19 Juni 2015

Die Eurozone als Kerneuropa (3): Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt

In der Debatte über die Reform der Währungsunion meldet sich auch das Europäische Parlament zu Wort.
Am 25./26. Juni werden die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat darüber diskutieren, wie die europäische Währungsunion in Zukunft funktionieren soll. Sie werden dazu einen Bericht in Empfang nehmen, das Kommissionschef Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) zusammen mit den Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates, der Europäischen Zentralbank und der Euro-Gruppe ausgearbeitet hat; und sie werden sich auf Memoranden der nationalen Regierungen verschiedener Mitgliedstaaten stützen. Zur Debatte stehen dabei die Instrumente zur wirtschaftspolitischen Steuerung – von einer besseren Koordinierung von Strukturreformen bis zu einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung –, aber auch die Frage der demokratischen Legitimation.

Wie ich hier vor einer Woche ausführlicher beschrieben habe, wollen die nationalen Regierungen bei dieser institutionellen Reform das Europäische Parlament weitgehend außen vor lassen. Was aber sagen die Europaabgeordneten eigentlich selbst dazu?

Beitrag des Europäischen Parlaments zur Reformdebatte

Am vergangenen Dienstag hat der Währungsausschuss des Europäischen Parlaments einen Resolutionsvorschlag verabschiedet (Wortlaut), mit dem die Abgeordneten ihren eigenen, rechtlich nicht bindenden Beitrag zur „Überprüfung des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung“ leisten. Seine Bestätigung durch das Plenum des Parlaments ist nun für den kommenden Mittwoch geplant – genau einen Tag vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs.

Ausgearbeitet wurde der Text von der Sozialdemokratin Pervenche Berès (PS/SPE), die bereits im Februar einen ersten Entwurf vorlegte. Allzu leicht fiel den Abgeordneten die Suche nach einer gemeinsamen Linie allerdings nicht: Über 800 Änderungsanträge später fand der Resolutionsvorschlag letztlich nur die Zustimmung der beiden größten Fraktionen (der christdemokratischen EVP und der sozialdemokratischen S&D) und passierte den Währungsausschuss mit einer Mehrheit von 33:24 Stimmen.

Großkoalitionäre Kompromisse

Und auch EVP und S&D waren sich keineswegs in allen Punkten einig, wie sehr deutlich aus den Pressemitteilungen hervorgeht, die die Fraktionen nach der Abstimmung im Währungsausschuss veröffentlicht haben. Während die Sozialdemokraten „Konstruktionsprobleme“ der Währungsunion sehen, gibt es aus Sicht der Christdemokraten kaum Bedarf nach großen Neuerungen, da sich die europäischen Steuerungsinstrumente während der Eurokrise im Wesentlichen bewährt hätten.

Außerdem lobt die EVP die beschlossenen Sparmaßnahmen und Strukturreformen, dank deren „fast alle Länder wieder auf der Spur“ seien. Die S&D hingegen will mehr Raum für wachstumsfördernde Investitionen und einen besseren sozialen Schutz. Im Ergebnis fordert der Resolutionsvorschlag einfach beides und spricht wiederholt von einer „wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung“ – ein schönes Beispiel für einen großkoalitionären Kompromiss, der den Leser mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt.

Unterstützung für die Kommission

Und auch sonst wirkt der Resolutionsvorschlag auf den ersten Blick eher unspektakulär, als ob die Fraktionen sich nicht auf eine gemeinsame Vision hätten einigen können. In weiten Teilen beschränkt er sich darauf, Vorschläge oder Beschlüsse zu unterstützen, die die Europäische Kommission in den letzten Jahren und Monaten verabschiedet hat.

Auf den zweiten Blick lässt sich dahinter jedoch durchaus eine Strategie erkennen: Denn indem das Parlament der Kommission den Rücken stärkt, verhindert es, dass die europäische Wirtschaftspolitik nur den nationalen Regierungen überlassen bleibt – und sichert sich dadurch indirekt auch selbst einen Einfluss darauf.

Flexible Interpretation“ des Stabilitätspakts

Dies zeigt sich etwa bei der Diskussion, wie im Rahmen des europäischen Stabilitätspakts mit öffentlichen Investitionen umzugehen ist, die zwar kurzfristig die Verschuldung steigern, langfristig aber für das Wachstum und damit indirekt auch für den Staatshaushalt förderlich sind. In den letzten Jahren wurde immer wieder vorgeschlagen, dass solche Investitionen (im Sinne der „Goldenen Regel“ der Finanzpolitik) nicht auf die nationalen Haushaltsdefizite angerechnet werden sollten. Während vor allem die südeuropäischen Länder und Teile der Sozialdemokraten eine solche Regelung unterstützen, lehnen die deutsche Bundesregierung und die Christdemokraten sie ab.

Die Europäische Kommission wiederum verfolgt seit einigen Monaten eine Art Mittelweg: Sie bezieht Investitionen bei der Berechnung des Defizits zwar weiterhin voll ein, verzichtet im Sinne einer „flexiblen Interpretation“ aber gegebenenfalls auf die Einleitung eines Verfahrens. Faktisch können sich Länder, die viel investieren oder reformieren, also höher verschulden – aber nur, wenn auch die Kommission diesen Kurs gutheißt.

Mitentscheidungsrecht über „Konvergenzleitlinien“

In dem Resolutionsvorschlag unterstützt das Europäische Parlament nun die Linie der Kommission: Ohne den Rechtsrahmen des Stabilitätspakts zu verändern, soll die Kommission von der „in die bestehenden Rechtsvorschriften eingebauten Flexibilität“ Gebrauch machen, um die „Investitionslücke in der EU“ zu schließen und die „Umsetzung wachstumsfördernder, nachhaltiger und sozial ausgewogener Strukturreformen“ zu erleichtern. Einzige Bedingung: Die Kommission soll dabei nicht willkürlich vorgehen, sondern auf „Berechenbarkeit, Transparenz und Wirksamkeit“ achten.

Um diese Berechenbarkeit sicherzustellen, ist wiederum eine kohärente wirtschaftspolitische Strategie notwendig, wofür die Resolution unter anderem ein neues Steuerungsinstrument vorschlägt: sogenannte „Konvergenzleitlinien“, mit denen die EU jeweils für einen mehrjährigen Zeitraum klar umrissene Prioritäten definieren soll. Auf diesen Leitlinien würden dann alle weiteren Beschlüsse basieren, mit denen die Kommission auf die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten einwirkt. Vor allem aber soll für die Leitlinien das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gelten – also ein gleichrangiges Mitentscheidungsrecht des Parlaments mit den Ministerrat.

Die Europäische Kommission gegenüber den nationalen Regierungen zu stärken, sie zugleich aber auf die Einhaltung einer klar definierten politischen Agenda zu verpflichten, an deren Ausarbeitung das Parlament selbst beteiligt ist: So ungefähr lässt sich die Strategie zusammenfassen, mit der die Abgeordneten ihren Einfluss auf die europäische Wirtschaftspolitik ausbauen wollen.

Verhältnis zwischen Eurozone und Gesamt-EU

Wenn über die Reform der europäischen Währungsunion diskutiert wird, geht es aber nicht nur um das Machtgleichgewicht zwischen supranationalen und intergouvernementalen Institutionen, sondern immer auch um das Verhältnis zwischen der Eurozone und der Gesamt-EU. So fanden sich in den Memoranden, die die nationalen Regierungen der Euro-Staaten in den letzten Wochen vorgelegt haben, zahlreiche Vorschläge, die der Eurozone mehr Unabhängigkeit verschaffen sollten: etwa ein eigenes Eurozonen-Budget, eine Aufwertung des Eurogruppen-Präsidenten oder eine parlamentarische Versammlung, in der sich die Wirtschaftsausschüsse der nationalen Parlamente der Eurozone treffen.

Im Europäischen Parlament hingegen scheint sich die Begeisterung für eine solches institutionalisiertes „Kerneuropa“ allerdings in engen Grenzen zu halten. Zwar hält auch der Resolutionsentwurf bestimmte Eurozone-spezifische Instrumente für notwendig, um die Funktionsfähigkeit der Währungsunion zu gewährleisten. So will das Parlament zum Beispiel die „Widerstandsfähigkeit der [Währungsunion] gegenüber wirtschaftlichen Erschütterungen und unvorhergesehenen Ereignissen“ verbessern, was man wohl als Anspielung auf die Einführung automatischer Konjunkturstabilisatoren verstehen muss. Und auch ein eigenes Eurozonen-Budget, das sich aus speziellen Eigenmittel speisen und zur Finanzierung von Strukturreformen genutzt werden soll, findet die Zustimmung der Abgeordneten.

Nur: Geht es nach dem Europäischen Parlament, so soll dieses Eurozonen-Budget im Rahmen des Gesamt-EU-Haushalts beschlossen werden – und damit den ganz regulären Haushaltsverfahren unterliegen. Außerdem will das Parlament anstelle des Eurogruppen-Präsidenten (der allein von den nationalen Regierungen ernannt wird) lieber den EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung stärken (an dessen Wahl es selbst beteiligt ist).

Kein Interesse an parlamentarischen Versammlungen

Auch das Interesse an parlamentarischen Versammlungen der Eurozone ist bei den Europaabgeordneten eher gering: Im Sinne klarer Verantwortlichkeiten sollen die nationalen Parlamente besser ihre jeweiligen nationalen Regierungen kontrollieren, aber die parlamentarische Mitsprache auf gesamteuropäischer Ebene dem Europäischen Parlament überlassen. Und schließlich wollen die Abgeordneten auch den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Fiskalpakt – mit denen die Währungsunion in den letzten Jahren außerhalb des EU-Rechtsrahmens ausgebaut wurde – in die EU-Verträge übernehmen.

Nur was die Außenvertretung betrifft, unterstützt das Parlament die Vorschläge der nationalen Regierungen, die der Eurozone in internationalen Organisationen gern ein eigenes Gesicht geben wollen. Insgesamt aber lassen die Abgeordneten keinen Zweifel daran, dass sie die Währungsunion in erster Linie als einen Politikbereich der Gesamt-EU verstehen – und dass sie deshalb nicht bereit sind, zwischen die Eurozone und den Rest der EU einen Spalt zu treiben.

Und die Opposition?

So weit der Resolutionsvorschlag, der aber, wie gesagt, im Währungsausschuss nur von der Großen Koalition aus EVP und S&D unterstützt wurde. Immerhin drei der übrigen Fraktionen veröffentlichten hinterher ebenfalls Pressemitteilungen, in denen sie die Gründe für ihre Ablehnung darlegten.

Am unklarsten blieb dabei die nationalkonservative EKR-Fraktion. In der Pressemitteilung begründet sie ihr Nein vor allem damit, dass „der Vorsitz in der Eurogruppe nicht einem Mitglied der EU-Kommission übertragen werden“ solle – was insofern verwunderlich ist, als ein solcher Vorschlag in der Resolution überhaupt nicht vorkommt. Darüber hinaus scheint die EKR aber unter anderem auch ein Eurozonen-Budget sowie die Übertragung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in das reguläre EU-Vertragswerk abzulehnen.

Die liberale ALDE-Fraktion kritisiert vor allem die Flexibilität, die EVP und S&D der Kommission bei der Eröffnung von Defizitverfahren zubilligen. Für die Liberalen ruft die Große Koalition damit zu einer „Schwächung des Stabilitäts- und Wachstumspakts“ auf.

● Für die Grünen wiederum haben die Sozialdemokraten zu viele Zugeständnisse an die EVP gemacht, die die Resolution nutzen wolle, um „frühere progressive Positionen“ zu revidieren, die das Parlament in der Vergangenheit bezogen habe. Im Einzelnen vermissen die Grünen unter anderem eine „weitreichende EU-Steuerpolitik“, eine bessere Berücksichtigung sozialer Aspekte sowie einen „antizyklischen Ansatz“ in der europäischen Wirtschaftspolitik.

Die Debatte geht weiter

Und jetzt? Wie erwähnt, soll die Resolution am kommenden Mittwoch in Plenum verabschiedet werden, und angesichts der Unterstützung durch die beiden größten Fraktionen ist dabei wohl kaum mit großen Hindernissen zu rechnen. Danach werden erst einmal alle Augen auf den Europäischen Rat gerichtet sein – und auf den Bericht der „fünf Präsidenten“, von dessen Inhalten bereits erste Grundzüge bekannt geworden sind. Für die europäischen Politiker und Bürger bietet sich damit eine wichtige Gelegenheit, um auch in der breiteren Öffentlichkeit über die Zukunft der Währungsunion zu diskutieren.

Immer vorausgesetzt natürlich, dass wir nächste Woche nicht alle vollauf damit beschäftigt sind, die Grexit-Panik unter Kontrolle zu bringen.

Die Eurozone als Kerneuropa

1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt

Bild: By European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

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