06 Mai 2025

Koalitionen der Willigen innerhalb der EU: Chancen und Risiken differenzierter Integration

Von Manuel Müller
A small group of bar stools around a round table
Kleinere Staaten werden sich weiter an allen EU-Politiken beteiligen dürfen, doch womöglich sitzen sie nicht mehr mit am Tisch, wenn diese gestaltet werden.

Differenzierte Integration – das Konzept, dass die Mitgliedstaaten der EU nicht immer im Gleichtakt voranschreiten müssen und dass einige stärker integriert sein können als andere – wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen. Differenzierung ist kein neues Phänomen: Es gibt sie schon seit mehreren Jahrzehnten, wobei die Eurozone und der Schengen-Raum nur die bekanntesten Beispiele sind. Bisher haben die wichtigsten politischen Akteur:innen sie jedoch immer als ein letztes Mittel behandelt und in der Regel versucht, stattdessen im Rahmen der gesamten EU-27 zu handeln, auch wenn dies langwierigere Verhandlungen bedeutete.

Umgehen interner Widerstände

In den letzten Jahren hat sich jedoch immer wieder gezeigt, dass die existierenden Verfahren der EU ihrer gewachsenen geopolitischen Rolle nicht gerecht werden. In einer Zeit von sich schnell entwickelnden Notlagen – von der Asylkrise über die Pandemie bis zum Krieg in der Ukraine – reagiert die Union oft nur langsam auf veränderte Umstände. Insbesondere Einstimmigkeitserfordernisse im Rat haben wiederholt zu Blockaden und sogar zu politischen Erpressungsversuchen einzelner Mitgliedstaaten geführt. Die in Aussicht genommene Erweiterung der EU wird diese Herausforderungen noch weiter verschärfen. Das Europäische Parlament hat zwar weitreichende Vertragsänderungen vorgeschlagen, um die Handlungsfähigkeit der EU zu verbessern, doch diese Vorschläge sind selbst im Europäischen Rat stecken geblieben, weil sich die Mitgliedstaaten nicht einigen konnten.

Angesichts der immer weiter sinkenden Wahrscheinlichkeit einer baldigen Vertragsreform ist die Europäische Kommission in einer kürzlich veröffentlichten Mitteilung dazu übergegangen, die interne Differenzierung als einen „Teil der Gleichung“ zu bezeichnen, durch die die EU-Erweiterung ermöglicht werden soll. Dieser Ansatz dürfte nicht nur bei Frankreich Anklang finden, das einer differenzierteren Integration schon seit langem aufgeschlossen gegenübersteht, sondern auch bei der neuen konservativ geführten deutschen Bundesregierung, deren Europapolitik wohl weniger von traditionellen föderalistischen Leitbildern als vom Wunsch der Durchsetzung eigener politischer Ziele getrieben sein wird. Anstatt zu versuchen, Widerstände anderer Mitgliedstaaten zu überwinden, könnten Deutschland und Frankreich ihn künftig einfach umgehen, indem sie flexible Koalitionen der Willigen bilden.

Risiken für die EU-Demokratie – und für kleine Mitgliedstaaten

Eine solche Normalisierung differenzierter Integration – sei es in außen-, wirtschafts-, migrations- oder anderen politischen Fragen – könnte dazu beitragen, die Blockaden in der EU zu lösen. Sie birgt aber auch erhebliche Risiken. Zum einen könnte eine uneinheitliche Anwendung neuer EU-Regeln bestehende Integrationserfolge wie den Binnenmarkt gefährden. Zum anderen würde eine Vervielfältigung nationaler Ausnahmeregelungen das Entstehen einer gemeinsamen europäischen Identität unter den Bürger:innen und damit das Ziel der supranationalen Demokratie behindern. Seit jeher steht deshalb das Europäische Parlament der differenzierten Integration von allen EU-Institutionen am wenigsten begeistert gegenüber.

Darüber hinaus stellt die Normalisierung der innereuropäischen Differenzierung aber auch eine Bedrohung für die Interessen der kleineren Mitgliedstaaten dar. In der EU-27 haben kleine Staaten ein garantiertes Mitspracherecht und spielen eine Rolle bei der Bildung von Mehrheiten im Rat. Dadurch können sie die gemeinsame europäische Position auch in Bereichen beeinflussen, in denen sie kein Vetorecht besitzen. In einem System flexibler Koalitionen fällt es größeren Staaten hingegen viel leichter, kleinere Staaten, die sie für das Erreichen eines bestimmten Ziels für unnötig halten, einfach außen vor zu lassen. Selbst wenn kleinere Staaten das Recht behalten, sich an allen EU-Politiken zu beteiligen, sitzen sie möglicherweise nicht mehr mit am Tisch, wenn diese Politiken gestaltet und beschlossen werden.

Eine Frage des Modells: „À la carte“ oder „konzentrische Kreise“?

Um diese Risiken zu minimieren, ist die Form, die die differenzierte Integration annimmt, von entscheidender Bedeutung. Die verstärkte Nutzung flexibler Koalitionen entspricht einem Modell, das traditionell als Differenzierung „à la carte“ bezeichnet wird und bei dem die beteiligten Länder je nach Politikbereich und Einzelentscheidung variieren. Im Gegensatz dazu würde das Modell der „konzentrischen Kreise“ bedeuen, dass verschiedene feste Gruppen von Mitgliedstaaten entstehen: ein stark supranationalisierter „Kern“, dessen Mitglieder in allen Bereichen tief integriert wären, und ein lockererer „äußerer Kreis“, dessen Mitglieder leichter aus bestimmten Entscheidungen aussteigen könnten, aber auch leichter davon ausgeschlossen würden.

Im Vergleich zum Status quo würde ein Modell konzentrischer Kreise die EU dynamischer machen und helfen, bestehende Blockaden zu lösen. Zugleich wäre die Mitgliedschaft zur inneren oder äußeren Gruppe stabiler als bei einem À-la-carte-Modell. Ein Modell konzentrischer Kreise wäre damit besser geeignet, die Interessen der kleineren Mitgliedstaaten zu wahren, jedenfalls derjenigen innerhalb des Kern.

Ein solches Modell setzt jedoch eine gewisse rechtliche Struktur voraus, mit einem neuen Vertrag, der die Rechte und Pflichten der verschiedenen Kreise definiert und möglicherweise eigene neue Institutionen für die Kern-EU schafft. Dafür wiederum wäre genau jene Art von umfassender institutioneller Debatte notwendig, der die EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren immer aus dem Weg gegangen sind. Statt eine durchdachte Differenzierung durch konzentrische Kreise zu erreichen, droht die EU deshalb rein aus kurzfristiger Bequemlichkeit einem Modell flexibler Koalitionen entgegenzustolpern.

Die EU wird sich wandeln – jetzt ist die Zeit, den Wandel zu gestalten

Diese Frage ist für Finnland von besonderer Bedeutung. Als ein kleiner Mitgliedstaat an der geografischen Periferie der EU sieht es Finnland seit langem als sein nationales Interesse an, immer mit am Tisch zu sitzen, wenn Entscheidungen getroffen werden, und es hat wiederholt Kritik geübt, wenn das bilaterale deutsch-französische Agendasetting die Sichtweisen kleinerer Mitgliedstaaten überging. Finnland würde von einer dynamischeren EU, die in der Lage ist, Blockaden zu überwinden, ohne Zweifel profitieren, doch eine Normalisierung des Modells flexibler Koalitionen der Willigen liegt kaum in seinem Interesse.

Gleichzeitig gehörte Finnland allerdings auch zu den Mitgliedstaaten, die sich in den letzten Jahren nur sehr zögerlich mit dem Thema EU-Reform auseinandergesetzt haben und nicht bereit waren, politisches Kapital in scheinbar esoterische Debatten zu stecken, während dringendere Probleme auf der Tagesordnung standen. Diese Nachlässigkeit könnte den finnischen Entscheidungsträger:innen in Zukunft noch teuer zu stehen kommen. Angesichts der rasch wachsenden geopolitischen Rolle der EU und der bevorstehenden Erweiterung wird sich die institutionelle Funktionsweise Europas zwangsläufig wandeln – zum Guten oder zum Schlechten. Die beste Zeit, um diesen Wandel aktiv zu gestalten, ist jetzt.

Dieser Artikel ist zuerst als FIIA Comment in englischer und finnischer Sprache auf der Webseite des Finnish Institute of International Affairs erschienen.


Bild: Stühle und Tisch: Possessed Photography [Unsplash license], via Unsplash.

Coalitions of the willing within the EU: Opportunities and risks of differentiated integration

By Manuel Müller
A small group of bar stools around a round table
Even if smaller states retain the right to participate in all EU policies, they may no longer be at the table when those policies are shaped and decided.

Differentiated integration – the idea that EU member states do not always have to proceed in unison, and that some may be more integrated than others – is likely to gain traction in the coming years. Differentiation is not a new phenomenon. It has existed for several decades, with the eurozone and the Schengen area being the most prominent examples. Nevertheless, key political actors have so far treated it as a last resort, generally preferring to move forward as the full EU27, even if this has meant more protracted negotiations.

Sidestepping internal resistance

In recent years, however, the EU’s existing procedures have repeatedly proved inadequate for its increased geopolitical role. In an era of fast-moving emergencies – from the asylum crisis to the pandemic to the war in Ukraine – the Union has often been slow to respond to changing circumstances. Unanimity requirements in particular have resulted in gridlocks and even attempts at political blackmail by individual member states. The prospect of EU enlargement further exacerbates these challenges. And while the European Parliament has proposed far-reaching treaty changes to improve the EU’s ability to act, these proposals have themselves stalled in the European Council due to the member states’ inability to reach agreement.

With treaty reform looking ever more unlikely, the European Commission has recently argued in a communication that internal differentiation should be “part of the equation” for enabling EU enlargement. This idea will resonate with France, which has long been open to more differentiated integration, and also with the new conservative-led German government, which is likely to be driven less by traditional federalist principles than by a desire to see its policy goals implemented. Instead of trying to overcome resistance from other member states, Germany and France could simply sidestep it by forming flexible coalitions of the willing.

Risks for European democracy – and for small member states

Such a normalisation of differentiated integration – be it in foreign, economic, migration, or other policies – could help resolve EU gridlocks. But it also entails significant risks. An uneven application of new EU rules could jeopardise existing integration achievements, such as the single market. Moreover, a proliferation of national policy opt-outs would hamper the emergence of a common European identity among citizens, and thus the goal of supranational democracy. For this reason, the European Parliament has always been the least enthusiastic of the EU institutions when it comes to differentiated integration.

Finally, normalising intra-European differentiation also poses a threat to the interests of smaller member states. In the EU27, small states are guaranteed a voice and play a role in the formation of majorities, which allows them to influence the common European position, even in areas where they lack a veto. Conversely, in a system of flexible coalitions, larger states can much more easily bypass smaller ones that they consider unnecessary for achieving a particular goal. Even if smaller states retain the right to participate in all EU policies, they may no longer be at the table when those policies are shaped and decided.

Models matter: “À la carte” or “concentric circles”?

To minimise these risks, the form that differentiated integration takes is crucial. The increased use of flexible coalitions corresponds to a model traditionally referred to as “à la carte” differentiation, in which the in- and out-groups vary according to the policy area. By contrast, the “concentric circles” model implies the creation of several tiers of member states: a highly supranationalised “core”, whose members would be deeply integrated across all policy areas, and a looser “outer circle”, whose members could more easily opt out but would also be more easily left out of certain policies.

Compared to the status quo, a concentric circles model could dynamize the EU and help resolve existing gridlocks. At the same time, in- and out-group membership would be more stable than under an à la carte model. As such, a concentric circles model would better safeguard the interests of smaller member states, at least of those within the core.

However, such a model would need a certain legal structure, with a new treaty defining the rights and obligations associated with the different tiers and possibly creating some specific institutions for the core. This, in turn, would require the sort of comprehensive institutional debate that EU member states have recently been shying away from. There is therefore a strong risk that, rather than achieving differentiation through concentric circles, the EU will just stumble towards a model of flexible coalitions for the sake of short-term convenience.

The EU is bound to change. The time to shape that change is now

This issue is particularly important for Finland. As a small member state on the EU’s geographical periphery, Finland has long seen it in its national interest to be at the table whenever decisions are taken, and has criticised instances where Franco-German bilateral agenda-setting has bypassed the views of smaller countries. While Finland would stand to benefit from a more dynamic EU capable of overcoming gridlocks, a normalisation of the flexible coalitions of the willing model can hardly be in its interest.

However, Finland has also been among the member states dragging their feet on EU institutional reform in recent years, unwilling to expend political capital on seemingly esoteric debates when more immediate issues were pressing. This neglect may come back to haunt Finnish policymakers in the future. With the EU’s geopolitical responsibilities rapidly increasing and enlargement knocking on the door, Europe’s institutional functioning is bound to change – for better or worse. The best time to actively shape that change is now.

This article was first published as a FIIA Comment by the Finnish Institute of International Affairs.


Pictures: Chairs and table: Possessed Photography [Unsplash license], via Unsplash.

29 April 2025

FIIA Briefing Paper: Die EU in einem neuen imperialen Zeitalter

Von Niklas Helwig und Juha Jokela
Cover of the FIIA Briefing Paper: The EU in an age of empires: A liberal geopolitical force in the making?

Wie kaum ein zweiter politischer Akteur hat die EU die Grundsätze der liberalen „freien Welt“ sowohl verkörpert als auch von ihnen profitiert. Doch die globale Ordnung befindet sich schon seit einiger Zeit in einem tiefgreifenden Wandel von einem regelbasierten System zu einer Landschaft, die immer mehr von Machtpolitik, Ringen um transnationalen Einfluss und Wettbewerb um Ressourcen und Territorien geprägt ist. Die jüngste Wende in der US-Außenpolitik hat diesen Wandel noch weiter beschleunigt.

In einer geschichtsvergessenen Volte betrachtet Washington die EU und ihr liberales Modell nicht mehr als engen Verbündeten, sondern als Rivalen. Statt eines Partners mit gemeinsamen Werten sieht Trump in der EU ein Gebilde, das „die Vereinigten Staaten ausnutzt“, und anders als während seiner ersten Amtszeit ist er nun auch bereit und in der Lage, dieser Überzeugung Taten folgen zu lassen.

Stand der „Westen“ – trotz seiner vielen Ungereimtheiten – in der Vergangenheit meist geeint gegen autokratische Herausforderer, so zeigt sich heute ein fragmentiertes globales Umfeld, in dem die EU neue Partnerschaften schmieden und bestehende stärken muss, um die regelbasierte Ordnung zu verteidigen und sich gegen einen aufziehenden Imperialismus zu stemmen.

Neues FIIA Briefing Paper

Ein neues Briefing Paper für das Finnish Institute of International Affairs (FIIA) analysiert die Herausforderungen und Chancen der EU in einer Welt, die zunehmend von hierarchischen Machtstrukturen und Taktiken der Nötigung bestimmt wird – was wir als ein im Entstehen befindliches imperiales Zeitalter beschreiben. Das Papier konzentriert sich auf drei kritische Dimensionen: die interne Glaubwürdigkeit der EU als politisches Projekt, ihre Fähigkeit, ihren Prinzipien im Umgang mit globalen Partnern treu zu bleiben, und ihre Möglichkeiten, wirtschaftlichen Einfluss in einer Ära des machtgetriebenen Wettbewerbs auszuüben.

Die wichtigste Schlussfolgerung ist, dass die EU trotz der Zunahme von roher Machtpolitik und transaktionaler Diplomatie ihr liberales, regelbasiertes Kernmodell internationalen Engagements aufrechterhalten, weiterentwickeln und verteidigen muss. Ob die EU im Zeitalter der Imperien eine nicht-imperiale Alternative für die Weltpolitik bieten kann, hängt davon ab, ob sie die Rechtsstaatlichkeit zu Hause aufrechterhält und gleichberechtigte Partnerschaften im Ausland fördert. Außerdem kommt es darauf an, die fiskalische und politische Integration zu vertiefen, um die wirtschaftliche Stärke der EU zu erhalten und sich auf eine Verschärfung globaler Handelskonflikte vorzubereiten.

Das Briefing Paper „The EU in an age of empires: A liberal geopolitical force in the making?“ wurde von Niklas Helwig und Juha Jokela herausgegeben und umfasst Beiträge mehrerer Mitglieder des EU-Programms von FIIA.

Das vollständige Paper (in englischer Sprache) ist hier zu finden.


Übersetzung: Manuel Müller.
Bild: Deckblatt des FIIA Briefing Paper, basierend auf einem Foto von Dimitar Dilkoff, AFP / Lehtikuva.

25 April 2025

FIIA Briefing Paper: The EU in an age of empires

By Niklas Helwig and Juha Jokela
Cover of the FIIA Briefing Paper: The EU in an age of empires: A liberal geopolitical force in the making?

The EU has both embodied and benefited from the principles of the liberal ‘free world’. Yet the global order has been undergoing a profound transformation for some time, shifting away from a rules-based international system towards a landscape increasingly shaped by power politics, transnational influence, and competition over resources and territories – a shift further accelerated by the recent turn in US foreign policy.

In an history-ignoring turn of events, the EU and its liberal model is no longer seen by Washington as a close ally but as a rival. Rather than a partner in shared values, Trump perceives the EU as an entity that “takes advantage of the United States”, and unlike during his first term, he is now both willing and able to act on this belief.

What was once a world where the “West” – despite its many inconsistencies – stood united against autocratic challengers has now fractured into a global environment where the EU must forge new partnerships and strengthen existing ones to defend the rules-based order and fend off imperialism.

New FIIA Briefing Paper

A new Briefing Paper for the Finnish Institute of International Affairs (FIIA) assesses the EU’s challenges and opportunities in a world increasingly defined by hierarchical power structures and coercive tactics – what we describe as an emerging age of empires. The Paper focuses on three critical dimensions: the EU’s internal credibility as a political project, its ability to uphold a principled approach with global partners, and its capacity to wield economic influence in an era of power-driven competition.

The key takeaway is that, despite the intensification of raw power politics and transactional diplomacy, the EU must continue to uphold, leverage, and defend its core liberal, rules-based model of international engagement. In an age of empires, the EU’s ability to offer a non-imperial alternative to global politics depends on maintaining the rule of law at home and fostering equitable partnerships abroad. Additionally, deeper fiscal and political integration will be crucial for sustaining the EU’s economic strength and preparing for the intensification of global trade conflicts.

The Briefing Paper “The EU in an age of empires: A liberal geopolitical force in the making?” has been edited by Niklas Helwig and Juha Jokela. Several members of FIIA’s EU programme have contributed to it.

The full paper is available here.


Picture: Cover of the FIIA Briefing Paper, based on a photo by Dimitar Dilkoff, AFP / Lehtikuva.

23 April 2025

Der Europäische Rat: Nationale Staats- und Regierungschef:innen im EU-Gesetzgebungsprozess

Von Edoardo Bressanelli, Christel Koop, Francesca Minetto und Christine Reh
Roundtable view of the European Council
Der Europäische Rat soll Agendasetzer und Krisenmanager sein. Aber er greift auch regelmäßig in den Gesetzgebungsprozess ein.

Der Europäische Rat ist vor allem als strategischer Agendasetzer, als Krisenmanager und als Verfassungsautorität der EU bekannt. Darüber hinaus hat er aber auch eine bisher weitgehend unbekannte Seite: In diesem Artikel stellen wir einen Europäischen Rat vor, der immer wieder aktiv und selbstbewusst in die tägliche Entscheidungsfindung der EU eingreift.

Die Staats- und Regierungschef:innen der EU-Mitgliedstaaten, die Präsident:in der Europäischen Kommission und die Hohe Vertreter:in für Außen- und Sicherheitspolitik treffen sich regelmäßig in Gipfeln. Der erste Gipfel des Europäischen Rates fand vor 50 Jahren, im März 1975, statt. Seit 2009 werden diese hochrangigen Treffen von einer ständigen Präsident:in des Europäischen Rates vorbereitet und geleitet. Gipfeltreffen können formell oder informell sein; nach formellen Gipfeltreffen werden sogenannte „Schlussfolgerungen“ veröffentlicht. Diese Schlussfolgerungen sind rechtlich nicht bindend, enthalten aber die vereinbarten Standpunkte der Staats- und Regierungschef:innen zu Fragen, die für die Union und ihre Bürger:innen von großer Bedeutung sind. Darüber hinaus werden in den Schlussfolgerungen regelmäßig bestimmte Gesetze und Gesetzesvorhaben erwähnt und die anderen EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten damit „beauftragt“, zu diesen Rechtsvorschriften zu handeln.

Wie oft interveniert der Europäische Rat in die Gesetzgebung?

In unserem Forschungsprojekt haben wir mehr als 2.500 Gesetze und Gesetzesvorhaben im Zeitraum von 1999 bis 2024 analysiert, die im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (oder Mitentscheidungsverfahrens) vorgeschlagen, abgeschlossen oder zurückgezogen wurden. Zudem haben wir 106 Schlussfolgerungen von Gipfeltreffen untersucht und Interviews mit Entscheidungsträger:innen auf nationaler und EU-Ebene geführt, die uns dabei halfen, die Vorbereitung von Schlussfolgerungen und ihre Weiterverfolgung im nachgelagerten Gesetzgebungsprozess besser zu verstehen.

Von den 2.585 analysierten Gesetzen erwähnt der Europäische Rat etwa 17% in seinen Schlussfolgerungen. Insgesamt erwähnen die Staats- und Regierungschef:innen 451 Gesetze zwischen einem und 13 Mal; 168 Gesetze werden einmal erwähnt, 53 Gesetze werden drei- bzw. fünfmal erwähnt, und 12 Gesetze werden mehr als zehnmal erwähnt.

Der Europäische Rat beauftragt EU-Institutionen und Mitgliedstaaten

Die nationalen Staats- und Regierungschef:innen erteilen dabei den anderen EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten häufig Aufträge, die alle Phasen des Gesetzgebungsverfahrens betreffen.

Als Policy-Vorschläge verstehen wir Formulierungen, in denen die Staats- und Regierungschef:innen die Europäische Kommission zu neuen Rechtsvorschriften „auffordern“ oder „einladen“; seit 1999 haben sie der Kommission 216 derartige Aufträge erteilt.

Im Rahmen dessen, was wir Policy-Bekräftigung nennen, „ermutigen“ oder „begrüßen“ die Staats- und Regierungschef:innen Gesetzgebungsvorschläge oder „nehmen sie zur Kenntnis“; dies geschah 352 Mal seit 1999.

Bei Policy-Entscheidungen „drängt“ der Europäische Rat die Ko-Gesetzgeber (den Rat der EU und das Europäische Parlament), „erwartet die Verabschiedung“ oder fordert zur „Beschleunigung“ auf. Mit mehr als 850 Aufforderungen ist dies die Phase mit den meisten Aufträgen.

Die letzte Form des Auftrags schließlich betrifft die Policy-Implementierung, bei der die Staats- und Regierungschef:innen die nationale Umsetzung beschlossener EU-Gesetze fordern. Seit 1999 haben die Staats- und Regierungschef:innen die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten 186 Mal zur Implementierung von Recht aufgefordert.

Welche Art von Gesetzen erwähnt der Europäische Rat?

Basierend auf etablierten Ansätzen und unserer eigenen, bis 2024 aktualisierten Kodierung, unterscheiden wir vier Arten von Gesetzgebung. Umverteilungsgesetze dienen der Zuweisung von Finanzmitteln; Verteilungsgesetze weisen ebenfalls Finanzmittel zu, allerdings ohne Umverteilung; Regulierungsgesetze legen Beschränkungen fest und eröffnen Möglichkeiten, insbesondere für Akteure im Binnenmarkt; verfahrenskonstituierende Gesetze legen die Regeln für Politikgestaltung fest. Der Europäische Rat nimmt auf alle vier Arten von Gesetzen Bezug, erwähnt aber Umverteilungsgesetze am häufigsten. Mit diesen Gesetzen werden Gelder verteilt, die aus den Haushalten der Mitgliedstaaten stammen. Die nationalen Entscheidungsträger:innen, so argumentieren wir, wollen über diese Gesetze offenbar kontrollieren, wie ihre Mittel ausgegeben werden.

Darüber hinaus unterscheiden wir zwischen „expansiven“ und „nicht-expansiven“ Gesetzen. Expansive Rechtsvorschriften erhöhen das Niveau, den Umfang oder die Reichweite von EU-Gesetzen. Ein bekanntes Beispiel aus jüngster Zeit ist das Gesetz über kritische Rohstoffe aus dem Jahr 2023. Der Europäische Rat verweist häufig auf expansive Gesetze: Er erwähnt 27% der expansiven Gesetze, aber nur 10% der nicht-expansiven Gesetze. Auch die Kommission priorisiert expansive Gesetze bei der Festlegung ihrer eigenen Gesetzgebungsagenda.

Wenn Staats- und Regierungschef:innen als Verfechter:innen nationaler Interessen wahrgenommen werden, sollte uns die häufige Erwähnung expansiver Rechtsvorschriften stutzig machen. Wir schlagen zwei mögliche Erklärungen vor: Entweder versuchen der Europäische Rat und die Europäische Kommission gemeinsam, diese Gesetze „anzuschieben“ oder zu „fördern“, oder der Europäische Rat versucht, in festgefahrenen Situationen Blockaden zu überwinden.

Ist der Europäische Rat ein Krisenmanager?

Der Europäische Rat befasst sich öffentlich und gut sichtbar mit wirtschaftlichen, politischen, sicherheitspolitischen und gesellschaftlichen Krisen. Die Tagesordnungen der Gipfeltreffen sind oft krisenorientiert, und die Staats- und Regierungschef:innen erwähnen krisenbezogene Gesetze viel häufiger als „normale“ Rechtsakte. Tatsächlich werden in den Schlussfolgerungen der Gipfeltreffen 37% der krisenbezogenen Gesetze erwähnt, verglichen mit 14% der nicht-krisenbezogenen Gesetze. Die drei Krisen, die relativ gesehen am häufigsten genannt werden, sind Energie, Asyl und Migration sowie die russische Invasion der Ukraine.

Auf dieser Grundlage argumentieren wir, dass der Europäische Rat in Brüssel nicht nur sichtbar Krisenmanagement betreibt (oder zu betreiben versucht). Vielmehr kombinieren die nationalen Staats- und Regierungschef:innen regelmäßig hochrangige Krisenpolitik mit Interventionen in die alltägliche gesetzgeberische Krisenreaktion.

Gesetzgebungsprioritäten: Kooperation mit der Kommission?

Bei der Vorbereitung der Gipfeltreffen wird die Europäische Kommission zum Tagesordnungsentwurf und zum Entwurf der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates konsultiert und erörtert diese mit der Präsident:in des Europäischen Rates und ihrem Kabinett. Während der Gipfeltreffen steht die Kommissionspräsident:in in direktem Kontakt mit den Staats- und Regierungschef:innen. Es stellt sich daher die Frage, ob die Gesetzgebungsprioritäten in den jährlichen Arbeitsprogrammen der Kommission und in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates eng aufeinander abgestimmt sind. Dies ist nicht der Fall.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass mehr als 60% der EU-Gesetze weder vom Europäischen Rat noch von der Kommission als vorrangig eingestuft werden. Weniger als 5% sind gemeinsame Prioritäten, mehr als 20% werden nur von der Kommission priorisiert, und weniger als 10% sind alleinige Prioritäten des Europäischen Rates.

Wir bieten zwei mögliche Erklärungen für diese Beobachtung an. Erstens könnte die Europäische Kommission ausdrücklich Aufträge des Europäischen Rates „anfordern“, um hochrangige Unterstützung zu signalisieren, wenn Gesetzesvorschläge feststecken. Zweitens scheint die Kommissionspräsident:in die Gipfeltreffen zu nutzen, um selbst mit den Staats- und Regierungschef:innen der Mitgliedstaaten Optionen zu erkunden. Insgesamt scheint die Kommission – im Gegensatz zum Europäischen Parlament – mit dem Selbstbewusstsein und der Interventionsfreude des Europäischen Rates recht gut zurechtzukommen.

Sind Schlussfolgerungen des Europäischen Rates rechtsverbindlich?

Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, einschließlich ihres Geltungsbereichs und ihrer Rolle, wurden verschiedentlich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) angefochten. Eine Studie für das Europäische Parlament unterstreicht, wie schwierig es ist, den Europäischen Rat gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen: Die Vertragsartikel über den Europäischen Rat sind relativ vage, die EU ist ein Mehrebenensystem, es gibt strenge Zulässigkeitsregeln, und die Entscheidungsfindung im Europäischen Rat erfolgt in der Regel im Konsens.

Dennoch hat der EuGH – ähnlich wie das Generalsekretariat des Rates – argumentiert, dass die Schlussfolgerungen des Gipfels nicht rechtsverbindlich sind, sondern die Akteure nur politisch verpflichten. In zwei Fällen – die von Polen angestrengte Rechtssache C-5/16 zur Marktstabilitätsreserve und die von der Slowakei und Ungarn angestrengten verbundenen Rechtssachen C-643/15 und C-647/15 zur Umsiedlung von Flüchtlingen – hat das Gericht die Befugnis des Europäischen Rates, Leitlinien für die Rechtsetzung der EU festzulegen, ausdrücklich eingeschränkt.

Konkret argumentierte das Gericht, dass die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates die Mehrheitsregel im Rat der EU nicht ändern dürfen. Der EuGH versuchte damit, die Eingriffsmöglichkeiten der Staats- und Regierungschef:innen durch das interinstitutionelle Gleichgewicht des Gesetzgebungsverfahrens einzugrenzen. Diese Urteile haben den Europäischen Rat jedoch nicht davon abgehalten, den anderen EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten weiterhin und häufig Aufträge im Gesetzgebungsprozess zu erteilen.

Fazit

Unsere Untersuchungen zeigen, dass der Europäische Rat am Prozess der alltäglichen Rechtsetzung beteiligt ist, und zwar mit Nachdruck. Die nationalen Staats- und Regierungschef:innen erwähnen in den Schlussfolgerungen ihrer Gipfel etwa 17% der EU-Gesetzgebung, und zwar insbesondere Gesetze, die Mittel umverteilen, EU-Kompetenzen erweitern und/oder krisenbezogen sind. Wenn der Europäische Rat Gesetze erwähnt, so agiert er mit großem Selbstbewusstsein und erteilt über alle Phasen des Gesetzgebungsverfahrens hinweg explizite Aufträge an die anderen EU-Institutionen, insbesondere an die Ko-Gesetzgebungsorgane.

Haben diese häufigen Eingriffe in den Gesetzgebungsprozess Auswirkungen auf das Machtgleichgewicht innerhalb der EU? Der Europäische Rat ist in der Tat ein besonders mächtiger und sichtbarer Akteur, der in Brüssel über weitreichende Befugnisse verfügt. Einige Beobachter:innen aus Wissenschaft und Politik argumentieren, dass die starke Führung durch die Staats- und Regierungschefs:innen notwendig sei, damit die EU effektiv funktionieren kann, insbesondere in Krisenzeiten.

Aus unserer Sicht hingegen verkompliziert das routinemäßige aktive und selbstbewusste Eingreifen der Staats- und Regierungschef:innen die klassische Rollenverteilung der gesetzgebende Akteure im EU-Mitentscheidungsverfahren. Um den Gesetzgebungsprozess vollständig zu verstehen, müssen wir daher vielleicht über das etablierte „institutionelle Dreieck“ hinaus ein neues „institutionelles Quadrat“ andenken.

Portrait Edoardo Bressanelli
Portrait Christel Koop
Portrait Francesca Minetto
Francesca Minetto ist Doktorandin an der Hertie School in Berlin, wo sie zu den Außenbeziehungen der EU und ihren Institutionen forscht.
Portrait Christine Reh



Dieser Artikel basiert auf einem CEPS Explainer, The European Council: Truly the law-maker-in-chief?, der im April 2025 in englischer Sprache auf der Website des Centre of European Policy Studies erschienen ist.



Übersetzung: Manuel Müller.
Bild: Europäischer Rat: European Union (European Council) [Lizenz], via European Council newsroom; Porträts Edoardo Bressanelli, Christel Koop, Francesca Minetto, Christine Reh: privat [alle Rechte vorbehalten].

17 April 2025

The European Council: National leaders in EU law-making

By Edoardo Bressanelli, Christel Koop, Francesca Minetto, and Christine Reh
Roundtable view of the European Council
The European Council is supposed to be an agenda-setter and crisis manager. But it also regularly intervenes in the legislative process.

The European Council is known primarily as a strategic agenda-setter, crisis-manager, and constitutional authority. However, it also has a largely unknown side: In this article, we introduce a European Council that routinely and assertively intervenes in the EU’s everyday decision-making.

National heads of state or government, the European Commission president, and the High Representative for Foreign Affairs and Security Policy regularly meet in summits. The first European Council summit happened 50 years ago, in March 1975. Since 2009, these high-level meetings have been chaired and prepared by a permanent European Council president. Summits can be formal or informal; formal summits produce so-called ‘conclusions’. These conclusions are not legally binding but report national leaders’ agreed positions on issues of high relevance for the Union and its citizens. In addition, the conclusions regularly mention specific pieces of legislation and ‘mandate’ the EU’s other institutions and member states to act on these laws.

How often does the European Council intervene in legislation?

In a joint research project, we have looked at the 1999-2024 period and analysed more than 2,500 pieces of legislation – pending, concluded, or withdrawn under the ordinary legislative procedure (OLP, or co-decision). We also drew on 106 summit conclusions and on interviews with national and EU-level decision-makers who helped us better understand the preparation of conclusions and their follow-up in ‘downstream’ legislation.

Out of the 2,585 laws analysed, the European Council mentions about 17% in its conclusions. In total numbers, the leaders mention 451 laws between one and 13 times; they refer to 168 laws once, mention 53 laws and 23 laws three and five times respectively, and refer to 12 laws more than 10 times.

The European Council mandates EU institutions and member states

The national leaders use mandates to the EU’s other institutions and the member states frequently and across all policy stages. Under ‘policy proposal’, leaders ‘call for’ or ‘invite’ new legislation from the European Commission; since 1999, they have mandated the Commission 216 times.

Under what we call ‘policy acknowledgement’, leaders ‘encourage’, ‘note’ or ‘welcome’ legislation; this happened 352 times. Under ‘policy decision’, the European Council ‘urges’, ‘expects adoption’, and asks the co-legislators – the Council of the EU and the European Parliament – to ‘speed up’. With more than 850 calls, this is the most mandated stage.

Finally, under ‘policy implementation’, leaders call for the national implementation of EU law. Since 1999, leaders have asked the European Commission and member states 186 times to ensure compliance.

What types of law does the European Council mention?

We draw on established approaches and our own coding, updated to 2024, to distinguish four types. Redistributive laws reallocate funds; distributive laws deal with funds but do not reallocate; regulatory laws impose constraints and opportunities, in particular on actors in the single market; procedural constituent laws set the rules for policymaking. Whilst the European Council refers to all four types, redistributive laws are most likely to be mentioned. Such laws reallocate money. Money comes from member state budgets, and national leaders, we argue, will want to control how their funds are being spent.

We also distinguish between ‘expansive’ and ‘non-expansive’ laws. Expansive legislation increases the level, the scope, or the inclusiveness of EU action. One well-known recent example is the 2023 Critical Raw Materials Act. The European Council references expansive laws frequently: 27% of expansive laws are mentioned against only 10% of non-expansive laws. Similarly, the Commission prioritises expansive laws in its own legislative agenda-setting.

If heads of state or government are perceived as defenders of national interest, the frequent mention of expansive legislation should puzzle us. We propose two potential explanations: either the European Council and the European Commission jointly try to ‘push’ or ‘promote’ these laws, or the European Council aims to break an impasse if legislation seems gridlocked.

Is the European Council a crisis-manager?

The European Council publicly and visibly addresses economic, political, security, and societal crises. Summit agendas are often crisis-focused, and leaders are much more likely to mention crisis-related laws than ‘standard’ pieces of legislation. Indeed, 37% of crisis legislation features in the summit conclusions compared to 14% of non-crisis legislation. The three crises referred to most frequently in relative terms are energy, asylum and migration, and the Ukraine invasion.

On this basis, we argue that the European Council does not only (attempt to) visibly manage crises in Brussels. Instead, national leaders regularly combine high-level crisis politics with interventions into everyday legislative responses to crises.

Legislative priorities: Cooperation or competition with the Commission?

In the preparation of summits, the European Commission is consulted on, and discusses, the European Council’s draft agenda and draft conclusions with the European Council president and their cabinet. During summits, the Commission president directly interacts with the leaders. We therefore ask whether the legislative priorities expressed in the Commission’s annual work programmes and in the European Council’s summit conclusions are closely aligned. They are not.

Our findings show that more than 60% of EU legislation is not prioritised by either the European Council or the Commission. Less than 5% are shared priorities; more than 20% are prioritised by the Commission only; and less than 10% are European Council priorities.

We make two suggestions for why this is the case. First, the European Commission could explicitly ‘request’ mandates as high-level support when legislative proposals are ‘stuck’. Second, the Commission president seems to ‘use’ the summits themselves to explore options with national leaders. Overall, and in stark contrast to the European Parliament, the Commission seems to be more at ease with the European Council’s assertiveness and intervention.

Are summit conclusions legally binding or political commitments?

The European Council’s conclusions, including their scope and role, have been challenged before the Court of Justice of the European Union (CJEU). A study published for the European Parliament in 2024 explains that holding the European Council judicially accountable is challenging: The treaty articles on the European Council are relatively imprecise, the EU is a multi-level system, there are strict standing rules, and, usually, decision-making is consensual.

Nevertheless – and similar to an argument by the Council’s General Secretariat – the CJEU has stated that summit conclusions are not legally binding but commit actors politically. In two cases – on the market stability reserve (Case C-5/16) brought by Poland and on refugee relocation (joined cases C-643/15 and C-647/15) brought by Slovakia and Hungary –, it explicitly reined in the European Council’s power to set guidelines in EU law-making.

Indeed, the court argued that conclusions cannot de facto change the majority rule in the Council of the EU under co-decision. The CJEU did (try to) limit the leaders’ ability to interfere with the inter-institutional balance in the legislative process. Yet, these judgments have not deterred the European Council from providing direction via mandates to the other EU institutions and to the member states.

Conclusions

Our research shows a European Council that is involved in everyday law-making, and assertively so. National leaders mention about 17% of EU legislation in their summit conclusions; in particular, they mention laws that redistribute funds, expand EU competences, and are crisis-related. On the laws mentioned, the European Council acts assertively across all policy stages and explicitly mandates the EU’s other institutions – especially the co-legislators.

Do these frequent interventions across the policy process matter for the balance of power within the EU? The European Council is a singularly powerful and visible actor, with extensive authority in Brussels. Some observers, academic and political, argue that the leaders’ strong guidance is necessary for the EU to effectively function, especially during times of crisis. We propose instead that the leaders’ routine but active and assertive intervention in the everyday politics of co-decision complicates the ‘classic’ roles assigned to the EU’s legislative players. Indeed, to fully understand the legislative process, we may need to move from the well-established ‘institutional triangle’ to a new ‘institutional square’.

Portrait Edoardo Bressanelli
Portrait Christel Koop
Portrait Francesca Minetto
Francesca Minetto is a PhD Researcher at the Hertie School in Berlin, where she researches the European Union’s external relations and its institutions.
Portrait Christine Reh



This article is based on a CEPS Explainer, The European Council: Truly the law-maker-in-chief?, published in April 2025 on the website of the Centre of European Policy Studies.



Picture: European Council roundtable: European Union (European Council) [license], via European Council newsroom; portraits Edoardo Bressanelli, Christel Koop, Francesca Minetto, Christine Reh: private [all rights reserved].

08 April 2025

EU to go: Europas Wirtschaft und Deutschlands Beitrag

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur Europapolitik. Einmal im Monat analysieren Moderatorin Thu Nguyen und ihre Gäste in 20 bis 30 Minuten ein aktuelles Thema.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Die Diagnose, die Enrico Letta und Mario Draghi in ihren Berichten zur wirtschaftlichen Lage der EU gestellt haben, trifft insbesondere auch auf Deutschland zu: Ein hoher Transformationsdruck, eine lähmende Bürokratie, unzureichende Verteidigungsfähigkeit und ein geringes Produktivitätswachstum. Nun hat der alte Deutsche Bundestag mit einer Mehrheit von Union, SPD und Grünen ein Sondervermögen für Infrastruktur beschlossen und die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben über ein Prozent des BIP ausgesetzt, um diese Herausforderungen angehen zu können.

Angesichts des geopolitischen Drucks und der veränderten Sicherheitslage eine Erleichterung für Deutschland – aber auch für Europa? Thu Nguyen bespricht gemeinsam mit Nils Redeker, stellvertretender Direktor des Jacques Delors Centre, und Philipp Jäger, Experte für Klima- und Wirtschaftspolitik, welchen Investitionsspielraum sich Deutschland geschaffen hat. Wie gut lassen sich die neuen Verteidigungsausgaben mit den EU-Fiskalregeln vereinbaren? Kann der geplante Bürokratieabbau, mit dem auch Friedrich Merz Wahlkampf machte, wirklich Investitionen beschleunigen – oder dient er nur als Deckmantel, um Klima- und Umweltstandards abzubauen? Und was genau bedeutet „Whatever it takes“ für das wirtschaftsstärkste Mitgliedsland der EU?