28 März 2023

Schon viel zu berichten, aber auch noch ein weiter Weg voraus: Die Krise der Rechtsstaatlichkeit in der EU

Von László Detre
Buildings of the European Court of Justice
„Bei der Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit hat der Europäische Gerichtshof den Ruf des ‚last man standing‘. Aber allein kann er die Welt nicht verändern.“

In Artikel 2 des EU-Vertrags (EUV) ist die Rechtsstaatlichkeit als einer der Grundwerte der Europäischen Union verankert, der allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist – oder sein sollte. Die theoretische Debatte über die Rechtsstaatlichkeit wird bereits seit langem geführt. Und auch wenn einige Politiker:innen dies in Frage stellen, besteht in Europa ein Konsens über die  Kernelemente und die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips, obwohl sich dessen Ausprägungen im Einzelnen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden können.

Dass es diesen Konsens gibt, ist nicht verwunderlich, denn die Rechtsstaatlichkeit beruht überall auf einer grundlegenden Prämisse: der Beschränkung aller öffentlichen Gewalten durch das Recht. Zusammen mit der Demokratie und dem Schutz der Grundrechte bildet sie den Kern der liberalen Demokratie und garantiert die tatsächliche Ausübung individueller Freiheiten. Zu ihren Bedingungen gehören die Qualität der Gesetze, die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz, die all dies zu gewährleisten hat.

Eine Angelegenheit für die gesamte EU

In der EU ist die Rechtsstaatlichkeit eine Grundvoraussetzung des Rechts- und Institutionensystems: Sie berührt die europäische Identität und gewährleistet das auf gegenseitigem Vertrauen basierende Tagesgeschäft. Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU ist daher eine Angelegenheit, die alle angeht, und es gibt zahlreiche Gründe dafür, Rechtsstaatsprobleme, die in einem Mitgliedstaat auftreten, als ein Problem der gesamten EU zu betrachten.

Der Verfall der Rechtsstaatlichkeit hält in einigen Mitgliedstaaten schon seit einiger Zeit an. Er hat den politischen Diskurs und einige zentrale rechtliche Entwicklungen auf EU-Ebene maßgeblich geprägt und könnte auch die Zukunft der europäischen Integration bestimmen. Dieser Artikel beschreibt die bisherigen Maßnahmen, um diese Situation zu bewältigen, und gibt einen Ausblick auf die möglichen nächsten Schritte.

Was ist bisher geschehen?

Die Menge an akademischer Forschung, politischer Diskussion und öffentlicher Debatte über die Rechtsstaatlichkeit in Europa ist enorm, und die breitere Literatur scheint schier endlos zu sein. In der Regel wird die Diskussion über die Rechtsstaatlichkeit auf zwei miteinander verflochtenen Ebenen geführt.

Auf der ersten Ebene wird der Begriff in einem breiteren, allgemeinen Sinne verwendet und bezieht sich auf einen Zustand, der dem Geist, den Instrumenten und den Institutionen einer liberalen Demokratie entspricht. Auf der zweiten, juristisch-doktrinären Ebene werden spezifischere Fragen behandelt. Während letztere Ebene – zumindest in den liberalen Demokratien – unter erstere subsumiert wird, zieht sich der Grundgedanke durch alle Diskussionen zu diesem Thema. Innerhalb der EU lassen sich beide Argumentationsebenen beobachten.

Ein Ende der gegenwärtigen Rechtsstaatlichkeitskrise in der EU, die vor allem von den zwei Mitgliedstaaten Ungarn und Polen verursacht wurde, ist nicht in Sicht. Auf einer allgemeineren Ebene wird das Konzept der liberalen Demokratie durch den Aufstieg des Illiberalismus offen in Frage gestellt. Auf der konkreten, juristischen Ebene wurden die doktrinär bewerteten Teilprinzipien der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz, systematisch verletzt. Dies wiederum ist zweifellos eine Angelegenheit von europäischem Interesse, da die nationalen Gerichte auch als EU-Gerichte fungieren und für die einheitliche Auslegung und Durchsetzung des EU-Rechts zuständig sind.

Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit nach Artikel 2 EUV

Aus rechtlicher Sicht konzentriert sich die Rechtsstaatsdebatte in der EU auf den bereits erwähnten Art. 2 EUV. Eine Zeit lang wurde sogar in Frage gestellt, ob Art. 2 überhaupt als Gesetz angesehen werden kann. Zudem wurde, ebenfalls für lange Zeit und sogar innerhalb der EU selbst, argumentiert, dass die EU Probleme bei der Einhaltung von Art. 2 EUV nur im Rahmen des Verfahrens nach Art. 7 EUV behandeln könne. Heute ist Art. 2 EUV für die EU hingegen von zentraler Bedeutung. Sein Anwendungsbereich ist – im Gegensatz zu anderen Bestimmungen der Verträge – nicht begrenzt, so dass alle nationalen Maßnahmen mit ihm vereinbar sein müssen. Die zentrale Frage im EU-Recht ist jedoch, wie das zu erreichen ist.

Da alle EU-Maßnahmen auf den Grundsätzen der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beruhen, muss sich die EU für ihr Vorgehen sehr genau rechtfertigen, um den Vorwurf zu vermeiden, dass sie außerhalb ihrer Kompetenzen handelt. Dennoch hat sich das Rechtsstaats-Instrumentarium der EU – sowohl das der politischen Organe als auch das des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – in den letzten zehn Jahren erheblich erweitert. Im Rahmen dieses Beitrags kann nicht auf alle Elemente eingegangen, sondern nur ein kurzer Überblick gegeben werden.

Politische Instrumente zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit

Die politischen Instrumente sind in der Regel evaluativ, wie die Jahresberichte zur Rechtsstaatlichkeit, und/oder dialogorientiert, wie der „Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“. Diese Instrumente sind eher zahnlos. Die EU verfügt jedoch auch über einige Mittel, mit denen sie politischen Druck auf einen Mitgliedstaat ausüben kann. Zwei Beispiele sollen hier vorgestellt werden.

Erstens gibt es die bereits erwähnten Verfahren nach Art. 7, die ursprünglich für Situationen wie die Rechtsstaatlichkeitskrise gedacht waren. Sie ermöglichen es der EU, genauer gesagt dem Rat, gegenüber dem betroffenen Mitgliedstaat naming and shaming zu betreiben, wenn die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 festgelegten Werte besteht (das sogenannte Art.-7-Abs.-1-Verfahren), oder auch seine Rechte aus den Verträgen auszusetzen, wenn der Europäische Rat feststellt, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung vorliegt (Art.-7-Abs.-2-Verfahren). Theoretisch könnte die EU mit diesen Verfahren weitreichende Maßnahmen ergreifen. In der Praxis wurde bisher nur vor einigen Jahren das Verfahren mit den rhetorischen Folgen gegen Polen und Ungarn eingeleitet, ohne dass es etwas Wesentliches passiert ist.

Konditionalität: EU-Gelder als Hebel für die Rechtsstaatlichkeit

Zweitens gibt es einige relativ neue Instrumente: den sogenannten Konditionalitätsmechanismus sowie die Konditionalitätstechnik, die in die Regelungen zur Verteilung der wichtigsten EU-Mittel aufgenommen wurden. Der Konditionalitätsmechanismus sieht vor, dass die EU im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die den EU-Haushalt direkt bedrohen, bereits bewilligte Mittel aussetzen oder dem betreffenden Mitgliedstaat neue Mittelzusagen verweigern kann (im ersten Fall ist der Mitgliedstaat verpflichtet, die EU-Mittel aus seinem eigenen Haushalt zu ersetzen, um die Interessen der Endbegünstigten zu schützen).

Der Konditionalitätsmechanismus ist in erster Linie auf die Korruptionsbekämpfung ausgerichtet und verpflichtet die Mitgliedstaaten unter anderem dazu, das ordnungsgemäße Funktionieren des öffentlichen Auftragswesens und der Finanzkontrollbehörden sicherzustellen. Allerdings können dafür auch Reformen des Justizwesens erforderlich sein.

In anderen Fällen müssen die Mitgliedstaaten sogenannte Meilensteine oder horizontale und thematische Voraussetzungen erfüllen, um Zugang zu EU-Mitteln zu erhalten. Im Falle Ungarns wurden beispielsweise weitreichende Rechtsstaatsreformen insbesondere im Justizwesen gefordert, bevor die Covid-19-Wiederaufbaumittel freigegeben werden können.

Die Verordnung über gemeinsame Bestimmungen, die mehrere spezifische EU-Instrumente wie den Kohäsionsfonds abdeckt, verlangt noch weitergehend, dass die finanzierten Projekte im Einklang mit der Charta der Grundrechte der EU stehen. Dies ermöglichte zum Beispiel die Anfechtung des Anti-LGBTQI-Gesetzes in Ungarn. In der Literatur wurden zwar Vorbehalte gegen den Einsatz dieser Konditionalitätstechnik geäußert. In einer Situation, in der der EU die Macht zur direkten Durchsetzung ihrer Werte fehlt, kann sie aber eine Möglichkeit sein, dennoch wichtige Rechtsstaatsziele zu erreichen.

Der gerichtliche Weg zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit

Eine zunehmend wichtige Rolle für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der EU haben in den letzten Jahren Verfahren vor dem EuGH gespielt. Es gibt zwei Möglichkeiten, einen Fall vor den EuGH zu bringen. Erstens kann die Kommission oder ein anderer Mitgliedstaat geltend machen, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem EU-Recht verstößt. Zweitens haben die nationalen Gerichte das Recht oder sogar die Pflicht, dem EuGH Fragen zur Auslegung des EU-Rechts vorzulegen. Steht das nationale Recht nicht im Einklang mit dem EU-Recht, darf das vorlegende Gericht dieses nationale Recht nicht anwenden – selbst wenn es sich um die Verfassung oder eine Entscheidung des nationalen Verfassungsgerichts handelt.

Während den politischen Akteuren der EU bisweilen vorgeworfen wird, nicht genug für den Schutz und die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit zu tun, hat der EuGH den Ruf des „last man standing“. Im Jahr 2018 fällte er ein höchst bedeutsames Urteil, in dem er feststellte, dass eine spezifische Bestimmung des EU-Vertrags – nämlich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Gerichtssystem einzurichten, das wirksamen Rechtsschutz in den vom EU-Recht erfassten Bereichen bietet – ein konkreter Ausdruck von Art. 2 EUV, genauer gesagt der Rechtsstaatlichkeit, ist.

Damit wurde eine Brücke für die Anwendung von Art. 2 EUV geschaffen, die in der Literatur als „wechselseitige Verstärkung“ bezeichnet wird: Während die spezifische Bestimmung in den Verträgen den Inhalt der Verpflichtung festlegt, rechtfertigt Art. 2 EUV ihren Anwendungsbereich.

Dieses Urteil war ein großer Schritt in Richtung einer gerichtlichen Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit und ebnete den Weg für mehrere nachfolgende Urteile, insbesondere zum polnischen Justizsystem. Im Jahr 2022 fällte der EuGH zwei weitere Entscheidungen, in denen er das Konzept der „wechselseitigen Verstärkung“ im Grundsatz übernahm. Zudem fügte er hinzu, dass die EU sekundäres Recht erlassen kann, um die Werte des Art. 2 EUV, etwa die Rechtsstaatlichkeit, durchzusetzen, sofern dafür im Vertrag eine Rechtsgrundlage vorhanden ist.

Darüber hinaus leitete die Kommission wegen des oben genannten Anti-LGBTQI-Gesetzes ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein, bei dem sie sich unmittelbar auf einen Verstoß gegen Art. 2 EUV berief. Die Kommission knüpfte damit an eine Debatte in der Wissenschaft an, in der diese Möglichkeit lang diskutiert wurde. Sollte sich der EuGH dieser Auslegung anschließen, könnte dies einen Wendepunkt darstellen: Es würde bedeuten, dass Art. 2 EUV gegen jede nationale Maßnahme geltend gemacht werden kann, ohne dass weiteres EU-Recht hinzugezogen werden muss.

Wie geht es weiter?

Die EU ist oft dafür kritisiert worden, dass sie nicht genug für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit tut. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die EU kein vollwertiger Bundesstaat ist und ihre institutionelle Struktur ihre Grenzen hat. Außerdem müssen die EU-Institutionen unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen: Der Rat vertritt die Mitgliedstaaten, die Kommission die EU, das Europäische Parlament die Völker.

Aus politischer oder soziologischer Sicht kann man mit Fug und Recht sagen, dass die Konstitutionalisierung – der absolute Respekt der gemeinsamen Werte wie der Rechtsstaatlichkeit durch alle Beteiligten – noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass sie alle anderen Erwägungen überlagern würde.

Der EuGH kann die Welt nicht allein verändern

In rechtlicher Hinsicht lassen sich zwei Feststellungen treffen. Erstens verfügen die EU-Institutionen nach den geltenden Verträgen bereits über weitreichende Befugnisse, um der Rechtsstaatlichkeitskrise entgegenzutreten. Eine institutionelle Reform könnte zur Überwindung der bestehenden Probleme beitragen, ist aber jedenfalls nicht die einzige Lösung.

Zweitens ist der EuGH aufgrund der Untätigkeit der politischen Organe der EU zur treibenden Kraft beim Schutz der Rechtsstaatlichkeit geworden. Aber er allein kann die Welt nicht – vollständig – verändern. Die Rechtsprechung des EuGH könnte dazu führen, dass Art. 2 EUV als eigenständige Bestimmung betrachtet wird und ein Mitgliedstaat für alle nationalen Maßnahmen verklagt werden kann, die gegen die EU-Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Im Wesentlichen würde dies den EuGH in ein föderales Verfassungsgericht verwandeln.

Selbst wenn es dazu käme, lässt sich jedoch argumentieren, dass Art. 2 EUV nur in Ausnahmefällen in dieser Form angewendet werden sollte, etwa wenn der Kern der Grundrechte verletzt würde. Eine solche Einschränkung klingt annehmbar und praktikabel, lässt sich in den Verträgen jedoch nicht rechtlich garantieren. Allerdings wird der EuGH nur tätig, wenn ihm ein Fall vorgelegt wird. Zum Schutz der mitgliedstaatlichen Interessen sollten alle Beteiligten (die Kommission und andere Mitgliedstaaten) deshalb eine sorgfältige Bewertung vornehmen, bevor sie solche Verfahren einleiten.

Die Wahl zwischen drei Wegen

Alles in allem gibt es drei plus einen Weg, die die EU in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit von hier aus einschlagen könnte.

  • Im ersten Szenario überzeugen die europäischen Nationen ihre Staats- und Regierungschef:innen davon, innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens in den europäischen Institutionen eine entschiedenere Haltung zur Rechtsstaatlichkeit einzunehmen und die Mittel der EU zur Unterstützung des EuGH voll auszuschöpfen.
  • Das zweite, weniger wahrscheinliche Szenario ist, dass es zu Vertragsänderungen kommt, die von allen europäischen Völkern unterstützt werden und wahrscheinlich zu einer föderaleren EU führen, möglicherweise in Form einer differenzierten Integration mit verschiedenen Geschwindigkeiten.
  • Wenn sich die europäischen Nationen nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen können oder sich die Denkweise der politischen Akteure nicht ändert, kann es drittens notwendig werden, die Erwartungen an die EU entsprechend anzupassen. In diesem Fall kann es sein, dass die Rechtsstaatlichkeitskrise weiter andauert.

Die Plus-eins-Option schließlich liegt bei den betroffenen Mitgliedstaaten selbst: Ihre Bürger:innen könnten von den nationalen Institutionen fordern, die Rechtsstaatlichkeitsstandards der EU einzuhalten, der sie freiwillig und aus eigenem Entschluss beigetreten sind.


László Detre ist Legal Officer beim Hungarian Helsinki Committee in Budapest und Academic Advisor des re:constitution-Programms des Forums Transregionale Studien in Berlin.

Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts „Überstaatliches Regieren zwischen Diplomatie und Demokratie – aktuelle Debatten um die Reform der EU“, der in Zusammenarbeit mit dem Online-Magazin Regierungsforschung.de erscheint.


Übersetzung: Yannik Uhlenkotte.
Bilder: EuGH: Luxofluxo, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons; Portrait László Detre: Joanna Scheffel [alle Rechte vorbehalten]; EU-Flagge: Arno Mikkor (EU2017EE) [CC BY 2.0], via Flickr.

A lot to tell already but still a long way to go: The EU’s rule of law crisis in a nutshell

By László Detre
Buildings of the European Court of Justice
“In the defense of the rule of law, the Court of Justice of the EU is generally seen as the ‘last soldier standing’. But it can’t change the world on its own.”

Article 2 of the Treaty on European Union (TEU) enshrines the principle of the rule of law as one of the founding values of the European Union that is – or should be – common to its member states. The theoretical debate on the rule of law has been ongoing for a while. Still, in Europe – although some politicians question this – there is a consensus on its core elements and meaning even if their detailed content may vary from member state to member state.

This is not surprising, as it is based on a fundamental premise: constraining all public powers by way of law. Together with democracy and the protection of fundamental rights, the rule of law constitutes the essence of liberal democracy, guaranteeing the true enjoyment of individual freedoms. Its requirements include the quality of laws, the separation of powers and the independence of the judiciary, which is responsible for guaranteeing all of these.

A matter for the entire EU

In the EU, the rule of law is a prerequisite for its legal and institutional system: it touches upon its identity and ensures its daily business built on mutual trust. As such, safeguarding the rule of law within the EU is a matter of all stakeholders, and there are several reasons to consider rule of law issues arising in one member state as an issue for the entire EU.

As the decline of the rule of law in some member states has been ongoing for some time and has significantly shaped the political discourse and some core legal developments at the EU level, it may well determine the future of integration too. This article entangles what has been done to tackle the situation, with a glimpse into the possible next steps.

What is to tell already?

To begin with, there has been a tremendous amount of academic research, political discussion and public debate on the rule of law in Europe, and the wider literature seems endless. Usually, the discussion around the rule of law has two intertwined levels.

At the first level, it is used in a broader, general sense, referring to a state of affairs that might be equated with the spirit, instruments and institutions of a liberal democracy. Second, at the legal, doctrinal level, more specific issues are tackled. While the latter is – at least in liberal democracies – subsumed within the former, the foundational idea shall run through all exchanges on the subject matter. Within the EU, both levels of argument can be observed.

There is no end in sight for the current crisis of the rule of law in the EU, which has been caused mainly by two member states, namely Hungary and Poland. At the more general level, the notion of liberal democracy has been openly challenged by the rise of illiberalism. At the concrete, legal level, the doctrinally evaluated rule of law sub-principles have been systematically breached, especially the independence of the judiciary. This, in turn, is undoubtedly a matter of European concern, since national courts also serve as EU courts and are primarily responsible for consistently interpreting and enforcing EU law.

Enforcing the rule of law under Article 2 TEU

Legally speaking, the main focus of rule of law arguments in the EU is the aforementioned Article 2 TEU. For a while, some even questioned whether Article 2 could be considered a law at all. Secondly, also for a long time and even within the EU itself, it has been argued that the EU could not deal with issues related to Article 2 TEU in any way other than through the procedure of Article 7 TEU. Today, questions around Article 2 TEU are decisive for the EU. Its scope – unlike other provisions of the Treaties – is not limited, and as such all national measures must comply with it. The major question in EU law is the how.

Since all EU action is framed by the principles of conferred powers, subsidiarity and proportionality, the EU has to justify itself under very strict scrutiny to avoid allegations of acting outside its competence. Still, the EU’s rule of law toolbox – both with regard to responses by the political organs and by the Court of Justice (CJEU) – has greatly expanded over the last decade. Given the limits of this article, I will not present all its elements here, but give a short overview only.

Political tools to protect the rule of law

The political tools tend to be evaluative, such as the annual rule of law reports and/or dialogue-based, such as the Rule of Law Framework. These are rather powerless, but the EU also has some instruments that allow to put political pressure on a member state. Of these, two examples shall be presented here.

First, there are the aforementioned Article 7 procedures, which were originally meant to be used in situations like the rule of law crisis. They allow the EU, or more precisely the Council, to name and shame the concerned member state if there is a clear risk of a serious breach of the values set out in Article 2 (the so-called Art. 7 (1) procedure), and to suspend its rights under the Treaties if the European Council determines that there is a serious and persistent breach (Art. 7 (2) procedure). In theory, these procedures would allow the EU to take far-reaching measures. In practice, so far, only the one with the rhetorical consequences has been initiated years ago against Poland and Hungary, but nothing substantial has happened.

Conditionality: EU funding as leverage for the rule of law

Second, there are some relatively new tools: the so-called conditionality mechanism and the conditionality technique itself, which have been incorporated into EU legislation governing the distribution of major EU funds. According to the conditionality mechanism, in case of violations of the rule of law principles that directly threaten the EU budget, the EU can suspend any funds or deny any new commitments from its budget to the concerned member state (which, in the first case, is then obliged to substitute the EU resources from its own budget in order to protect the interests of the final beneficiaries). The conditionality mechanism is mainly anti-corruption focused and obliges member states, inter alia, to ensure the proper functioning of public procurement or financial control authorities. However, reforms of the judiciary may be required, too.

In other cases, in order to get access to EU assets, the member states have to comply with so-called milestones or horizontal and thematic enabling conditions. In the case of Hungary, for example, meaningful rule of law reforms, especially in the judiciary, have been required to obtain access to the COVID-19 recovery funds.

In an even more far-reaching way, the Common Provisions Regulation, which covers several specific EU instruments such as the Cohesion Fund, requires that funded projects comply with the EU’s Charter of Fundamental Rights. This allowed to challenge the anti-LGBTQI law in Hungary. While there are concerns in the literature about the use of this conditionality technique, it could be a way to obtain meaningful results in spite of the EU’s lack of power to enforce its values in a more direct way.

The judicial way to protect the rule of law

In recent years, proceedings in front of the CJEU have started to play the main role as means to safeguard the rule of law in the EU. There are two ways of bringing a case to the CJEU. First, the Commission or another member state can claim that the concerned member state is not complying with its obligations under EU law. Second, national courts have the right, or even the obligation, to refer questions to the CJEU for an authentic interpretation of EU law. If the national law is not in line with EU law, even if it is the constitution or a decision of the national constitutional court, the referring court must not apply that piece of national law.

While the EU’s political actors are sometimes criticised for not doing enough to protect and restore the rule of law, the CJEU is generally seen as the ‘last soldier standing’. In 2018, it delivered a highly significant judgement in which it held that a specific provision of the TEU, namely the obligation for member states to establish a judicial system providing effective remedies in the fields covered by EU law, is a concrete expression of Article 2 TEU, more precisely, the rule of law.

This created a bridge for the application of Article 2 TEU, which has been described in the literature as ‘mutual amplification’: while the specific provision in the Treaties defines the substance of the obligation, Article 2 justifies its scope of application.

This judgement was indeed a huge step in the history of judicial enforcement of the rule of law, and it opened the way to several subsequent rulings, in particular with regard to the judicial system in Poland. In 2022, the CJEU adopted two more judgements in which it essentially embraced the concept of ‘mutual amplification’. Very importantly, it added that secondary EU law could be adopted to enforce Article 2 TEU values, such as the rule of law, if a legal basis was provided.

On top of this, the Commission has initiated an infringement procedure against Hungary regarding the aforementioned anti-LGBTQI law, citing the violation of Article 2 TEU on its own. With this, the Commission followed up on a long discussion in academia. If the CJEU accepts this interpretation, it can be a game changer, as it would mean that Article 2 TEU can be invoked against any national measure, without the need for further EU law to be involved.

What next?

The EU has often been criticized for not doing enough to protect the rule of law. Here, one may consider that the EU is not a full-fledged federation and its institutional structure has its limits. Moreover, the EU institutions have different interests to reconcile: the Council representing the member states, the Commission the EU, the European Parliament the peoples.

From a political or sociological perspective, it is fair to say that constitutionalisation – the absolute respect of common values such as the rule of law by all stakeholders – has not reached a level where it overrides all other concerns.

The CJEU cannot change the world on its own

As for the legal part of the picture, two observations can be made. First, the current treaties already provide the EU institutions with quite substantive powers to tackle the rule of law crisis. An institutional reform could help to overcome existing problems, but is definitely not the only solution.

Second, due to the lack of activity of the EU’s political bodies, the CJEU has become the driving force in the field of rule of law protection. However, on its own, it cannot – entirely – change the world. The case-law of the CJEU could lead to a point where Article 2 TEU would be considered as a self-standing provision and a member state could be sued for any national measures that violate the EU rule of law. In essence, this would turn the CJEU into a federal constitutional court.

There are arguments claiming that even if this happens, it should only be used in exceptional cases, for example when the essence of the fundamental rights is breached. While this sounds acceptable and workable in practice, there are no legal guarantees in the treaties that this would be the way to go. Having said that, the CJEU works on the basis of petitions and as such, as a safeguard for the member states, a careful assessment should be made by the stakeholders (the Commission and other member states) before such procedures are initiated.

A choice of three paths

In conclusion, there are three plus one paths that the EU might take from here with regard to the rule of law.

  • In the first scenario, the European nations convince their leaders to take a firmer stance on the rule of law in the European institutions and to fully use the EU’s means to support the CJEU within the current legal framework.
  • In the second, less likely scenario, there are going to be treaty changes, supported by all the European peoples, leading probably to a more federal EU, possibly with different tracks (the multi-speed idea).
  • Thirdly, if the European nations cannot agree on a common direction, or the mindsets of the political actors do not change, it may be necessary to adjust expectations of the EU accordingly. In this case, the rule of law crisis may endure.

The plus one option lies within the concerned member states themselves. Their citizens could demand that national authorities comply with the EU rule of law standards to which they have freely and voluntarily joined.


László Detre is a legal officer at the Hungarian Helsinki Committee and academic advisor of the re:constitution programme at Forum Transregionale Studien (Berlin).

This contribution is part of the thematic forum “Supranational governance between diplomacy and democracy – current debates on EU reform”, published in cooperation with the online magazine Regierungsforschung.de.


Pictures: European Court of Justice: Luxofluxo, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons; Portrait László Detre: Joanna Scheffel [all rights reserved]; EU flag: Arno Mikkor (EU2017EE) [CC BY 2.0], via Flickr.

27 März 2023

EU to go: Inflation Reduction Act – Klimawumms oder Kampfansage?

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur aktuellen Europapolitik. Einmal im Monat analysiert Moderatorin Thu Nguyen zusammen mit Gästen ein aktuelles Thema. In 20 bis 30 Minuten erklären die Policy Fellows und Forscher:innen Zusammenhänge und stellen Lösungsansätze vor.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Auf den ersten Blick klingt der neue Plan der USA, massiv in grüne Technologien zu investieren und den Klimaschutz anzuschieben, nach einer sehr guten Idee. In der EU hat er aber auch die Sorge befeuert, industriepolitisch den Anschluss zu verlieren. Eine schlüssige Antwort darauf, wie man das verhindern möchte, bleibt die EU bisher schuldig. Viel Panik also, aber wenig Politik?

In dieser Folge diskutiert Thu Nguyen mit Nils Redeker und Jannik Jansen, warum es der EU so schwer fällt, eine europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act zu finden, wie viel grüne Industriepolitik Europa braucht und wie man sie richtig macht.

21 März 2023

More democracy with more majority decisions: Why the abolition of national veto rights increases the legitimacy of the EU

By Julian Plottka
Meeting of the European Council
“When national vetoes lead to deadlock, the EU can no longer respond to citizens’ concerns.”

The question of the European Union’s ability to act has been at the centre of its reform debate not only since Ukraine and Moldova were given the prospect of EU candidacy in 2022. How can a “geopolitical Europe” and the necessary internal transformation be achieved in an EU with 27 or more member states and growing decision-making complexity?

For a long time, flexible or differentiated integration was considered the method of choice to further develop a Union which not all member states want to deepen. Minilateralisation of European policy initiatives has also been considered. Since the Conference on the Future of Europe, however, increased attention has been paid to the transition to qualified majority voting, i. e. the renunciation of member states’ veto rights.

Trade-off between democracy and efficiency?

This transition to majority decisions in the EU Council is often discussed as a trade-off between democracy and efficiency of European politics. The intergovernmental, second pillar of the EU’s democratic legitimacy is considered the stronger one, since the national veto ensures that decisions that are made democratically at the national level can be asserted.

Meanwhile, the transition to majority decisions is considered efficient in two ways: on the one hand, because it can be introduced through the passerelle clause without a major treaty reform; on the other hand, because the shadow of a majority decision makes it much easier to find compromises in the Council. Decisions do not always have to be the lowest common denominator if states with divergent positions run the risk of being outvoted. From this point of view, thus, abolishing veto rights means that more efficiency is achieved at the cost of weakening the democratic legitimacy of the EU.

However, this perspective overlooks to which extent majority decisions can also strengthen the democratic legitimacy of the EU. In this regard, four arguments come to mind: First, majority decisions strengthen the output legitimacy of the EU. Second, majority voting curbs the EU’s “other democratic deficit” caused caused by defects in political systems at the national level. Third, majority voting makes the Council more transparent. Fourth, the idea that the veto can effectively be used to assert national interests is a self-deception of small and medium-sized member states. In the following, these four arguments are analysed more closely.

1. A political system that is incapable to act cannot be responsive

The thesis of a substantial democratic deficit of the EU is based on the core assumption that the EU’s political system cannot be democratised because the EU lacks a demos, i. e. a constitutive people. According to this thesis, demoi only exist at the national level, which is why – also in the view of the German Constitutional Court – national parliaments continue to be the main source of democratic legitimacy for European politics. Every transfer of competences to the EU increases the democratic deficit because decision-making rights of national political institutions are replaced by mere participatory rights at the European level. From this point of view, the national veto is something like an emergency brake to prevent decisions that run against the national interest.

This perspective, however, is misguided in its formalistic view of the order of competences in the European multi-level system. It is not only the level at which a decision-making power is formally vested that is important, but also whether the level in question is substantially able (in terms of the subsidiarity principle) to exercise that power. A formal decision that has no practical effect may formally have been adopted according to democratic rules. However, it is still not responsive to the voters, because it is unable to meet their needs and concerns.

A deadlocked EU doesn’t meet citizens’ concerns

If the continued existence of national veto rights leads to decision-making blockades at the European level and the EU becomes incapable of acting, this problem of substantive power is shifted to the supranational level. In principle, the EU would be more capable of taking substantive action than its member states. But the very instrument that is supposed to safeguard the rights of national democratic institutions to participate in EU decision making prevents the EU from responding to the concerns of its citizens.

This is particularly evident for foreign, security and defence policy, which is still strongly intergovernmental. The fact that the Russian attack on Ukraine forced the EU to show an unexpected capacity to act is not a proof to the contrary yet, since a political system must also be effective and responsive outside of existential crises.

2. The “other democratic deficit” delegitimises Council decisions

Another premise of the thesis of the EU’s substantial democratic deficit is that all EU member states are functioning democracies. However, autocratisation tendencies that can be observed worldwide have also led to an “authoritarian equilibrium” in the EU, in which authoritarian parties have entered government in several member states.

As measured by the index of the Varieties of Democracy (V-Dem) Institute, Hungary has already been classified as an electoral autocracy and no longer as a democracy since 2018. Other indices classify Hungary as a “defective democracy” or “hybrid regime”. In the 2022 V-Dem Democracy Report, Hungary, Poland and Slovenia are among the states that are autocratising the most rapidly, and in the 2023 report Greece has been ‘relegated’ to this group.

For the 2022 Hungarian parliamentary elections, the OSCE Election Observation Mission concluded that the elections were free but not fair due to a strong bias in favour of the ruling Fidesz party. The government had a clear advantage in the electoral campaigns, campaign financing was not transparent and insufficiently controlled, and election reporting was biased in favour of the government, so that voters were unable to make an informed choice.

Forcing concessions through veto threats

The presence of authoritarian national governments in European institutions is discussed as the EU’s “other democratic deficit”. So far, the debate about it has focused primarily on the causes of authoritarianism and the EU’s inability to resolve national democratic deficits. However, the effects of non-democratically elected governments on the legitimacy of European politics are increasingly concerning, too. A good example for this is the agreement on Regulation 2020/2092 on a general conditionality arrangement to protect the Union’s budget.

The conditionality mechanism was already proposed by the Commission in May 2018 in an ordinary legislative procedure. Even though Hungary and Poland vehemently opposed the mechanism, it could have been adopted by qualified majority. However, in the summer of 2020, the “frugal four” (later five) states insisted on linking the rule of law conditionality to the new multiannual financial framework, which can only be decided unanimously.

This linkage gave Poland and Hungary a chance to use veto threats to force concessions on the conditionality mechanism. As a result, the European Commission delayed the application of the regulation after its entry into force on 1 January 2021 and ended up being sued by the European Parliament for inaction.

Protecting European democracy

In this case, thus, a non-democratically elected government succeeded in using the unanimity requirement to force concessions that were contrary to both the pan-European interest and the national interests of the other member states. From the perspective of European taxpayers, the Hungarian government’s right of veto in the Council of the EU and the European Council represents an unacceptable democratic deficit.

Consequently, the purpose of the Article 7 procedure should be re-evaluated: Suspending the voting rights of an undemocratic member state is not only a punitive measure to force the government in question to reform, but also a necessary protection for the democratic representation of the citizens of all democratic member states. However, since the Article 7 procedure is de facto unavailable (again because of the unanimity requirement), the transition to qualified majority voting is an easier means of protecting democracy at the European level.

3. Secret negotiations contradict democratic standards

The democratic deficit created by the participation of non-democratically elected governments is further exacerbated by the construction of the Council system. To date, the Council of the EU doesn’t work like a second chamber of the European legislature, but rather like a permanent international conference of member states. In the Council’s currently more than 150 preparatory working groups and committees, politically non-responsible officials of the national governments meet in camera. As national diplomats, members of Council working groups and committees are not subject to any obligations under the European Transparency Register, even under the new Inter-institutional Agreement.

This prevents citizens from holding their national governments accountable for decisions taken in the Council. In fact, governments sometimes take different positions in public than in Council negotiations, as has been proven, for example, for the Portuguese government in the debate on the so-called country-by-country reporting by multinational companies.

A lack of accountability and transparency

The decision-making procedures in these bodies therefore do not meet the procedural standards of democratic decision-making processes: The decision makers are not politically accountable in the sense that they are not required to explain the reasons behind their decisions to the public. The decisions are not transparent, as the public learns little or nothing about ongoing negotiations. The decision-making procedures are not open because citizens and stakeholders don’t have access to the decision makers. As a consequence, the processes are also not inclusive, as the limited accessibility to the officials in the Council working groups doesn’t allow for a representative inclusion of different interests.

The main argument used to justify this structure of European decision-making procedures is the need to increase decision-making efficiency. If the officials involved had to account for their decisions on behalf of the national governments, the scope for negotiation would be reduced and compromises would become more difficult.

The problem of the consensus culture

But it is precisely this efficiency problem that would be solved by the introduction and consistent application of qualified majority voting in all areas. The problem is caused by the persistent consensus culture in the Council (which in 2021 even decided by unanimity on 87.6 per cent of all decisions that could have been taken by qualified majority), which puts pressure on governments to agree to compromises in the Council that they publicly oppose.

Beyond a reform of the Council system with its committees and working groups, a consistent application and expansion of qualified majority voting would strengthen the Council’s democratic legitimacy in terms of transparency and accountability.

4. Small states’ self-deception: The veto doesn’t secure influence

One group of member states that is particularly sceptical about the extension of qualified majority voting is the small and medium-sized countries, which see their right of veto as a protection against a feared Franco-German directorate in European politics. As shown in the example of the conditionality mechanism, it is true that the veto can sometimes be used to force compromises.

However, as in most decision-making procedures, the general rule in the Council is that the earlier a country feeds its positions into the process, the better chances its chances to exert influence. By contrast, the use of veto threats to force compromises at a late stage of the procedure requires considerable political weight and, above all, a credible veto position. The blocking state must be better off in the case of a non-decision than in the case of a decision – otherwise its veto threat will come to nothing.

A political irony

It is doubtful whether these characteristics apply precisely to the small and medium-sized member states. On the contrary, it is rather the large member states that can more likely exert influence at a late stage of the procedure through their political and economic power.

In the face of this, it is ironic how member states have recently been positioning themselves on the transition to qualified majority voting: Germany and France, the member states that can use veto threats most effectively, are in favour of extending qualified majority voting – while the states whose threat potential is lowest are most clearly opposed to reforms.

But perhaps the current foreign policy situation will offer a window of opportunity. At present, the Northern and Central European states are particularly interested in ensuring that neither Germany nor Hungary can block decisions on the Common Foreign and Security Policy. Should this constellation result in momentum for a general expansion of qualified majority voting, this would be a gain not only for the EU’s ability to act, but also for European democracy.


Julian Plottka is a research associate at the University of Passau and at the University of Bonn.

This contribution is part of the thematic forum “Supranational governance between diplomacy and democracy – current debates on EU reform”, published in cooperation with the online magazine Regierungsforschung.de.


Translation: Yannik Uhlenkotte.
Pictures: European Council: Krystian Maj / KPRM [Public Domain], via Flickr; Portrait Julian Plottka: private [all rights reserved]; EU flag: Arno Mikkor (EU2017EE) [CC BY 2.0], via Flickr.

Mehr Demokratie durch mehr Mehrheitsentscheide: Warum die Abschaffung nationaler Vetorechte die Legitimität der EU erhöht

Von Julian Plottka
Meeting of the European Council
„Wenn nationale Vetorechte zu Entscheidungsblockaden führen, kann die EU nicht mehr responsiv gegenüber den Anliegen der Bürger:innen handeln.“

Nicht erst seit die Ukraine und Moldau im Jahr 2022 eine EU-Beitrittsperspektive erhalten haben, steht die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Zentrum ihrer Reformdebatte. Wie lassen sich ein „geopolitisches Europa“ im Äußeren und die notwendige Transformation im Inneren mit 27 oder mehr Mitgliedstaaten und wachsender Entscheidungskomplexität erreichen?

Lange galt eine flexible oder differenzierte Integration als Mittel der Wahl, um eine Union, in der nicht alle Mitgliedstaaten die Vertiefung wollen, fortentwickeln zu können. Auch die Minilateralisierung von europapolitischen Initiativen ist angedacht worden. Spätestens seit der Konferenz zur Zukunft Europas gilt jedoch dem Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen, also dem Verzicht auf ein mitgliedstaatliches Veto, erhöhte Aufmerksamkeit.

Trade-off zwischen Demokratie und Effizienz?

Dabei wird die Frage des Übergangs zu Mehrheitsentscheidungen im Rat der EU oft als ein Trade-off zwischen Demokratie und Effizienz europäischer Politik diskutiert. Die intergouvernementale, zweite Säule der demokratischen Legitimation der EU gilt als die stärkere, da das nationale Veto die Durchsetzung demokratisch getroffener Entscheidungen der nationalen Ebene sichert.

Der Übergang zu Mehrheitsentscheidungen gilt dabei als in doppelter Weise effizient: Einerseits, weil die Einführung mithilfe der Passerelle-Klausel ohne große Vertragsreform möglich ist, und andererseits, weil der Schatten einer Mehrheitsentscheidung die Kompromissfindung im Rat erheblich erleichtert. Entscheidungen müssen nicht immer der kleinste gemeinsame Nenner sein, wenn Staaten mit abweichenden Positionen Gefahr laufen, überstimmt zu werden. Aus dieser Sicht bedeutet die Abschaffung von Vetorechten also mehr Effizienz, die durch eine Schwächung der demokratischen Legitimation der EU erreicht wird.

Unberücksichtigt bleibt in dieser Perspektive jedoch die Frage, ob Mehrheitsentscheidungen nicht auch dazu geeignet sind, die demokratische Legitimation der EU zu stärken. Dazu können vier Argumente dargelegt werden: Erstens, Mehrheitsentscheidungen stärken die Output-Legitimation der EU. Zweitens, Mehrheitsentscheidungen dämmen das „andere Demokratiedefizit“ der EU ein, das durch Defekte der politischen Systeme auf der nationalen Ebene entsteht. Drittens, Mehrheitsentscheidungen machen den Rat der EU transparenter. Viertens, die Wirksamkeit des Vetos zur Durchsetzung nationaler Interessen ist ein Selbstbetrug kleiner und mittlerer Mitgliedstaaten. Die vier Argumente werden im Folgenden im Detail diskutiert und erörtert.

1. Handlungsunfähige Politik kann nicht responsiv sein

Die Kernannahme der These vom substanziellen Demokratiedefizit der EU ist, dass das politische System der EU nicht demokratisierbar sei, weil der EU ein Demos, also ein Staatsvolk fehle. Demoi gebe es nur auf nationaler Ebene, weshalb – so sieht es auch das deutsche Verfassungsgericht – die Hauptquelle der demokratischen Legitimation europäischer Politik weiterhin die nationalen Parlamente seien. Mit jeder Kompetenzübertragung an die EU verschärfe sich das Demokratiedefizit, weil Entscheidungsrechte der nationalen politischen Institutionen durch bloße Mitwirkungsrechte auf europäischer Ebene ersetzt werden. Das nationale Veto ist aus dieser Sicht gewissermaßen die Notbremse, um Entscheidungen gegen nationale Interessen zu verhindern.

Diese Perspektive geht jedoch in ihrer formalistischen Sicht auf die Kompetenzordnung im europäischen Mehrebenensystem fehl. Neben der Frage, welche Ebene formell über eine Entscheidungskompetenz verfügt, stellt sich im Sinne des Subsidiaritätsprinzips immer auch die Frage, ob die jeweilige Ebene diese Kompetenz auch substanziell ausfüllen kann. Eine formelle Entscheidung, die wirkungslos bleibt, mag zwar formell entsprechend demokratischen Spielregeln beschlossen worden sein. Sie ist aber dennoch nicht responsiv gegenüber den Wähler:innen, da deren Anliegen nicht umgesetzt werden können.

Eine blockierte EU hilft den Bürger:innen nicht

Wenn nun der Fortbestand nationaler Vetorechte zu Entscheidungsblockaden auf europäischer Ebene führt und die EU dadurch handlungsunfähig wird, verschiebt sich das Problem der substanziellen Kompetenz auf die supranationale Ebene. Die EU wäre zwar substanziell handlungsfähiger als ihre Mitgliedstaaten, doch das Instrument, das die Mitwirkungsrechte der nationalen demokratischen Institutionen an EU-Entscheidungen sichern sollte, verhindert, dass die EU responsiv gegenüber den Anliegen der Bürger:innen handeln kann.

Dies zeigt sich besonders für die immer noch stark intergouvernemental geprägte Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dass im Angesicht des russischen Angriffs auf die Ukraine unerwartete Handlungsfähigkeit erzwungen wurde, ist noch kein Gegenbeweis, da ein politisches System auch außerhalb existenzieller Krisen handlungsfähig und responsiv sein muss.

2. Das „andere Demokratiedefizit“ delegitimiert Ratsentscheidungen

Der These vom substanziellen Demokratiedefizit der EU liegt weiter die Prämisse zu Grunde, dass alle Mitgliedstaaten der EU funktionierende Demokratien seien. Weltweit zu beobachtende Autokratisierungstendenzen haben aber auch in der EU zu einem „authoritarian equilibrium“ geführt, in dem sich in verschiedenen Mitgliedstaaten autoritäre Parteien an der Regierung halten können.

Gemessen am Index des Instituts Varieties of Democracy (V-Dem) wird Ungarn bereits seit 2018 als elektorale Autokratie und nicht mehr als Demokratie klassifiziert. Andere Indizes stufen Ungarn als „defekte Demokratie“ oder „hybrides Regime“ ein. Im V-Dem Democracy Report 2022 zählen Ungarn, Polen und Slowenien zu den sich am schnellsten autokratisierenden Staaten, im Bericht von 2023 ist Griechenland in diese Gruppe „abgestiegen“.

Für die ungarischen Parlamentswahlen 2022 kommt die Wahlbeobachtermission der OSZE zu dem Ergebnis, dass die Wahlen zwar frei, aber aufgrund eines starken Bias zu Gunsten der regierenden Partei Fidesz nicht fair waren. Die Regierung hatte einen deutlichen Vorteil in den Wahlkampagnen, die Wahlkampffinanzierung war nicht transparent und wurde unzureichend kontrolliert und die Wahlberichterstattung fiel einseitig zu Gunsten der Regierung aus, sodass die Wähler:innen keine informierte Wahlentscheidung haben treffen können.

Zugeständnisse per Vetodrohung

Die Präsenz autoritärer nationaler Regierungen in den europäischen Institutionen wird unter dem Begriff des „anderen Demokratiedefizit der EU“ diskutiert. In der bisherigen Debatte darüber liegt der Fokus primär auf den Ursachen der Autorisierung und der Unfähigkeit der EU, die nationalen Demokratiedefizite zu beheben. In zunehmendem Maße stellt sich jedoch auch die Frage nach den legitimatorischen Folgen, die eine nicht demokratisch gewählte Regierung für die europäische Politik hat. Sie lassen sich besonders gut an der Einigung über die Verordnung 2020/2092 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union zeigen.

Der Konditionalitätsmechanismus wurde von der Kommission bereits im Mai 2018 in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen. Auch wenn Ungarn und Polenvehement gegen den Mechanismus opponierten, hätte dieser mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden können. Allerdings drangen die „sparsamen vier“ (bzw. später fünf) Staaten im Sommer 2020 darauf, die Rechtsstaatskonditionalität mit dem neuen mehrjährigen Finanzrahmen zu verbinden, der nur einstimmig beschlossen werden kann.

Durch diese Verknüpfung bekamen Polen und Ungarn eine Chance, mithilfe von Vetodrohungen Zugeständnisse beim Konditionalitätsmechanismus zu erzwingen. In der Folge verzögerte die Europäische Kommission nach dem Inkrafttreten der Verordnung am 1. Januar 2021 deren Anwendung und wurde vom Europäischen Parlament wegen Untätigkeit verklagt.

Europäische Demokratie schützen

Im dem geschilderten Fall ist es also einer nicht demokratisch gewählten Regierung gelungen, mithilfe des Einstimmigkeitserfordernisses Zugeständnisse zu erzwingen, die sowohl dem gesamteuropäischen Interesse als auch den nationalen Interessen der anderen Mitgliedstaaten entgegenliefen. Aus Perspektive der europäischen Steuerzahler:innen stellt das Vetorecht der ungarischen Regierung im Rat der EU und im Europäischen Rat ein nicht hinnehmbares Demokratiedefizit dar.

Hier wäre die Bedeutung des Artikel-7-Verfahrens neu zu bewerten: Die Aussetzung der Stimmrechte eines undemokratischen Mitgliedstaates ist nicht nur eine Strafmaßnahme, um die betreffende Regierung zu Reformen zu zwingen, sondern auch eine gebotene Schutzmaßnahme für die demokratische Repräsentation der Bürger:innen aller demokratischen Mitgliedstaaten. Da jedoch das Artikel-7-Verfahren (wiederum durch das Einstimmigkeitserfordernis) de facto nicht zur Verfügung steht, stellt der Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen das leichtere Mittel zum Schutz der Demokratie auf europäischer Ebene dar.

3. Geheimverhandlungen widersprechen demokratischen Standards

Das Demokratiedefizit, das durch die Beteiligung nicht demokratisch gewählter Regierungen entsteht, wird durch die Konstruktion des Ratssystems weiter verschärft. Bis heute arbeitet der Rat der EU nicht wie eine zweite Kammer der europäischen Legislative, sondern eher wie eine ständige internationale Konferenz der Mitgliedstaaten. In den aktuell mehr als 150 vorbereitenden Arbeitsgruppen und Ausschüssen des Rates tagen politisch nicht verantwortliche Beamt:innen der nationalen Regierungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als nationale Diplomat:innen unterliegen die Mitglieder der Ratsarbeitsgruppen und -ausschüsse auch unter dem neuen Interinstitutionellen Abkommen keinen Pflichten im Rahmen des europäischen Transparenzregisters.

Dies verhindert, dass Bürger:innen ihre nationalen Regierungen für Entscheidungen im Rat zur Verantwortung ziehen können. Tatsächlich nehmen Regierungen öffentlich zuweilen andere Positionen ein als in den Ratsverhandlungen, wie beispielsweise in der Debatte über das sogenannte Country-by-country-Reporting multinationaler Unternehmen für die portugiesische Regierung nachgewiesen wurde.

Es fehlt an Verantwortung und Transparenz

Die Entscheidungsverfahren in diesen Gremien entsprechen deshalb nicht den Verfahrensstandards demokratischer Entscheidungsprozesse: Die Entscheidungstragenden sind in dem Sinne nicht politisch verantwortlich, dass sie der Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft über die Gründe ihrer Entscheidungen ablegen müssen. Die Entscheidungen sind nicht transparent, da die Öffentlichkeit wenig bis gar nichts über die laufenden Verhandlungen erfährt. Die Entscheidungsverfahren sind nicht offen in dem Sinne, dass Bürger:innen und Stakeholder Zugang zu den Entscheidungstragenden haben. In der Folge sind die Prozesse auch nicht inklusiv, da die beschränkte Zugänglichkeit zu den Beamt:innen in den Ratsarbeitsgruppen keine repräsentative Einbeziehung unterschiedlicher Interessen erlaubt.

Das zentrale Argument, mit dem diese Struktur europäischer Entscheidungsprozesse gerechtfertigt wird, ist die Erhöhung der Entscheidungseffizienz. Müssten die beteiligten Beamt:innen im Namen der nationalen Regierungen Rechenschaft über ihre Entscheidungen ablegen, würden sich die Verhandlungsspielräume einengen und Kompromisse erschwert.

Konsenskultur als Problem

Genau dieses Problem würde jedoch durch die Einführung und konsequente Anwendung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in allen Bereichen gelöst. Erst die Fortführung der Konsenskultur im Rat – der im Jahr 2021 87,6 Prozent aller Entscheidungen, für die die qualifizierte Mehrheit galt, einstimmig beschloss – erzeugt das Problem, da sie Regierungen unter Druck setzt, sich im Rat auf Kompromisse einzulassen, die sie öffentlich ablehnen.

Jenseits einer Reform des Ratssystems mit seinen Ausschüssen und Arbeitsgruppen würde eine konsequente Anwendung und Ausweitung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen die demokratische Legitimation des Rates im Sinne von Transparenz und Rechenschaftspflicht stärken.

4. Selbstbetrug der kleinen Staaten: Das Veto sichert keinen Einfluss

Besonders skeptisch stehen der Ausweitung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen die kleineren und mittleren Mitgliedstaaten gegenüber, die ihr Vetorecht als Schutz gegen ein befürchtetes deutsch-französisches Direktorium in der Europapolitik betrachten. Tatsächlich können, wie zuvor für das Beispiel des Konditionalitätsmechanismus gezeigt, im Einzelfall mithilfe des Vetos Kompromisse erzwungen werden.

Grundsätzlich gilt jedoch auch im Rat, wie für die meisten Entscheidungsverfahren: Je früher eine Position in das Entscheidungsverfahren eingespeist wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit der Einflussnahme. In einem späten Verfahrensstadium mittels Vetodrohung Kompromisse zu erzwingen, bedarf dagegen erheblichen politischen Gewichts und vor allem einer glaubhaften Vetoposition. Der blockierende Staat muss bei einer Nichtentscheidung gegenüber einem Beschluss bessergestellt sein – andernfalls läuft eine Vetodrohung ins Leere.

Ein politischer Treppenwitz

Ob jedoch gerade die kleineren und mittleren Mitgliedstaaten diese Bedingungen erfüllen, ist zu bezweifeln. Im Gegenteil sind es eher die großen Mitgliedstaaten, die über politische und wirtschaftliche Macht mit höherer Wahrscheinlichkeit auch in einem späteren Stadium noch Einfluss nehmen könnten.

Angesichts dessen scheint sich in der Frage des Übergangs zur qualifizierten Mehrheitsentscheidung auf europäischer Ebene ein Treppenwitz anzubahnen: Mit Deutschland und Frankreich sind ausgerechnet die Mitgliedstaaten, die Vetodrohungen am effektivsten einsetzen können, für eine Ausweitung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen, während sich die Staaten, deren Drohpotenzial am geringsten ist, am deutlichsten gegen Reformen aussprechen.

Vielleicht bietet jedoch die aktuelle außenpolitische Lage ein Möglichkeitsfenster: Insbesondere den zentral- und nordeuropäischen Staaten dürfte aktuell daran gelegen sein, dass weder Deutschland noch Ungarn Entscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik blockieren können. Sollte sich aus dieser Konstellation ein Momentum für eine allgemeine Ausweitung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen ergeben, wäre das nicht nur für die Handlungsfähigkeit der EU, sondern auch für die europäische Demokratie ein Gewinn.

Julian Plottka ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Passau und an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts „Überstaatliches Regieren zwischen Diplomatie und Demokratie – aktuelle Debatten um die Reform der EU“, der in Zusammenarbeit mit dem Online-Magazin Regierungsforschung.de erscheint.


Bild: Europäischer Rat: Krystian Maj / KPRM [Public Domain], via Flickr; Porträt Julian Plottka: privat [alle Rechte vorbehalten]; Europaflagge: Arno Mikkor (EU2017EE) [CC BY 2.0], via Flickr.

16 März 2023

Der stotternde deutsche EU-Koordinierungsmotor: Was uns der Vertrauensverlust in die deutsche Europapolitik rund um die E-Fuels-Debatte lehrt

Von Bernd Hüttemann
Grafik: Schaubild der Europakoordinierung der deutschen Bundesregierung.
„Da es an politisch-strategischer Vogelperspektive fehlt, fehlt es auch an sichtbaren Pfaden der verantworteten Entscheidung.“

Nein, E-Fuel ist nicht Glyphosat. Volker Wissing ist auch nicht Christian Schmidt. Aber beide trugen bzw. tragen dazu bei, dass Deutschland in unterschiedlichen Gesetzgebungsverfahren ein verheerend uneinheitliches Bild bei den europäischen Partnern abgibt – wissend oder unwissend, gewollt oder ungewollt. Beide entschieden als Fachminister im Rat der EU, welche Position Deutschland im EU-Gesetzgebungsverfahren, obwohl eine Mehrheit sowohl in der Bundesregierung als auch in der EU anders aussah. Aber das Problem sind nicht so sehr einzelne Minister oder durchaus legitime Partikular- oder Parteiinteressen. Es ist ein Fehler im deutschen System, das seit vielen Jahren Alleingänge, Intransparenz und Missgunst ermöglicht, ja verursacht.

Ministerielle Alleingänge

So dreist wie einst Schmidt ist bisher kaum jemand in einer deutschen Bundesregierung vorgegangen. Als der ehemalige CSU-Landwirtschaftsminister 2017 in Brüssel für die Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat stimmte, geschah das ohne die Koalitionspartnerin SPD, ohne Weisung des CDU-geführten Wirtschaftsministeriums und augenscheinlich auch ohne Wissen der Kanzlerin. Schlimmer noch, sein wirkmächtiges Handeln in Brüssel war möglich, obwohl es gegen die Geschäftsordnung und Weisungslage der Regierung geschah. Konsequenzen gab es für den Minister nicht, der schlicht zuließ, dass sein Ministerium im Alleingang für ganz Deutschland handelte und ein europäisches Gesetz entscheidend beeinflusste.

Der nun aktuell sehr diskutierte vorläufige Stopp der längst beschlossen geglaubten EU-Gesetzgebung zum Verbrenner-Aus ab 2035 ist in der machiavellistischen Ruchlosigkeit weit weniger brisant als Schmidts Glyphosat-Coup. Aber es sind systemische Parallelen vorhanden. Denn eine antiquierte deutsche Europakoordinierung macht bis heute Handeln möglich, das die Glaubwürdigkeit der deutschen Europapolitik untergräbt.

Brüsseler Entscheidungen folgen nicht Berliner Wahrnehmungslogik

Um es deutlich zu machen: Die Positionierung des deutschen Verkehrsressorts in dieser (freilich für viele wichtigen) Detailfrage in einem großen und bedeutenden Klimapaket war längst bekannt. Allerdings funktionieren Brüsseler Entscheidungsprozesse anders als die Berliner Wahrnehmungslogik. Während in der deutschen Hauptstadtpresse über parteipolitische Einzelpositionen gerne berichtet wird, bleiben die Triloge zwischen Kommission, Parlament und Rat unter dem medialen Radar.

Kaum bekannt ist in der deutschen Öffentlichkeit deshalb der allgemein in Brüssel übliche Mechanismus, im Lauf der Verhandlungen durch Kompromisse „A-Punkte“ zu setzen, die in den weiteren Abstimmungen lediglich formell abgesegnet werden. Dass Deutschland eine solche Einigung im letzten Moment in Frage stellt, um zusätzliche Zugeständnisse zu fordern, ist eine Praxis, die man sonst eher Ungarn zutrauen würde. Hier liegt der aktuelle Grund für Unmut anderer Mitgliedstaaten, die zunehmend von einem „Vertrauensbruch“ der deutschen Europapolitik sprechen.

„German Vote“

Grundsätzlich werden Entscheidungen im Rat der EU nicht erst in der finalen Abstimmung getroffen, sondern zuvor in langen Verhandlungen mit vielen Teilentscheidungen vorbereitet. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Ständige Vertretung (vulgo „EU-Botschaft“) der Bundesrepublik in Brüssel. Die Ständige Vertretung entscheidet aber natürlich nicht allein, sondern ist auf schnelle Weisungen aus Berlin angewiesen. Bleibt eine solche Weisung aus, muss sich Deutschland enthalten – was in der Praxis so häufig passiert, dass sich dafür in Brüssel der Ausdruck „German Vote“ eingebürgert hat.

Wie eine Enthaltung auf die Entscheidung wirkt, ist von dem jeweiligen Verfahren im Rat abhängig. Ist Einstimmigkeit verlangt, wirkt die Enthaltung wie Zustimmung. Entscheidet der Rat hingegen mit qualifizierter Mehrheit, ist sie ein verstecktes Nein. Und qualifizierte Mehrheit ist mittlerweile der Standard in wichtigen Entscheidungen, zum Beispiel in der Wirtschafts-, Umwelt- und Verbraucherpolitik.

Dysfunktionale Europakoordinierung

Eine wirksame Koordinierung der nationalen Europapolitik wäre also notwendig, um sich in Brüssel sinnvoll an Entscheidungen zu beteiligen und unbeabsichtigte Enthaltungen oder ministerielle Alleingänge zu vermeiden. Die deutsche EU-Koordinierung ist jedoch bis heute dysfunktional. Wann wie welche Diskussionen zwischen dem Kanzleramt, den Ministerien, der Ständigen Vertretung, den vielen Staatskanzleien und dem Kommissions-Hauptgebäude Berlaymont stattfinden, dürfte bis heute selbst gut ausgestattetes Team von investigativen Journalist:innen überfordern. Da es an politisch-strategischer Vogelperspektive fehlt, fehlt es auch an sichtbaren Pfaden der verantworteten Entscheidung.

Tatsächlich ist die Verwirrung in der deutschen Europakoordinierung so groß, dass sich kaum jemand an das Thema wagt. Wissenschaftliche Forschungsarbeiten oder gar -projekte fehlen weitgehend oder sind noch immer auf dem Stand der Zeit vor dem Vertrag von Lissabon 2009. Ebenso behandeln Thinktanks und Forschungsinstitute die Europakoordinierung kaum.

Wirtschaftsministerium, Auswärtiges Amt …

Klar ist: Die deutsche Europakoordinierung ist schubweise und ohne Masterplan entstanden. In den Anfängen der europäischen Einigung waren zwei Stellen bestimmend: einerseits das Bundeswirtschaftsministerium, andererseits das Bundeskanzleramt bzw. ab 1955 das daraus ausgegründete Auswärtige Amt. Während das Wirtschaftsministerium den Koordinierungsanspruch für Fragen der Binnenmarktintegration beanspruchte, zielte das Auswärtige Amt auf die Koordinierung der weiterreichenden Integrationsziele der Europapolitik ab.

Mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 wurde diese Zweiteilung stärker strukturiert: Bei Themen, die in Brüssel im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) I behandelt werden, werden Weisungen an die Ständige Vertretung vom Wirtschaftsministerium erteilt. Dazu gehören der Binnenmarkt und davon beeinflusste Bereiche, zum Beispiel Verbraucherschutz, Verkehr, Energie, Umwelt oder Bildung. Themen des AStV II unterliegen hingegen im Wesentlichen der Weisung des Auswärtigen Amts. Der AStV II behandelt Allgemeine und Auswärtige Angelegenheiten, aber auch Wirtschaft und Finanzen (inklusive EU-Haushalt), Justiz und Inneres. Beide Häuser doppeln sich durch thematische Spiegelreferate.

… Finanzministerium, Kanzleramt

Hinzu kommt das Bundesfinanzministerium, das seit den Zeiten Oskar Lafontaines dem Koordinierungsanspruch von Auswärtigem Amt und Wirtschaftsministerium nacheifert und ebenfalls eine große Europaabteilung aufgebaut hat. Im Bereich Wirtschaft und Finanzen erteilt das Finanzministerium seine Weisungen heute direkt an die Ständige Vertretung.

Das Kanzleramt wiederum ist grundsätzlich natürlich einer der mächtigsten Akteure innerhalb der Bundesregierung – schon allein aufgrund der Richtlinienkompetenz in Art. 65 GG. In der europapolitischen Koordinierung hat es jedoch (anders als viele glauben) keine formelle weisende Rolle. Entscheidend in der Eskalationshierarchie der Ministerien sind die drei weisenden Ministerien, denen die unterschiedlichen weiteren Fachressorts nachgeordnet sind.

Die Ampel gelobt vergeblich Besserung

Bis heute hat sich an dieser barocken Entscheidungsstruktur nichts geändert. Die Ampelkoalition hat zwar im Koalitionsvertrag Besserung gelobt. In der Realität sind die Probleme aber noch größer geworden – sei es, weil es erstmals eine echte Dreierkoalition auf Bundesebene gibt, sei es, weil die EU-Gesetzgebung nicht nur im Klimaschutz enorm komplexe ressortübergreifende Fragen aufwirft, die zu Konflikten zwischen den verschiedenen Fachministerien führen können.

Die letzte Fachinstanz der europapolitischen Koordinierung bilden relativ unbemerkt vier (übrigens derzeit allesamt männliche) beamtete Staatssekretäre aus Auswärtigem Amt, Wirtschafts- und Finanzministerium sowie Kanzleramt. Eine (partei-)politische koordinierende Verantwortung gibt es nicht. Scheitert eine Einigung, ist politisch wie schon zu Christian Schmidts Zeiten keine Minister:in und keine Kanzler:in verantwortlich, mit großer Auswirkung für unsere Demokratie.

Auf Fachebene werden klare politische Vorgaben gewünscht

Auf Fachebene der Ministerien ist das Bemühen um eine „stringentere Koordinierung“ laut Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung durchaus gegeben. Dies zeigte Ende Januar eine Tagung von Table.Media, bei der sich bemerkenswerterweise alle koordinierenden Abteilungen plus Kanzleramt einem Fachpublikum aus Diplomatie, Interessengruppen und Medien stellten. Einzelerfolge wurden benannt, aber zwischen den Zeilen wurde klar, dass man froh sei, wenn man überhaupt eine Positionierung erlangen könne. Von strategischer Ausrichtung oder gar Networking bei Interessenträger:innen (alles professionelles Handwerk im politischen und lobbyistischen Geschäft) wurde wenig gesprochen. Sehr wohl sprach man davon, dass man klare Vorgaben aus der Politik brauche, um koordinieren zu können.

Wie sehr die Berliner Europakoordinierung politisch ist und in der Realität gerade auf dieser Ebene ins Leere läuft, zeigte schon Anfang Januar der deutsche Ständige Vertreter bei der EU auf. In einem ungewöhnlichen internen Drahtbericht aus Brüssel mahnte er an, dass Berlin endlich „frühzeitig koordinieren, positionieren und mitgestalten“ solle. Der wichtigste Mann der Bundesregierung in Brüssel bettelte förmlich nach klaren Weisungen aus Berlin.

Das Schweigen des Kanzleramts

Aber warum scheitert die deutsche Europakoordinierung auf politischer Ebene so oft? Eine zentrale Rolle spielt hier das Schweigen des Kanzleramts. Dem Vernehmen nach waren etwa bei der Erstellung der „Prager Rede“ des Kanzlers weder andere Häuser noch die Ampelfraktionen eingebunden. Umgekehrt werden die drei Europaministerien vordergründig wenig mit Richtlinien aus dem Kanzleramt behelligt.

Selbst wenn das Kanzleramt mehr wollte, es könnte gar nicht. Denn der Kreis seiner Fachbeamt:innen ist relativ klein. Dass das Kanzleramt de facto kaum koordiniert, hat zudem auch verfassungsrechtliche Gründe: Das Ressortprinzip verhindert eine stringentere Führung. Machtpolitisch wiederum verfolgt das Kanzleramt spätestens seit Angela Merkels Zeiten die Strategie, Erfolge deutscher Europapolitik medial für sich zu reklamieren, bei Nichtgelingen von Einflussnahme in Brüssel aber lieber nicht verantwortlich zu sein. Eine strategische Ausrichtung wird so natürlich mehr als erschwert.

Parteipolitisch verliert das Kanzleramt Einfluss

Hinzu kommt in der Ampel-Koalition, dass keines der drei „Europaministerien“ die Parteifarbe des Kanzlers trägt. Angela Merkel hatte noch das Wirtschaftsministerium hinter sich; zudem lag in Brüssel die Kommissionspräsidentschaft in der Hand ihrer Partei, und im Europäischen Parlament war die deutsche CDU/CSU-Gruppe ungleich größer als heute die SPD-Gruppe. Olaf Scholz kann auf all diese Vorteile nicht mehr zurückgreifen.

Die Anschlussfähigkeit und damit die Fähigkeit des Kanzleramtes, seine wenigen Möglichkeiten der Europakoordinierung zu nutzen, nimmt unter diesen parteipolitischen Vorzeichen ab – und zwar nicht erst dann, wenn sich wie in der E-Fuel-Debatte eine kleinere Koalitionspartnerin in der nationalen Medienlandschaft profilieren möchte.

Forderungen der Europäischen Bewegung Deutschland

Deutsche Europakoordinierung ist somit kein technisches Thema, wie es bemühte Beteiligte in der Beamtenschaft, aber auch die Hauptstadtpresse immer wieder gerne betonen. Deutsche Europakoordinierung ist vielmehr Grundvoraussetzung für das Gelingen einer strategischen deutschen Europapolitik.

Deshalb hat die Europäische Bewegung Deutschland anlässlich der Bundestagswahl 2021 von allen potenziellen Koalitionspartnerinnen gefordert, dass es eine Koordinierungsstelle an zentraler Stelle geben muss, die politisch geleitet und verantwortet wird, am besten von einer Bundesminister:in. Hier sollten nicht nur die Ressortinteressen frühzeitig und strategisch gebündelt, sondern auch strategisches Regierungshandeln zum Wohle Deutschlands und Europas ermöglicht und verantwortet werden.

Schnelle mediale Siege auf Kosten der gemeinsamen Linie verhindern

Diese politische Führung muss nicht allein verantwortlich sein für die Inhalte der Politik. Ihre Aufgabe wäre vielmehr, dass sich alle Häuser und Koalitionsparteien rechtzeitig und frühzeitig positionieren und verantwortlich zeigen. Fachministerien, egal welcher Farbe, müssen sich in der Bundesregierung frühzeitig abstimmen, um dann in der europäischen Gesetzgebung Gesamtverantwortung übernehmen zu können.

Den unterschiedlichen Koalitionspartnerinnen, insbesondere der jeweiligen Kanzlerpartei, muss es möglichst schwer gemacht werden, vor ihrer Wählerschaft schnelle mediale Siege auf Kosten der gemeinsamen europapolitischen Linie einzufahren. Die deutsche und europäische Öffentlichkeit muss wissen, wer beim kurzfristigen Ausscheren in Gänze dem grundgesetzlichen Staatsziel eines vereinten Europas schadet.

Porträt Bernd Hüttemann

Bernd Hüttemann lehrt Lobbyismus im Mehrebenensystem der EU an der Universität Passau und ist Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland e.V.



Bilder: Schaubild Europakoordinierung: Europäische Bewegung Deutschland (2021); Porträt Bernd Hüttemann: Mathias Bothor [alle Rechte vorbehalten].