09 März 2016

Nächster UN-Generalsekretär: Der Wahlkampf hat begonnen

Die Wahl des UN-Generalsekretärs kann transparenter werden. Aber nur, wenn wir auch hinsehen.
Hillary Clinton und Irina Bokova haben einiges gemeinsam: Beide kandidieren dieses Jahr für eines der einflussreichsten Ämter in der Weltpolitik, beide wären die erste Frau auf diesem Posten, beide gelten als Favoritin. In einem jedoch unterscheiden sie sich: Die frühere Außenministerin der USA ist mit ihrer Präsidentschaftskandidatur weltweit in den Schlagzeilen. Die Generaldirektorin der UNESCO, die UN-Generalsekretärin werden will, dürfte hingegen selbst auf ihrem Heimatkontinent Europa den meisten Zeitungslesern reichlich unbekannt sein.

Ihr selbst muss das nicht viel ausmachen – ein herausragendes öffentliches Profil ist bei Wahlen auf UN-Ebene, wo diplomatische Diskretion regiert, nicht unbedingt zuträglich. Uns Bürgerinnen und Bürgern jedoch könnte unser Desinteresse noch teuer zu stehen kommen. Denn zum einen wird Bokova (oder wer sonst zum UN-Generalsekretär gewählt wird) in den nächsten Jahren auch auf unser Leben einigen Einfluss ausüben. Und zum anderen experimentieren die Vereinten Nationen dieses Jahr zum ersten Mal mit einem neuen Verfahren, das die Wahl des Generalsekretärs geordneter, transparenter und etwas partizipativer machen soll. Doch dieses neue Verfahren hat einige mächtige Gegner. Ob es erfolgreich ist oder nicht, wird deshalb auch davon abhängen, was die Weltöffentlichkeit daraus macht.

Hinterzimmerdeal der Vetomächte

Über die Hintergründe des neuen Verfahrens habe ich auf diesem Blog schon mehrmals geschrieben (vor allem hier und hier). Formal sieht die UN-Charta vor, dass der Sicherheitsrat einen oder mehrere Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs vorschlägt, der dann von der Generalversammlung ernannt wird. Faktisch nominierte der Sicherheitsrat bis jetzt jedoch immer nur einen einzelnen Kandidaten, wodurch das Mitspracherecht der Generalversammlung zur leeren Hülse wurde. Innerhalb des Sicherheitsrats dominieren zudem die fünf Vetomächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, die jeden Kandidaten blockieren können und das auch immer wieder tun, und zwar häufig noch in letzter Minute.

Statt zu einem nachvollziehbaren Austausch über den geeignetsten Kandidaten kommt es deshalb regelmäßig nur zu einem diplomatischen Hinterzimmerdeal zwischen den Großmächten, was weder für die Autorität des Generalsekretärs noch für die legitimen Mitsprachewünsche der übrigen Mitgliedstaaten förderlich ist – und erst recht nicht für das Fernziel einer demokratischen und bürgernahen UNO.

Ein neues, transparenteres Wahlverfahren

Schon seit 2014 setzten sich deshalb die Kampagne 1for7billion sowie der von dem früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan geleitete Thinktank The Elders für Reformen im Wahlverfahren ein. Diese Forderungen wurden von zahlreichen UN-Mitgliedstaaten aufgegriffen, vor allem von der sogenannten ACT-Gruppe sowie der Blockfreien-Bewegung, aber beispielsweise auch von Großbritannien. Widerstand kam dagegen von anderen Großmächten, vor allem Russland, China und den USA.

Im September 2015 verabschiedete die Generalversammlung schließlich eine Resolution (Wortlaut), die für den Ablauf der Wahl in diesem Jahr erstmals ein halbwegs geregeltes Verfahren etablierte. Die Details dazu stellten die Präsidenten der Generalversammlung und des Sicherheitsrats im Dezember in einem gemeinsamen Schreiben vor. Insbesondere forderten sie darin die Mitgliedstaaten auf, schon frühzeitig mögliche Bewerber für das Amt zu präsentieren – eine Einladung, der bislang sieben Regierungen nachgekommen sind.

Öffentliche Anhörungen

Am kommenden 12.-14. April wird es zudem öffentliche Anhörungen mit diesen Kandidaten geben, in denen sie ihre Vision für die Vereinten Nationen darlegen und auf Nachfragen der Mitgliedstaaten antworten sollen. Diese Anhörungen sollen in alle sechs UN-Amtssprachen übersetzt und als Video auf der Internetseite des Präsidenten der Generalversammlung veröffentlicht werden.

Als weitere Geste an die globale Zivilgesellschaft sollen bei den Anhörungen zudem auch einige Fragen gestellt werden, die nicht von den Regierungen stammen, sondern von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Einzelpersonen eingereicht werden können, nämlich über dieses Webformular, per E-Mail oder via Twitter unter dem Hashtag #UNSGcandidates. Eine Übersicht über die bisher formulierten Fragen findet sich hier, weitere können noch bis zum 20. März vorgeschlagen werden. Die Auswahl, welche Fragen den Kandidaten tatsächlich unterbreitet werden, trifft ein Ausschuss, der vom UN-Verbindungsbüro für zivilgesellschaftliche Organisationen (UN-NGLS) ernannt wird.

Geht es nach dem Präsidenten der Generalversammlung, könnten auf diese Anhörungen noch weitere folgen, die bestimmte inhaltliche Schwerpunkte (zum Beispiel Frieden, Entwicklung oder Menschenrechte) zum Thema haben. Und außerhalb des engen UN-Formats plant 1for7billion darüber hinaus noch, die Kandidaten zu eigenen Debatten einzuladen, die dann komplett in der Hand der Zivilgesellschaft statt der Regierungen liegen sollen.

Nicht überall konnten sich die Reformer durchsetzen

Was aber geschieht nach den Anhörungen? Hier wird der Zeitplan des Wahlverfahrens deutlich vager. Klar ist, dass der neue Generalsekretär sein Amt zum 1. Januar 2017 antreten soll. Um ihm genügend Zeit zur Einarbeitung zu geben, plant der Sicherheitsrat jedoch schon deutlich vorher einen Kandidaten vorzuschlagen. Die Beratungen dazu sollen Ende Juli beginnen. Wie lange sie letztlich dauern werden, ist jedoch ungewiss.

Und noch in anderen Aspekten konnten sich die Reformer nicht gegen die russisch-amerikanische Blockade durchsetzen: Wie in der Vergangenheit wird der Sicherheitsrat voraussichtlich auch dieses Jahr nur einen einzigen Kandidaten vorschlagen, sodass die Generalversammlung keine echte Auswahlmöglichkeit hat. Trotz des großen Aufwands um die Anhörungen ist die Teilnahme daran für die Kandidaten zudem keineswegs verpflichtend. Und mehr noch: In dem Schreiben, in dem die Präsidenten der Generalversammlung und des Sicherheitsrats das neue Verfahren vorstellten, heißt es ausdrücklich, der darin enthaltene Zeitplan „sollte andere [Kandidaten] nicht davon abhalten, sich während des gesamten Prozesses bekannt zu machen, wie es ihnen angemessen erscheint“.

Kann ein Überraschungskandidat verhindert werden?

Mit anderen Worten: Trotz aller Bemühungen um mehr Transparenz ist es bis jetzt nicht ausgeschlossen, dass der Sicherheitsrat nach langen Beratungen im Dezember einen Überraschungskandidaten vorschlägt, der weder an den Anhörungen teilgenommen hat noch in anderer Weise der Öffentlichkeit bekannt war. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Vetomächte wie Russland, China oder die USA, die dem neuen Verfahren von Anfang an ablehnend gegenüberstanden, genau darauf spekulieren.

Allerdings gibt es auch verschiedene Akteure, die eine solche Sabotage des neuen Verfahrens verhindern können. Da ist zum einen die britische Regierung, die zu den wichtigsten Fürsprechern der Reform zählte und im Sicherheitsrat ebenfalls ein Vetorecht besitzt. Da ist zum anderen aber auch die Generalversammlung selbst, in der die Reformbefürworter eine Mehrheit haben und ohne deren Bestätigung der neue Generalsekretär sein Amt nicht antreten kann. Im äußersten Fall könnte deshalb ein Überraschungskandidat des Sicherheitsrats, der sich nicht an dem regulären Wahlverfahren beteiligt hat, von der Generalversammlung abgelehnt werden – was zu einem institutionellen Patt führen würde, das es in der Geschichte der UN so noch nicht gegeben hat.

Öffentliche Erwartungen aufbauen

Dass es dazu kommt, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Die diplomatischen Gepflogenheiten verlangen es, dass derartige Konflikte nicht offen ausgetragen, sondern schon im Vorfeld geklärt werden. Dabei geht es wesentlich darum, bestimmte Erwartungshaltungen aufzubauen: Wird das neue Verfahren nur als ein Experiment wahrgenommen, das aber letztlich nichts an den bisherigen Machtverhältnissen in den Vereinten Nationen ändert? Oder ist es in Sachen Transparenz und Partizipation der neue Standard, von dem auch die Regierungen der Großmächte nicht mehr so einfach abweichen können?

Und hier kommen nun wir ins Spiel, die Bürgerinnen und Bürger und die zivilgesellschaftlichen Organisationen, aus denen die globale Öffentlichkeit besteht. Wenn wir uns für das Wahlverfahren des neuen Generalsekretärs interessieren, wenn uns Namen wie der von Irina Bokova in den nächsten Monaten geläufig werden, wenn die Anhörungen der Kandidaten auf ein weltweites Millionenpublikum stoßen: Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch unsere Regierungen im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung das zur Kenntnis nehmen. Wenn wir uns jedoch damit abfinden, dass die UN-Politik allein eine Sache der Großmächte ist, für die wir uns nicht weiter zu interessieren brauchen, dann wird wohl auch dies nicht ohne Folgen bleiben.

Sieben Namen, die wir kennen sollten

Und dies sind sie nun, die sieben Namen, von denen wir gehört haben sollten:

Die Bulgarin Irina Bokova (* 1952, BSP/SPE/SI), seit 2009 UNESCO-Generaldirektorin, gilt aufgrund ihrer langen diplomatischen Erfahrung, ihrer guten Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu Russland, ihrer Sprachfähigkeiten, aber auch ihres Geschlechts und ihrer Herkunft – zahlreiche Länder wollen diesmal eine osteuropäische Frau – als Favoritin für das Amt.

Die Moldauerin Natalia Gherman (* 1969, PLDM/EVP/IDU), bis vor wenigen Wochen nationale Außenministerin, gilt als starke Befürworterin einer Annäherung ihres Landes an die EU und dürfte deshalb Schwierigkeiten haben, die Zustimmung Russlands im Sicherheitsrat zu gewinnen. Andererseits stammen die meisten ihrer Gegenkandidaten aus Ländern, die schon jetzt Mitglied in EU oder NATO sind, was aus russischer Sicht nicht unbedingt besser wäre.

Der Portugiese António Guterres (* 1949, PS/SPE/SI) ist an einschlägiger politischer Erfahrung kaum zu übertreffen: 1995-2002 war er Premierminister seines Landes, 1999-2005 Präsident der Sozialistischen Internationale, 2005-15 Hoher UN-Kommissar für Flüchtlinge. Als männlicher Westeuropäer ist er allerdings nur für solche Regierungen wählbar, die weder auf Regional- noch auf Geschlechterquoten besonderen Wert legen.

Der Mazedonier Srgjan Kerim (* 1948, parteilos) ist der älteste der Kandidaten. 2001 unterzeichnete er als Außenminister ein Assoziierungsabkommen seines Landes mit der EU, war dann UN-Botschafter, 2007-08 Präsident der Generalversammlung und 2008-09 Sondergesandter des UN-Generalsekretärs für den Klimawandel. Derzeit leitet er das mazedonische Medienunternehmen MPM.

Der Montenegriner Igor Lukšić (* 1976, DPS/SPE/SI), der jüngste der Kandidaten, war 2010-12 Ministerpräsident und anschließend Außenminister seines Landes. In diesem Amt suchte er nicht nur die Annäherung an die EU, sondern schloss Ende 2015 auch Beitrittsverhandlungen mit der NATO ab – sehr zum Ärger Russlands, was für seine Kandidatur nicht allzu förderlich sein dürfte.

Die Kroatin Vesna Pusić (* 1953, HNS/ALDE/LI) war bis vor wenigen Wochen Außenministerin ihres Landes. Das Kabinett, dem sie angehörte, wurde inzwischen allerdings abgewählt, und die Nachfolgeregierung hat anscheinend wenig Interesse, ihre Kandidatur weiter zu unterstützen. Auch wenn das für die Wahl kein formales Hindernis ist, werden sich ihre Chancen dadurch deutlich verschlechtern.

Der Slowene Danilo Türk (* 1952, parteilos) war 1992-2000 Beigeordneter UN-Generalsekretär für Politische Angelegenheiten und 2007-12 Präsident seines Landes. Dass ein Schwerpunkt seiner politischen Arbeit im Bereich der Menschenrechte liegt, wird wohl nicht allen Vetomächten gefallen; und auch der weitverbreitete Wunsch nach einer Frau als nächster Generalsekretärin spricht gegen ihn. Trotzdem dürfte er dank seiner einschlägigen Vorerfahrungen und seines globalen Netzwerks Irina Bokovas wichtigster Konkurrent sein.

Die Lebensläufe und offiziellen Bewerbungsdokumente aller Kandidaten sind hier auf der Seite des Präsidenten der UN-Generalversammlung zu finden; weitere werden gegebenenfalls folgen. Der Wahlkampf um das wichtigste Amt der globalen Exekutive hat begonnen. Bleiben Sie dran.

Bild: By UNAMA News [CC BY-NC 2.0], via Flickr.

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