestag. Compared to the estimated number of affected (non-)voters, this is not a particularly high threshold. The mandate relevance should thus be there – provided, of course, that those affected actually take the trouble to document their prevented participation in the election by lodging an appeal.

The alternative: travel to Germany – but is that a realistic option?

From a legal point of view, however, it is also necessary to consider whether the fact that Germans living abroad were prevented from voting constitutes an electoral error at all. Such an error exists if either the electoral law was not correctly applied or the electoral law itself contradicts higher-ranking law. In this case, Article 38 (1) of the Basic Law, which guarantees that the elections are “general”, is particularly relevant.

In public statements made before and after the election, several legal scholars gave a number of reasons why this might not be the case. There are two main arguments: The first is that it is ultimately the voter’s own responsibility to ensure that their ballot paper arrives at the polling station on time. Instead of relying on postal voting, they could have travelled to Germany and handed in their ballot paper in person. (If, as in my case, the documents had not arrived at all, you could have gone to the electoral office until 12 noon on the day before the election and obtained a replacement ballot paper on the spot).

However, this option of travelling to Germany is only really plausible for expatriates living in one of Germany’s neighbouring countries. For voters who would have to fly for hours to get to their polling station, it hardly seems a realistic or proportionate alternative. Whether this will be enough to save the principle of “general” elections will probably only be decided by the Federal Constitutional Court.

Administrative overload is not constitutionally required

The second argument touches on constitutional law and claims that the problems were real but unavoidable. After all, Article 39 (1) of the Basic Law explicitly states that if the Bundestag is dissolved, new elections must be held within sixty days. As a lex specialis, this provision takes precedence over the principle of universal suffrage. The short deadline is more important for the constitution than ensuring that all Germans actually have the opportunity to vote.

However, this argument implicitly assumes that the effective organisation of overseas elections within the sixty-day period is factually impossible – that the legislature, the government and the administration have really done their utmost to reconcile the two constitutional requirements. This is clearly not the case. Firstly, the overburdening of the German administration, which leads to printing orders being placed late or to the selection of cheaper rather than quicker postal service providers, is neither natural nor required by the constitution, but simply a consequence of understaffing and underfunding. And secondly, a number of changes could also be made to the electoral law to simplify the vote of Germans living abroad and thus comply with the constitutional principle of “general” elections even within a sixty-day period.

An inefficient and bureaucratic system

Compared to other European countries, German electoral law for citizens abroad is remarkably inefficient and bureaucratic.

This starts with the aforementioned obligation to renew your voter registration for every single Bundestag election. (If you’re interested, here is the form.) The background for this is that Germany has no general register of its citizens living abroad. In France, there is the Registre des Français établis hors de France, in which French citizens abroad can register voluntarily and which, in addition to consular services, allows them to vote in national elections. In Italy, until a few years ago, there was the Anagrafe Italiani Residenti all’Estero (AIRE), a compulsory register of Italians living abroad managed by the municipalities; it has since been merged into the single national register ANPR.

Germany, on the other hand, only operates the ELEFAND list, which allows citizens abroad to receive messages from the Foreign Office in crisis situation. Beyond that, Germany does not keep any record of its citizens living abroad – which means not only that their exact number is unknown, but also that they have to register individually for each election.

And there is more: According to Section 12 (2) of the Federal Elections Act, Germans who have been living abroad for more than 25 years even lose their right to vote in the Bundestag completely, unless they can prove that they are “personally and directly familiar with the political situation in the Federal Republic of Germany and are affected by it”. If you wonder what exactly that means, there is a four-page information sheet by the Federal Returning Officer; the relevant form is available here. In practice, the rule does not make much sense. Citizens abroad who are not familiar with the political situation in Germany would hardly bother to vote anyway.

Voting in embassies and consulates

These registration hurdles make voting cumbersome and already deter many German citizens abroad, as evidenced by the relatively low registration rates. However, the problems with voting are even more serious. The fact that online voting (which is possible for all voters in Estonia and for citizens living abroad in France) is not allowed in Germany is perhaps unsurprising in a country known for its digital scepticism. Admittedly, most other European countries have also decided against such a model for security reasons.

But there is also the option of voting in diplomatic missions, i.e. embassies and consulates. This model is widespread in Europe, with two-thirds of EU member states offering it to their citizens abroad. For example, if I were a Finnish citizen in Germany, I could vote in the Finnish parliamentary elections at the Finnish embassy in Berlin. But Germany, which after France has the second densest network of diplomatic missions among all EU countries, does not allow this. If you are a German abroad and want to vote in the Bundestag elections, you can only do so by post.

Abroad constituencies would make voting easier

One reason for this may be that (as mentioned above) Germans living abroad are entitled to vote in the constituency where they last lived before leaving Germany. As each of the 299 constituencies in the Bundestag election has different candidates, embassies would have to stock hundreds of different ballot papers and find the right one for each voter. This would be a considerable administrative burden, even with a unified voters’ register.

But that is not an unavoidable obstacle. Several other European countries – such as France, Italy, and Romania – have specific overseas constituencies in their national parliamentary elections. Why shouldn’t also Germany treat its citizens abroad like a “17th state” in federal elections, with its own state list and its own constituency candidates, who could be nominated by the abroad branches of the parties?

German expatriates would then no longer be entitled to vote in their former home municipality, but, for example, in a “Europe” or “America” constituency. Exactly how many overseas constituencies there would be and how they would be organised would depend on the number of voters registered on the overseas electoral roll. The 3-4 million Germans living abroad are roughly comparable to the population of Schleswig-Holstein or Saxony. But even if you take only the much smaller number of around 215,000 Germans living abroad who have registered to vote this year, that would still be enough for one Bundestag constituency. (Bremen, with 450,000 eligible voters and 350,000 voters, has two).

Germans abroad lack representation in the Bundestag

Such a model would greatly simplify voting abroad, especially in embassies and consulates, as only one type of ballot paper would be required. At the same time, there are also good democratic reasons for having an overseas constituency. The main purpose of having constituencies in the first place is to ensure a balanced geographical distribution of the members of the Bundestag. This is deemed important because it is assumed that people who live in the same place structurally also have certain common interests, which should be represented by an MP from that place.

However, this logic can also be applied to citizens living abroad: By virtue of their place of residence, they share certain structural interests that distinguish them from citizens living in Germany. In particular, they are more directly affected by the Bundestag’s and the federal government’s foreign and European policy decisions. On the other hand, some Germans living abroad have hardly any ties to their former place of residence, where they are entitled to vote under the current electoral system. And, of course, the MP for the Berlin-Mitte constituency will see herself primarily as a representative of the residents of Berlin-Mitte, and will have little regard for the special needs of her constituents in Helsinki, Beijing or Aix-en-Provence.

Should expatriates be allowed to vote at all?

Finally, a fundamental question: Should citizens living abroad have a right to vote in national parliamentary elections at all? In my view, there would be no good reason for this in a supranational democratic federal system, and even in today’s world I see universal suffrage in the country of residence (where people pay taxes and are subject to local laws in everyday life) as the more important political goal. If I myself could vote in Finnish parliamentary elections and a Finn living in Germany could vote in Bundestag elections, that would make more sense to me than the other way round.

But we are still a long way from such a universal suffrage for residents in national parliamentary elections, and there is no doubt that citizens living abroad can also be strongly affected by decisions taken by the parliament and government of their country of origin. To take an extreme example, consider British citizens living in the EU who, in 2020, found themselves stripped of their European citizenship rights as a result of the UK Parliament’s Brexit decision.

As things stand, good organisation of voting rights abroad is therefore a key prerequisite for the democratic participation of migrants. With its overly bureaucratic procedures, overburdened administration and tight voting deadline, Germany failed its expatriates in this Bundestag election. Whether the election will have to be repeated – at least in part – remains to be seen. What is clear, however, is that the electoral system should be reformed to prevent this from happening again.