- Eigentlich würde sich die AfD lieber mit anderen Partnern zusammentun als mit dem UKIP-Vorsitzenden Nigel Farage.
Für Bernd Lucke dürfte
der vergangene Donnerstag eher verdrießlich gewesen sein. Seit
Wochen bemüht sich der Vorsitzende der Alternative für Deutschland,
das rechtspopulistische Image seiner Partei zu überwinden und ihr einen bürgerlich-nationalkonservativen Anstrich zu geben. Auf diese Weise will er die Abhängigkeit der AfD von den Stimmen flüchtiger Protestwähler überwinden und ihr einen dauerhaften Platz in der deutschen Parteiensystem sichern. Der Parteitag am
vergangenen Wochenende war in dieser Hinsicht durchaus
ein Erfolg für Lucke. Doch dann lud die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative
ausgerechnet den britischen Europaabgeordneten Nigel Farage ein, um in
Köln eine
Rede zu halten.
Als Vorsitzender der britischen UK Independence Party genießt Farage unter Europaskeptikern inzwischen eine Art Kultstatus. Er ist aggressiv, schrill und niemals um einen populistischen Vorstoß verlegen – und kam damit bei der AfD-Basis offenbar bestens an. Das biedere Image, das Bernd Lucke gerne hätte, erreicht man so allerdings nicht. Ein AfD-Sprecher stellte
deshalb umgehend klar, dass nur die Parteiführung über
„offizielle Kontakte zu ausländischen Parteien“ entscheiden
könne, und verdeutlichte damit einmal mehr, wie angespannt das
Verhältnis
zwischen Basis und Spitze in der AfD inzwischen ist. Doch abgesehen von diesen
innerparteilichen Querelen wirft die Episode die Frage auf, wie es
eigentlich um die „offiziellen Kontakte“ der AfD in Zukunft
bestellt sein wird, wenn sie demnächst (wovon man sicher ausgehen
darf) mit eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten
ist. Bekanntlich befindet sich auf der politischen Rechten europaweit
einiges in Bewegung. Wie werden sich die Fraktionen nach dem 25. Mai
zusammensetzen? Und wo wird dabei der Platz der Newcomer aus
Deutschland sein?
Die vier rechten Strömungen im Europaparlament
Derzeit lässt sich das
Spektrum rechts der christdemokratischen Europäischen Volkspartei
(EVP) im Wesentlichen in vier Richtungen unterteilen:
● Erstens die nationalkonservative Allianz
der Europäischen Konservativen und Reformisten (AECR), in
der vor allem die britischen Tories um David Cameron sowie die
polnische PiS um Jarosław Kaczyński von
Bedeutung sind. Viele Mitgliedsparteien der AECR nehmen auf
nationaler Ebene eine tragende Rolle im Parteiensystem ein, sind an
der Regierung beteiligt oder waren das in der Vergangenheit. Im
Europäischen Parlament bildet die AECR seit der letzten Europawahl
die Fraktion der Europäischen
Konservativen und Reformisten (ECR).
● Zweitens
die Bewegung für ein Europa der
Freiheit und der Demokratie (MELD,
nach der englischen Bezeichnung), eine eher kleine Gruppierung, in
der Parteien wie die italienische Lega Nord, die finnischen
Perussuomalaiset oder die dänische DF vertreten sind. Sie treten
populistischer auf als die AECR und erheben oft eine bunte Mischung
von nationalistisch-ausländerfeindlichen und basisdemokratischen
Forderungen. Im Europäischen Parlament gehören sie der Fraktion
Europa der Freiheit und
Demokratie (EFD)
an. Ebenfalls Teil der EFD, aber nicht des MELD, ist die britische
UKIP um Nigel Farage, der auch den Fraktionsvorsitz innehat.
● Drittens
die Europäische Allianz für
Freiheit
(EAF), die stramm rechte Positionen vertritt. Sie wird von der
französischen FN um Marine Le Pen und der österreichischen FPÖ
dominiert und hält auch zu der niederländischen PVV um Geert
Wilders enge Kontakte. Im Europäischen Parlament stellen die EAF und
ihr nahestehende Parteien derzeit knapp ein Dutzend Abgeordnete, die
keiner Fraktion angehören.
● Viertens
die Parteien am äußersten rechten Rand, die aggressiv
fremdenfeindlich, antidemokratisch und oft gewaltbereit auftreten.
Hierzu zählen etwa die griechische Chrysi Avgi, die ungarische Jobbik und die
bulgarische Ataka. Auf europäischer Ebene bilden sie verschiedene
Bündnisse (etwa die Allianz der
Europäischen Nationalen Bewegungen
oder die Europäische Nationale
Front),
die aber alle eher instabil sind. Auch sie stellen ein knappes
Dutzend fraktionslose Europaabgeordnete.
Das bisherige
Kräfteverhältnis
Auch
wenn in den vergangenen fünf Jahren immer wieder zu einzelnen
Fraktionsaus- oder -übertritten kam, waren die Kräfteverhältnisse
zwischen diesen vier Strömungen doch verhältnismäßig stabil. Die
ECR mit derzeit 57 Abgeordneten kann durchaus als etablierter Teil
der europäischen Parteienlandschaft gelten. Auch wenn sie deutlich
europaskeptischere Positionen als die christdemokratische
EVP-Fraktion vertritt, arbeitet sie immer wieder mit dieser zusammen
und übt dadurch auch Einfluss auf die EU-Gesetzgebung aus.
Demgegenüber
ist die EFD mit 31 Mitgliedern nicht nur die kleinste Fraktion im
Parlament, sondern bei Abstimmungen auch diejenige mit
dem geringsten inneren Zusammenhalt. Ihre Rolle beschränkte sich
deshalb weitgehend auf symbolische Protestaktionen, die besonders
Nigel Farage eine europaweite Popularität in europaskeptischen
Kreisen verschafften, aber nur wenig konkrete Auswirkungen hatten.
Die fraktionslosen Abgeordneten der EAF und der ultra-rechten
Parteien schließlich waren im Europäischen Parlament bislang kaum
von Bedeutung.
Umbrüche nach der Europawahl
Nach der Europawahl am
25. Mai dürfte es jedoch zu größeren Veränderungen kommen. Anders
als häufig zu hören ist, werden die rechten Parteien insgesamt zwar
nur geringe Zugewinne erfahren: Folgt man den
aktuellen Umfragen, dürfte das nationalistisch-europaskeptische
Lager von derzeit gut 100 auf rund 120 Sitze (knapp ein Sechstel der
insgesamt 751 Sitze des Parlaments) wachsen. Innerhalb des
rechten Spektrums ist jedoch eine Radikalisierung zu erwarten: So
kann die EAF ihre Mandatszahl voraussichtlich verdreifachen, während
sowohl die AECR als auch das MELD geschwächt aus der Wahl
hervorgehen werden.
Besonders bedrohlich ist
dabei für beide Parteien, dass sie in einigen kleineren
Mitgliedstaaten, in denen sie bislang noch ein oder zwei Sitze
gewinnen konnten, künftig überhaupt nicht mehr vertreten sein
werden. Um eine eigenständige Fraktion zu bilden, sind nach der
Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments nämlich mindestens
25 Abgeordnete aus sieben verschiedenen EU-Staaten nötig. Den
Umfragen zufolge kommen ECR und EFD jedoch jeweils nur noch auf
Mitglieder aus sechs Ländern. Um als Fraktion zu überleben, müssen
sie deshalb neue Abgeordnete hinzugewinnen. Und hier kommt nun die
deutsche AfD ins Spiel.
Die AfD als
Rettungsanker der ECR?
Tatsächlich
wurden in den letzten Jahren in mehreren europäischen Ländern neue
nationalkonservativ-europaskeptische Parteien gegründet, die nun zum
ersten Mal ins Europäische Parlament einziehen werden. Neben der
deutschen AfD sind dies die griechische ANEL,
die slowakische OĽaNO,
die polnische NP
sowie die kroatische Savez
(wobei die letzteren beiden in den Umfragen nur knapp über der
nationalen Sperrklausel liegen). All diese Gruppierungen haben sich
noch nicht endgültig für die Zugehörigkeit zu einer Fraktion im
Europäischen Parlament entschieden – und könnten deshalb sowohl
für die ECR als auch die EFD ein Rettungsanker sein.
Aus
Sicht der AfD-Führung fällt die Wahl dabei natürlich leicht:
Schließlich steht die ECR für genau jenen bürgerlichen
Nationalkonservatismus, den auch Bernd Lucke gern repräsentieren
würde. Mit der wichtigsten britischen Regierungspartei in einer
gemeinsamen Fraktion zu sitzen wäre vermutlich der größte
politische Ritterschlag, den sich der AfD-Chef nach der Europawahl
erträumen kann. Bereits vor einem Jahr nahm die AfD deshalb mit den
britischen Tories Gespräche
über eine künftige Mitgliedschaft in der ECR auf.
Ganz
so einfach ist das Spiel allerdings nicht: Denn der britische
Premierminister David Cameron legt zwar hohen Wert darauf, dass seine
Konservativen im Europäischen Parlament eine eigene, von den
Christdemokraten getrennte Fraktion bilden. Noch wichtiger ist ihm
jedoch der Europäische Rat – und dort ist Cameron für seine
europapolitischen Pläne dringend
auf die Unterstützung der deutschen Bundesregierung unter Angela
Merkel (CDU/EVP) angewiesen. Und da Merkel ihm offenbar zu
verstehen gegeben hat, dass sie eine Tory-AfD-Allianz überhaupt
nicht schätzen würde, ist die Idee inzwischen auch bei den
britischen Konservativen hart umstritten. Der ehemalige
ECR-Fraktionsvorsitzende Timothy Kirkhope jedenfalls warnte erst vor
wenigen Wochen, dass eine Zusammenarbeit mit der Lucke-Partei den
Tories letztlich mehr schaden als nutzen würde.
Auch die UKIP ist kein
attraktiver Partner
Bleibt
für die AfD also nur die zweitbeste Lösung – sich eben doch nicht
der ECR, sondern der EFD anzuschließen? Wie der vergangene
Donnerstag gezeigt hat, genießt Nigel Farage bei der AfD-Basis
jedenfalls hohe Zustimmung. Und auch wenn sein aggressives und
bisweilen
offen beleidigendes Auftreten auf Teile der bürgerlichen
Wählerschaft wohl abschreckend wirken dürfte: Immerhin hat Farage
wiederholt hervorgehoben, dass er mit Marine
Le Pen und ihrer EAF nichts zu tun haben möchte (auch wenn Le
Pen selbst das etwas
anders sieht). Könnte die AfD also zu einer Einigung mit Farages
UKIP gelangen und dennoch versuchen, sich in Abgrenzung von der
rechtsextremen EAF als eine „normale“ bürgerlich-konservative
Partei zu präsentieren?
Sollte
irgendjemand in der AfD ernsthaft über diesen Plan nachdenken: Er
würde vermutlich scheitern. Denn selbst wenn Farage standfest bleibt
und auch nach der Europawahl nicht mit der EAF zusammenarbeitet, gilt
dies für die übrigen Mitgliedsparteien der EFD-Fraktion keineswegs.
Im Gegenteil, die italienische Lega Nord hat vor einigen Tagen
ausdrücklich
erklärt, dass sie ein Bündnis mit Le Pen und ihren Partnern
anstrebt. Einiges deutet deshalb darauf hin, dass die EFD sich
nach der Europawahl auflösen wird und EAF und MELD sich zu einer
neuen Rechtsaußenfraktion zusammenschließen. Nigel Farage und seine
UKIP säßen dann zwischen allen Stühlen und würden wohl als
fraktionslose Abgeordnete enden. Für die AfD wären sie damit
jedenfalls kein attraktiver Partner mehr.
Zu rechts für Cameron
und nicht rechts genug für Le Pen?
Auf
ihrer Suche nach künftigen Verbündeten im Europäischen Parlament
befindet sich die AfD damit in einer unangenehmen Lage. Sie hat die
Möglichkeit, sich der neuen Fraktion um Marine Le Pen anzuschließen,
doch würden damit sämtliche Versuche, sich von der extremen Rechten
abzugrenzen, mit einem Schlag hinfällig. Oder sie muss hoffen, dass
sich die britischen Konservativen doch noch erbarmen und ihr die
Teilnahme an der ECR-Fraktion ermöglichen: entweder weil sich bei
den Tories nach der Wahl der Anti-Merkel-Flügel durchsetzt oder weil
die ECR andernfalls nicht die nötige Mitgliederzahl erreicht, um als
Fraktion zu überleben.
Im
schlimmsten Fall aber könnte es der AfD ergehen wie der UKIP: Zu
rechts für David Cameron und nicht rechts genug für Marine Le Pen,
könnten ihre Abgeordneten am Ende als Fraktionslose auf den hinteren
Bänken des Parlaments landen. Insofern könnte sich Nigel Farages
Kölner Rede am vergangenen Donnerstag zuletzt durchaus als
Vorzeichen für den künftigen Platz der AfD in Europa erweisen –
nur vermutlich nicht in der Form, die sich die Veranstalter
vorgestellt haben.
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Bild: European Parliament, [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.