09 Juni 2025

Erinnerungspolitik und historischer Groll: Nawrockis Sieg bei der polnischen Präsidentschaftswahl lässt für die Zukunft Stillstand und Streit erwarten

Von Cordelia Buchanan Ponczek
Karel Nawrocki at a 2025 campaign event
„Polen zuerst“: Karel Nawrocki eifert Donald Trumps MAGA-Bewegung nach.

Es war ein knapper Sieg. Die Wahlbeteiligung war die höchste jemals in einer polnischen Präsidentschaftswahl seit dem Zusammenbruch des Kommunismus. Karol Nawrocki, ein relativer Außenseiter in der polnischen Politik, gewann die Wahl mit 50,89% der Stimmen, gegen 49,11% für Rafał Trzaskowski, den Bürgermeister von Warschau.

Nawrocki war der handverlesene Kandidat von Lech Kaczyński, dem Chef der europaskeptischen Partei PiS (EKR), die in der Zeit von 2015 bis 2023, als PiS zuletzt Regierung und Präsidentschaft gleichzeitig kontrolliert hat, die Rechtsstaatlichkeit in Polen unterminiert hat. Seit 2023 hat der bisherige Präsident Andrzej Duda (PiS/EKR) regelmäßig Gesetzgebungsinitiativen der aktuellen Regierung unter Premierminister Donald Tusk (KO/EVP) blockiert. Das Ziel von PiS war, seinen Nachfolger in dieselbe Position zu bringen. Der polnische Präsident hat einige politische Macht unter anderem als Repräsentant der polnischen Außenpolitik, als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und als Veto-Akteur im Gesetzgebungsverfahren. Zudem kann er unter bestimmten Umständen beide Kammern des nationalen Parlaments auflösen.

Die Folgen von Nawrockis Wahlsieg mögen sich auf einen unüberwindlichen Stillstand beschränken, aber er hat das Potenzial, vorgezogene Parlamentswahlen auszulösen und Polen wieder in eine Herrschaft der Rechtsaußen-Politik zu stürzen. Zudem festigt er in Polen die erfolgreiche Wahlstrategie, mit übertriebenen Behauptungen Kapital aus der nationalen Souveränität zu schlagen, historische Kränkungen zu instrumentalisieren und eine kräftige Dosis Populismus ins Spiel zu bringen – ein Ansatz, der letztlich die Saat der politischen Polarisierung ausbringt. Auch auf Polens internationale Beziehungen wird sich das Wahlergebnis stark auswirken, insbesondere gegenüber der EU, den USA, Deutschland und der Ukraine.

Wie wir hierher kamen

Einige Worte über Nawrocki: Er ist ein Historiker aus Gdańsk, mit einer Schwäche für das Amateurboxen. Während seines gesamten Wahlkampfes kultivierte er ein Macho-Image durch Auftritte im Boxring und auf dem Schießstand. Er hat am Zweiter-Weltkrieg-Museum und am Institut für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk (Instytut Pamięci Narodowej – Komisja Ścigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu, kurz IPN) gearbeitet, dessen Aufgabe darin besteht, durch Nazi-Deutschland und das kommunistische Regime in Polen begangene Verbrechen aufzuarbeiten. Erinnerungspolitik ist wichtig in Polen, und Nawrockis Wahl zeigt, dass sie und die durch sie kanalisierten nationalen Ressentiments nicht so schnell verschwinden werden.

Nawrocki machte sich die Unzufriedenheit unter polnischen Landbewohner:innen zunutze, die er strategisch als seine Zielgruppe identifizierte. Zudem gelang es ihm, sich von früheren Fehltritten der PiS zu distanzieren, indem er sich selbst als Außenseiter, als Mann des Volkes präsentierte und seinen Gegenkandidaten als ein Mitglied der urbanen Eliten, abgekoppelt von den Sorgen und Nöten der echten, bodenständigen Pol:innen. Es war ein rechtspopulistisches Drehbuch, das schon in vielen anderen Wahlen weltweit funktioniert hat – man denke nur an die US-Präsidentschaftswahl 2024. Die Strategie hat sich wieder und wieder als erfolgreich erwiesen, und sie funktionierte auch hier.

Werben um die Stimmen der Rechtsextremen

Nach der ersten Runde warben beide Kandidaten um die Stimmen der übrigen Kandidat:innen, insbesondere Sławomir Mentzen (Konfederacja/ESN), der für eine noch weiter rechtsstehende Partei als die PiS angetreten war und in der ersten Runde rund 3 Millionen Stimmen (15%) gewonnen hatte. Trzaskowski appellierte an die unternehmerischen Instinkte der Mentzen-Wähler:innen mit dem Versprechen, Bürokratie abzubauen. Nawrocki imitierte Mentzens nationalistische Rhetorik gegen die Ukraine und bekräftigte seine Vorliebe für Erinnerungspolitik sowie seine Unterstützung für traditionelle Familienwerte und Waffen. Zusätzlich versuchte er auch, die Anhänger:innen des äußerst umstrittenen rechtsradikalen Kandidaten Grzegorz Braun (KKP/–) an Bord zu holen.

Für Nawrocki ging es bei der Wahl um alles: Ähnlich wie US-Präsident Donald Trump bei der Wahl 2024 hätte er sich im Fall einer Niederlage rechtlichen Problemen aufgrund von Betrugsvorwürfen stellen müssen. Doch ebenfalls ähnlich wie Trump gelang es Nawrocki, diese Vorwürfe zu einem Nutzen zu wenden und in den Köpfen der polnischen Wähler:innen Zweifel zu säen, dass die Behauptungen übertrieben und politisch motiviert seien; PiS beschuldigte die KO-Regierung und die „liberalen Medien“, die Skandale erfunden zu haben, um Nawrockis Kandidatur zum Scheitern zu bringen. Jetzt, nach seinem Sieg, scheint es fraglich, ob irgendeine der Anschuldigungen weiterverfolgt wird.

Eine zerbrechliche Regierungskoalition der Mitte

Auch für Trzaskowski, der bereits bei der Präsidentschaftswahl 2020 knapp gegen Duda verloren hatte, stand viel auf dem Spiel. Was ihn persönlich betrifft, ist es unwahrscheinlich, dass KO noch ein drittes Mal seine Kandidatur unterstützen wird. Und für die polnische Politik insgesamt bedeutet seine Niederlage ebenfalls ein Debakel. Nachdem bei der polnischen Parlamentswahl 2023 die KO-geführte Koalition einen Sieg errungen hatte, bestand Hoffnung, dass ein Präsident der politischen Mitte – Trzaskowski – die Regierung endlich in die Lage versetzen würde, den polnischen Wähler:innen Ergebnisse zu liefern. Bis jetzt hatte Präsident Duda die meisten Initiativen der Koalition blockieren oder mit einem Veto belegen können.

Die Kontrolle der PiS über das Präsidentenamt ist jedoch nicht Tusks einzige Sorge. Seine Regierung wollte einen zentristischen Kurs verfolgen, doch in der Praxis machte sich dies vor allem als Unentschlossenheit bemerkbar. Niemand weiß so recht, wofür die Regierung eigentlich genau steht oder was sie zu erreichen versucht. Die Koalition ist zerbrechlich, von Spaltungen und Meinungsverschiedenheiten geplagt, und wird nur durch die gemeinsame Abneigung der Parteien gegenüber der PiS zusammengehalten, nicht durch eine gemeinsame Vision für Polen. Der Schlachtruf „Wir wollten Dinge erreichen, aber Präsident Duda hat uns daran gehindert!“ klingt nicht sehr überzeugend. Stattdessen sehen die polnischen Wähler:innen achtzehn Monate nach dem Regiernugswechsel wenig Fortschritt.

Nawrocki ist bereit, jedes Momentum zu verhindern

Angesichts dieser unhaltbaren Situation gerät die Position von Premierminister Tusk ins Wanken. Während er früher niemals einen falschen Tritt setzte, gibt es nun Anzeichen dafür, dass er sich zu einer politischen Belastung entwickelt. Selbst seine Wahlkampfhilfe für Trzaskowski könnte man im Nachhinein als strategischen Fehler werten. Um die Kontrolle wiederzuerlangen, hat Tusk im Parlament eine Vertrauensfrage gestellt, über die am kommenden Mittwoch abgestimmt wird. Doch selbst wenn er daraus als Sieger hervorgehen sollte, hat seine Koalition nun ein Verfallsdatum. Wenn sie nicht in der Lage ist, ihre Versprechen einzuhalten und echte Ergebnisse zu erzielen, werden die polnischen Wähler:innen die Geduld verlieren.

Das Risiko vorgezogener Parlamentswahlen ist hoch, und eine zweite Amtszeit im Jahr 2027 zunehmend unwahrscheinlich. Zu denken geben dürfte einigen Koalitionspartnern allerdings, dass sie bei Neuwahlen an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament scheitern könnten. Vielleicht könnte es für sie deshalb besser sein, zu warten und Zeit zu gewinnen.

Nawrockis Sieg ist jedenfalls ein durchschlagender Erfolg für die rechtsgerichtete PiS und eine bittere Niederlage für die Koalition von Premierminister Tusk. Tatsächlich haben die drei Rechtsaußenkandidaten, Nawrocki, Mentzen und der antisemitische Extremist Braun, zusammen in der ersten Rund 51% der Stimmen geholt. Nawrocki rief die Präsidentschaftswahl zum Referendum über die Tusk-Regierung aus. Er wird sich nun mit Sicherheit ermächtigt fühlen, jegliches Vorwärtsmomentum der KO-Regierung zu verhindern und alle Initiativen zum Scheitern zu bringen. Jegliche Hoffnung auf eine umfassende Justizreform, eine Aufhebung des Abtreibungsverbots oder die Förderung von LGBTQ+-Rechten ist erst einmal zunichte: Nawrocki kann einfach sein Veto einlegen oder sie an das von der PiS eingesetzte konservative Verfassungsgericht weiterleiten.

Außenpolitische Implikationen

Das Wahlergebnis wirkt sich auch auf Polens bilaterale Beziehungen und seine Position in der Europäischen Union aus. Duda folgte der PiS-Parteilinie in vielen, aber nicht allen Punkten. In dieser Hinsicht bedeutet Nawrocki eine Veränderung: Er hat sich bereit gezeigt, durchweg als ausführendes Organ für die Politik der PiS zu dienen. Seine Äußerungen im Wahlkampf lassen darauf schließen, dass er deutlich EU- und insbesondere Ukraine-feindlicher ist als frühere Präsidenten, einschließlich Duda. Nawrockis Fokus liegt auf der Souveränität Polens gegenüber externen Akteuren, einschließlich der EU, und er will Polens Stärke demonstrieren.

Für externe Beobachter:innen besteht eine der wichtigsten Folgen in der Wahrnehmung und den Erwartungen an Polen: Mit einem Sieg Trzaskowskis hätte Polen mit der PiS-Periode abgeschlossen und ein neues Kapitel aufgeschlagen. Jetzt aber fühlt es sich an, als ob das Pendel nach rechts zurückschlägt, und womöglich noch weiter als zuvor.

EU: Gegen die „immer engere Union“

Die PiS ist mit Stolz europaskeptisch, und Nawrocki bildet keine Ausnahme. Tusks Regierung hat daran gearbeitet hat, die Wogen in den Beziehungen mit der Europäischen Union zu glätten, zumal Polen gerade auch seine EU-Ratspräsidentschaft abschließt. Nawrocki hingegen wird wohl die meisten dieser Bemühungen wieder zunichte machen.

Tatsächlich läuft Polen nun Gefahr, Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zu verlieren: Nachdem die Regierung Tusk Reformen eingeleitet hatte, um etwa die Disziplinarmaßnahmen gegen Richter:innen einzustellen und von der PiS-Regierung unrechtmäßig entfernte Richter:innen wieder in ihre Ämter einzusetzen, hatte die EU die für Polen vorgesehenen Gelder freigegeben. Nawrocki hat jedoch angedeutet, dass er diese Reformen stoppen und Dudas Veto aufrechterhalten wird. Die EU könnte deshalb möglicherweise beschließen, weitere Auszahlungen einzufrieren, wenn sie der Meinung ist, dass Polen die Reformen zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Abschluss bringen wird.

Nawrocki wird einige wichtige Ernennungen vornehmen können, etwa von Richter:innen. Er wird auch die Nachfolger:in des polnischen Zentralbankpräsidenten Adam Glapiński ernennen, dessen Amtszeit 2028 endet. Jede Ernennung erfordert die Zustimmung des Sejm, doch angesichts der derzeitigen Entwicklung der polnischen Politik ist es gut möglich, dass Nawrocki bald eine willfährige Kammer hat, die jede Kandidat:in absegnet. Das würde bedeuten, dass die euroskeptische Linie der polnischen Zentralbank um mindestens weitere sechs Jahre verlängert wird. Tatsächlich war einer von Nawrockis Wahlkampfslogans, dass eine Stimme für ihn eine Stimme für den Złoty sei – ein weiteres Hervorheben der (in diesem Fall währungspolitischen) nationalen Souveränität.

Unterdessen befindet sich die Europäische Kommission in einer schwierigen Position mit dem Artikel-7-Verfahren, das sie 2019 wegen der Rechtsstaatsverletzungen der damaligen PiS-Regierung gegen Polen eröffnet hatte. Nachdem die KO die Wahl gewonnen und eine Regierung gebildet hatte, ließ die Kommission dieses Verfahren 2024 fallen, obwohl es noch zu keinen substanziellen Verbesserungen im polnischen Justizsystem gekommen war. Da Nawrocki jetzt jede Reform mit einem Veto belegen hann, wird es solche Verbesserungen auch in der Zukunft kaum geben. Jetzt bei einem unveränderten Status quo ein neues Artikel-7-Verfahren einzuleiten, wäre jedoch politisch und prozedural fragwürdig.

Es ist nur wenige Wochen her, dass der Economist einen Artikel über Polens wirtschaftliche Stärke veröffentlichte – eine der leistungsfähigsten Volkswirtschaften in Europa. Die Ironie besteht darin, dass viel von Polens Wachstum auf der finanziellen Unterstützung durch die EU und auf Polens zuverlässigstem Handelspartner Deutschland beruht. Mit beiden will Nawrocki sich nun anlegen.

USA: Eine Blaupause zur Nachahmung

Trotz Uneinigkeit über die Innenpolitik und das Verhältnis zur EU war die polnische Außenpolitik in den vergangenen Jahren von einer überraschenden Übereinstimmung der beiden wichtigsten Parteien in einigen zentralen außenpolitischen Fragen geprägt, etwa der militärischen Aufrüstung und der starken transatlantischen Beziehung. Doch unter der Trump-Regierung hat es angesichts der EU-feindlichen Haltung Trumps in Bezug auf Zölle und Militärausgaben zuweilen den Anschein, als würden sich gute Beziehungen Polens zu den USA und zur EU gegenseitig ausschließen.

Nawrocki lässt keinen Zweifel daran, welchen davon er selbst den Vorrang gibt. Dies ist teilweise nachvollziehbar. Polen ist mit einer existenziellen Bedrohung durch Russland konfrontiert. Kurzfristig ist eine sinnvolle territoriale Verteidigung am ehesten in Zusammenarbeit mit den USA und durch fortgesetzte Unterstützung der USA in der NATO möglich. Hingegen scheint die EU – und selbst die Koalition der Willigen – im Moment nicht die Kraft zu haben, Polen in einem hypothetischen kinetischen Konflikt zu verteidigen. Polen ist stolz darauf, dass die Trump-Regierung und US-Verteidigungsminister Pete Hegseth Polen im Vergleich zu anderen europäischen NATO-Mitgliedern als Musterbeispiel für exzellente Verteidigungsausgaben hervorgehoben haben.

Nawrocki ist mit den Vereinigten Staaten von Donald Trump eng verbandelt. Die beiden Männer trafen sich im Mai 2025 im Weißen Haus, als Nawrocki dort anlässlich des National Day of Prayer zu Besuch war. Trump gab Nawrocki ein Zeichen der Unterstützung und ermunterte ihn angeblich mit den Worten: „You will win.“ Auch der MAGA-Bewegung eifert Nawrocki nach: „MPGA“ klingt zwar nicht ganz so gut wie „MAGA“, aber Nawrocki war mehr als glücklich, Trumps „America First“ in „Polen zuerst“ zu übersetzen „Po pierwsze Polska; po pierwsze Polacy“.

Nur eine Woche vor der zweiten Runde der polnischen Wahl organisierte das Conservative Political Action Committee (CPAC) eine Großveranstaltung in Polen – zum ersten Mal überhaupt und als Ergänzung zu CPAC Hungary. Bei jener polnischen CPAC, die in Rzeszow nahe der ukrainischen Grenze stattfand, traf Nawrocki Kristi Noem, Trumps Heimatschutzministerin, die ebenfalls die Pol:innen zu einer Wahl Nawrockis aufrief.

Nawrockis Nachahmung Trumps steht allerdings im Gegensatz zur öffentlichen Meinung in Polen. Laut einer Umfrage vom März 2025 hielten 46 % der polnischen Befragten Trumps Handeln für schlecht für Polen; nur 29 % sahen sein Handeln als positiv an.

Deutschland: Reparationsforderungen und Zwietracht

Neben den Vereinigten Staaten ist Deutschland einer der wichtigsten außenpolitischen Partner Polens. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Polens, das dabei einen erheblichen Überschuss erzielt. Im Jahr 2024 entfielen auf Deutschland etwa 19,5 % der gesamten polnischen Importe – im Wert von etwa 74 Milliarden Dollar. Im selben Jahr beliefen sich die polnischen Exporte nach Deutschland auf etwa 102,93 Milliarden Dollar, etwa 27,3 % der gesamten polnischen Exporte des Jahres. (Für Deutschland ist Polen sowohl bei den Aus- als auch bei den Einfuhren der viertwichtigste Partner.)

Dennoch hat Polen, und insbesondere die PiS, eine komplizierte Beziehung zu Deutschland, die geprägt ist von historischen Erinnerungen und Groll. Das offizielle PiS-Wahlprogramm beschimpfte Deutschland und versuchte, „pro-deutsche“ oder „in deutschem Besitz befindliche“ Medien in Polen zu diskreditieren. Selbst Politiker:innen, die nicht der PiS angehören, finden es oft schwierig, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der Anerkennung der realen Bedeutung der Beziehungen und dem Wunsch, politischen Anfeindungen aus dem Weg zu gehen. So ist auch Premierminister Tusk immer wieder bemüht, seine freundschaftlichen Beziehungen zur Regierung in Berlin herunterzuspielen – PiS-Chef Kaczyński hat Tusk wiederholt als „deutschen Agenten“ bezeichnet, um ihn zu diskreditieren.

In diesem Sinne folgt Nawrocki der deutschlandfeindlichen Parteilinie der PiS. Zum Teil ist dies auch auf seine Arbeit zum historischen Gedenken und zur Forderung nach Reparationen zurückzuführen. Nawrocki hat öffentlich verlangt, dass Deutschland Polen 6,2 Billionen Złoty (etwa 1,3 Billionen Euro) an Reparationen für die Zerstörungen und Gräueltaten während des Zweiten Weltkriegs zahlen solle. Diese Zahl basiert auf einem 2022 von dem PiS-Abgeordneten Arkadiusz Mularczyk erstellten „Bericht über die von Polen infolge der deutschen Aggression und Besatzung 1939-1945 erlittenen Verluste“. Zudem deutete Nawrocki an, dass er in verschiedenen anderen Fragen die Konfrontation mit der deutschen Regierung suchen werde. Angesichts der Unruhe im transatlantischen Bündnis sind solche internen Konfrontationen zwischen EU- und europäischen NATO-Mitgliedern besorgniserregend.

Ukraine: Anfeindungen über historische Kränkungen

Am bemerkenswertesten ist Nawrockis Anti-Ukraine-Haltung. Im Vorfeld der Wahl beschuldigte PiS die Ukraine, sich in die polnischen Wahlen einzumischen, eine Behauptung, der Nawrocki nicht widersprach. Zudem hat Nawrocki historische Kriegsverbrechen in Wolyn thematisiert und als Argument angeführt, um den Beitritt der Ukraine zur EU und zur NATO abzulehnen: Das Land habe keinen Platz in diesen Organisationen, solange es seine Geschichte nicht aufarbeite. Schließlich hat Nawrocki auch eine von Mentzen vorgelegte Liste mit acht Forderungen unterzeichnet, die unter anderem das Versprechen enthält, kein Gesetz zur Ratifikation der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu unterzeichnen, und er ging auf Brauns Aufruf ein, die „Ukrainisierung“ Polens zu unterbinden.

Eine solche anti-ukrainische Haltung ist neu für einen polnischen Mainstream-Politiker, insbesondere für einen von der PiS. Zuvor unterstützte die PiS-Partei eine beschleunigte Mitgliedschaft der Ukraine in der EU und der NATO. Dies änderte sich im Vorfeld der Parlamentswahlen 2023: Unter dem Druck der Konfederacja auf der rechten Flanke begann die PiS, sich stärker auf Ukraine-kritische Narrative einzulassen und politische Maßnahmen wie die Beschränkung von Agrarimporten aus der Ukraine umzusetzen, um die polnische Landbevölkerung zu erreichen. Nawrockis Haltung geht jedoch noch einen Schritt weiter und liegt eher auf einer Linie mit der ungarischen Regierung. Anders als andere seiner europäischen Rechtsaußen-Kollegen, etwa Robert Fico (SMER/–) aus der Slowakei oder Viktor Orbán (Fidesz/P) aus Ungarn, steht Nawrocki allerdings weiterhin zur Militärhilfe für die Ukraine.

In der polnischen Bevölkerung sinkt die Unterstützung für die Ukraine. Viele Pol:innen sind frustriert mit dem Zustrom an Migrant:innen, Luxus-SUVs mit ukrainischen Kennzeichen, die den Verkehr verstopfen und durch ihre Straßen rasen, sowie über landwirtschaftliche Probleme. Nawrocki hat sich diese Frustration, vor allem unter der Landbevölkerung, erfolgreich zunutze gemacht und sich an rechtsextremen Strategien orientiert, angesichts der wachsenden polnischen Besorgnis über Migration und Lebenshaltungskosten Ängste zu schüren.

Was wird die Zukunft bringen?

Die gute Nachricht ist, dass es Nawrocki trotz allem schwer fallen wird, seine radikale außenpolitische Agenda durchzusetzen. So wie Nawrocki versuchen wird, die Regierung zu blockieren, wird umgekehrt auch die Regierung alles tun, um mit ihrer Parlamentsmehrheit den Einfluss des Präsidenten zu vermindern und die außenpolitischen Beziehungen im Bereich des Normalen zu halten. Zudem könnte es auch sein, dass Nawrocki jetzt, nach dem Ende des Wahlkampfs, seine Wortwahl und seine Forderungen etwas zurückfährt. Doch die neue Rhetorik, die er in die polnische Politik gebracht hat, bleibt relevant.

Innenpolitisch scheint ein sicheres Verhängnis bevorzustehen. Präsident Nawrocki wird bis mindestens 2030 im Amt sein. Die nächsten Parlamentswahlen stehen turnusmäßig 2027 an, aber vorgezogene Wahlen scheinen immer wahrscheinlicher. Das Bild einer wiederauferstandenen PiS und der gestärkten rechtsextremen Konfederacja drohen am Horizont und könnten weiteres Ungemach bringen, wenn durch sie noch radikalere Stimmen ermutigt werden. Die Pol:innen wollen einen Wandel sehen, aber das Wechselspiel aus schwachen Botschaften einer scheinbar ineffektiven und zum Stillstand gekommenen Linken und einer revanchistischen Rechten, die stolz darauf ist, zu blockieren und zu behindern, anstatt zu führen, könnte den polnischen Rechtsstaat in eine weitere Talfahrt stürzen.

Man hatte bei dieser Wahl das Gefühl, dass die Pol:innen nicht für etwas stimmten, was sie wollten, sondern eher gegen das, was sie nicht wollten. Wie mir jemand bei einem Abendessen in Warschau am Samstag vor der Wahl sagte, profitieren die Rechtsextremen immer davon, wenn Hass und Ablehnung die Wahlbeteiligung bestimmt. Für einen kurzen Moment am Sonntagabend schien es mir, dass diese Einschätzung ein Irrtum sein könnte. Doch der Montagmorgen brachte andere Nachrichten.


Übersetzung: Manuel Müller.
Bilder: Karel Nawrocki: Aawiosnaa [CC BY 4.0], via Wikimedia Commons; Porträt Cordelia Buchanan Ponczek: Finnish Institute of International Affairs [alle Rechte vorbehalten].

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