Je mehr autoritäre Akteure an Macht gewinnen und der globale strategische Wettbewerb sich zu einer Rivalität zwischen Großmächten wandelt, desto mehr wächst der Druck auf die Europäische Union, sich als liberale geopolitische und geoökonomische Kraft zu etablieren. Ohne die notwendigen Finanzmittel wird sie diese Erwartungen jedoch kaum erfüllen können. Wirtschaftliche Analysen wie der Letta- und der Draghi-Bericht von 2024 haben hervorgehoben, wie wichtig öffentliche Investitionen auf EU-Ebene zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sind. Europäisches Geld ist notwendig, um strategische Industrien wie Verteidigung oder grüne Technologien zu unterstützen, um Forschung und Innovation zu fördern, um transnationale Verkehrs- und Energieinfrastrukturen aufzubauen, um Kandidatenländer auf den Beitritt vorzubereiten und um eine wirtschaftlich heterogene Union zusammenzuhalten.
Das ist der Maßstab, an dem der nächste langfristige EU-Haushalt gemessen werden muss. Auch wenn der aktuelle Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) noch bis Ende 2027 gültig ist, laufen bereits die Verhandlungen für den nächsten. Und keineswegs zu früh: Die Verabschiedung des langfristigen Haushalts ist einer der schwierigsten und meistgefürchteten Prozesse der EU, und zwei Jahre für eine Einigung ist eher zu kurz als zu lang angesetzt.
Mehr als zwei Dutzend Vetospieler
Das liegt durchaus nicht daran, dass es tatsächlich um sehr viel Geld ginge. Der letzte langfristige Haushalt, der im Dezember 2020 verabschiedet wurde, belief sich nur auf 1,12 % des gesamten Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU – ein winziger Bruchteil der rund 50 % des BNE, die in der EU insgesamt von staatlichen Institutionen ausgegeben werden. Die nationalen Haushalte der Mitgliedstaaten bewegen mit viel weniger politischem Aufheben viel mehr Geld als die EU; selbst der Haushalt der Stadt Helsinki macht einen höheren Anteil am finnischen BNE aus als der EU-Haushalt am BNE der Union.
Der wirkliche Unterschied liegt im Verfahren. Während nationale Haushalte in der Regel einfach von einer Mehrheit der Mitglieder des nationalen Parlaments verabschiedet werden, erfordert der langfristige EU-Haushalt die Zustimmung des Europäischen Parlaments sowie sämtlicher Mitgliedstaaten: mehr als zwei Dutzend Vetospieler, die alle in den Verhandlungen einen gewissen Erfolg für sich verbuchen wollen.
Neues FIIA Briefing Paper
Das führt zu sehr langwierigen Verhandlungen, in denen gemeinsame Ziele oft hinter nationalen oder institutionellen Eigeninteressen zurückstehen. Debatten über die Höhe des Haushalts und die Nettobeiträge der Mitgliedstaaten sind oft stark politisch aufgeladen und werden von den nationalen Öffentlichkeiten aufmerksam verfolgt. Aber auch die Einnahmequellen, die Ausgabenprioritäten und die allgemeine Verwaltungsstruktur des EU-Haushalts sind strittige Fragen.
In einem neuen Briefing Paper für das Finnish Institute of International Affairs (FIIA) beschreibe ich das rechtliche Verfahren und den Zeitplan für die Verabschiedung des nächsten langfristigen Haushaltsplans der EU und analysiere die wichtigsten Themen, die die Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen in den kommenden Monaten und Jahren prägen werden.
Ausgehend von den Erfahrungen der Vergangenheit kann man bereits jetzt vorhersagen, dass diese Diskussionen zu einem Kompromiss in letzter Minute führen werden, dass für diesen Kompromiss jedoch einiges an politischer Trickserei und zweifelhaften Nebenansprachen notwendig sein wird, und dass das Ergebnis eher wie ein Flickenteppich als wie ein großer Wurf aussehen und viele enttäuschen wird – unvermeidliche Folgen des mit Vetos gespickten Verfahrens. Wollten die Mitgliedstaaten weniger langwierige Verhandlungen und einen ehrgeizigeren und kohärenteren langfristigen Haushalt, dann müssten sie dafür das Einstimmigkeitserfordernis abschaffen.
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