24 Januar 2019

Warum Mehrheitsentscheide in der EU-Steuerpolitik demokratischer wären

Steuerkommissar Pierre Moscovici (PS/SPE) will nationale Vetorechte in der Steuerpolitik abschaffen. Für die Demokratie wäre das ein Gewinn.
Bei all der Brexit-Aufregung der letzten zwei Wochen blieb eine andere europapolitische Nachricht in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet: der Vorschlag der Europäischen Kommission, in der EU-Steuerpolitik schrittweise vom Einstimmigkeitsprinzip zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen. Derzeit gehört die Steuerpolitik (v.a. nach Art. 113 und Art. 115 AEUV) neben der Außen- und großen Teilen der Sozialpolitik zu jenen Politikbereichen, in denen jede einzelne nationale Regierung ein Vetorecht besitzt. Das macht die europäische Gesetzgebung nicht nur langsam und behäbig, sondern auch anfällig für politische Machtspiele – etwa wenn ein Mitgliedstaat seine Zustimmung zu einer eigentlich unumstrittenen steuerpolitischen Maßnahme an Zugeständnisse in ganz anderen Bereichen koppelt. Gleichzeitig bedeutet die Einstimmigkeit auch, dass einmal verabschiedete Beschlüsse hinterher kaum noch zu ändern sind, was die Mitgliedstaaten oft von vornherein davon abhält, sich darauf einzulassen.

Die Kommission will das nun ändern, indem sie die Mitgliedstaaten dazu auffordert, von der sogenannten „Brückenklausel“ in Art. 48 Abs. 7 EUV Gebrauch zu machen. Nach dieser Klausel könnten die nationalen Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat (einstimmig) beschließen, in steuerpolitischen Fragen künftig das ordentliche Gesetzgebungsverfahren anzuwenden. Für konkrete Maßnahmen wäre dann im Rat künftig keine Einstimmigkeit mehr erforderlich, sondern eine qualifizierte Mehrheit (mindestens 55% der Mitgliedstaaten, die zusammen mindestens 65% der EU-Bevölkerung ausmachen); außerdem bekäme anders als heute auch das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht.

Der Kommissionsvorschlag: Mehrheitsentscheide in vier Schritten

Nach dem Vorschlag der Kommission soll dieser Übergang in mehreren Schritten vollzogen werden: Der erste Schritt würde gar nicht das Steuerrecht selbst betreffen, sondern nur Verwaltungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuervermeidung. Im zweiten Schritt ginge es um Steuern, die weniger fiskalischen Zwecken dienen, sondern andere politische Ziele wie den Klima- oder Umweltschutz unterstützen sollen. (Dadurch würde zum Beispiel die paradoxe Situation gelöst, dass es der EU 2009 leichter fiel, umweltschädliche Glühbirnen zu verbieten, als sie zu besteuern.)

Der dritte Schritt würde Bereiche wie die Mehrwertsteuer betreffen, für die es schon jetzt gemeinsame europäische Regeln gibt, die aber zum Teil veraltet sind und wegen des Einstimmigkeitsprinzips nicht reformiert werden können. Mit dem vierten Schritt sollen schließlich auch die übrigen Steuern erfasst werden, die für den Binnenmarkt relevant sind – etwa die Körperschaftssteuer, für die die Kommission seit mehreren Jahren eine einheitliche Bemessungsgrundlage schaffen will, um Steuerschlupflöcher für multinationale Unternehmen zu schließen.

Ablehnung aus Irland, Malta und Zypern

Tatsächlich ist der Wunsch der Kommission, in der Steuerpolitik zum Mehrheitsprinzip überzugehen, nichts Neues: Präsident Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) erwähnte die Idee schon 2017 und 2018 in seinen Reden zur Lage der Union; und auch das Europäische Parlament unterstützte sie bereits 2017 im Brok/Bresso-Bericht und im Abschlussbericht des „Panama-Papers“-Untersuchungsausschusses. Neu am aktuellen Vorstoß sind vor allem die ausführlichere Begründung und der vorgeschlagene Stufenplan. Geht es nach der Kommission, sollen die ersten beiden Schritte „rasch“ umgesetzt werden, während der dritte und vierte wenigstens „bis 2025 in Erwägung zu ziehen“ wären.

Ob und wann es wirklich zur Anwendung der „Brückenklausel“ kommt, hat die Kommission allerdings nicht in der Hand. Den Anstoß dazu können nur die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat geben, die von der nötigen Einstimmigkeit weit entfernt sind: Die Kommission hatte ihren Vorschlag noch nicht einmal öffentlich vorgestellt, als die Regierungen verschiedener kleinerer Mitgliedstaaten wie Irland, Malta und Zypern (die derzeit oft davon profitieren, dass multinationale Unternehmen sie aus Steuergründen zu ihrem EU-Hauptsitz machen) schon ihre Ablehnung ankündigten. Und selbst wenn sich der Europäische Rat einig wäre, liefe vor dem Inkrafttreten der Brückenklausel zunächst eine sechsmonatige Einspruchsfrist, in der jedes nationale Parlament ein Veto dagegen einlegen könnte. Selbst im besten Falle würde die Kommission Juncker, deren Amtszeit am 1. November 2019 ausläuft, das Ergebnis also nicht mehr selbst erleben.

Nationaler Eigennutz gegen europäisches Gemeininteresse

All das lässt schon erahnen, dass die Kommission mit ihrem jüngsten Vorstoß nicht wirklich auf einen schnellen Erfolg hofft. Der Zeitpunkt wenige Monate vor der Europawahl deutet vielmehr darauf hin, dass sie vor allem eine öffentliche Debatte in Gang setzen will – und damit insbesondere Druck auf die nationalen Regierungen jener Niedrigsteuerländer ausüben, die sich einer gemeinsamen EU-Steuerpolitik nur aus simplem nationalem Eigennutz verweigern.

Denn diese sind natürlich nicht dazu gezwungen, ihr Veto gegen die Brückenklausel mit überzeugenden Gründen zu untermauern. Doch der Anschein, nur aus nationalem Egoismus zu handeln, ist in einem so konsensorientierten System wie der EU mit einem politischen Preis verbunden – und dieser Preis steigt, je größer das öffentliche Interesse ist. Dass beispielsweise der irische Handelskammern-Verband Chambers Ireland jüngst offen „die irische Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den europäischen Partnern“ als Hauptgrund gegen Mehrheitsentscheide in der Steuerpolitik anführte, ist ein Argument, das in einer europaweiten öffentlichen Debatte kaum Bestand haben dürfte.

Sind Mehrheitsentscheide eine unzumutbare Zentralisierung?

Nationale Partikularinteressen von Niedrigsteuerländern gegen das europäische Gemeinwohl zu verteidigen ist allerdings nicht die einzige Begründung, die in den letzten Tagen von Gegnern des Kommissionsvorschlags vorgebracht wurde. Bedenkenswerter ist eine andere Argumentationslinie, die Mehrheitsentscheidungen in der Steuerpolitik auch aus gesamteuropäischer Perspektive als eine unzumutbare Zentralisierung betrachtet.

Um dafür nur zwei deutschsprachige Beispiele anzuführen: Hannelore Crolly, die Brüssel-Korrespondentin der Welt, argumentierte, dass viele Bürger und Staaten „mehr Integration und mehr Delegation nach Brüssel“ ablehnten. Mit ihrem Vorschlag spiele die Kommission deshalb nur jenen in die Hände, „die Brüssel als gefräßiges Monster und Feind der Nationen verteufeln“. Steffen Stierle wiederum erklärte auf EurActiv, für das Einstimmigkeitsprinzip gebe es „gute Gründe“, da die nationalen Regierungen von ihrer jeweiligen Bevölkerung mandatiert seien: „Wenn sie Gefahr laufen, auf EU-Ebene überstimmt zu werden, würden die demokratischen Rechte der Bürger des betroffenen Landes beeinträchtigt.“

So ganz überzeugen kann auch diese Argumentationslinie allerdings nicht – und das nicht nur, weil die Vorstellung, dass die europäische Bevölkerung mehr Integration grundsätzlich ablehnen würde, gerade in der Steuerpolitik durchaus zweifelhaft ist: In einer Eurobarometer-Umfrage von 2016 sprachen sich nicht weniger als drei Viertel der Befragten für ein stärkeres EU-Engagement im Kampf gegen Steuerbetrug aus. Gewiss, das war auf dem Höhepunkt des Panama-Papers-Skandals, und es ist nicht sicher, ob eine ähnliche Umfrage heute dieselben Ergebnisse brächte. Doch wichtiger als die schwankende Stimmungslage sollte ohnehin die Frage sein, welche sachlichen Gründe denn eigentlich für oder gegen eine stärkere Zusammenarbeit in der europäischen Steuerpolitik sprechen.

Subsidiaritätsprinzip und Steuerwettbewerb

Hier sind es typischerweise vor allem zwei Argumente, die für die Unterschiedlichkeit nationaler Steuermodelle vorgebracht werden. Zum einen sind Steuerfragen eng mit Gerechtigkeitsvorstellungen verbunden, die nicht unbedingt in allen EU-Ländern gleich ausfallen. Um den demokratischen Wünschen möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, ist es vernünftig, gemeinsame länderübergreifende Regulierungen in einem solchen Politikbereich nur behutsam einzusetzen. Dies ist der Kerngedanke des Subsidiaritätsprinzips, nach dem Entscheidungen immer auf der niedrigsten Ebene getroffen werden sollten, auf der das sinnvollerweise möglich ist.

Zum anderen soll – so wird vor allem von liberaler Seite argumentiert – die Vielzahl nationaler Steuermodelle auch zu einem Wettbewerb zwischen den Staaten führen, bei dem die Länder untereinander um Steuerzahler konkurrieren und sich deshalb um ein möglichst gutes, effizientes Steuersystem bemühen.

Steuerwettbewerb schränkt nationale Handlungsspielräume ein

In der Praxis stößt diese Idee eines effizienzsteigernden Steuerwettbewerbs allerdings schnell an ihre Grenzen. Denn nicht alle Steuerzahler sind gleichermaßen mobil: Während es im europäischen Binnenmarkt zum Beispiel für ein multinationales Unternehmen verhältnismäßig einfach ist, seinen Steuersitz in ein anderes Land zu verlegen, sind Arbeitnehmer, Verbraucher oder Kleinunternehmen sehr viel stärker an einen bestimmten Ort gebunden. In der Folge setzen sich im Steuerwettbewerb zwischen den Staaten nicht unbedingt die effizientesten Steuermodelle durch, sondern diejenigen, die mobilere Produktionsfaktoren (wie Kapital) entlasten und weniger mobile (wie Arbeit) belasten.

Wenig überraschend zahlen (wie grundsätzlich schon länger bekannt und jüngst durch eine von den europäischen Grünen präsentierte Studie bestätigt) große multinationale Unternehmen in der EU deshalb kaum Steuern – jedenfalls deutlich weniger als kleinere, rein nationale Unternehmen. Ein solches Steuermodell aber dürfte weder aus ökonomischer Sicht besonders effizient sein noch den tatsächlichen Gerechtigkeitsvorstellungen der Bevölkerungsmehrheit entsprechen. Vielmehr spricht viel dafür, dass der zwischenstaatliche Steuerwettbewerb effektiv die demokratischen Spielräume der Mitgliedstaaten einschränkt. Oder anders formuliert: dass im europäischen Binnenmarkt eine eigenständige, rein nationale Steuerpolitik nicht sinnvoll möglich ist.

Nationale Vetorechte schwächen die europäische Demokratie

Dieser Verlust an nationalen Handlungsspielräumen spricht dann allerdings auch aus einer Subsidiaritätsperspektive sehr für eine stärkere europäische Harmonisierung. Denn wenn die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Steuerpolitik so stark durch die „Sachzwänge“ des zwischenstaatlichen Steuerwettbewerbs eingeschränkt sind, kann man nicht davon ausgehen, dass die nationalen Steuersysteme wirklich die jeweiligen demokratischen Präferenzen der Bürger widerspiegeln. Die Verlagerung steuerpolitischer Entscheidungen auf die europäische Ebene wird vielmehr zur Voraussetzung, um sie überhaupt wieder demokratisch verfügbar zu machen.

Das allerdings bedeutet dann auch, dass die nationale Demokratie kein Argument sein kann, um in der EU-Steuerpolitik ein nationales Vetorecht aufrechtzuerhalten. Denn es stimmt zwar natürlich, dass die nationalen Regierungen von der Bevölkerung ihres Landes demokratisch legitimiert sind. Doch diese Legitimation gilt nur für Angelegenheiten, die die jeweils eigene Bevölkerung betreffen. Wenn, wie in der Steuerpolitik, die nationalen Entscheidungen eines Landes die Handlungsspielräume aller anderen Länder einschränken können, so muss eine gemeinsame, staatenübergreifende Regelung gefunden werden.

Die demokratische Legitimation der einen Regierung trifft dann auf die ebenso gute demokratische Legitimation der anderen, und ein nationales Vetorecht führt lediglich dazu, dass ein Konflikt zwischen ihnen gegebenenfalls als Machtkampf im diplomatischen Raum ausgetragen wird. Auf die diplomatischen Machtverhältnisse zwischen den Staaten aber haben die Bürgerinnen und Bürger keinerlei Einfluss. Das Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat führt deshalb nicht zu einer Stärkung, sondern zu einer Schwächung der demokratischen Legitimität einer Entscheidung.

Demokratische Steuerpolitik führt über das Europäische Parlament

Will man überstaatliche Entscheidungen demokratisch legitimieren, so führt der Weg dazu nur über die supranationalen Institutionen, also das gemeinsam gewählte Europäische Parlament. Das besitzt derzeit in der EU-Steuerpolitik nach Art. 113 AEUV nur ein unverbindliches Anhörungsrecht. Würde, wie von der Kommission vorgeschlagen, für diesen Bereich künftig das ordentliche Gesetzgebungsverfahren angewandt, so erhielte das Parlament hingegen ein gleichberechtigtes Mitentscheidungsrecht neben dem Rat. Auch das ist zwar noch keine optimale Lösung, aber doch ein Schritt in die richtige Richtung: dass die Europäerinnen und Europäer künftig die Europawahl nutzen können, um demokratisch über die von ihnen gewünschte Steuerpolitik zu entscheiden.

Und auch wenn der Weg bis zur Anwendung der Brückenklausel noch lang ist und Blockaden der kleinen Niedrigsteuerstaaten zu erwarten sind, ist es überfällig, diese Debatte jetzt in die europäische Öffentlichkeit zu tragen. So wichtig und folgenreich der Brexit auch ist: Es ist zu hoffen, dass der Europawahlkampf in den nächsten Monaten nicht nur vom politischen Chaos in London bestimmt wird, sondern auch ausreichend Gelegenheiten bietet, um Auseinandersetzungen wie diese zu führen.

Bild: European Commission [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons.

15 Januar 2019

„Reform“ statt Austritt: Rechte Europaskeptiker ändern ihre Haltung zur EU – und werden dadurch für die Zukunft der europäischen Integration noch gefährlicher

Alexander Gauland will die EU nicht verlassen, sondern nach seinen Vorstellungen umgestalten.
Der Parteitag, auf dem die AfD jüngst ihr Europawahlprogramm verabschiedet hat, war von einer Grundsatzdebatte über die Haltung zur Europäischen Union geprägt: Soll die AfD für einen schnellen Austritt Deutschlands aus dem Staatenverbund eintreten? Während der hart rechte Flügel es mit dieser „Dexit“-Forderung zunächst in den Leitantrag (und in die Medien) schaffte, bemühte sich die Parteispitze um Abwiegelung. Schließlich beschloss der Parteitag, den Dexit nur noch als Ultima Ratio in Erwägung zu ziehen und sich stattdessen für eine „Reform“ der EU einzusetzen – eine Reform freilich, bei der die EU von einer supranationalen zu einer rein zwischenstaatlichen Organisation zurückgestutzt werden, ihre Gesetzgebungskompetenz verlieren und das Europäische Parlament abgeschafft und durch eine Versammlung nationaler Delegierter abgelöst werden soll.

Nun könnte man diesen parteiinternen Streit zwischen Austritt und „Reform“ als eine bloße Gespensterdebatte abtun: Weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene ist zu erwarten, dass die AfD in absehbarer Zeit so viel politische Macht erringt, dass sie solche radikalen Forderungen umsetzen könnte. Doch die AfD ist nicht allein, und ihre Debatte fügt sich in eine Entwicklung ein, die der Londoner Historiker und Europawissenschaftler Alexander Clarkson jüngst in einem Politico-Gastbeitrag beschrieben hat: Nicht nur in Deutschland, auch in vielen anderen Mitgliedstaaten geben sich rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien nicht mehr einfach nur als Europagegner, sondern versuchen die Europäische Union nach ihren eigenen Vorstellungen umzugestalten.

Das „wahre Europa“ gegen die supranationale EU

Rhetorisch zeigte sich diese geänderte Linie etwa im vergangenen Oktober bei einem Treffen zwischen dem italienischen Innenminister Matteo Salvini (Lega/BENF) und der französischen Rechtsaußenpolitikerin Marine Le Pen (RN/BENF). Bei der anschließenden Pressekonferenz betonte Le Pen, sie kämpften nicht „gegen Europa, sondern gegen die Europäische Union“, vor der es „das wahre Europa“ zu retten gelte. Salvini wiederum beschimpfte Kommissionschef Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) und Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici (PS/SPE) als „Feinde Europas“.

Vor einigen Tagen wiederum bezeichnete Salvini nach einem Treffen mit dem polnischen Innenminister Joachim Brudziński (PiS/AKRE) die polnische und die italienische Regierung als „Teil eines neuen Frühlings in Europa“. Brudziński selbst kündigte an, sie wollten „die EU so reformieren, dass sie den Bürgern näher ist als den Eliten“. (Dass damit insbesondere die Schwächung der Europäischen Kommission gemeint war, die in den letzten Monaten verstärkt gegen die Angriffe der polnischen Regierung auf die Rechtsstaatlichkeit vorgegangen ist, bedurfte keiner weiteren Erklärung.)

Und der damalige österreichische Oppositionsführer und heutige Innenminister Heinz-Christian Strache (FPÖ/BENF) erklärte schon 2016 in einem Facebook-Eintrag: „Wir [EU-Kritiker] müssen Europa sein und nicht die EU-Zentralisten!“, und forderte deshalb eine „europäische Reform und ein neues und bürgernahes Europa der föderalen Vaterländer“.

„Proeuropäisch“ nannten sich bisher nur die Mitte-Parteien

Dass sich hinter dem Schlagwort einer „EU-Reform“ auch das Ziel einer Renationalisierung und einer Schwächung der europäischen Institutionen verbergen kann, ist nichts ganz Neues. Vor allem im Europadiskurs der großen britischen Parteien war dieser Topos allgegenwärtig, ehe sich mit dem Brexit-Referendum 2016 doch die Austrittsforderung der radikalen UKIP durchsetzte. Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), an deren Gründung die britischen Tories 2009 maßgeblich beteiligt waren, hat das Schlagwort sogar in ihrem Namen übernommen.

Auf dem europäischen Kontinent spielte diese Idee einer europäischen „Reform“ von rechts hingegen lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Die europapolitischen Konfliktlinien fielen hier in der Regel klarer aus: Als „proeuropäisch“ bezeichneten sich bislang meist nur die Parteien der politischen Mitte, die die grundlegenden Prinzipien der EU – etwa den supranationalen Charakter ihrer Institutionen, den Anwendungsvorrang des Europarechts oder die vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts – anerkannten und auf eine „immer engere Union“ hinarbeiten wollten.

Rechtspopulisten und Rechtsextreme beschränkten sich hingegen darauf, das Loblied auf den starken, souveränen Nationalstaat zu singen, dessen „Freiheit“ (so das gemeinsame Schlagwort im Namen der beiden anderen Rechtsfraktionen im Europäischen Parlament, ENF und EFDD) durch die europäische Einigung gefährdet sei. Allenfalls bei der globalisierungskritischen Linken fand sich auch die ambivalente Forderung nach einem „anderen Europa“ – wobei allerdings meist offen blieb, was damit institutionell eigentlich genau gemeint war.

Der Brexit macht Austrittsforderungen unattraktiv

Wie aber ist es zu erklären, dass nun auch die Rechtsaußen-Parteien Europa für sich entdecken – und handelt es sich dabei nur um eine rhetorische Taktik, oder verbirgt sich dahinter auch eine neue Strategie? Vor allem drei Faktoren scheinen mir hier eine Rolle zu spielen, von denen sich zwei mehr oder weniger zufällig aus den gegebenen Umständen heraus ergeben und vor allem auf eine taktische Anpassung hinweisen. Der dritte hingegen ist struktureller Art und macht einen längerfristigen Strategiewechsel der europäischen Rechten plausibel.

Der erste dieser Faktoren ist die britische Erfahrung. Im Umfeld des Referendums 2016 war immer wieder von einem möglichen Domino-Effekt die Rede, durch den der Brexit europaweit den Europagegnern Auftrieb verleihen und den Austritt noch weiterer Länder nach sich ziehen könnte. Eingetreten ist das Gegenteil: Schon vor dem eigentlichen Austritt schwächte der Brexit nicht nur die britische Wirtschaft, sondern führte auch zu einer politischen Krise, die die Idee einer souveränen nationalen Demokratie ad absurdum führte. Parallel dazu stiegen die europaweiten Zustimmungswerte zur EU im Eurobarometer 2018 auf den höchsten Stand seit mehreren Jahrzehnten. Es ist daher auch für rechtsnationale Parteien taktisch naheliegend, die Forderung nach einem EU-Austritt gerade eher nicht in den Vordergrund zu stellen.

Ausgrenzende europäische Identitätskonstruktionen

Ein zweiter Faktor ist die zentrale Rolle, die die Asyl- und Einwanderungspolitik in den letzten Jahren erhalten hat. Noch bis 2014 wurde die europapolitische Auseinandersetzung von der Eurokrise dominiert – ein Thema, das (insbesondere im Diskurs rechter Parteien) von harten ökonomischen Interessengegensätzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten geprägt war. In der Migrationsdebatte seit 2015 gelten hingegen nicht die anderen EU-Länder, sondern Menschen aus nicht-europäischen Ländern als die „Anderen“.

Zwar gibt es insbesondere in der Frage der Umverteilung von Asylbewerbern weiterhin auch nationale Interessengegensätze zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Doch dieses Thema verliert zunehmend an Bedeutung gegenüber der Frage, wie die europäischen Außengrenzen geschützt sein sollten – und hier treten die europäischen Rechten länderübergreifend für eine stärkere Abschottung ein. Der ursprünglich kritisch gemeinte Begriff der „Festung Europa“ wird von Politikern wie Strache, Salvini, Viktor Orbán (Fidesz/EVP) oder Jörg Meuthen (AfD) nun positiv besetzt.

Die ausgrenzenden Identitätskonstruktionen, die einen zentralen Bestandteil rechtspopulistischer Politik ausmachen, funktionieren dadurch nicht mehr nur national, sondern auch gesamteuropäisch. Womöglich ist es deshalb nur noch eine Frage der Zeit, bis sich rechtspopulistische Parteien auch das Schlagwort der „europäischen Souveränität“ aneignen, das der französische Staatspräsident Emmanuel Macron (LREM) – wenn auch mit anderer Intention – in die europapolitische Debatte eingebracht hat.

Konsensstrukturen machten die EU erst zu schwerer Beute …

Doch sowohl die abschreckende Erfahrung des Brexit als auch die für die rechten Parteien gemeinschaftsstiftende Debatte über den Schutz der europäischen Außengrenzen sind nur vorübergehende Umstände, die schon bald neuen Themen weichen könnten. Auf eine dauerhafte Veränderung in der Haltung der europäischen Rechten zur Europäischen Union weist hingegen der dritte, strukturelle Faktor hin: der wachsende Einfluss, den rechte Parteien auf die europäische Politik erhalten, seitdem sie in mehreren Mitgliedstaaten die Regierungsmacht übernommen haben.

Dass rechte Parteien mit der europäischen Einigung bislang wenig anzufangen wussten, liegt nämlich nicht nur in ihrer nationalistischen Tradition verankert, sondern hat auch institutionelle Gründe: Im Vergleich zu den meisten demokratischen Nationalstaaten sind die Verfahren der Europäischen Union sehr konsensorientiert; Entscheidungen kommen in der Regel nur durch breite Kompromisse sowohl zwischen den europäischen Parteien als auch zwischen den nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten zustande.

Diese Konsensstrukturen machen eine schnelle Machtübernahme durch politische Außenseiter unmöglich: Anders als auf nationaler Ebene genügt in der EU ein einzelner Wahlsieg nicht, um große Regierungsmacht zu gewinnen. Das ist ein demokratisches Problem, macht die EU aber auch zu einer schweren Beute für machthungrige Demagogen. Solange die rechtspopulistischen Parteien auf eine Oppositionsrolle beschränkt waren, hatten sie deshalb wenig Anreiz, sich konstruktiv in die europäische Politik einzubringen. Stattdessen konzentrierten sie sich auf den Machtgewinn auf nationaler Ebene und nutzten die EU nur rhetorisch als einfachen Buhmann.

… aber bieten den Rechtsparteien jetzt ein Einfallstor

Dieselben Konsensstrukturen, die lange den Zugang rechter Parteien zur europäischen Macht behindert haben, machen es aber auch schwer, sie davon fernzuhalten, sobald sie erst einmal in einer nennenswerten Zahl von Mitgliedstaaten stark geworden sind. Am einfachsten ist dies noch im Europäischen Parlament: Auch wenn rechte Parteien bei der Europawahl 2019 noch einmal dazugewinnen dürften, wird es im Parlament weiterhin auch ohne sie eine solide Mehrheit geben.

Hingegen wird es im Ministerrat immer schwieriger, die für die europäische Gesetzgebung notwendigen qualifizierten oder gar einstimmigen Mehrheiten zu finden, ohne dabei auch rechte Regierungen einzubeziehen. Und da in der Praxis jede nationale Regierung einen Kommissar nominiert, wird es in der 2019 gewählten EU-Kommission aller Voraussicht nach nicht nur Vertreter der ungarischen Fidesz, sondern auch der PiS und vielleicht sogar der Lega oder der FPÖ geben. Die Rechtsparteien gewinnen in der EU also an institutioneller Macht – und haben damit einen wachsenden Anreiz, diese Macht konstruktiv zu nutzen, um eigene politische Ziele zu verwirklichen und ihre Vorstellungen einer illiberalen und exkludierenden Gesellschaftsordnung auch auf europäischer Ebene voranzutreiben.

Manfred Webers EVP gibt sich nach rechts offen

Die Frage, wie weit man sich auf Kompromisse mit den Rechtsparteien einlassen sollte, wird für die Parteien der Mitte deshalb zu einer zentralen Herausforderung der nächsten Jahre. Die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei hat sich unter ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU/EVP) für den Ansatz des „Brückenbauens“ entschieden: Weber setzt nicht nur parteiintern auf eine Einbindung des rechten Flügels um den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán. Auch allgemein signalisierte er jüngst Bereitschaft für eine Zusammenarbeit mit allen Akteuren, die „nicht fundamental gegen die EU“ sind, was aus Webers Sicht die EKR-Fraktion und offenbar auch die polnische und die italienische Regierung mit einschließt.

Eine solche nach rechts offene Haltung mag auf den ersten Blick durchaus pragmatisch erscheinen, um eine drohende Blockade europapolitischer Entscheidungen durch die Rechtsparteien zu vermeiden. Dass diese sich auf diese Weise dauerhaft einhegen lassen, sollte man jedoch nicht hoffen: Sieht man von Fällen wie den finnischen Perussuomalaiset ab, die seit ihrer Regierungsbeteiligung 2015 stark in der Wählergunst zurückgingen und sich 2017 spalteten, profitierten die europäischen Rechtsparteien bislang eher davon, wenn die EU Konflikten aus dem Weg ging und sie frei gewähren ließ.

Verankern sich die Rechtsparteien in den Institutionen der EU?

Gerade für die institutionelle Fortentwicklung der EU und den weiteren Ausbau der europäischen Demokratie, aber auch für die Rechtsstaatlichkeit in Europa und für die völkerrechtsfreundliche Rolle der EU in der Welt ist die neue „konstruktive“ Haltung der europäischen Rechtsparteien deshalb wohl die größere Gefahr als ihre frühere offene Ablehnung. Wenn sich die Rechtsparteien in den europäischen Institutionen verankern und ihre Vorstellungen zur „Reform“ der EU auch in der politischen Mitte salonfähig werden, wäre das das Ende der europäischen Integration, wie wir sie bisher kennen.

Die Zeiten bleiben also stürmisch. Das Haupteinfallstor aber wird auch in Zukunft nicht die Europawahl und das Europäische Parlament sein, wo die Rechten nach wie vor weit von einer Mehrheit entfernt sind, sondern die Macht der von ihnen kontrollierten nationalen Regierungen im Rat. Wenn wir darüber nachdenken, wie sich Demokratie und Rechtsstaat vor ihren Gegnern schützen lassen (siehe etwa diese spannende Verfassungsblog-Debatte), dann sollte uns das eine Lehre sein: Konsensstrukturen und eine weitreichende Ebenenverflechtung machen eine Verfassungsordnung nicht unbedingt resilienter, sondern können einer autoritären Minderheit sogar als politischer Hebel dienen, sobald diese erst einmal eine gewisse Größe erreicht hat.

Bild: Olaf Kosinsky [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons.

08 Januar 2019

Wenn am nächsten Sonntag Europawahl wäre (Januar 2019): Sozialdemokraten fallen auf neuen Tiefststand, Rechte legen zu, „Grüne Welle“ hält an


GUE/
NGL
Grüne/
EFA
S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
EP heute 52 52 187 68 218 74 43 34 23
Nov. 18 56 47 137 94 182 49 21* 62 10 47
Jan. 19 57 49 130 90 181 58 14* 63 11 52
dynamisch 57 50 130 95 185 91 86 11

Basisszenario,
Stand: 07.01.2019.
Wie tief können die Sozialdemokraten in den Umfragen noch fallen? Viereinhalb Monate vor der Europawahl scheint für die größte europäische Mitte-links-Partei kein Boden in Sicht: Gegenüber der letzten Projektion von Mitte November stürzen sie noch einmal ab und würden nun nur noch 130 Sitze erreichen (–7). Das ist nicht nur ein neuer Tiefststand in dieser Wahlperiode, sondern wäre auch der niedrigste Sitzanteil, den die sozialdemokratische S&D-Fraktion im Europäischen Parlament jemals erreicht hat.

Die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei hält sich hingegen recht stabil (181 Sitze / –1) und kann dadurch ihren Vorsprung gegenüber den Sozialdemokraten auf über 50 Sitze ausbauen. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die EVP sich auf ihr schlechtestes Europawahlergebnis seit 1989 einstellen muss.

EVP in großen Ländern schwach

Gegenüber der letzten Europawahl am deutlichsten verschlechtert hat sich die Lage der Europäischen Volkspartei in den großen Mitgliedstaaten: In den sieben einwohnerreichsten Ländern lassen die Umfragen für die EVP Verluste erwarten. Besonders stark sind diese in Frankreich (9 statt 20 Sitze) und Deutschland (28 statt 34), auch wenn die CDU/CSU seit der November-Projektion wieder etwas an Boden gutmachen konnte.

Aber auch in den kleineren Ländern ist die Lage für die EVP durchwachsen. Starke Verluste drohen etwa den Mitgliedsparteien aus Tschechien (2 statt 7), der Slowakei (2 statt 6) und Lettland (1 statt 4); aus Dänemark und Estland (je 0 statt 1) könnte es künftig überhaupt keine EVP-Europaabgeordneten mehr geben. In Griechenland (8 statt 5), Schweden (6 statt 4), Österreich (7 statt 5) und Zypern (3 statt 1) dürfen die Konservativen hingegen mit Zugewinnen rechnen.

S&D leidet europaweit

Ähnlich ist das Bild für die S&D: Im Vergleich zur aktuellen Zusammensetzung des Parlaments verlieren auch die Sozialdemokraten quer durch Europa, besonders aber in den großen Mitgliedstaaten Italien (15 statt 31), Deutschland (14 statt 27) und Frankreich (5 statt 12). Aussicht auf Verbesserung versprechen die Umfragen ihnen hingegen nur in wenigen Ländern, etwa Bulgarien (7 statt 4), Dänemark (5 statt 3) und Finnland (4 statt 2).

Trotz dieser Krise sehen die aktuellen Umfragen die Sozialdemokraten freilich noch immer in einem Drittel der Mitgliedstaaten – nämlich in Spanien, Portugal, Dänemark, Schweden, Finnland, Lettland, Rumänien, der Slowakei und Malta – als stärkste nationale Kraft. Doch auch in vielen dieser Länder ist die Unterstützung nicht stabil: Die Einbußen in den letzten acht Wochen gehen insbesondere auf schwächere Umfragewerte der Sozialdemokraten in Rumänien, Spanien und Portugal zurück, während sie sich etwa in Deutschland und Ungarn leicht verbessern konnten.

Und wenn beide großen Fraktionen leiden, dann sehen in der Summe natürlich auch die Aussichten für die von ihnen gebildete informelle Große Koalition nicht allzu gut aus: Zusammen kommen EVP und S&D in der Projektion nur noch auf 311 Sitze – und sind damit von der absoluten Mehrheit (353 der insgesamt 705 Sitze) weiter entfernt denn je.

ALDE stärker als 2014 – aber seit 2017 im Sinkflug

Der Niedergang der Großen Koalition dürfte zur Folge haben, dass die europäischen Liberalen nach der Europawahl im Europäischen Parlament an politischem Gewicht gewinnen. Die liberale Fraktion ALDE, die schon jetzt häufig von EVP und S&D in ihre Zusammenarbeit mit einbezogen wird, könnte künftig zur Bildung von Mehrheiten nahezu unverzichtbar werden. Dieser Ausbau der politischen Schlüsselstellung geht für die Liberalen zudem mit deutlichen Sitzgewinnen einher: Den Umfragen zufolge können sie künftig mit 90 statt derzeit 68 Mandaten rechnen. Besonders stark zulegen dürften sie in Frankreich (18 statt 7), Spanien (13 statt 8), Deutschland (8 statt 3), Tschechien (8 statt 4) und Irland (5 statt 1).

Gemessen an den Ambitionen von ALDE-Parteichef Hans van Baalen, der vor zwei Jahren „ungefähr hundert Sitze“ als Ziel für die Europawahl ausgab, können die europäischen Liberalen allerdings nicht ganz zufrieden sein. Tatsächlich übertraf die ALDE in der zweiten Jahreshälfte 2017, als sie ihre besten Umfragewerte erreichte, die 100-Sitze-Marke deutlich. Seitdem befindet sie sich jedoch in einem langsamen, aber recht stetigen Sinkflug, der sich auch in den vergangenen Wochen fortsetzte: Gegenüber der letzten Projektion von November 2018 verliert die ALDE in zahlreichen Mitgliedstaaten leicht, unter anderem in Deutschland, Frankreich, Spanien und Rumänien (insgesamt 90 Sitze / –4).

Grüne Welle“ setzt sich fort, Linke stabil

Im Aufwind befindet sich hingegen die Fraktion der Grünen/EFA: Diese stürzte in den Umfragen nach der Europawahl 2014 erst einmal stark ab, konnte ihre Werte aber seit Mitte 2017 nahezu kontinuierlich verbessern. Auch wenn die Fraktion in den Umfragen jetzt erst wieder auf dem Niveau des vergangenen Wahlergebnisses steht, spricht die Parteispitze der europäischen Grünen deshalb bereits von einer europäischen „grünen Welle“. In den letzten Wochen setzte sich diese „Welle“ weiter fort; die Fraktion würde nun 49 Sitze erreichen (+2).

Interessant ist dabei auch, dass sich diese Zugewinne der letzten Wochen auf mehrere Länder (Frankreich, Spanien, Niederlande, Schweden und Litauen) verteilen – anders als in den Monaten zuvor, in denen die „grüne Welle“ eigentlich nur auf den Höhenflug der deutschen Grünen zurückgegangen war. Seit der November-Projektion müssen diese einen Dämpfer hinnehmen. Dennoch wird sich ihr Gewicht innerhalb der Grüne/EFA-Fraktion bei der Europawahl wohl deutlich erhöhen: Statt bisher 13 von 52 könnten künftig 19 von 49 Fraktionsmitgliedern aus Deutschland stammen.

Wenig Veränderung gibt es unterdessen bei der Linksfraktion GUE/NGL. In der Projektion kommt diese nun auf 57 Sitze (+1) – eine deutliche, aber nicht spektakuläre Verbesserung gegenüber den 52 Sitzen, die sie im aktuellen Parlament einnimmt. Besonders starke Zugewinne kann die GUE/NGL dabei in Frankreich (10 statt 5) und Kroatien (3 statt 0) erwarten. In Spanien (8 statt 10) und Italien (0 statt 3) sind linke Parteien heute hingegen schwächer als im Eurokrisen-Europawahljahr 2014.

EKR und ENF legen zu, EFDD steht vor dem Aus

Stark zulegen kann auch die rechtskonservative EKR-Fraktion. Das liegt zum einen daran, dass die italienische FdI in den letzten Umfragen wieder knapp über der nationalen Vier-Prozent-Hürde liegt. Zum anderen hat die französische Partei Debout la France angekündigt, dass sie nach der Europawahl zur EKR übertreten wird. Die EKR macht dadurch in der Projektion einen Sprung auf 58 Sitze (+9) – und erreicht fast wieder das Niveau, das sie vor der Brexit-Entscheidung (und damit dem angekündigten Abgang ihrer wichtigsten bisherigen Mitgliedspartei, der britischen Conservatives) hatte.

Gleichzeitig bedeutet der angekündigte Übertritt wohl auch das endgültige Aus für die nationalpopulistische EFDD-Fraktion, der Debout la France bis jetzt angehörte. Von allen EFDD-Mitgliedern, die bei der Europawahl voraussichtlich wieder ins Europäische Parlament einziehen werden, gibt es nur zwei, die noch nicht offiziell angekündigt haben, dass sie die Fraktion verlassen werden: die deutsche AfD und die litauische TT. Zusammen kämen sie noch auf 14 Sitze (–7) – in jeder Hinsicht zu wenige, um nach der Geschäftsordnung des Parlaments weiter eine eigene Fraktion zu bilden.

Die Rechtsaußen-Fraktion ENF schließlich konnte in den letzten Wochen ebenfalls leicht dazugewinnen, was vor allem an stärkeren Umfragewerten des französischen RN um Marine Le Pen liegt. Andere Mitgliedsparteien, etwa die italienische Lega, waren zuletzt hingegen etwas schwächer als in der November-Projektion. Insgesamt würde die ENF jetzt 63 Abgeordnete erreichen (+1).

Fraktionslose und Weitere

Wenig Neues gibt es bei den fraktionslosen Abgeordneten. Diese meist rechts- oder linksextremen Parteien, die so radikal sind, dass sie in keiner europäischen Gruppierung einen Platz gefunden haben, kämen nun gemeinsam auf 11 Sitze (+1).

Mehr Bewegung gab es hingegen bei den weiteren Parteien – also jenen Parteien, die zum ersten Mal ins Europäische Parlament einziehen werden und noch keiner europäischen Partei angehören oder deren künftige Fraktionszuordnung aus anderen Gründen unklar ist. Diese Gruppe erreicht nun einen neuen Höchstwert von 52 Sitzen (+5), was insbesondere an der spanischen Rechtspartei Vox liegt. Nach ihrem Einzug in das andalusische Regionalparlament Anfang Dezember erreicht diese nun auch in nationalen Umfragen Werte von rund zehn Prozent. Nachdem Vox in der Vergangenheit die Nähe zur ENF gesucht hatte, ging Parteichef Santiago Abascal zuletzt etwas auf Distanz und kündigte an, die Partei werde über ihre Fraktionszugehörigkeit erst nach der Europawahl entscheiden. In dieser Projektion wird Vox deshalb ab jetzt nicht mehr direkt der ENF zugerechnet, sondern als „weitere Partei“ geführt.

Kandidieren die „Gelbwesten“?

In der Projektion nicht inbegriffen sind schließlich die französischen Gilets Jaunes („Gelbwesten“). Verschiedene Vertreter der Protestbewegung, die seit Ende 2018 die französische Öffentlichkeit beherrscht, spielen inzwischen mit der Idee, mit einer eigenen Wahlliste zur Europawahl anzutreten. Einzelne Umfragen schreiben einer solchen Liste ein Potenzial von 8 bis 12 Prozent der Stimmen (ca. 10 Sitze) zu, die vor allem zu Lasten von Marine Le Pens RN sowie der Linkspartei La France Insoumise gehen würden.

Ob es dazu kommt, ist allerdings unsicher; die Idee einer eigenen Wahlliste ist in der Bewegung selbst umstritten. Und auch die inhaltliche Ausrichtung der Gilets Jaunes, die vor allem durch ihre gemeinsame Gegnerschaft zu Präsident Emmanuel Macron zusammengehalten werden, ist reichlich unklar. Welcher Fraktion sich die Gruppierung im Europäischen Parlament gegebenenfalls anschließen könnte, ist dementsprechend völlig offen; umso mehr, als wahrscheinlich in sämtlichen Fraktionen bereits irgendeine andere französische Partei vertreten sein wird.

Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings die Solidaritätsadresse, die Luigi di Maio, der Chef des italienischen M5S, den Gilets Jaunes zuletzt zukommen ließ. Auch die künftige Fraktionszugehörigkeit des M5S (das bisher noch zur EFDD gehört, aber bereits seinen Austritt angekündigt hat) steht derzeit noch in den Sternen. Di Maio selbst würde nach der Europawahl am liebsten eine neue, eigene Fraktion gründen, ohne bislang freilich sagen zu können, wer dafür als Partner in Frage käme. Eine Allianz mit den Gilets Jaunes könnte hierfür ein erster Baustein sein – sofern diese tatsächlich kandidieren und Sitze gewinnen.

Dynamisches Szenario

Dynamisches Szenario,
Stand: 07.01.2019.
So oder so: Die Auflösung der EFDD-Fraktion und die vielen „weiteren Parteien“ bleiben ein Unsicherheitsfaktor für die Gestalt des Europäischen Parlaments nach der Europawahl. Um dem gerecht zu werden, werden die Parteien aus diesen beiden Gruppen im dynamischen Szenario jenen Fraktionen zugeordnet, die ihnen politisch jeweils am nächsten zu stehen scheinen. Im Vergleich zur Basis-Projektion ist das dynamische Szenario also spekulativer; angesichts der zu erwartenden Veränderungen im Zuschnitt der Fraktionen könnte es aber näher an der wirklichen Gestalt des Europäischen Parlaments nach der Europawahl liegen.

Da nicht nur die EFDD-Mitglieder, sondern auch viele der „weiteren Parteien“ nationalkonservativ oder rechtspopulistisch ausgerichtet sind, schneiden EKR und ENF im dynamischen Szenario deutlich besser ab als im Basisszenario. Für GUE/NGL (57 Sitze), G/EFA (50), S&D (130), ALDE (95) und EVP (185) ergeben sich nur geringe oder überhaupt keine Zuwächse. Die ENF hingegen käme – mit AfD und Vox – auf 86 Sitze, die EKR – mit dem M5S und dem niederländischen FvD – sogar auf 91.

Sowohl EKR als auch ENF haben also eine Chance, der ALDE den Platz als drittstärkste Fraktion im Parlament streitig zu machen. Zusammen würden die beiden Rechtsfraktionen sogar 177 Mandate erreichen und lägen damit nur knapp hinter der EVP als stärkster Kraft.

Rechte Einheitsfraktion?

Ist so eine rechte Einheitsfraktion denkbar? Die Spekulationen darüber haben in den letzten Tagen jedenfalls noch einmal kräftigen Auftrieb erhalten. Anlass dafür ist ein Treffen zwischen Matteo Salvini und Jarosław Kaczyński, das am morgigen Mittwoch stattfinden wird. Die Vorsitzenden der italienischen Lega und der polnischen PiS repräsentieren die jeweils größten nationalen Einzelparteien von ENF und EKR. Sollten sie sich auf einen Übertritt der PiS in die ENF-Fraktion verständigen, so dürfte dies noch zahlreiche weitere EKR-Mitglieder, etwa die skandinavischen Rechtsparteien, nach sich ziehen. Von der Sitzzahl her könnte die dadurch entstehende neue große Rechtsfraktion dann wohl mit den Sozialdemokraten mithalten – während das M5S die Chance nutzen könnte, um aus den restlichen Mitgliedern der EKR, die einen Übertritt zur ENF ablehnen, eine neue Fraktion populistischer, aber nicht dezidiert rechter Protestparteien zu formen.

Dieses Szenario ist nun allerdings tatsächlich äußerst spekulativ. Wie ich an anderer Stelle ausführlich dargestellt habe, gibt es nach wie vor zahlreiche Hindernisse, die die Lega und ihre Verbündeten von der PiS und den nordeuropäischen Rechtsparteien trennen und eine rechte Einheitsfraktion unwahrscheinlich machen. Immerhin: Falls das Treffen zwischen Salvini und Kaczyński zu konkreten Ergebnissen führt, wissen wir vielleicht in Kürze mehr.

Die Übersicht

Die folgende Tabelle schlüsselt die Projektion für die Sitzverteilung zwischen den Fraktionen im nächsten Europäischen Parlament nach nationalen Einzelparteien auf. Die Tabelle folgt dabei dem Basis-Szenario. Die Veränderungen im dynamischen Szenario sind durch farbige Schrift und durch einen Hinweis im Mouseover-Text gekennzeichnet.

Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Projektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Da das Vereinigte Königreich noch vor der nächsten Europawahl aus der Europäischen Union austreten wird, werden die britischen Parteien in der Projektion seit Mai 2017 nicht mehr berücksichtigt. Wie die Datengrundlage für die Länder im Einzelnen aussieht, ist im Kleingedruckten unter der Tabelle erläutert. Mehr Informationen zu den europäischen Parteien und zu den Fraktionen im Europäischen Parlament gibt es hier.


GUE/
NGL
Grüne/
EFA
S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
EP heute 52 52 187 68 219 73 43 34 23
Nov. 18 56 47 137 94 182 49 21* 62 10 47
Jan. 19 57 49 130 90 181 58 21* 63 11 52
dynamisch 57 50 130 95 185 91 86 11
DE 9 Linke
1 Tier
17 Grüne
1 Piraten
1 ödp
14 SPD 8 FDP
1 FW
28 Union 1 Familie 13 AfD
1 Partei
1 NPD
FR 10 FI 7 EELV 5 PS 18 LREM 9 LR 7 DLF
23 RN

IT

15 PD
8 FI
1 SVP
3 FdI
27 Lega
22 M5S
ES 8 UP 2 ERC
1 Comp
1 ICV
14 PSOE 13 Cʼs 13 PP



1 PDeCAT
6 Vox
PL

3 SLD
17 PO
4 PSL
25 PiS


3 Kʼ15
RO

11 PSD 3 ALDE 8 PNL
2 UDMR




2 PLUS
4 USR
3 PRO
NL 3 SP
1 PvdD
4 GL 2 PvdA 6 VVD
2 D66
3 CDA 1 CU
4 PVV
3 FvD
EL 6 Syriza
1 LAE

2 KINAL
8 ND


2 XA
2 KKE

BE 1 PTB 2 Groen
1 Ecolo
1 sp.a
3 PS
2 OpenVLD
2 MR
2 CD&V
1 cdH
1 CSP
4 N-VA
1 VB

PT 1 CDU
2 BE

9 PS
9 PSD-CDS




CZ 2 KSČM 3 Piráti 1 ČSSD 8 ANO 2 KDU-ČSL 4 ODS
1 SPD

HU

3 MSZP
2 DK

13 Fidesz


3 Jobbik
SE 2 V 1 MP 6 S 2 C 4 M
2 KD
4 SD



AT 1 Grüne 5 SPÖ 1 Neos 7 ÖVP

5 FPÖ

BG

7 BSP 2 DPS 7 GERB



1 OP
DK 1 FmEU
1 SF
5 S 3 V
1 RV

3 DF



FI 1 Vas 2 Vihr 4 SDP 3 Kesk 3 Kok 1 PS



SK

3 SMER
1 M-H
1 KDH
2 OĽ-NOVA
2 SaS

2 SNS 2 ĽSNS 1 SR
IE 3 SF

5 FF 5 FG




HR 3 ŽZ
3 SDP
5 HDZ



1 Most
LT
3 LVŽS 1 LSDP
1 DP
4 TS-LKD
1 TT

1 LCP
LV

2 SDPS 1 ZZS
1 AP!
1 V 1 NA


1 KPV
1 JKP
SI

2 SD 2 LMŠ 3 SDS
1 NSi-SLS





EE

1 SDE 2 KE
2 RE





2 EKRE
CY 2 AKEL
1 DIKO
3 DISY




LU
1 Déi Gréng 1 LSAP 1 DP 3 CSV




MT

4 PL
2 PN





Verlauf


GUE/
NGL
G/EFA S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
07.01.2019 57 49 130 90 181 58 14 63 11 52
13.11.2018 56 47 137 94 182 49 21 62 10 47
18.09.2018 60 42 140 95 178 50 21 59 10 50
23.07.2018 57 38 145 102 177 50 22 56 10 48
678 Sitze 55 38 137 96 173 50 21 53 10 45
29.05.2018 55 37 137 103 178 43 23 46 12 44
03.04.2018 58 33 137 104 180 41 23 44 12 46
05.02.2018 65 33 142 102 179 47 42 41 11 16
13.12.2017 56 30 142 109 196 45 37 36 9 18
16.10.2017 55 28 150 106 192 45 38 37 12 15
22.08.2017 57 24 149 108 196 42 29 44 12 17
27.06.2017 55 23 155 109 201 38 28 42 11 16
02.05.2017 46 28 170 82 198 35 27 59 12 21
mit GB 47 35 186 88 198 68 36 59 13 21
06.03.2017 50 35 182 80 191 69 48 60 14 22
16.01.2017 48 40 180 82 191 63 48 68 14 17
14.11.2016 48 38 182 91 194 65 47 61 13 12
13.09.2016 47 38 181 91 189 62 53 63 14 13
26.07.2016 48 39 185 90 192 59 54 61 13 10
25.05.2016 55 40 174 85 187 63 51 70 14 12
05.04.2016 52 37 179 85 192 72 50 53 15 16
07.02.2016 51 34 183 82 196 70 51 55 12 17
14.12.2015 52 33 185 87 192 68 52 53 12 17
17.10.2015 51 33 193 75 204 66 51 54 12 12
21.08.2015 56 35 190 74 204 70 47 49 11 15
30.06.2015 61 34 188 73 205 69 43 47 11 20
03.05.2015 60 32 193 80 205 62 44 51 15 9
10.03.2015 60 31 196 77 216 60 43 49 12 7
12.01.2015 65 40 190 70 212 59 47 43 17 8
18.11.2014 60 42 195 69 212 59 47 43 16 8
23.09.2014 53 39 196 67 223 61 47 40 15 10
28.07.2014 56 47 191 75 215 66 44 40 13 4
EP 01.07.14 52 50 191 67 221 70 48 37 15

Die Zeile „EP 01.07.14“ kennzeichnet die Sitzverteilung zum 1. Juli 2014, dem Zeitpunkt der Konstituierung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl im Mai 2014.
Bis März 2017 sind die Werte der Sitzprojektion einschließlich dem Vereinigten Königreich angegeben, ab Mai 2017 ohne das Vereinigte Königreich. Die Zeile „mit GB“ kennzeichnet die Werte für Mai 2017 mit dem Vereinigten Königreich.
Im Juni 2018 beschloss der Europäische Rat eine Umverteilung eines Teils der britischen Sitze auf andere Mitgliedstaaten, wodurch das Parlament nach der Europawahl 2019 von 678 auf 705 Sitze erweitert wird. Dies ist ab Juli 2018 in der Projektion berücksichtigt. Die Zeile „678 Sitze“ kennzeichnet die Werte für Juli 2018 ohne die zusätzlichen Sitze.
Die Spalte für die ENF-Fraktion gibt bis Mai 2015 die Werte der Europäischen Allianz für Freiheit (EAF) bzw. der Bewegung für ein Europa der Nationen und Freiheiten (BENF) und ihr nahestehender Parteien an, die bis zur Fraktionsgründung im Juni 2015 fraktionslos waren.

Die vollen Namen der Fraktionen und der nationalen Einzelparteien erscheinen als Mouseover-Text, wenn der Mauszeiger eine kurze Zeit regungslos auf der Bezeichnung in der Tabelle gehalten wird. Bei den „weiteren“ Parteien ist zudem die ungefähre politische Ausrichtung angegeben, um ihre Bündnismöglichkeiten auf europäischer Ebene anzudeuten. Da die betreffenden Parteien allerdings oft erst vor kurzer Zeit gegründet wurden, befindet sich ihre Programmatik zum Teil noch im Fluss, sodass die Angabe lediglich zur groben Orientierung dienen kann.

Fraktionszuordnung

Für die Projektion werden Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet, es sei denn, sie haben ausdrücklich ihren Entschluss zu einem Fraktionswechsel nach der nächsten Wahl erklärt oder ein Fraktionswechsel erscheint aus anderen Gründen sehr wahrscheinlich. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören oder ihr in der politischen Ausrichtung sehr nahe stehen, werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. In Fällen, bei denen sich die Mitglieder einer nationalen Liste nach der Wahl voraussichtlich auf mehrere Fraktionen aufteilen werden, wird jeweils die am plausibelsten scheinende Verteilung zugrundegelegt. Parteien, bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden als „Weitere Parteien“ eingeordnet. Diese Zuordnungen folgen zum Teil auch einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung der Parteien. Jeder Leserin und jedem Leser bleibt es deshalb selbst überlassen, sie nach eigenen Kriterien zu korrigieren.

Für die Bildung einer eigenständigen Fraktion sind nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich. Mit einem Asterisk (*) gekennzeichnete Gruppierungen würden diese Bedingungen nach der Projektion derzeit nicht erfüllen. Sie müssten deshalb gegebenenfalls nach der Europawahl zusätzliche Abgeordnete (z. B. aus der Spalte „Weitere“) für sich gewinnen, um sich als Fraktion konstituieren zu können.

Dynamisches Szenario: Nach der Europawahl 2019 wird sich die EFDD-Fraktion voraussichtlich auflösen, sodass sich deren bisherige Mitglieder auf die anderen Rechtsfraktionen verteilen werden. Außerdem werden sich voraussichtlich alle oder die meisten der „weiteren Parteien“ einer schon bestehenden Fraktion anschließen. Um das mögliche Ausmaß dieser Veränderungen deutlich zu machen, sind Parteien, die sich nach der Europawahl einer neuen Fraktion anschließen könnten, in der Tabelle mit der Farbe ihrer möglichen künftigen Fraktion gekennzeichnet; zudem erscheint der Name der möglichen künftigen Fraktion im Mouseover-Text. Diese Zuordnungen basieren allerdings auf einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung und Strategie der Parteien und sind daher recht spekulativ.

Datengrundlage

Soweit verfügbar, wird bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. Wo mehr als eine Umfrage erschienen ist, wird der Durchschnitt aller Umfragen aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten Umfrage berechnet (Stichtag ist, soweit bekannt, jeweils der letzte Tag der Feldforschung, andernfalls der Tag der Veröffentlichung). Für Länder, in denen es keine spezifischen Europawahlumfragen gibt oder die letzte solche Umfrage mehr als zwei Wochen zurückliegt, wird stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament bzw. der Durchschnitt aller Umfragen für das nationale oder das Europäische Parlament aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten verfügbaren Umfrage verwendet. Für Mitgliedstaaten, für die sich überhaupt keine Umfragen finden lassen, wird auf die Ergebnisse der letzten nationalen Parlaments- oder Europawahl zurückgegriffen.
In der Regel werden die nationalen Umfragewerte der Parteien direkt auf die Gesamtzahl der Sitze des Landes umgerechnet. Für Länder, in denen die Wahl in regionalen Wahlkreisen ohne Verhältnisausgleich erfolgt (aktuell Belgien und Irland), werden regionale Umfragedaten genutzt, soweit diese verfügbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Sitzzahl für jeden Wahlkreis einzeln berechnet, dabei aber jeweils die nationalen Gesamt-Umfragewerte herangezogen. Nationale Sperrklauseln werden, soweit vorhanden, in der Projektion berücksichtigt. Für alle Länder wird die Sitzzahl angenommen, die sie entsprechend dem Beschluss des Europäischen Rates vom 29. Juni 2018 nach dem britischen EU-Austritt haben werden.
In Belgien entsprechen die Wahlkreise bei der Europawahl den Sprachgemeinschaft, während Umfragen üblicherweise auf Ebene der Regionen durchgeführt werden. Für die Projektion werden für die französischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Wallonien, für die niederländischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Flandern genutzt. Für die deutschsprachige Gemeinschaft wird das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen.
In Ländern, in denen es üblich ist, dass Parteien zu Wahlen in Listenverbindungen antreten, werden der Projektion jeweils die am plausibelsten erscheinenden Listenverbindungen zugrunde gelegt. Insbesondere werden für Spanien folgende Listenverbindungen angenommen: Unidos Podemos, Compromís und ICV (mit Compromís auf dem 3., ICV auf dem 6. Listenplatz); PDeCAT, PNV und CC (mit PNV auf dem 2., CC auf dem 4. Listenplatz).
Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, können Parteien bereits mit weniger als 1 Prozent der Stimmen einen Sitz im Europäischen Parlament gewinnen. Mangels zuverlässiger Umfragedaten wird für diese Kleinparteien in der Projektion jeweils das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (je 1 Sitz für Tierschutzpartei, ödp, Piraten, FW, Familienpartei, PARTEI und NPD).
In Italien können Minderheitenparteien durch eine Sonderregelung auch mit nur recht wenigen Stimmen ins Parlament einziehen. In der Projektion wird die Südtiroler Volkspartei deshalb jeweils mit dem Ergebnis der letzten Europawahl (1 Sitz) geführt.

Die folgende Übersicht führt die Datengrundlage für die Mitgliedstaaten im Einzelnen auf. Die Daten beziehen sich auf den letzten Tag der Feldforschung; falls dieser nicht bekannt ist, auf den Tag der Veröffentlichung der Umfragen:
Deutschland: nationale Umfragen, 28.12.2018-5.1.2019, Quelle: Wikipedia.
Frankreich: nationale Europawahl-Umfragen, 10.-20.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Italien: nationale Umfragen, 30.12.2018-7.1.2019, Quelle: Wikipedia.
Spanien: nationale Umfragen, 21.12.2018.-2.1.2019, Quelle: Wikipedia.
Polen: nationale Umfragen, 4.1.2019, Quelle: Wikipedia.
Rumänien: nationale Umfragen, 30.11.-9.12.2018, Quelle: Poll of polls.
Niederlande: nationale Umfragen, 9.-17.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Griechenland: nationale Umfragen, 6.-18.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Belgien, niederländischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Flandern) für die nationale Parlamentswahl, 8.-17.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Belgien, französischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Wallonien) für die nationale Parlamentswahl, 3.-8.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Belgien, deutschsprachige Gemeinschaft: Ergebnisse der Europawahl, 25.5.2014.
Portugal: nationale Umfragen, 11.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Tschechien: nationale Umfragen, 13.-26.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Ungarn: nationale Umfragen, 11.-20.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Schweden: nationale Umfragen, 13.-26.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Österreich: nationale Umfragen und nationale Europawahl-Umfragen, 7.-14.12.2018, Quelle: Wikipedia/Wikipedia.
Bulgarien: nationale Umfragen, 17.12.2018, Quelle: Poll of polls.
Dänemark: nationale Umfragen, 8.-20.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Finnland: nationale Umfragen, 12.-18.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Slowakei: nationale Umfragen, 9.12.2018, Quelle: Focus Research.
Irland: nationale Umfragen, 13.-18.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Kroatien: nationale Umfragen, 24.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Litauen: nationale Umfragen, 9.12.2018, Quelle: Vilmorus.
Lettland: nationale Umfragen, 12.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Slowenien: nationale Umfragen, 7.-13.12.2018, Quelle: Poll of polls.
Estland: nationale Umfragen, 10.-19.12.2018, Quelle: Wikipedia.
Zypern: nationale Umfragen, 3.10.2018, Quelle: Poll of polls.
Luxemburg: Ergebnisse der nationalen Parlamentswahl, 14.10.2018.
Malta: nationale Umfragen, 14.12.2018, Quelle: Wikipedia.

Bilder: Eigene Grafiken.