Das neue Verfahren bei der Wahl des UN-Generalsekretärs zeigt: Reformen der Vereinten Nationen sind, trotz allem, möglich. In einer Serie von Gastartikeln antworten hier Vertreterinnen und Vertreter aus Politik,
Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf die Frage: Wenn Sie eines an der Funktionsweise der UN ändern könnten, was wäre es? Heute: Stephen Browne. (Zum Anfang der Serie.)
- „Heute ist mehr denn je eine starke und besonders befähigte Person notwendig, um die UNO zu führen.“
Der Generalsekretär ist der
ranghöchste Diplomat der Welt und nach Artikel 97 der Charta
der „höchste Verwaltungsbeamte“ der UN. Seine einzige Funktion,
die explizit in der Charta beschrieben wird, ist es, „die
Aufmerksamkeit des Sicherheitsrats auf jede Angelegenheit [zu]
lenken, die nach seinem [sic] Dafürhalten geeignet ist, die Wahrung
des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden“
(Art. 99). Eine andere Jobbeschreibung gibt es nicht. Die Fähigkeiten
des Amtsinhabers aber waren niemals wichtiger, sowohl für die
Vereinten Nationen selbst als auch für allgemeine Fragen der
globalen Ordnungspolitik. Man bedenke nur die
Verantwortlichkeiten des Generalsekretärs.
Vision und Führungsstärke
In der Zusammenarbeit mit dem
Sicherheitsrat macht der Generalsekretär nicht nur Vorschläge,
sondern kann auch widerstrebende Regierungen davon überzeugen oder
überreden, Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen müssen
interpretiert und umgesetzt werden. Ihre Umsetzung muss kontrolliert
und in Berichten festgehalten werden.
Neben ihrer Zuständigkeit für
Frieden und Sicherheit überwacht die UNO auch die Einhaltung von
Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, organisiert humanitäre
Hilfe in immer größerem Umfang und umfasst mehr als dreißig
größere Entwicklungsorganisationen, die zehntausende Projekte
durchführen. Der
Generalsekretär kann nicht alle Tätigkeiten des vielfältigen und
weit verzweigten UN-Systems überwachen, aber er ist für die
Ernennung vieler hochrangiger Beamten zuständig, die das tun. Zwei
Mal im Jahr leitet der Generalsekretär Treffen des Chief
Executive Boards, das die wichtigsten von ihm ernannten
Amtsträger sowie die Spitzen der unabhängigeren
UN-Sonderorganisationen umfasst. Diese
Treffen verlangen von
ihm Vision und
Führungsstärke.
Der Generalsekretär ist der
Hauptkommunikator der Werte und Normen der UN sowie der unmittelbare
Chef eines New Yorker Sekretariats mit mehreren tausend Mitarbeitern
aller Nationalitäten, und damit im Alltag ein Manager von Menschen
und Verwaltungssystemen.
Wachsende Herausforderungen
In diesem breiten Spektrum von
Verantwortlichkeiten wachsen derzeit die Herausforderungen an die UN.
Einige der größten
Konflikte der Welt sind ungelöst. Menschenrechte,
besonders Frauenrechte, werden vielerorts gebrochen. Die UN haben
Mühe, mit immer wieder
auftretenden
humanitären Katastrophen Schritt zu halten. Und
ihre Entwicklungsaktivitäten im sozialen, wirtschaftlichen und
ökologischen Bereich werden zunehmen marginalisiert, verstreut und
durch Doppelstrukturen
geschwächt. In
mehreren globalen Umfragen,
die das Projekt FutureUN (FUNDS) durchgeführt hat, wurden große
Teile der UN als wenig relevant und ineffizient eingeschätzt. Ihre
Managementsysteme beschrieb ein früherer Beigeordneter
Generalsekretär im März in der New
York Times als „zum
Verrücktwerden komplex […], unfähig, das gewünschte Ergebnis zu
erzielen“.
Die UN sind eine Organisation,
die von souveränen Staaten regiert wird, deren Agenten die
Sekretariate sind. Ein
solch umständliches kollektives Regieren erlaubt weder wendige
Aktionen noch begünstigt es radikale Reformen. Im Lauf der über 70
Jahre, die die UN existieren, gab es jedoch immer wieder Zeiten und
Gelegenheiten für Änderungen zum Besseren, die von
reformorientierten und visionären UN-Chefs orchestriert wurden. Eine
neue solche Gelegenheit nähert sich mit der Ernennung des nächsten
Generalsekretärs, der 2017 eine frühe „Flitterwochen“-Periode
haben wird, in der er Maßnahmen ergreifen und Reformen voranbringen
kann, um den großen Herausforderungen der UN entgegenzutreten.
Die wichtigste Reform betrifft die Wahl des Generalsekretärs
Ob der nächste Amtsinhaber
diese Gelegenheit nutzt, wird entscheidend von den Fähigkeiten
dieser Person abhängen. Die wichtigste unmittelbare Reform, die die
UN brauchen, betrifft deshalb den Prozess, mit dem der nächste
Generalsekretär ausgewählt wird – eine Verantwortung, die beim
Sicherheitsrat liegt.
Bis jetzt wurde diese Aufgabe
im Wesentlichen von den fünf ständigen Mitgliedern ausgeübt, von
denen jedes ein Veto gegen jeden Kandidaten einlegen kann, den es
nicht unterstützt. Dieses Verfahren bringt die Gefahr, dass nicht
der stärkste, sondern der schwächste und nachgiebigste Kandidat
gewählt wird. Heute
ist aber mehr
denn je eine starke und besonders befähigte Person notwendig, um die
UNO zu führen, wenn sie nicht weiter zurückfallen soll.
Ein offener und
transparenterer Prozess
Es gibt deshalb diesmal ein
größeres Interesse an einem offenen und transparenteren Prozess.
Traditionell gab es unter den Kandidaten eine regionale Rotation,
nach der diesmal Osteuropa an der Reihe wäre. In einem gemeinsamen
Brief forderten die Präsidenten des Sicherheitsrats und der
Generalversammlung im Dezember 2015 jedoch Regierungen aus allen
Regionen auf, Nominierungen vorzubringen.
Bisher hat der Sicherheitsrat
der Generalversammlung zudem stets nur einen einzelnen Kandidaten
vorgeschlagen, die diesen immer akzeptiert hat. Diesmal hat
die Generalversammlung alle nominierten Kandidaten zu Anhörungen
eingeladen, so dass ihre Sichtweisen gehört und ihre Erfahrungen und
Visionen geprüft werden können.
Zudem werden mehrere
zivilgesellschaftliche Anhörungen organisiert, auch durch das
FutureUN-Projekt in New York und London. Die Lebensläufe der
nominierten Kandidaten werden online
publiziert, damit die Öffentlichkeit sie einsehen kann. Nach
acht männlichen Generalsekretären werden nun aktiv weibliche
Kandidatinnen zur Bewerbung aufgefordert.
Ein
neuer Geist der Kühnheit und Originalität
Dies sind wichtige und
willkommene Änderungen, aber es muss sich erst noch zeigen, ob sie
genügen werden, um ein strikt meritokratisches Verfahren zu
garantieren, das zur Ernennung eines hochkarätigen Generalsekretärs
führt. Notwendig wird
dafür auch ein neuer Geist der Kühnheit und Originalität sein, den
alle Regierungen bei der Nominierung der Kandidaten und die fünf
ständigen Sicherheitsratsmitglieder bei ihrem Einfluss auf die Wahl
zeigen müssen.
In einer vor
kurzem durchgeführten FutureUN-Umfrage unter Experten und
UN-Beobachtern wurden die Befragten gebeten, den Namen ihres
bevorzugten Kandidaten zu nennen. Der am häufigsten genannte Name
war Angela Merkel.
Stephen Browne ist
Mitglied des Ralph Bunche Institute for International Studies an der
City University von New York und Direktor des Projekts „Future of the
United Nations Development System“.
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Wenn Sie eines an den Vereinten Nationen ändern könnten, was wäre es?
1: Serienauftakt [DE / EN]
2: Ein neues Wahlverfahren für den UN-Generalsekretär [DE / EN] ● Stephen Browne
3: Das Sekretariat der Vereinten Nationen: Unabhängig, effizient, kompetent? [DE / EN] ● Franz Baumann
4: Die Bürger in den Mittelpunkt: Die Vereinten Nationen brauchen eine Grunderneuerung für das 21. Jahrhundert [DE / EN] ● Dhananjayan Sriskandarajah
5: Weichenstellung für die Vereinten Nationen: Wie kann der Sicherheitsrat reformiert werden? [DE] ● Sven Gareis
6: Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament [DE / EN] ● Andreas Bummel
7: Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat [DE / EN] ● Jakkie Cilliers und Nicole Fritz
1: Serienauftakt [DE / EN]
2: Ein neues Wahlverfahren für den UN-Generalsekretär [DE / EN] ● Stephen Browne
3: Das Sekretariat der Vereinten Nationen: Unabhängig, effizient, kompetent? [DE / EN] ● Franz Baumann
4: Die Bürger in den Mittelpunkt: Die Vereinten Nationen brauchen eine Grunderneuerung für das 21. Jahrhundert [DE / EN] ● Dhananjayan Sriskandarajah
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6: Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament [DE / EN] ● Andreas Bummel
7: Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat [DE / EN] ● Jakkie Cilliers und Nicole Fritz
Übersetzung aus dem Englischen: Manuel Müller.
Bilder: UN Photo/Marco Castro [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; Stephen Browne.