15 Mai 2024

Wie konsensfähig ist die EU? Einblicke in das Abstimmungsverhalten im Rat in Bereichen mit qualifizierter Mehrheitsentscheidung

Von Nicolai von Ondarza und Isabella Stürzer
European Council meeting
Im Rat der EU können Mitgliedstaaten schon auch mal überstimmt werden. Aber wie oft kommt das eigentlich wirklich vor?

Immer wieder wird in der EU darüber diskutiert, in mehr Politikbereichen bei Entscheidungen im Rat von Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit (QMV) überzugehen. Insbesondere Deutschland setzt sich dafür ein, etwa in Form der „Freundesgruppe für QMV in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ oder bei prozeduralen Beschlüssen innerhalb der Erweiterungsprozesse. Andere Staaten wie Ungarn lehnen mehr QMV hingegen grundsätzlich ab.

Aber welche Auswirkungen hat QMV überhaupt auf die Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene? Welche Politikbereiche, in denen jetzt schon QMV gilt, sind besonders umstritten? Und sind dabei immer dieselben Regierungen in der Minderheit? Mehr Licht in die Debatte können die Daten des EU Council Monitor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bringen.

Der EU Council Monitor

Grundsätzlich ist es so, dass der Rat der EU seit dem Vertrag von Lissabon alle Abstimmungen zu Gesetzgebungsvorhaben veröffentlichen muss (Art. 15 (2) AEUV, Art. 7 der Geschäftsordnung des Rates). Nicht-legislative Beschlüsse und Beschlüsse innerhalb der Verfahren, wie etwa zur Festlegung der Ratsverhandlungsposition, werden hingegen ebenso wenig veröffentlicht wie die Beratungen in den vorangegangenen Ratsarbeitsgruppen und dem Ausschuss der Ständigen Vertreter:innen.

Zudem veröffentlicht der Rat die Abstimmungsprotokolle nur einzeln und stellt keine übergreifenden Informationen zum Abstimmungsverhalten – etwa der Anzahl von Abstimmungen nach Politikbereich, der Konsensrate oder der Anzahl von Gegenstimmen von einzelnen Mitgliedstaaten – zur Verfügung. Interessierte aus Forschung und Lehre, Politikberatung und Medien müssen die Daten deshalb anhand individueller Auszählung der Sitzungsprotokolle und Tagesordnungen erfassen.

Der im April 2024 veröffentlichte EU Council Monitor bündelt nun Daten zum Abstimmungsverhalten und erlaubt eine Aufschlüsselung nach Jahr, Politikbereich sowie überstimmten Mitgliedstaaten. Das interaktive Dashboard soll so zu verbesserter Analyse, Visualisierung und Verständnis der Abstimmungsmuster im Rat der EU beitragen. Die Daten basieren auf vom Rat der EU veröffentlichten Abstimmungsprotokollen ab Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und werden laufend aktualisiert; das Tool umfasst momentan mehr als 1.300 öffentliche Abstimmungen.

Hoher Konsenswille

Mithilfe der Daten des EU Council Monitor lässt sich analysieren, wie konsensfähig der Rat bei Nutzung der qualifizierten Mehrheit ist. Die aufbereiteten öffentlichen Abstimmungen im Rat seit 2010 bestätigen die These, dass die EU-Mitgliedstaaten in der Regel auch bei Mehrheitsentscheidungen einen Konsens anstreben. Größere Gruppen von Mitgliedstaaten werden so gut wie nie überstimmt. Zunehmend ragen aber mit Ungarn und Polen zwei Staaten heraus, die – auf einem etwas niedrigeren Niveau als Großbritannien vor dem Brexit – häufiger überstimmt werden als andere.

Im Detail zeigen sich in den öffentlichen Abstimmungen des Rats 2010-2023 eine erstaunlich hohe Konsensrate unter den Mitgliedstaaten auch in den Bereichen, in denen Mehrheitsbeschlüsse möglich gewesen wären. Die Konsensrate umfasst diejenigen Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit, in denen es keine Gegenstimmen gab, potenziell aber Enthaltungen. Über die Zeit ist die Konsensrate bemerkenswert stabil. Bis zum Brexit lag sie bei 82 Prozent, danach sogar bei 85 Prozent; über den gesamten Zeitraum bei knapp 83 Prozent. Betrachtet man nur die Abstimmungen, in denen alle Staaten zugestimmt haben, es also auch keine Enthaltungen gab, liegt der Wert für den gesamten erfassten Zeitraum noch bei 64 Prozent.

Grafik 1: Konsensrate bei Mehrheitsentscheidungen im Rat der EU
(zum Vergrößern auf das Bild klicken)

Eine Veränderung der Konsensrate lässt sich allerdings erkennen, wenn man einzelne Politikfelder untersucht: Im Bereich Finanzen etwa konnte bis zum Brexit bei 85 Prozent der Abstimmungen ein Konsens gefunden werden, seit dem Brexit bei 93 Prozent. Im Bereich Institutionelles ist die Konsensrate ebenfalls gestiegen, von 67 auf 100 Prozent. Von 80 auf 70 Prozent gesunken ist sie dagegen im Bereich Justiz und Inneres, zu dem die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gehört (siehe Grafik 1).

Größere Gruppen werden fast nie überstimmt

Die hohe Konsensrate bedeutet zum einen, dass am Ende von EU-Verhandlungen – allen Differenzen zum Trotz – in der Regel alle Mitgliedstaaten dem erarbeiteten Kompromiss zustimmen können. Zudem scheuen die nationalen Regierungen es, größere Gruppen von Staaten zu überstimmen, selbst wenn rechnerisch bereits eine qualifizierte Mehrheit erreicht ist. Abstimmungen, in denen vier oder mehr Mitgliedstaaten überstimmt werden, bleiben eine absolute Seltenheit.

Zum anderen zeigt die hohe Konsensrate aber ebenso, dass Mehrheitsentscheidungen allein keine Lösung für Schwierigkeiten der EU in puncto Handlungsfähigkeit sind: Denn auch bei QMV können Verhandlungen im Rat lange dauern oder sogar dauerhaft blockiert sein, wenn die EU-Staaten in mehrere große Gruppen gespalten sind.

Großbritannien war am häufigsten in der Minderheit

Aufschlussreich für die Debatte über die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen ist auch ein Blick darauf, welche Staaten besonders häufig überstimmt werden. Wie bereits angedeutet, stand ein Staat lange im Fokus – Großbritannien. Es führt die Liste der am häufigsten überstimmten Länder klar an, und zwar sowohl in der Betrachtung bis zum offiziellen Austritt aus der EU als auch in der Gesamtbetrachtung: Insgesamt wurde das Vereinigte Königreich 167‑mal überstimmt. Damit war es in seiner Zeit als Mitglied bei gut 16 Prozent aller Abstimmungen in dieser Situation (siehe Grafik 2). Im Kontrast dazu steht Frankreich, das im gesamten Beobachtungszeitraum nur 5‑mal überstimmt wurde. Dies entspricht deutlich weniger als einem Prozent der Abstimmungen.

Vergleicht man das Abstimmungsverhalten vor und nach dem Brexit, so ragen nunmehr zwei Mitgliedstaaten heraus, deren Regierungen öfter in der Minderheit sind – Ungarn und Polen (gefolgt von Bulgarien). Vor dem Brexit sah dies anders aus: Zwischen 2010 und 2020 waren nach Großbritannien Österreich, Deutschland und die Niederlande auf den Plätzen zwei bis vier der am häufigsten überstimmten Länder.

Allerdings wurde Großbritannien bis zum Brexit fast 3‑mal so oft überstimmt wie Österreich und fast 7‑mal so oft wie das zehntplatzierte Bulgarien. Seit dem Brexit wurde das jetzt an der Spitze stehende Ungarn 2,3‑mal so oft wie das viertplatzierte Österreich überstimmt und etwas mehr als 4‑mal so oft wie das zehntplatzierte Tschechien. Damit ist Ungarn noch immer erheblich konsensfähiger, als es das Vereinigte Königreich vor seinem Austritt war.

Polen und Ungarn wurden zuletzt oft gemeinsam überstimmt

Zwei weitere Dinge fallen beim Abstimmungsverhalten Polens und Ungarns nach dem Brexit auf. Erstens votierten beide häufiger mit Nein, anstatt sich zu enthalten; dies signalisiert, dass sie einen EU-Beschluss rundherum ablehnten. Zweitens stimmten sie deutlich häufiger gemeinsam gegen einen Beschluss – also bestand zumindest bis zum Regierungswechsel in Warschau im Dezember 2023 ein Schulterschluss zwischen Warschau und Budapest.

Dass alle vier Staaten der Visegrád-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) überstimmt wurden, findet sich in den Daten allerdings kein einziges Mal. Dies lässt darauf schließen, dass weiterverhandelt wurde, wenn alle vier gemeinsam eine Vorlage ablehnten, Polen und Ungarn aufgrund relativ gesunkener Konsensbereitschaft aber bei ihrer Haltung blieben und am Ende überstimmt wurden.

Betrachtet man alle Abstimmungen mit Gegenstimmen im gesamten Untersuchungszeitraum, gab es bis zum Brexit nur einen einzigen Fall, in dem Polen und Ungarn gemeinsam überstimmt wurden: eine Abstimmung zur Sozialpolitik. Seit dem Brexit geschah dies je einmal in den Politikbereichen Wirtschaft, Energie und Umwelt sowie dreimal in der Innen- und Justizpolitik. Zum Vergleich: Deutschland und Frankreich wurden im März 2024 erstmals überhaupt bei einer öffentlichen Abstimmung gemeinsam überstimmt, im Fall der Richtlinie über Plattformarbeit.

Keine strukturellen Minderheiten

Interessant ist auch ein Vergleich mit den Mitgliedern der „Freundesgruppe für QMV“: Ihr gehören sowohl Staaten wie Frankreich oder Italien an, die in den öffentlichen Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit selten bis nie überstimmt wurden, als auch mit Belgien, Deutschland, den Niederlanden oder Schweden (als Beobachter) solche, die relativ häufig überstimmt wurden. Zählt man für den gesamten Zeitraum seit 2010, wurde Deutschland ähnlich häufig überstimmt wie Polen oder Ungarn.

Grafik 2: Überstimmungen pro Mitgliedstaat vor und nach dem Brexit
(zum Vergrößern auf das Bild klicken)

Selbst wenn Polen und Ungarn zuletzt öfter überstimmt wurden als andere EU-Mitglieder, ist eine strukturelle Minderheit nicht zu erkennen. Das heißt, es verhält sich nicht so, dass ein Staat oder eine Staatengruppe mit hoher Regelmäßigkeit in einer Reihe verschiedener Politikfelder überstimmt wird. Gleichzeitig fällt das veränderte Abstimmungsverhalten der genannten Länder seit dem Brexit auf – Polen votierte nie dafür, wenn Ungarn dagegen votierte, und umgekehrt.

Umstrittene Politikbereiche

Nicht nur die Zahl der Überstimmungen unterscheidet Ungarn und Polen von Großbritannien, sondern auch die Politikfelder, in denen sie stattfanden. Das Vereinigte Königreich wurde am häufigsten bei Abstimmungen zu Finanzen (26 Prozent) und zur Außenpolitik (18 Prozent) überstimmt, vor allem aber bei denen zu institutionellen Fragen (46 Prozent), die das Wesen und Funktionieren der Europäischen Union als Ganzes betreffen.

Für Polen und Ungarn stehen andere Politikbereiche im Vordergrund: Die drei, in denen sie seit dem Brexit am häufigsten überstimmt wurden, sind Umwelt, Justiz und Inneres sowie Verkehr bzw. Sozialpolitik. Die umstrittene Asylreform, die Orbán als Argument für seine Forderung anführt, zur Einstimmigkeit zurückzukehren, fällt in den Bereich Justiz und Inneres.

Besonders oft stehen Polen und Ungarn in der Asylpolitik allein

Auch insgesamt betrachtet sticht die für Polen und Ungarn nach dem Brexit gestiegene Überstimmungsquote im Bereich Justiz und Inneres (einschließlich der Migrationspolitik) hervor.

Schaut man auf diesen Politikbereich im Ganzen, so ist die Konsensrate im Vergleich zu der Zeit vor dem Brexit nur leicht gesunken (von 80 auf 70 Prozent, siehe Grafik 1). Die Konsensfähigkeit Polens und Ungarns in diesem Politikfeld hat nach dem Brexit hingegen auffällig abgenommen. Dies ist zum einen ihrer Lage an der EU-Außengrenze geschuldet, zum anderen aber auch der starken Politisierung von Asylrechtsfragen.

Dessen ungeachtet ist zu konstatieren: Anders als Großbritannien drücken Polen und Ungarn mit ihren Enthaltungen bzw. Nein-Stimmen insgesamt (noch) keine Ablehnung der institutionellen Prozesse der EU – und damit letztlich der EU als solcher – aus. Vielmehr verweist ihr Abstimmungsverhalten auf Dissens in einem inhaltlich klar abgegrenzten Politikfeld.

Schlussfolgerungen

Aus der Analyse des Abstimmungsverhaltens lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: Auf der einen Seite dienen Entscheidungen per qualifizierter Mehrheit in den Politikbereichen, in denen sie heute schon angewendet werden, primär als Aufforderung, einen Konsens zu suchen und sich kompromissbereit zu zeigen. Der Rat der EU fungiert noch sehr als zwischenstaatliches Gremium, in dem die nationalen Regierungen im überwiegenden Fall Einstimmigkeit oder zumindest einen Konsens anstreben. Das Überstimmen einzelner Regierungen oder gar größerer Gruppen von Regierungen bleibt eine Seltenheit. Die Konsensfähigkeit der EU‑27 ist nach wie vor hoch, selbst wenn zwischen den Mitgliedstaaten Differenzen bestehen.

Dementsprechend dürfte die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen nicht dazu führen, dass im großen Stil Regierungen überstimmt werden – mithin auch nicht in sensiblen Bereichen wie der Außen- und Sicherheits- oder der Steuerpolitik. Dies stärkt die Argumentation der Akteur:innen, die eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik befürworten. Auch für die demokratische Legitimation der EU ist es wichtig, dass in der Regel ein Konsens aller Staaten gesucht und gefunden wird.

Auf der anderen Seite macht der Blick in die Abstimmungsprotokolle aber auch deutlich, dass es durchaus Staaten gibt, die erkennbar häufiger überstimmt werden als andere. Auch und gerade mit der Perspektive auf eine (noch) heterogenere EU mit 30 oder mehr Mitgliedstaaten sollte eine Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen deshalb mit Mechanismen einhergehen, die nicht nur die legitimen nationalen Interessen in kritischen Bereichen schützen, sondern gleichzeitig mehr Handlungsfähigkeit ermöglichen, als es das Festhalten am Einstimmigkeitsprinzip momentan tut.

Nicolai von Ondarza ist Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Isabella Stürzer ist studentische Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik.


Bild: Treffen des Europäischen Rates: European External Action Service [CC BY-NC 2.0], via Flickr; Grafiken: Stiftung Wissenschaft und Politik [alle Rechte vorbehalten].

10 Mai 2024

EU to go: No risk, no finance? Eine europäische Kapitalmarktunion

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur Europapolitik. Einmal im Monat analysieren Moderatorin Thu Nguyen und ihre Gäste in 20 bis 30 Minuten ein aktuelles Thema.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Es wird teuer: Auf dem Weg zu einer grünen, digitalisierten und souveränen Europäischen Union fallen Investitionen an, die den öffentlichen Haushalt der Staatengemeinschaft weit übersteigen. Da braucht es neben öffentlichem auch viel privates Geld. Während in den USA der Bedarf nach privaten Investitionen größtenteils durch den Kapitalmarkt gedeckt wird, verlässt sich die EU auf die Darlehen ihrer Banken. Dabei birgt ein regulierter, vereinheitlichter Kapitalmarkt das Potenzial, fortschrittliche Technologien und Industrien zu fördern, deren Finanzierung den Banken zu riskant ist. Die Idee ist nicht neu, doch der Umsetzung werden viele Steine in den Weg gelegt.

Senior Policy Fellow Sebastian Mack und Co-Direktor Johannes Lindner vom Jacques Delors Centre nehmen sich gemeinsam mit Thu Nguyen des Themas an und erläutern, welchen Rückenwind die Idee einer Kapitalmarktunion nicht zuletzt durch den Bericht zum EU-Binnenmarkt von Enrico Letta erhalten hat. Sie diskutieren die Chancen und Risiken einer tieferen Integration der nationalen Kapitalmärkte und fragen sich: Warum ist seit den Plänen der Juncker-Kommission 2015 so wenig um die Kapitalmarktunion geschehen? Wie genau könnte die Vereinheitlichung funktionieren? Welche Form der Regulierung wäre notwendig, um die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden? Und nicht zuletzt: Löst die Kapitalmarktunion die Finanzierungsprobleme der EU?

07 Mai 2024

FIIA Briefing Paper: Der Aufstieg rechtsextremer Parteien in der Europäischen Union

Von Manuel Müller
Cover des FIIA Briefing Paper: The rise of the far right in the European Union

Bei der Europawahl 2024 werden rechtsextreme Parteien voraussichtlich mehr Sitze im Europäischen Parlament gewinnen als je zuvor. Auch auf nationaler Ebene sind rechtsextreme Parteien in immer mehr EU-Regierungen vertreten. Trotz dieser Zuwächse wird in der nächsten Legislaturperiode voraussichtlich die mitte-rechts-gerichtete Europäische Volkspartei, nicht die Rechtsextremen, die zentrale Rolle in den EU-Institutionen spielen.

Das konsensbasierte politische System der EU ist ein Schutz gegen eine schnelle Machtübernahme durch rechtsextreme Parteien. Doch wenn sie eine gewisse Stärke erreicht haben, erschwert es dasselbe System auch, dass andere Parteien ohne sie Mehrheiten bilden. Die EU ist deshalb nicht mit einem plötzlichen, sondern mit einem schleichenden Machtzuwachs der Rechtsextremen konfrontiert, bei dem die Parteien der Mitte sich allmählich für eine Zusammenarbeit öffnen und es zu einer langsamen Normalisierung rechtsextremer Positionen im politischen Diskurs kommt.

Paradoxerweise sind es gerade die zum Schutz der nationalen Souveränität gedachten Mechanismen wie das Einstimmigkeitserfordernis im Rat, die es rechtsextremen Parteien am ehesten erlauben, Einfluss auf die Politik der EU zu nehmen, auch wenn sie nur eine Minderheit der EU-Bürger:innen vertreten.

In einem neuen Briefing Paper für das Finnish Institute of International Affairs werfe ich einen Blick auf die zu erwartende parteipolitische Zusammensetzung der EU-Institutionen in der Legislaturperiode 2024-29 und ihre Auswirkungen auf die europäische Politik. Wie weit wird der Aufstieg der extremen Rechten gehen und wie stehen ihre Chancen, politische Macht auf EU-Ebene auszuüben?

Das vollständige Briefing Paper (auf Englisch) ist hier zu finden.


Bild: Cover des FIIA Briefing Paper, basierend auf einem Foto von Vox España [public domain], via Flickr.

FIIA Briefing Paper: The rise of the far right in the European Union

By Manuel Müller
Cover of the FIIA Briefing Paper: The rise of the far right in the European Union

In the 2024 EU elections, far-right parties are expected to win more seats in the European Parliament than ever before. At the national level, too, far-right parties are entering more and more EU governments. Despite these gains, the centre-right European People’s Party, rather than the far right, is likely to play the central role in the EU institutions in the next legislature.

The EU’s consensus-based system is a safeguard against the sudden seizure of power by far-right parties. But once they have achieved a certain position, the same system makes it difficult for others to form majorities without them. The EU is therefore facing not a sweeping but a creeping gain in far-right power, as centrist political parties become more open to cooperation, and far-right positions are slowly normalised in political discourse.

Paradoxically, the very mechanisms that are supposed to protect national sovereignty (such as unanimity requirements in the Council) are the ones most likely to allow far-right parties to influence EU policy, even if they represent only a minority of EU citizens.

In a new Briefing Paper for the Finnish Institute of International Affairs, I take a look at the expected party-political composition of the EU institutions in the 2024–29 legislative term and its implications for EU policy. How far will the rise of the far right go and what are its chances of exercising political power at the EU level?

The complete Briefing Paper can be found here.


Picture: Cover of the FIIA Briefing Paper, based on a photo by Vox España [public domain], via Flickr.

03 Mai 2024

Die jüngste Erweiterung der Europäischen Union: Reform oder Tempo?

Von Cordelia Buchanan Ponczek
Flags of the EU member states in front of the European Parliament in Strasbourg
Zwanzig Jahre nach der „Big-Bang-Erweiterung“ steht die EU wieder vor dem Beitritt neuer Mitglieder. Sie muss dabei eine Balance zwischen geopolitischen Interessen und innerer Stabilität finden.

Die Diskussion darüber, wie die Europäische Union ihre Osterweiterung angehen sollte, ist nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 wieder voll entbrannt. Nach dem EU-Beitritt Kroatiens 2013 war der Erweiterungsprozess ins Stocken geraten. Trotz Integrationsprojekten wie der Östlichen Partnerschaft schien eine kurzfristige Erweiterung der Union unwahrscheinlich. Vor 2022 galten die Länder des Westbalkans, insbesondere Montenegro und Serbien, als diejenigen, die auf dem Weg zur Mitgliedschaft am weitesten vorangeschritten waren.

Nun aber hat der Krieg Russlands in der Ukraine die Union zur Unterstützung Kyjiws mobilisiert und den Fokus der Erweiterungspolitik von Südosten nach Osten verlagert. Der Ukraine, der Republik Moldau und kürzlich auch Georgien wurde der Kandidatenstatus zuerkannt. Vor allem im Falle der Ukraine hat die Erweiterungsfrage eine nie dagewesene Dringlichkeit erhalten, da sie in eine Zeit des Krieges fällt. Montenegro und Serbien begannen ihre Beitrittsverhandlungen vor mehr als zehn Jahren, als das Ziel der Mitgliedschaft noch außer Reichweite war. So viel Zeit bleibt der Ukraine vielleicht nicht – oder sollte ihr nach Meinung vieler Befürworter:innen nicht bleiben.

Doch ein EU-Beitritt ist mit erheblichen Verpflichtungen verbunden und bindet die Länder an einen bestimmten Regulierungs- und Governance-Pfad, so dass er nicht leichtfertig eingegangen werden sollte. Aus Sicht der Europäischen Union geht es in den Erweiterungsgesprächen letztlich um die Fähigkeit der EU, ihre geopolitischen Interessen zu fördern und zugleich ihre innenpolitische Stabilität zu wahren. Aus der Sicht der Beitrittskandidaten geht es um die Fähigkeit, kurzfristig Reformen durchzuführen und langfristig den eingeschlagenen Entwicklungspfad beizubehalten. Aus globaler Sicht stellt die Erweiterung die Glaubwürdigkeit der EU auf die Probe, ihren Worten Taten folgen zu lassen und gleichzeitig die strengen Grundprinzipien zu wahren, die für ihren Zusammenhalt notwendig sind.

Erweiterung vs. Reformen

Im Gleichgewicht zwischen Kohäsion und Glaubwürdigkeit betrifft ein zentrales Dilemma in der Diskussion über die EU-Erweiterung den Zeitpunkt und die Priorität von Reformen gegenüber dem Erweiterungsprozess selbst. Die EU-Kommission selbst erkennt an, dass die Reform der Union ein wichtiger Teil des Erweiterungsprozesses ist. Doch die Suche nach einer angemessenen Balance zwischen internen Reformen, die schleppend verlaufen können, und dem sowohl innerhalb der EU als auch von den Beitrittskandidaten selbst geäußerten Wunsch nach einer zügigen Erweiterung erweist sich als schwierig. Diese Diskussion ist vor allem im Hinblick auf die mögliche Mitgliedschaft der Ukraine relevant.

Innerhalb der EU gibt es zwei Debatten darüber, was vor der Erweiterung getan werden muss: einerseits in Bezug auf Reformen an der Funktionsweise der EU selbst, andererseits mit Hinblick auf Reformen in den Kandidatenländern. Die einen und die anderen Reformen werden dabei nicht unbedingt von denselben Akteur:innen gefordert; es handelt sich um zwei unterschiedliche Argumentationslinien. Doch da sich EU-interne Veränderungen auch auf die laufenden Reformen in den Beitrittsländern auswirken können, sind die Debatten verbunden und interagieren miteinander.

Das Argument für die Priorisierung von Reformen

Befürworter:innen einer Priorisierung interner Reformen argumentieren, dass die bestehenden Strukturen und Politiken der EU grundlegend überarbeitet werden müssen, um angesichts einer wachsenden Zahl von Mitgliedstaaten ihre Effizienz, demokratische Verantwortlichkeit und Fähigkeit zur Konsensfindung zu verbessern. Diese Sichtweise beruht auf der Überzeugung, dass eine Erweiterung vor diesen Reformen die bestehenden Probleme noch verschärfen und künftige Reformen nahezu unmöglich machen würde.

Darüber hinaus vertritt dieses reformorientierte Lager die Ansicht, dass es nur fair ist, wenn potenzielle Mitglieder ein transparentes Verständnis der institutionellen Landschaft bekommen, der sie beitreten wollen. Diese Gruppe legt Wert auf ein leistungsorientiertes und umfassendes Beitrittsverfahren. Zugleich gibt es auch Befürchtungen, dass die Erweiterung rein zahlenmäßig jede künftige Reform im Keim ersticken würde: Es gäbe einfach zu viele Mitglieder, um den notwendigen Konsens zur Verabschiedung bestimmter Reformen zu gewährleisten.

Neben dieser Debatte über die Priorisierung EU-interner Reformen gibt es eine entsprechende Diskussion darüber, dass auch die Beitrittskandidaten ihre internen Reformen vor dem Beitritt unmissverständlich erfüllen müssen. Dabei geht es auch darum, aus den Fehlern der EU-Erweiterung von 2004 zu lernen. Entsprechend warnt diese Gruppe vor den Folgen überstürzter schlampiger Reformen in den Kandidatenländern, die dem europäischen Acquis nur vordergründig gerecht würden. Die politischen Veränderungen, die festgefahrene Politik, der Stillstand und die Obstruktionspolitik einiger der 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten haben zu Frustration geführt. Beim Rückblick auf den damaligen Integrationsprozess sehen viele Beobachter:innen echte Fehler bei den umgesetzten (oder nicht umgesetzten) Politiken und Verfahren, Und die EU ist entschlossen, aus ihren Fehlern zu lernen.

Gleichzeitig ist genau wie 2004 der politische Druck hoch, neue Mitgliedstaaten aufzunehmen, und es ist sehr schwierig, den Bedarf an inneren Reformen nicht zu ignorieren, wenn in der öffentlichen Rhetorik der Eindruck erweckt wird, dass jede Verzögerung bei der Aufnahme der Ukraine gleichbedeutend mit einer Verweigerung von Unterstützung oder gar ein gegen die Ukraine gerichteter Akt sei.

Das Argument für die Priorisierung zügiger Erweiterung

Auf der entgegengesetzten Seite zu den reformorientierten Gruppen gibt es ein nennenswertes Lager, die sich für einen beschleunigten oder sogar sofortigen Beitritt von Ländern wie der Ukraine ausspricht. Dieses Lager betont den intrinsischen Wert und die geopolitische Notwendigkeit der EU-Erweiterung. Der neue EU-Erweiterungsrahmen von 2020 bietet mehr Flexibilität bei der Anpassung des Beitrittsprozesses an jedes einzelne Land. Die Befürworter:innen betonen die strategische Bedeutung der Erweiterung als ein Instrument, um die regionale Stabilität zu stärken, und als Gegengewicht zum Einfluss von Mächten wie Russland und China. Sie argumentieren, dass eine Verschiebung des Beitritts die Glaubwürdigkeit der EU untergraben und die Beitrittskandidaten anfällig für Einflüsse machen könnte, die im Gegensatz zu den Normen der EU stehen, insbesondere mit Hinblick auf Regierungsführung, Umweltstandards und demokratische Werte.

Das „Zügige Erweiterung“-Lager weist auch auf die Gefahr hin, im Lauf des Spiels die Regeln zu ändern: Wenn sich die EU mit ihren Reformen Zeit lässt, könnten die Beitrittskandidaten, die sich bereits auf den Weg zur Erfüllung bestimmter EU-Kriterien gemacht haben, erleben, wie sich diese Kriterien vor ihren Augen verschieben. Politiken und Praktiken, die heute in Übereinstimmung sind, laufen Gefahr, nach der Reform nicht mehr zusammenzupassen, was für die Kandidatenländer gleichermaßen anstrengend und frustrierend würde. Einige argumentieren, dass die vom „Reformen jetzt“-Lager geforderte Transparenz eine Illusion sei: Der Reformprozess selbst sei undurchsichtig, und als Nicht-EU-Mitglieder hätten die Kandidatenländer keinen Sitz am Tisch, um bei politischen Fragen mitzudiskutieren, die ihre Zukunft als potenzielle EU-Mitglieder und souveräne Staaten entscheidend beeinflussen würden.

Die Logik der Expansion

Zusätzlich verkompliziert wird die Diskussion über die EU-Erweiterung durch die „Logik der Expansion“ – eine Logik, die schwer zu ignorieren ist und für einige die Erweiterungsdynamik stärker beeinflusst, als sie sollte. Diese Logik der Expansion besteht im Wesentlichen in dem Druck, Beitrittskandidaten nicht aufgrund von deren Verdiensten bei der Umsetzung der Kopenhagener Kriterien aufzunehmen, sondern aus anderen Gründen – etwa zum Zweck der normativen Angleichung, aus sicherheitspolitischen Erwägungen oder mit dem Ziel, eine Botschaft zu senden (an das Beitrittsland oder an einen Drittstaat außerhalb der EU).

Es ist schwierig, solchen Argumenten entgegenzutreten. Die Europäische Union handelt – heute wie bei früheren Erweiterungen – nicht in einem politikfreien Raum. Was sich dabei wesentlich verändert hat, ist nicht ihre seit langem bestehende Marktmacht. Während die Europäische Union seit langem ihre wirtschaftliche und normative Macht sowie die Attraktivität ihres Marktes nutzt, um die neuen Mitgliedstaaten politisch zu beeinflussen, hat sie in den letzten Jahren ein neues Verhältnis zu ihrer Stellung auf der Weltbühne entwickelt, insbesondere im Verhältnis zu Staaten wie Russland und China.

Die EU ist teilweise gerade deshalb motiviert, den Beitritt von Kandidatenländern zu beschleunigen, um ihren Einfluss in diesen Ländern zu festigen und den Einfluss von Drittstaaten zurückzudrängen, die mit ihr um die Vorherrschaft konkurrieren könnten. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die normativen Werte des Drittstaates – wie Russland – mit denen der Europäischen Union unvereinbar sind. Die EU muss sich dieser Situation stellen und gleichzeitig ihre Integrität und ihren Zusammenhalt bewahren.

Herausforderungen des Erweiterungsprozesses

Die Zeit während und nach einer Erweiterung ist mit Herausforderungen wie politischer Lähmung und möglichen Integrationsschwierigkeiten verbunden. Das unterstreicht die Notwendigkeit eines ausgewogenen Ansatzes, der aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernt und gleichzeitig offen für die Bedürfnisse und Bestrebungen der neuen Mitgliedstaaten bleibt. Ein Rückblick auf die Erweiterung 2004, als die EU mehrere mittel- und osteuropäische Länder aufnahm, bietet wertvolle Lehren über die Fallstricke einer überstürzten Erweiterung und über die Bedeutung einer gründlichen Vorbereitung und Eingliederung.

Ein möglicher Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen auf Erweiterung und Reform besteht darin, die Beitrittskandidaten bis zu einem gewissen Grad an den EU-internen Reformdiskussionen teilhaben zu lassen (etwa indem ihnen ein Mitspracherecht in einem Vertragskonvent eingeräumt wird). Auf diese Weise würden die Beitrittskandidaten bereits die Empfehlungen mitgestalten, die sie später umzusetzen haben. Die Einbeziehung der Kandidatenländer könnte auch helfen, Reformen und Veränderungen, die in den Kandidatenländern bereits im Gange sind, bei den EU-internen Reformen besser zu berücksichtigen.

Chancen und Risiken eines stufenweisen Beitritts

Ein weiterer Vorschlag ist die Erkundung schrittweiser Integrationsstrategien, wie der so genannte „stufenweise Beitritt“ (staged accession). Dieses graduelle Vorgehen könnte als Brücke dienen zwischen den politischen Veränderungen, die die Beitrittskandidaten bisher vorgenommen haben, und den potenziellen weiteren Anpassungen, die im Zuge des Reformprozesses erforderlich werden könnten. So steht der Vorschlag im Raum, dass die Neumitglieder zunächst nur in gewissem Umfang an der Integration teilnehmen würden (z. B. Binnenmarktzugang).

Dieser Vorschlag stößt jedoch auf die Skepsis von Kritiker:innen, die befürchten, dass er zu einem Zustand der unbefristeten Kandidatur führen könnte, in dem die Länder in einem Schwebezustand der teilweisen Integration gefangen sind, weder vollständig innerhalb noch außerhalb der EU. In einem solchen Szenario könnten sich Kandidatenländern weiterhin auch auf Projekte einlassen, die im Widerspruch zu den Vorschriften und Anforderungen der EU stehen, was wiederum eine engere Integration verhindern und den Integrationsprozess noch weiter in die Länge ziehen würde. (So haben Serbien und mehrere andere Kandidatenländer auf dem Balkan große chinesische Investitionen für Projekte erhalten, die nicht mit den EU-Vorschriften für öffentliche Aufträge und den Transparenz- oder Umweltanforderungen der EU vereinbar sind). Einige Länder könnten diese Semi-Integration nutzen, um auf mehreren Hochzeiten zugleich zu tanzen.

Auf der Suche nach Balance

Die Erweiterungspolitik der EU wird unweigerlich von einer breiteren geopolitischen Dynamik beeinflusst, zu der auch das Streben nach Sicherheit, normativer Angleichung und der Projektion von Macht gehören. Dennoch sollte sich das Grundprinzip der Erweiterung weiterhin auf die Bereitschaft und Fähigkeit der Kandidatenländer konzentrieren, die Standards und Regulierungen der EU einzuhalten.

Mit Blick auf die Zukunft muss die EU in der Lage sein, geopolitische Interessen zu verfolgen und gleichzeitig ihre interne politische Stabilität zu sichern. Um das zu erreichen, muss die EU-Erweiterungsstrategie mehrere Schlüsselaspekte berücksichtigen:

  1. Die EU sollte einen integrativen Dialog fördern, der die derzeitigen Mitgliedstaaten und die Kandidatenländer miteinander verbindet und einen partizipativen Ansatz im Umgang mit EU-internen Reformen, Reformen in den Kandidatenländern und den Auswirkungen beider auf die Beitrittsgespräche sicherstellt.
  2. Im weiteren Verlauf der Diskussion über EU-interne Reformen sollte der Rat sich zu mehr Transparenz und Klarheit hinsichtlich der Bedeutung dieser internen Reformen für den Erweiterungsprozess und für die Reformen der Kandidatenländern verpflichten, um den Beitrittsstaaten einen klaren Fahrplan mit Erwartungen und Benchmarks zu bieten.
  3. Die EU sollte erste Integrationsbereiche identifizieren und implementieren, die als Zwischenschritte auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft dienen können, und so die Unsicherheiten eines langen Kandidatenstatus lindern, ohne die strengen Standards für den Vollbeitritt zu gefährden.

Die neue Erweiterung stellt eine zentrale Herausforderung für die Europäische Union dar und macht ein schwieriges Gleichgewicht zwischen den strategischen Erfordernissen der Erweiterung und der Notwendigkeit von internem Zusammenhalt und Reformen nötig. Die Entscheidungen, die in der nächsten Zeit getroffen werden, werden nicht nur die künftige Entwicklung von Kandidatenländern wie der Ukraine prägen, sondern auch die Rolle der EU als führendes Beispiel regionaler Integration und als ein herausragender Akteur auf der globalen Bühne.


Übersetzung: Manuel Müller.
Bilder: Flaggen: normxn [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; Porträt Cordelia Buchanan Ponczek: Finnish Institute of International Affairs [alle Rechte vorbehalten].

02 Mai 2024

The lead candidates’ Maastricht debate: Potential and challenges for the EU elections

By Alex Hoppe
A moment during the Maastricht debate
There were eight candidates at the Maastricht debate, but unfortunately only a few tens of thousands of viewers.

On 29 April, the traditional debate of the lead candidates for the European elections took place in Maastricht. Originally an initiative of Maastricht University, also the debate’s third edition was probably followed by a small academic audience only. The evening shows both the potential of the format and the challenges European democracy faces if the lead candidates are to have a real impact on the electoral choices of European citizens.

A total of eight candidates took part in the debate in Maastricht: From the current Commission President Ursula von der Leyen (EPP) to Valeriu Ghilețchi, president of the European Christian Political Movement, politicians of different standing shared the stage. A real debate developed between Bas Eickhout (EGP) and von der Leyen in particular, partly because Eickhout skilfully used his position as the audience’s favourite to interpret the rules of the debate broadly. The remaining candidates failed to impress. Particularly Nicolas Schmit (PES), who currently holds the best chance of challenging von der Leyen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (ALDE), a rhetorically skilful, vocal actor in German political debates, likewise did not feel at home in this European environment. Anders Vistisen (ID) played the expected provocative role – while adhering to the rules of the game.

The variety of European political parties

It is questionable whether we really needed eight candidates on the stage in Maastricht. Even well-informed voters will have wondered who Valeriu Ghilețchi was, for example. His party does not have a parliamentary group in parliament; only five MPs from different groups are currently members.

Admittedly, the young Maylis Roßberg (EFA) in particular was a refreshing addition to the debate, as her frustration on inadequate climate policy was sincere and her closing statement in particular struck a chord with the young audience. But the goal of bringing European voters closer to the EU and its electoral system is in no way served if several candidates in this debate do not even have a realistic chance of winning a parliamentary mandate, let alone their parties having a parliamentary group. When Roßberg began her closing statement by saying that she would certainly not become an MEP, it must have confused most viewers outside the Brussels bubble. In future, parties and organisers should take this into account when selecting candidates.

Brussels issues

The three core issues of the debate – climate change, foreign and security policy, and European democracy – were previously selected by Maastricht University in a survey of young citizens. They are also considered the most important by the media and the political environment. The moderators set different priorities with their questions, ranging from the general effectiveness of climate policy to detailed aspects of its financing. Current affairs also made an appearance, when much of the climate policy discussion focused on European farmers, or when Walter Baier (EL) switched to the war in Gaza – which clearly struck a chord with the audience.

On the topic of democracy, accusations of corruption flew back and forth between the candidates and the parties they represented. It was also during the discussion on this topic that important issues came to the fore, such as the role of the ECR parliamentary group. Additionally, both von der Leyen and Schmit made clear they are open for drastic measures against TikTok.

The choice of topics as such can certainly be questioned. The latest Eurobarometer survey shows that the fight against poverty and social exclusion is the most pressing issue for Europeans. Defence and security is only third (tied with support to the economy, which was also ignored in the debate). Climate change follows in fifth place and democracy in eighth. A recent Youth Study 2024 in Germany shows similar results. These issues were only briefly touched upon in some of the opening and closing statements, including those of Baier and Schmit. Instead, the organisers put the topic of migration on the agenda, notably under the header of security, which was rightly criticized by Bas Eickhout.

Brussels politics

Even though the depth of the debate was inevitably limited (each candidate had 45 seconds for their interventions), there were some revealing moments: A clear division between those calling for new Eurobonds to finance climate policy (especially Bas Eickhout and Nicolas Schmit) and those who would prefer to supplement the designated EU budget with private investment (Ursula von der Leyen).

The debate became heated when Baier used the brief discussion on the war in Ukraine to address the conflict in Gaza. Several candidates took the opportunity to criticise Ursula von der Leyen for her previous line on this conflict and, supported by the audience in the room, asked her to define red lines. She avoided doing so, emphasising the need to discuss these issues with member states. In general, some of von der Leyen’s remarks on the division of competences seemed to be aimed at the members of the European Council rather than the voters – which may certainly be a sensible strategy, given the appointment process of the Commission president and the current polls.

Overall, von der Leyen seemed comfortable during the debate. Time and again, Eickhout in particular tried to single her out. However, she used her experience of the last five years and good knowledge of existing EU policy. It became clear that the format suited her better than other candidates.

European lead candidates since 2014 have often had a professional background and experience in Brussels. For Monday’s candidates, this was a clear advantage – and in some cases, its absence was at times painfully obvious. The experience of Martin Schulz as a successful European politician who failed in national politics has now become clear to Marie-Agnes Strack Zimmermann, among others. Success in Brussels is no guarantee of success on the national stage – and vice versa.

Strack-Zimmermann visibly struggled to find her role in the debate. Her statements on topics outside her core area of expertise, security policy, were vague and partly incorrect. For example, she referred to the German far-right AfD during the discussion on the ECR group – of which the AfD is not a member. Brussels politics has a different tune to Berlin and not all candidates have mastered it.

The European public

The candidates had agreed to debate in English. Obviously, some were more comfortable than others. Simultaneous interpretation could not hide the fact that the lack of a common language changed the character of the debate. Those who now solely focus on the language skills of individual candidates fail to recognise the bigger problem: the lack of a common language area remains a major challenge for European democracy.

First, because it demands a specific skill set of (EU-wide) candidates. This skill set is easier to acquire growing up in certain regions of the EU and going through their educational systems than in others (not to mention differences of social class). The inequalities on stage last Monday were of course only a fraction of the inequalities in the overall EU population.

Second, because it is difficult for the audience to follow the debates. Yes, the debate was simultaneously translated into several languages – but by no means into all the official languages of the EU. This effectively makes it inaccessible to a large proportion of voters. In addition, with translation we lose a great deal of emotionality, emphasis, and individual character of the candidates – aspects that are crucial for voters’ judgement.

Even if AI innovations could possibly solve the language problems in the medium term, the question remains whether this would be the decisive step towards creating a European public sphere. After all, its absence became abundantly clear again: the debate hardly took place in national media. The national parties did not advertise it, and a quick glance at the national German media shows little (yet some) interest. And of course, there was no live broadcast except for YouTube.

All of this explains the alarmingly low interest: Well under 100,000, and very likely significantly fewer than 50,000 voters watched the debate. The only slight chance of this debate having any impact on electoral choices is national media picking up some of the few substantive highlights – like von der Leyen’s vagueness on a potential cooperation with ECR.

What now?

The Maastricht debate offers several insights into the state of the European elections. First, the European parties continue to take the lead candidates system seriously, as demonstrated by von der Leyen’s late entry: Her absence would have considerably weakened the legitimacy of the debate. The candidates of the other parties took the opportunity to hold her accountable for the past five years. Von der Leyen simply did a relatively good job of answering or evading the questions put to her – which, however, did justice to the format of this debate. It would therefore seem unjustified to speak of a failed debate. In fact, the debate did provide some interesting insights on the candidates’ positions.

At the same time, however, the challenges remain: The debate did not cover the issues that matter most to European voters. It is to be hoped that the second debate will align better with the concerns of voters across the Union and from different social classes. The lack of a common language and, worse still, of a European public sphere was once again evident. Although the organisers made a real effort – including encouraging the organisation of watch parties, to which some 80 organisations responded – the public had little interest in or awareness of the debate. Calls for simple solutions don’t do justice to the complexity of these challenges. But more media coverage and at least some effort by the national parties themselves would certainly be a first step.


Pictures: Lead candidates debate: European People's Party [CC BY 2.0], via Flickr; portrait Alex Hoppe: private [all rights reserved].