29 Juni 2015

Nationale Demokratie und Währungsunion: Über das Referendum in Griechenland

„Can democracy and a monetary union coexist? Or must one give way? This is the pivotal question that the Eurogroup has decided to answer by placing democracy in the too-hard basket. So far, one hopes.“
Yanis Varoufakis, As it happened, 28. Juni 2015

Ein „anderes Europa“ erhofften sich Tsiprasʼ Unterstützer im Wahlkampf. Doch im Referendum nächsten Sonntag fehlt diese Option auf dem Stimmzettel.
Auf den ersten Blick scheint das Referendum, das die griechische Regierung unter Alexis Tsipras (Syriza/EL) für den kommenden Sonntag angesetzt hat, die einzige demokratisch sinnvolle Lösung zu sein. Nach vielen Jahren vergeblicher Sparpolitik von Pasok (SPE) und ND (EVP) wählte eine erschöpfte und frustrierte griechische Bevölkerung Anfang dieses Jahres die linke Syriza (EL) in die Regierung, deren wichtigstes Versprechen darin bestand, die Bedingungen für die Hilfskredite von EU und Internationalem Währungsfonds neu zu verhandeln. Was folgte, war von der ersten Woche an ein diplomatisches Feiglingsspiel, in dem beide Seiten einander mit immer neuen Manövern unter Druck zu setzen versuchten.

Neuwahl oder Referendum

Jetzt, fünf Monate später, musste die griechische Regierung einsehen, dass sie ihr Ziel nicht würde erreichen können. Sei es, dass sie ungeschickt verhandelt hat, sei es, dass die Kreditgeber von Anfang an am längeren Hebel saßen und sich auf keine grundsätzliche Neuausrichtung des vereinbarten Programms einzulassen bereit waren – klar ist, dass Tsipras sein Wahlversprechen nicht wird halten können. Unter diesen Umständen gibt es nur zwei schlüssige Optionen: Entweder die Regierung tritt zurück und stellt sich erneut dem Votum der Wähler. Oder sie lässt sich den Kurswechsel in einem Referendum bestätigen.

Über beide Möglichkeiten war in den letzten Monaten bereits wiederholt spekuliert worden. Dass es schließlich das Referendum wurde, lässt sich wohl am besten mit der parteiinternen Dynamik der Syriza erklären: Da ihr linker Flügel jeden Kompromiss ablehnt, würde der Versuch, mit einem angepassten Wahlprogramm in eine Neuwahl zu gehen, wohl zu einer Spaltung der Partei führen. Das Referendum, in dem die griechische Regierung offiziell zwar für ein Nein wirbt, den Umfragen zufolge aber das Ja zum Kompromiss recht deutlich gewinnen wird, könnte hingegen ein geeignetes Mittel sein, um auch den linken Flügel für den Positionswechsel zu gewinnen.

Giorgos Papandreou vor Augen

Finanzminister Yanis Varoufakis (Syriza/EL) jedenfalls begründete das Referendum in seiner (von ihm selbst veröffentlichten) Rede vor der Eurogruppe am vergangenen Samstag genau mit dem Argument, dass nur eine Bestätigung durch die Bevölkerung den Beschlüssen die nötige Legitimität verleihen könnte:
If our government were to accept the institutions’ offer today, promising to push it through Parliament tomorrow, we would be defeated in Parliament with the result of a new election being called within a very long month – then, the delay, the uncertainty and the prospects of a successful resolution would be much, much diminished. But even if we managed to pass the institutions’ proposal through Parliament, we would be facing a major problem of ownership and implementation. Put simply, just as in the past the governments that pushed through policies dictated by the institutions could not carry the people with them, we too would fail to do so.
Wenn unsere Regierung das Angebot der Institutionen heute akzeptieren und versprechen würde, dass sie es morgen durch das Parlament drückt, würden wir im Parlament eine Niederlage erleiden, mit der Folge, dass es in einem guten Monat Neuwahlen gäbe – und dann wären die Verzögerung, die Unsicherheit und die Aussichten auf eine erfolgreiche Lösung sehr, sehr vermindert [sic]. Aber auch wenn es uns gelänge, den Vorschlag der Institutionen durch das Parlament zu bringen, hätten wir ein größeres Problem damit, es uns zu eigen zu machen und umzusetzen. Einfach gesagt: So wie in der Vergangenheit die Regierungen, die von den Institutionen diktierte Politiken durchdrückten, das Volk nicht mitnehmen konnten, würden auch wir scheitern.
Bei diesen Worten dürfte Varoufakis wohl besonders einen vor Augen gehabt haben: den früheren griechischen Regierungschef Giorgos Papandreou (Pasok/SPE), der bereits Ende Oktober 2011 eine Volksabstimmung über den von den europäischen Kreditgebern geforderten Sparkurs angekündigt – und dann unter dem Druck der anderen Mitgliedstaaten wieder abgesagt hat. Kurz danach wurde Papandreou abgewählt, seine Partei kommt in Umfragen heute nicht einmal mehr auf fünf Prozent.

Die Eurogruppe trägt Tsiprasʼ Kurs nicht mit

Sind Tsipras und Varoufakis also gerade dabei, alles richtig zu machen? Ist die Grexit-Panik, die die Eurozone gerade durchmacht, nur der Preis dafür, dass nun alles seine demokratische Wende zum Guten nehmen könnte – eine „Krise“ im eigentlichen Sinn des Wortes, also eine kurze Phase enormer Anspannung, an deren Ende aber eine wie auch immer geartete, aber jedenfalls von der griechischen Bevölkerung mit getragene Lösung steht?

Zwei Dinge lassen mich daran zweifeln. Das eine ist die Haltung der übrigen Euro-Mitgliedstaaten, die auf das angekündigte Referendums sehr negativ reagierten und auch den Wunsch der griechischen Regierung ablehnten, das am morgigen Dienstag auslaufende Hilfsprogramm um einige Tage bis nach dem Volksentscheid zu verlängern. Dank der Notfall-Liquiditätshilfen der EZB und der heute verhängten Kapitalverkehrskontrollen bestehen zwar gute Chancen, dass der befürchtete Bankrun, der zum Grexit führen könnte, nicht schon diese Woche stattfindet. Klar ist aber, dass die Eurogruppe das Ziel der griechischen Regierung, am Sonntag eine Entscheidung per Referendum zu erzwingen, nicht mitträgt.

Kein finaler Entwurf für eine Einigung

Dass die letzten Verhandlungen im Eklat endeten, führte auch dazu, dass es keinen finalen Entwurf für eine Einigung zwischen Griechenland und den Geldgebern gibt – sodass gar nicht wirklich feststeht, worüber die Griechen in dem Referendum eigentlich abstimmen. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass die griechische Regierung offiziell ja für ein Nein werben will und natürlich nicht gut ihre Unterschrift unter ein Abkommen setzen kann, das sie der Bevölkerung zur Ablehnung empfiehlt.

Dass Griechenland und die übrigen Länder sich nicht gemeinsam auf einen Text geeinigt haben, den man der griechischen Bevölkerung zur Abstimmung vorlegt, wird aber jedenfalls für weitere Unsicherheit sorgen. Im Sinne der „Transparenz und Unterrichtung des griechischen Volkes“ veröffentlichte die Europäische Kommission am Sonntag immerhin den letzten Verhandlungsstand.

Dijsselbloems Misstrauen

Hinzu kommt, dass Eurogruppen-Präsident Jeroen Dijsselbloem (PvdA/SPE) der griechischen Regierung offenbar auch dann kein Vertrauen mehr schenken will, wenn bei der Abstimmung am Sonntag das Ja gewinnt. Am Samstag äußerte er jedenfalls „große Zweifel, wie glaubwürdig das ist“: Schließlich würden Reformen erfahrungsgemäß nur dann wirklich umgesetzt, wenn die Regierung voll dahinterstehe, was angesichts der Nein-Empfehlung der Tsipras-Regierung offensichtlich nicht der Fall ist.

Dass umgekehrt Tsipras und Varoufakis wiederholt betonten, dass sie sich als „überzeugte Demokraten“ auch bei einem Ja an das Wählervotum gebunden fühlen würden, könnte zuletzt also zu wenig sein, um die Eurogruppe wieder zu konstruktiven Verhandlungen zu bringen. Der ungelöste parteipolitische Gegensatz zwischen der europäischen Großen Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen einerseits und der Europäischen Linken um Alexis Tsipras andererseits war schon in den vergangenen Monaten ein zentrales Verhandlungshindernis. Durch Dijsselbloems Äußerungen dürfte sich in der Syriza-Regierung der Eindruck nun noch verstärken, dass es manchen in der Eurogruppe gar nicht in erster Linie darum geht, das Problem zu lösen, sondern die Linke zu diskreditieren.

Nur die Wahl zwischen schlecht und schlechter

Der zweite Grund, aus dem ich daran zweifle, dass die griechische Volksabstimmung endlich die Wende zum Besseren bringt, ist von grundsätzlicher Art – und tatsächlich habe ich auf diesem Blog darüber bereits vor fast vier Jahren geschrieben, als es noch um das Referendum von Giorgos Papandreou ging.

Einfach ausgedrückt besteht er darin, dass die Griechen am Sonntag nur die Wahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Option haben. Eine Ablehnung der Kreditgeber-Vorschläge würde sich rein destruktiv auswirken: Auch wenn Tsipras derzeit etwas anderes behauptet, wäre die Folge wohl der Austritt aus der Eurozone – was fatale Auswirkungen auf die griechische Wirtschaft hätte, aber auch die europäische Währungsunion selbst politisch schwer beschädigen würde.

Aber auch wenn sich die Griechen mehrheitlich für das Ja entscheiden, wird daraus nicht unbedingt die notwendige soziale Akzeptanz für neue Steuererhöhungen, Sozialkürzungen und Strukturreformen erwachsen. Denn die Vorschläge, über die sie abstimmen, bleiben am Ende eben doch ein von außen, nämlich von den Kreditgebern auferlegtes Programm. Das Referendum bietet damit letztlich nur die Wahl zwischen „friss oder stirb“. Ob das Ergebnis dieser Entscheidung wirklich die notwendige Überzeugungskraft entfalten kann, um dauerhaft den Frust der griechischen Bevölkerung zu überwinden und die Krise zu lösen?

Eine überstaatliche Währungsunion braucht überstaatliche Demokratie

Letztlich zeigt die Debatte über das Referendum wieder einmal, dass eine überstaatliche Währungsunion mit rein nationalen demokratischen Verfahren einfach nicht legitimiert werden kann. Auch wenn es für Alexis Tsipras der beste Weg sein mag, um eine Kurskorrektur einzuleiten, ohne offen seine Wahlversprechen zu brechen, eröffnet die Volksabstimmung den Griechen selbst nahezu keine eigene Gestaltungsmöglichkeit. Wenn die einzige Möglichkeit, nicht dem Kurs der Kreditgeber zu folgen, darin besteht, die Währungsunion zu verlassen, dann wird dadurch nur umso bitterer deutlich, dass es für die Bürger innerhalb der Währungsunion eben keine Hoffnung auf eine demokratische Auswahl zwischen Alternativen gibt.

Ginge es anders? Natürlich – aber nur, indem man die demokratischen Verfahren vom Nationalstaat löst und auf die europäische Ebene überträgt. Will man für wirtschaftspolitische Maßnahmen öffentliche Zustimmung erzeugen, dann darf man sie nicht erst der Bevölkerung vorlegen, wenn die einzige Alternative dazu schon der Zerfall der Währungsunion ist. Stattdessen müsste schon ihre Aushandlung in einem direkt gewählten Gremium erfolgen: dem Europäischen Parlament.

Natürlich werden wir niemals erfahren, wie die Lösung der Griechenland-Krise ausgesehen hätte, wenn sie nicht die Form eines Memorandum of Understanding zwischen den nationalen Regierungen, sondern eines rechtlich bindenden Beschlusses der Fraktionen im Europäischen Parlament angenommen hätte. Der Umstand, dass die europäischen Parteien anders als die Regierungen nicht nur jeweils einer nationalen Bevölkerung, sondern allen europäischen Bürgern verantwortlich sind, lässt jedoch erwarten, dass sie einen besseren oder wenigstens für die Öffentlichkeit akzeptableren Interessenausgleich gefunden hätten. Und ziemlich sicher hätten sie uns die Hängepartie erspart, die die Eurozone in diesen Tagen erlebt.

Hoffen wir, dass sie sie unversehrt und wohlbehalten übersteht.

Bild: Lorenzo Gaudenzi (Alexis Tsipras @ Piazza Maggiore) [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

19 Juni 2015

Die Eurozone als Kerneuropa (3): Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt

In der Debatte über die Reform der Währungsunion meldet sich auch das Europäische Parlament zu Wort.
Am 25./26. Juni werden die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat darüber diskutieren, wie die europäische Währungsunion in Zukunft funktionieren soll. Sie werden dazu einen Bericht in Empfang nehmen, das Kommissionschef Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) zusammen mit den Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates, der Europäischen Zentralbank und der Euro-Gruppe ausgearbeitet hat; und sie werden sich auf Memoranden der nationalen Regierungen verschiedener Mitgliedstaaten stützen. Zur Debatte stehen dabei die Instrumente zur wirtschaftspolitischen Steuerung – von einer besseren Koordinierung von Strukturreformen bis zu einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung –, aber auch die Frage der demokratischen Legitimation.

Wie ich hier vor einer Woche ausführlicher beschrieben habe, wollen die nationalen Regierungen bei dieser institutionellen Reform das Europäische Parlament weitgehend außen vor lassen. Was aber sagen die Europaabgeordneten eigentlich selbst dazu?

Beitrag des Europäischen Parlaments zur Reformdebatte

Am vergangenen Dienstag hat der Währungsausschuss des Europäischen Parlaments einen Resolutionsvorschlag verabschiedet (Wortlaut), mit dem die Abgeordneten ihren eigenen, rechtlich nicht bindenden Beitrag zur „Überprüfung des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung“ leisten. Seine Bestätigung durch das Plenum des Parlaments ist nun für den kommenden Mittwoch geplant – genau einen Tag vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs.

Ausgearbeitet wurde der Text von der Sozialdemokratin Pervenche Berès (PS/SPE), die bereits im Februar einen ersten Entwurf vorlegte. Allzu leicht fiel den Abgeordneten die Suche nach einer gemeinsamen Linie allerdings nicht: Über 800 Änderungsanträge später fand der Resolutionsvorschlag letztlich nur die Zustimmung der beiden größten Fraktionen (der christdemokratischen EVP und der sozialdemokratischen S&D) und passierte den Währungsausschuss mit einer Mehrheit von 33:24 Stimmen.

Großkoalitionäre Kompromisse

Und auch EVP und S&D waren sich keineswegs in allen Punkten einig, wie sehr deutlich aus den Pressemitteilungen hervorgeht, die die Fraktionen nach der Abstimmung im Währungsausschuss veröffentlicht haben. Während die Sozialdemokraten „Konstruktionsprobleme“ der Währungsunion sehen, gibt es aus Sicht der Christdemokraten kaum Bedarf nach großen Neuerungen, da sich die europäischen Steuerungsinstrumente während der Eurokrise im Wesentlichen bewährt hätten.

Außerdem lobt die EVP die beschlossenen Sparmaßnahmen und Strukturreformen, dank deren „fast alle Länder wieder auf der Spur“ seien. Die S&D hingegen will mehr Raum für wachstumsfördernde Investitionen und einen besseren sozialen Schutz. Im Ergebnis fordert der Resolutionsvorschlag einfach beides und spricht wiederholt von einer „wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung“ – ein schönes Beispiel für einen großkoalitionären Kompromiss, der den Leser mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt.

Unterstützung für die Kommission

Und auch sonst wirkt der Resolutionsvorschlag auf den ersten Blick eher unspektakulär, als ob die Fraktionen sich nicht auf eine gemeinsame Vision hätten einigen können. In weiten Teilen beschränkt er sich darauf, Vorschläge oder Beschlüsse zu unterstützen, die die Europäische Kommission in den letzten Jahren und Monaten verabschiedet hat.

Auf den zweiten Blick lässt sich dahinter jedoch durchaus eine Strategie erkennen: Denn indem das Parlament der Kommission den Rücken stärkt, verhindert es, dass die europäische Wirtschaftspolitik nur den nationalen Regierungen überlassen bleibt – und sichert sich dadurch indirekt auch selbst einen Einfluss darauf.

Flexible Interpretation“ des Stabilitätspakts

Dies zeigt sich etwa bei der Diskussion, wie im Rahmen des europäischen Stabilitätspakts mit öffentlichen Investitionen umzugehen ist, die zwar kurzfristig die Verschuldung steigern, langfristig aber für das Wachstum und damit indirekt auch für den Staatshaushalt förderlich sind. In den letzten Jahren wurde immer wieder vorgeschlagen, dass solche Investitionen (im Sinne der „Goldenen Regel“ der Finanzpolitik) nicht auf die nationalen Haushaltsdefizite angerechnet werden sollten. Während vor allem die südeuropäischen Länder und Teile der Sozialdemokraten eine solche Regelung unterstützen, lehnen die deutsche Bundesregierung und die Christdemokraten sie ab.

Die Europäische Kommission wiederum verfolgt seit einigen Monaten eine Art Mittelweg: Sie bezieht Investitionen bei der Berechnung des Defizits zwar weiterhin voll ein, verzichtet im Sinne einer „flexiblen Interpretation“ aber gegebenenfalls auf die Einleitung eines Verfahrens. Faktisch können sich Länder, die viel investieren oder reformieren, also höher verschulden – aber nur, wenn auch die Kommission diesen Kurs gutheißt.

Mitentscheidungsrecht über „Konvergenzleitlinien“

In dem Resolutionsvorschlag unterstützt das Europäische Parlament nun die Linie der Kommission: Ohne den Rechtsrahmen des Stabilitätspakts zu verändern, soll die Kommission von der „in die bestehenden Rechtsvorschriften eingebauten Flexibilität“ Gebrauch machen, um die „Investitionslücke in der EU“ zu schließen und die „Umsetzung wachstumsfördernder, nachhaltiger und sozial ausgewogener Strukturreformen“ zu erleichtern. Einzige Bedingung: Die Kommission soll dabei nicht willkürlich vorgehen, sondern auf „Berechenbarkeit, Transparenz und Wirksamkeit“ achten.

Um diese Berechenbarkeit sicherzustellen, ist wiederum eine kohärente wirtschaftspolitische Strategie notwendig, wofür die Resolution unter anderem ein neues Steuerungsinstrument vorschlägt: sogenannte „Konvergenzleitlinien“, mit denen die EU jeweils für einen mehrjährigen Zeitraum klar umrissene Prioritäten definieren soll. Auf diesen Leitlinien würden dann alle weiteren Beschlüsse basieren, mit denen die Kommission auf die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten einwirkt. Vor allem aber soll für die Leitlinien das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gelten – also ein gleichrangiges Mitentscheidungsrecht des Parlaments mit den Ministerrat.

Die Europäische Kommission gegenüber den nationalen Regierungen zu stärken, sie zugleich aber auf die Einhaltung einer klar definierten politischen Agenda zu verpflichten, an deren Ausarbeitung das Parlament selbst beteiligt ist: So ungefähr lässt sich die Strategie zusammenfassen, mit der die Abgeordneten ihren Einfluss auf die europäische Wirtschaftspolitik ausbauen wollen.

Verhältnis zwischen Eurozone und Gesamt-EU

Wenn über die Reform der europäischen Währungsunion diskutiert wird, geht es aber nicht nur um das Machtgleichgewicht zwischen supranationalen und intergouvernementalen Institutionen, sondern immer auch um das Verhältnis zwischen der Eurozone und der Gesamt-EU. So fanden sich in den Memoranden, die die nationalen Regierungen der Euro-Staaten in den letzten Wochen vorgelegt haben, zahlreiche Vorschläge, die der Eurozone mehr Unabhängigkeit verschaffen sollten: etwa ein eigenes Eurozonen-Budget, eine Aufwertung des Eurogruppen-Präsidenten oder eine parlamentarische Versammlung, in der sich die Wirtschaftsausschüsse der nationalen Parlamente der Eurozone treffen.

Im Europäischen Parlament hingegen scheint sich die Begeisterung für eine solches institutionalisiertes „Kerneuropa“ allerdings in engen Grenzen zu halten. Zwar hält auch der Resolutionsentwurf bestimmte Eurozone-spezifische Instrumente für notwendig, um die Funktionsfähigkeit der Währungsunion zu gewährleisten. So will das Parlament zum Beispiel die „Widerstandsfähigkeit der [Währungsunion] gegenüber wirtschaftlichen Erschütterungen und unvorhergesehenen Ereignissen“ verbessern, was man wohl als Anspielung auf die Einführung automatischer Konjunkturstabilisatoren verstehen muss. Und auch ein eigenes Eurozonen-Budget, das sich aus speziellen Eigenmittel speisen und zur Finanzierung von Strukturreformen genutzt werden soll, findet die Zustimmung der Abgeordneten.

Nur: Geht es nach dem Europäischen Parlament, so soll dieses Eurozonen-Budget im Rahmen des Gesamt-EU-Haushalts beschlossen werden – und damit den ganz regulären Haushaltsverfahren unterliegen. Außerdem will das Parlament anstelle des Eurogruppen-Präsidenten (der allein von den nationalen Regierungen ernannt wird) lieber den EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung stärken (an dessen Wahl es selbst beteiligt ist).

Kein Interesse an parlamentarischen Versammlungen

Auch das Interesse an parlamentarischen Versammlungen der Eurozone ist bei den Europaabgeordneten eher gering: Im Sinne klarer Verantwortlichkeiten sollen die nationalen Parlamente besser ihre jeweiligen nationalen Regierungen kontrollieren, aber die parlamentarische Mitsprache auf gesamteuropäischer Ebene dem Europäischen Parlament überlassen. Und schließlich wollen die Abgeordneten auch den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Fiskalpakt – mit denen die Währungsunion in den letzten Jahren außerhalb des EU-Rechtsrahmens ausgebaut wurde – in die EU-Verträge übernehmen.

Nur was die Außenvertretung betrifft, unterstützt das Parlament die Vorschläge der nationalen Regierungen, die der Eurozone in internationalen Organisationen gern ein eigenes Gesicht geben wollen. Insgesamt aber lassen die Abgeordneten keinen Zweifel daran, dass sie die Währungsunion in erster Linie als einen Politikbereich der Gesamt-EU verstehen – und dass sie deshalb nicht bereit sind, zwischen die Eurozone und den Rest der EU einen Spalt zu treiben.

Und die Opposition?

So weit der Resolutionsvorschlag, der aber, wie gesagt, im Währungsausschuss nur von der Großen Koalition aus EVP und S&D unterstützt wurde. Immerhin drei der übrigen Fraktionen veröffentlichten hinterher ebenfalls Pressemitteilungen, in denen sie die Gründe für ihre Ablehnung darlegten.

Am unklarsten blieb dabei die nationalkonservative EKR-Fraktion. In der Pressemitteilung begründet sie ihr Nein vor allem damit, dass „der Vorsitz in der Eurogruppe nicht einem Mitglied der EU-Kommission übertragen werden“ solle – was insofern verwunderlich ist, als ein solcher Vorschlag in der Resolution überhaupt nicht vorkommt. Darüber hinaus scheint die EKR aber unter anderem auch ein Eurozonen-Budget sowie die Übertragung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in das reguläre EU-Vertragswerk abzulehnen.

Die liberale ALDE-Fraktion kritisiert vor allem die Flexibilität, die EVP und S&D der Kommission bei der Eröffnung von Defizitverfahren zubilligen. Für die Liberalen ruft die Große Koalition damit zu einer „Schwächung des Stabilitäts- und Wachstumspakts“ auf.

● Für die Grünen wiederum haben die Sozialdemokraten zu viele Zugeständnisse an die EVP gemacht, die die Resolution nutzen wolle, um „frühere progressive Positionen“ zu revidieren, die das Parlament in der Vergangenheit bezogen habe. Im Einzelnen vermissen die Grünen unter anderem eine „weitreichende EU-Steuerpolitik“, eine bessere Berücksichtigung sozialer Aspekte sowie einen „antizyklischen Ansatz“ in der europäischen Wirtschaftspolitik.

Die Debatte geht weiter

Und jetzt? Wie erwähnt, soll die Resolution am kommenden Mittwoch in Plenum verabschiedet werden, und angesichts der Unterstützung durch die beiden größten Fraktionen ist dabei wohl kaum mit großen Hindernissen zu rechnen. Danach werden erst einmal alle Augen auf den Europäischen Rat gerichtet sein – und auf den Bericht der „fünf Präsidenten“, von dessen Inhalten bereits erste Grundzüge bekannt geworden sind. Für die europäischen Politiker und Bürger bietet sich damit eine wichtige Gelegenheit, um auch in der breiteren Öffentlichkeit über die Zukunft der Währungsunion zu diskutieren.

Immer vorausgesetzt natürlich, dass wir nächste Woche nicht alle vollauf damit beschäftigt sind, die Grexit-Panik unter Kontrolle zu bringen.

Die Eurozone als Kerneuropa

1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt

Bild: By European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

11 Juni 2015

Die Eurozone als Kerneuropa (2): Vorschläge zur institutionellen Reform

Das Europäische Parlament bleibt in den Vorschlägen der nationalen Regierungen zur Reform der Eurozone weitgehend außen vor.
Vor dem Treffen des Europäischen Rats am kommenden 25./26. Juni haben die Regierungen der vier größten Euro-Länder Pläne zu einer Reform der europäischen Währungsunion formuliert, über die ich hier schon in der vergangenen Woche geschrieben habe. Unter anderem geht es darin um einen kohärenteren Ansatz in der gemeinsamen Wirtschaftspolitik, um eine engere Zusammenarbeit der Sozialsysteme und womöglich um ein eigenes Budget für die Eurozone, etwa in Form einer europäischen Arbeitslosenversicherung, die auch als automatischer Stabilisator dienen könnte. Nur auf diese Weise, so die Überzeugung der Euro-Regierungen, wird die Währungsunion gefährliche Krisen wie in den letzten Jahren künftig vermeiden können. (Im Wortlaut sind das deutsch-französische Memorandum hier, das italienische hier, das spanische hier zu finden.)

Doch während die Eurozone sich zu einem neuen Integrationsschub anschickt, hält sich die Begeisterung für eine weitere Europäisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik in anderen Ländern – speziell in Großbritannien – in engen Grenzen. Die Reform der Währungsunion dürfte deshalb den Spalt zwischen Euro- und Nicht-Euro-Ländern vertiefen: Die Idee eines „Kerneuropa“, die europäische Verfassungspolitiker seit rund zwei Jahrzehnten beschäftigt, könnte, scheint mehr denn je zur Realität zu werden.

Euro-Gruppe und Euro-Gipfel

Damit aber stellt sich gleich eine ganze Reihe von institutionellen Fragen. Außer der Europäischen Zentralbank gibt es in der EU bislang nämlich nur zwei politische Gremien, die explizit auf die Eurozone zugeschnitten sind: zum einen die „Euro-Gruppe“, die faktisch seit 2004 existiert, aber erst 2009 durch den Vertrag von Lissabon offiziell wurde, zum anderen den „Euro-Gipfel“, der 2012 mit dem Fiskalpakt eingerichtet wurde. Beide sind rein intergouvernemental: Während sich in der Euro-Gruppe die nationalen Finanzminister der Euro-Länder treffen, versammelt der Euro-Gipfel die Staats- und Regierungschefs. De facto handelt es sich dabei also um eine auf die Eurozone verkleinerte Version des EU-Finanzministerrats bzw. des Europäischen Rates. Tatsächlich finden ihre Treffen in der Regel unmittelbar vor oder nach den Tagungen des entsprechenden EU-weiten Gremiums statt.

Zur Leitung ihrer Sitzungen ernennen sowohl die Euro-Gruppe als auch der Euro-Gipfel einen eigenen Präsidenten. Derzeit sind das Jeroen Dijsselbloem (PvdA/SPE), der zugleich niederländischer Finanzminister ist, und Donald Tusk (PO/EVP), gleichzeitig Präsident des Europäischen Rates. Allerdings gelten die beiden Gremien nur als „informelle“ Foren. Auf internationaler Ebene, etwa bei IWF oder G-20, wird die Eurozone deshalb nicht etwa von Dijsselbloem repräsentiert, sondern nur über die einzelnen nationalen Regierungen der Euroländer oder über die Organe der Gesamt-EU.

Machtgewinn der intergouvernementalen Gremien

Anders als der Europäische Rat und der Finanzministerrat haben die supranationalen Organe der EU – das Europäische Parlament und die Europäische Kommission – kein Pendant auf Ebene der Eurozone. Zwar ist mit Valdis Dombrovskis (V/EVP) einer der Vizepräsidenten der Kommission speziell für den Euro zuständig, und im Europäischen Parlament gibt es einen Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Doch diesem Ausschuss gehören auch Mitglieder an, die in Großbritannien, Schweden oder Tschechien gewählt wurden. Verantwortlich sind die Abgeordneten letztlich allen europäischen Bürgern.

Hinzu kommt, dass das Parlament in wirtschaftspolitischen Fragen zuletzt immer weiter an den Rand gedrängt wurde. Da der Währungsunion die notwendigen Instrumente fehlten, um die Eurokrise zu bewältigen, verlagerten sich die Entscheidungen zunehmend auf Euro-Gipfel und Euro-Gruppe, wo die nationalen Regierungen improvisierte Vereinbarungen aushandelten. Dieser Machtgewinn der intergouvernementalen Gremien aber ist nicht nur ein Problem für die Demokratie: Da die formelle Kompetenz für die Wirtschaftspolitik weiterhin bei den Einzelstaaten liegt, ist der Euro-Gipfel immer auf einen Konsens seiner Mitglieder angewiesen, was die Währungsunion etwa im Streit über die Reformpolitik in Griechenland immer wieder an den Rand des Abgrunds treibt.

Stärkung des Präsidenten der Euro-Gruppe

In den Memoranden der vier großen Euro-Staaten spielt die institutionelle Reform deshalb aus gleich mehreren Gründen eine zentrale Rolle. So kritisiert etwa die italienische Regierung, die „Notwendigkeit, Einstimmigkeit zu erreichen“ sei „oft ein Hindernis für effektive EU-Entscheidungen im gemeinsamen Interesse der Mitgliedstaaten“. Sie schlägt deshalb vor, die nationalen Vetorechte „wenigstens teilweise zu überdenken“, und verweist auch gleich auf die Brückenklausel in Art. 48 Abs. 7 EUV, die einen Übergang zu Mehrheitsentscheidungen auch ohne Vertragsreform möglich machen würde.

Deutschland und Frankreich wiederum setzen für die bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Eurozone vor allem auf eine Stärkung des Euro-Gipfels. So sollen sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone künftig nicht nur „regelmäßiger“ treffen, sondern auch die Möglichkeit bekommen, „andere Minister der Eurozone zu beauftragen, z. B. die Arbeits- und Sozialminister, Forschungs- und Wirtschaftsminister“. Neben der Euro-Gruppe als Kerneuropa-Version des Finanzministerrats könnte es künftig also auch für jede andere Ratsformation ein Pendant auf Ebene der Eurozone geben. Darüber hinaus wollen Deutschland und Frankreich wenigstens eine „Prüfung der Möglichkeit“, den Präsidenten der Euro-Gruppe zu stärken und ihm zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Eine gemeinsame Forderung aller drei Länder ist schließlich, der Eurozone auch in den internationalen Finanzorganisationen eine gemeinsame Stimme zu geben – wobei die Memoranden nicht explizit machen, aber doch erahnen lassen, dass auch dies eine Aufgabe für den Präsidenten der Euro-Gruppe sein könnte.

Und das Europäische Parlament?

Eher im Vagen bleiben die Memoranden hingegen, wenn es um den Parlamentarismus geht. So erklärt die italienische Regierung nur sehr allgemein, dass die „Einbindung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente in das Europäische Semester gestärkt werden könnte“. Deutschland und Frankreich wiederum wollen „die Einrichtung von spezifischen, der Eurozone gewidmeten Strukturen im Europäischen Parlament, wobei es dem Parlament überlassen bleibt, welche Mittel dafür eingesetzt werden“ – was auf Anhieb etwas befremdlich klingt, da es den Ausschuss für Wirtschaft und Währung im Parlament ja bereits gibt.

Tatsächlich scheint der deutsch-französische Vorschlag auf die Idee einer „Euro-Kammer“ anzuspielen, also einer speziellen Formation innerhalb des Parlaments, an der nur diejenigen Abgeordneten beteiligt sein sollen, die in Mitgliedstaaten der Eurozone gewählt wurden. Im Europäischen Parlament stieß dieser Vorschlag bislang allerdings immer auf Ablehnung (zu den Gründen dafür siehe hier und hier). Warum das künftig anders sein sollte, erklärt das Memorandum nicht. Und auch welchen Sinn die neue Kammer haben sollte, bleibt offen: Von zusätzlichen Mitspracherechten für die Abgeordneten ist in dem deutsch-französischen Plan jedenfalls keine Rede.

„So etwas wie ein Finanzminister der Eurozone

Einen ganz eigenen Vorschlag unterbreitet schließlich die spanische Regierung, die bei der demokratischen Legitimation der Eurozonen-Politik vor allem auf eine „stärkere Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten“ setzt. Zu diesem Zweck möchte sie eine neue interparlamentarische Versammlung einrichten, die sich aus den Wirtschaftsausschüssen des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente der Eurozone zusammensetzen soll. Dieses Gremium soll in einem ersten Schritt das Recht bekommen, zweimal im Jahr die Präsidenten von Euro-Gipfel, Euro-Gruppe und Europäischer Zentralbank sowie die für Währungsfragen zuständigen Kommissionsmitglieder zu befragen.

In einem zweiten Schritt soll die neue interparlamentarische Versammlung dann „auf Vorschlag des Europäischen Rates“ eine „für die Wirtschaftspolitik der Eurozone verantwortliche Autorität, so etwas wie einen Finanzminister der Eurozone“ wählen. Dieser Finanzminister würde nicht nur das (ebenfalls im spanischen Memorandum vorgeschlagene) Eurozonen-Budget verwalten, sondern langfristig „volle Befugnisse über die Fiskalpolitik der Währungsunion“ und eine „direkte Sanktionsmacht gegenüber den nationalen Behörden“ erhalten. Er würde damit zweifellos mehr Macht auf sich vereinen als jeder andere Amtsträger auf europäischer Ebene. Für die Parlamente selbst sieht der spanische Plan hingegen keine weiteren Mitspracherechte vor.

Demokratie ist für die Regierungen nur ein Nebenthema

Natürlich handelt es sich bei den drei Memoranden nur um die Vorschläge einzelner Regierungen, bis zu deren Umsetzung es auf jeden Fall noch ein längerer Weg ist. Trotzdem gibt das Demokratieverständnis, das darin zum Vorschein kommt, einigen Anlass zur Sorge. So ist Spanien offenbar vor allem daran gelegen, der Eurozone ein starkes exekutives Entscheidungszentrum zu verschaffen, während die parlamentarische Dimension auf eine als Wahlverein konzipierte Versammlung begrenzt bliebe, die noch nicht einmal direkt von den Bürgern gewählt würde.

Deutschland und Frankreich wiederum setzen fast ausschließlich auf Intergouvernementalismus. Mit dem gestärkten Eurogruppen-Präsidenten wollen auch sie der Eurozone ein neues exekutives Zentrum geben (wenn auch mit etwas weniger Allmacht als der Finanzminister des spanischen Memorandums), und es ist nicht ganz abwegig, dies als den Embryo für eine Eurozonen-Version der EU-Kommission zu deuten. Doch während der Kommissionspräsident immerhin vom Europäischen Parlament gewählt wird, würde der Präsident der Euro-Gruppe weiterhin allein von den nationalen Finanzministern ernannt.

Die italienische Regierung schließlich erscheint unter den vieren als diejenige, die noch die meiste Rücksicht auf eine parlamentarische Legitimation der Euro-Wirtschaftspolitik nimmt. Auch sie gibt jedoch keinerlei konkrete Antworten, wie diese ausgestaltet sein könnte. Insgesamt, so scheint es, ist die Demokratie für die nationalen Regierungen bei der Eurozone-Reform bestenfalls ein Nebenthema.

Alles nur Verhandlungstaktik?

Eine Möglichkeit allerdings sollte noch in Betracht gezogen werden: Es könnte auch sein, dass den vier Regierungen am Ende gar nicht wirklich an einer Umsetzung ihrer institutionellen Reformvorschläge gelegen ist. Denn neben der Zukunft der Währungsunion diskutiert der Europäische Rat am 25./26. Juni ja auch noch über ein anderes großes Thema – die Forderungen, die der britische Premierminister David Cameron (Cons./AECR) zur Bedingung macht, um sich bei dem britischen EU-Austrittsreferendum im nächsten oder übernächsten Jahr für einen Verbleib in der Union einzusetzen. Und eine dieser Forderungen ist gerade, dass die wesentlichen wirtschaftspolitischen Entscheidungen der EU auch in Zukunft unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten getroffen werden, und nicht von der Eurozone allein.

Wenn Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien mit ihren Vorschlägen nun genau in die entgegengesetzte Richtung zielen, so könnte das also auch eine bloße Verhandlungstaktik sein: Je deutlicher sie mit der Möglichkeit eines institutionell weitgehend eigenständigen „Kerneuropa“ drohen, desto mehr Raum haben sie später, um sich in dieser Frage auf Cameron zuzubewegen. Am Ende bliebe es dann vielleicht bei ein, zwei zusätzlichen Treffen des Euro-Gipfels pro Jahr, die aber weiterhin nur informelle Bedeutung hätten.

Nur: Wäre das wirklich eine Lösung? Wohl nicht – denn ganz gleich, zu welchem Deal die EU mit Großbritannien kommt, bleibt eine Reform der Währungsunion ja weiterhin notwendig, um eine Wiederholung der Eurokrise zu verhindern. Wie es aussieht, hat die Diskussion über die künftige institutionelle Gestalt der Eurozone gerade erst begonnen.

03 Juni 2015

Die Eurozone als Kerneuropa (1): Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion

Angela Merkel und François Hollande (Mitte) haben einen Vorschlag für die Zukunft der Eurozone. Matteo Renzi (links) auch.
Wenn die Medien in diesen Tagen von der Europäischen Währungsunion sprechen, dann geht es meistens um Griechenland: Wieder einmal steht das Land vor dem Bankrott, wieder einmal wird um Sozialkürzungen gestritten, wieder einmal soll in letzter Minute ein Rettungsdeal ausgehandelt werden. Doch auch über das griechische Drama hinaus ist für den Euro gerade einiges in Bewegung: Wenn sich am kommenden 25./26. Juni der Europäische Rat zum nächsten Mal trifft, wird es um nicht weniger gehen als die Frage, wie die Währungsunion in Zukunft funktionieren soll – tiefgreifende institutionelle Reformen nicht ausgeschlossen.

Der Bericht der „vier Präsidenten“

Der Aufschlag zu dieser Debatte liegt bereits eine Weile zurück: Im Dezember 2012 veröffentlichten die sogenannten „vier Präsidenten“ (der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, der Eurogruppe und der Europäischen Zentralbank) einen gemeinsamen Bericht mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ (PDF). Dieser Bericht enthielt einige kurzfristige Vorschläge wie die europäische Bankenunion, die in den folgenden Jahren umgesetzt wurden, aber auch längerfristige Ansätze, die teilweise eine Vertragsreform notwendig machen würden und bis heute auf ihre Verwirklichung warten.

Nach der Europawahl 2014 beauftragte der Europäische Rat deshalb den neuen Kommissionschef Jean-Claude Juncker (CSV/EVP), zusammen mit den übrigen Präsidenten einen weiteren Vorschlag auszuarbeiten, wie es in den nächsten Jahren mit der Währungsunion weitergehen soll. Erste Grundlagen dafür präsentierte Juncker bereits im vergangenen Februar in einem „analytischen Vermerk“, über den ich auf diesem Blog im Detail berichtet habe. Ende Juni soll nun der Abschlussbericht folgen. Danach liegt der Ball erst einmal wieder bei den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat.

Memoranden zur Zukunft der Währungsunion

Was den Gipfel Ende Juni besonders pikant macht, ist aber, dass dort nicht nur über die Zukunft der Währungsunion gesprochen werden soll – sondern auch die britische Regierung unter David Cameron (Cons./AECR) die Reformforderungen vorstellen will, die sie zur Bedingung dafür macht, um sich bei dem für 2016 oder 2017 angesetzten britischen Referendum für eine weitere Mitgliedschaft in der EU einzusetzen. Die Pläne zu einer Vertiefung der Währungsunion können deshalb auch als eine implizite Drohung verstanden werden: Je mehr Ausnahmeklauseln Cameron für sein Land verlangt, desto eher muss er damit rechnen, dass die Eurozone künftig bei wichtigen Themen einfach allein vorangeht und Großbritannien immer weiter isoliert.

Wird die Eurozone nun also zu jenem „Kerneuropa“, über das europäische Verfassungspolitiker nun seit bald zwanzig Jahren diskutieren? Die Debatte ist jedenfalls eröffnet, und die europäischen Regierungen nehmen sie offensichtlich ernst: In den letzten Tagen haben mit Deutschland und Frankreich, Italien und Spanien alle vier großen Euro-Länder Memoranden vorgelegt, um ihre Vorstellungen zur künftigen Funktionsweise der Währungsunion zu erläutern und so auf die Diskussion am 25./26. Juni Einfluss zu nehmen. Und obwohl diese Memoranden eigentlich nicht öffentlich waren, fanden sie schnell den Weg in die Medien: Der deutsch-französische Vorschlag kann hier, der italienische hier, der spanische hier im Wortlaut nachgelesen werden. Im Folgenden ein kurzer Überblick.

Bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik

In einigen Punkten sind sich alle vier Länder einig: Die Wirtschaftspolitik in der Eurozone muss besser koordiniert werden. Zwar gibt es schon seit einigen Jahren das „europäische Semester“, in dem die Kommission „länderspezifische Empfehlungen“ für die Mitgliedstaaten gibt. Doch bislang sind diese Empfehlungen kaum aufeinander abgestimmt – und werden überdies von den nationalen Regierungen meistens einfach ignoriert.

In Zukunft will Italien deshalb einen „systemischen Ansatz“, der „mittelfristige Euro-weite Prioritäten“ definiert und besser berücksichtigt, wie sich die wirtschaftspolitischen Maßnahmen jedes einzelnen Landes auf die Wirtschaft der anderen Mitgliedstaaten auswirkt. Ganz ähnlich schlagen Deutschland und Frankreich vor, dass die Kommission künftig nicht nur länderspezifische Empfehlungen veröffentlichen soll, sondern auch eine Strategie für die Eurozone insgesamt. In konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen aber wollen die Regierungen sich auch künftig nicht hereinreden lassen: Für Deutschland und Frankreich soll die Kommission sich bei ihren Empfehlungen auf eine „begrenzte Anzahl von wichtigen Herausforderungen“ konzentrieren und „stärker die Ziele als die Mittel“ festlegen; und auch Italien und Spanien verlangen, die Umsetzung in „nationaler Eigenverantwortung“ der Mitgliedstaaten zu belassen.

In einem Punkt allerdings geht die spanischen Regierung einen Sonderweg. Als Einzige drängt sie darauf, in die wirtschaftspolitische Koordinierung künftig auch die nationale Inflationsentwicklung einzubeziehen, um die derzeitigen starken Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten einzudämmen. Dazu möchte die Regierung unter Mariano Rajoy (PP/EVP) sogar das Mandat der Europäischen Zentralbank überarbeiten: Statt nur die Preisstabilität im europaweiten Durchschnitt zu garantieren, soll diese künftig auch einen „Beitrag zur Vorbeugung makroökonomischer Divergenzen und Ungleichgewichte zwischen den Ländern“ leisten. Allerdings ist dieser Vorschlag auch in Spanien auf Kritik gestoßen, da die Regierung ihn offenbar nicht mit der spanischen Zentralbank abgestimmt hat.

Binnenmarkt-, Investitions- und Steuerpolitik

Ein anderer Punkt, in dem sich die vier großen Euro-Staaten einig sind, ist der weitere Ausbau des Binnenmarkts, um die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten und dadurch auch ihre Widerstandsfähigkeit gegen asymmetrische Krisen zu erhöhen. Alle drei Memoranden unterstützten deshalb explizit die Energieunion, die digitale Agenda, die Vollendung der Bankenunion und die Kapitalmarktunion. In einem Detail allerdings unterscheiden sich die Memoranden: Spanien und Italien wollen für die Bankenunion auch eine gemeinsame Einlagensicherung – wovon im deutsch-französischen Vorschlag (wohl nicht zufällig) keine Rede ist.

Und auch was öffentliche Investitionen betrifft, zeigen die beiden südeuropäischen Länder sehr viel mehr Emphase: So unterstützen zwar alle vier Regierungen den von Jean-Claude Juncker initiierten Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI). Spanien und Italien würden diesen Fonds allerdings gern noch weiter ausbauen und ihm die Möglichkeit einer Kreditaufnahme geben. Außerdem will Spanien eine „goldene Regel“ im europäischen Stabilitätspakt einführen, nach der nationale Investitionen in bestimmten, von der EU vorgegebenen Bereichen künftig nicht mehr auf das nationale Defizit angerechnet werden. Und schließlich wollen beide Länder gerne auch einen Teil der Mittel im Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Finanzierung von europäischen Investitionsprojekten nutzen.

Ein weiteres gemeinsames Ziel aller vier Regierungen ist der Kampf gegen Steuervermeidung. Deutschland und Frankreich wollen dafür „die Einrichtung eines Konvergenzrahmens der Bemessungsgrundlagen insbesondere für die Körperschaftssteuer“. Spanien wiederum hat gleich ein ganzes Bündel an Vorschlägen, unter anderem die Einführung einer europaweit einheitlichen Steuer-Identifikationsnummer.

Arbeitsmobilität und Sozialpolitik

Um die Währungsunion krisenfester zu machen, setzen alle vier Regierungen zudem auf größere Mobilität von Arbeitnehmern. Vor allem für Spanien, wo die Arbeitslosigkeit während der Eurokrise auf über 26 Prozent stieg und bis heute kaum gesunken ist, ist das ein zentrales Thema. Durch eine bessere Koordinierung der nationalen Sozialversicherungen, eine leichtere Anerkennung von Bildungsabschlüssen und eine Überwindung von Sprachbarrieren will die spanische Regierung europäischen Bürgern die Jobsuche in anderen Mitgliedstaaten erleichtern. Langfristig will sie sogar sogar „alle Kompetenzen, die mit der Arbeitsmobilität verbunden sind, auf die europäische Ebene übertragen, einschließlich beispielsweise der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Berufsqualifikation“.

Darüber hinaus bekennen sich auch Deutschland und Frankreich zu einer „Stärkung der sozialen Basis der Wirtschafts- und Währungsunion“, wobei ihre Vorschläge im Einzelnen allerdings eher zurückhaltend bleiben. So sollen die Mitgliedstaaten „in bestimmten Bereichen wie aktive Arbeitsmarktpolitik und in Bezug auf die Systeme der sozialen Sicherheit“ künftig enger zusammenarbeiten. Außerdem sprechen sich Deutschland und Frankreich für Mindestlöhne aus, die aber „national zu definieren“ wären – also letztlich jedem Mitgliedstaat selbst überlassen.

Soziale Rechte als Unionsbürgerrechte

Deutlich ambitionierter ist hingegen die italienische Regierung. Eine effektive Sozialpolitik ist für sie nicht nur eine Investition in langfristiges Wirtschaftswachstum, sondern auch eine Basis für die soziale Akzeptanz der Währungsunion. Die Regierung unter Matteo Renzi (PD/SPE) schlägt deshalb die Einführung von „sozialen Rechten als ‚europäischen Bürgerrechten‘“ vor, um „den jüngsten Generationen einen Grund für den Glauben zu geben, dass die EU eine Quelle von Chancen statt nur einer Bedrohung für die soziale Sicherheit sein kann“.

Dabei setzt Italien unter anderem auf EU-finanzierte, aber von den Mitgliedstaaten umgesetzte „Direktmaßnahmen gegen extreme Armut“, aber auch auf eine europäische Arbeitslosenversicherung, die „ein machtvolles Signal für die Bereitschaft zu einer Bürgerunion sein könnte.

Automatische Stabilisatoren

Aber nicht nur das: Darüber hinaus hätte eine europäische Arbeitslosenversicherung aus italienischer Sicht auch den Vorteil, dass sie asymmetrische Konjunkturschocks auffangen und damit die Eurozone insgesamt stabilisieren könnte. Tatsächlich ist diese Notwendigkeit eines automatischen makroökonomischen Stabilisators bereits seit dem Vier-Präsidenten-Bericht von 2012 ein Dauerbrenner in der Diskussion über die Zukunft der Währungsunion. Vor allem die italienische Regierung legt einen großen Schwerpunkt auf das Thema, wobei sie außer der Arbeitslosenversicherung noch andere Möglichkeiten in Betracht zieht – etwa ein gemeinsames Eurozonenbudget, das über spezielle europäische Steuern finanziert werden könnte.

Auch das spanische Memorandum schlägt in diesem Sinne die „Schaffung einer begrenzten gemeinsamen Fiskalkapazität innerhalb der europäischen Währungsunion“ vor, die der Finanzierung öffentlicher Investitionen dienen würde. Langfristig allerdings strebt Spanien ohnehin eine „echte Fiskalunion“ an – in der es nicht nur ein Eurozonen-Budget geben, sondern die europäische Ebene auch frei über Einnahmen und Ausgaben entscheiden und die Möglichkeit zur Ausgabe von „gemeinsamen Schuldeninstrumenten“ haben soll.

Und die institutionelle Reform?

Selbst wenn sich die Euro-Mitgliedstaaten zuletzt nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen: Die Memoranden der vier Regierungen lassen jedenfalls erwarten, dass die europäische Währungsunion in den nächsten Jahren eine Phase vertiefter Integration erfahren wird. Wirtschafts- und haushalts-, aber auch sozialpolitische Entscheidungen dürften künftig noch häufiger als bisher auf europäischer Ebene fallen. Oder genauer: auf Ebene der Eurozone. Denn sowenig die derzeitige britische Regierung ein Interesse daran haben wird, sich an einem weiteren Integrationsschub zu beteiligen, so wenig werden die Euro-Länder die künftige Funktionsfähigkeit der Währungsunion von den Bremsern aus London abhängig machen wollen.

Damit aber stellt sich natürlich auch die Frage einer institutionellen Reform. Welche Organe braucht die Eurozone, um wirksam und handlungsfähig zu sein? Wie können ihre Entscheidungen demokratisch legitimiert werden? Kurz gesagt: Wie viel „Kerneuropa“ soll es in Zukunft geben? Auch hierzu äußern sich die vier Regierungen in ihren Memoranden. Mehr dazu demnächst in einem weiteren Artikel auf diesem Blog.

Die Eurozone als Kerneuropa

1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt

Bild: By European Council [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.