Am vergangenen Samstag,
dem 1. September 2012, trat die letzte Stufe des europaweiten Verbots
herkömmlicher, energetisch ineffizienter Glühbirnen in Kraft. Es
war begleitet von dem ein oder anderen Medienscherz,
aber der ganz große Volksaufstand blieb aus. Das ist einerseits
wenig überraschend, schließlich haben wir inzwischen mit der
Eurokrise sehr viel größere Sorgen. Andererseits aber kontrastiert
die Gleichgültigkeit in den letzten Tagen dann doch recht
bemerkenswert mit der medialen Empörung, die vor drei Jahren
herrschte, als das Glühbirnenverbot im Februar 2009 beschlossen
wurde.
Während in den meisten
europäischen Ländern das Thema schon damals kaum Nachrichtenwert
besaß, überschlugen sich die Medien im deutschsprachigen Raum mit
Horrorszenarien, die bei dem Umstieg auf das „kalte“
Energiesparlampenlicht drohten. Die FAZ berichtete von Glühbirnen-Hamsterkäufen („wobei in der
Branche gemunkelt wird, dass der Handel selbst, angesichts großer
Vorräte, das Thema lanciert hat, um von seinen hohen Beständen
loszukommen“). Der Journalist Jochen Bittner warf in dem
Europablog, das er damals für die Zeit schrieb, nur halb im
Scherz die Frage auf, „[w]ie sich die Abschaffung des menschlicheren
Edison-Lichtes auf die Anzahl der spontanen Axt-Morde auswirken
wird“. Das österreichische Künstlerduo mumu kündigte an,
künftig „im Untergrund“ traditionelle Glühbirnen herstellen und verbreiten
zu wollen. Und natürlich war in zahllosen Internetforen und den
Kommentarspalten der Online-Medien von der drohenden „EU-Diktatur“
und ähnlichem die Rede.
Wie kam es zu all der
Aufregung?
Interessant an all diesem
Aufruhr ist im Nachhinein vor allem die Frage, wie ein letztlich doch
recht belangloses Thema wie dieses solche Aufregung schüren konnte.
Manches daran mag Zufall gewesen sein: So werden umweltpolitische
Debatten in Deutschland häufig eine Spur erregter geführt als in
anderen Ländern; und dass die EU sich gerade mitten in der
Ratifikationskrise des Vertrags von Lissabon befand, trug wohl auch
nicht zu einer besonders sachlichen Diskussion bei.
Hinzu kam, dass einige
Argumente der Glühbirnenverteidiger nicht von der Hand zu weisen
waren: Tatsächlich enthält das Licht traditioneller
Energiesparlampen einen erhöhten Blauanteil, was nicht nur „kalt“
aussieht, sondern auch potenziell gesundheitsschädlich ist. Dem
hielten die Verbotsbefürworter schon damals entgegen, dass das Ende
der Glühbirne Investitionen in die Entwicklung alternativer
Leuchttechnologien befördern würde. Wie man inzwischen weiß,
behielten sie damit offenbar Recht: Vor allem LEDs gelten inzwischen
als vollkommen akzeptable Alternative.
Warum die EU
Glühbirnen nicht besteuert
Ein anderer plausibler
Einwand kritisierte, dass die EU überhaupt zu dem Mittel eines
Verbots griff (bzw. zur Festlegung von Effizienz-Mindeststandards,
die herkömmliche Glühbirnen nicht erfüllen konnten, was faktisch
einem Verbot gleichkam). Wenn alternative Technologien
energieeffizienter, haltbarer und letztlich billiger sind, sollten
sie sich dann nicht von selbst auf dem Markt durchsetzen? Und wenn
man den Gewohnheitstieren unter den Verbrauchern dabei etwas auf die
Sprünge helfen wollte, wäre dann nicht die Einführung einer
Glühbirnensteuer die schonendere Methode gewesen? Wer wie mumu in
der Glühbirne vor allem „Liebe, Wohlwollen, Freude, Erregung“
sucht, hätte sie dann weiterhin kaufen können – der große Rest
wäre freiwillig auf LED umgestiegen.
Doch dass die EU
Glühbirnen nicht besteuerte, sondern verbat, lag natürlich an den
skurrilen Kompetenzgrenzen, an die die europäische Ebene in allen
fiskalischen Fragen immer wieder stößt. Während für Umweltfragen
längst das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gilt (Vorschlag der
Kommission, Mehrheit im Ministerrat, Mehrheit im Parlament), ist für
die europaweite Vereinheitlichung von Steuern immer die Zustimmung
sämtlicher nationalen Regierungen notwendig. Und selbst wenn keine
einzige Regierung etwas speziell gegen eine Glühbirnensteuer
einzuwenden gehabt hätte, hätte diese Vetomöglichkeit mit einiger
Sicherheit dazu geführt, dass die Frage zum Druckmittel bei anderen,
thematisch vielleicht überhaupt nicht damit verwandten Verhandlungen
zwischen den Mitgliedstaaten geworden wäre. Das eleganteste Mittel,
den gesellschaftlichen Übergang zu energieeffizienten Lampen zu
organisieren, scheiterte also an den fehlenden
Besteuerungskompetenzen der EU.
Die Aufgaben einer
Opposition
Doch
die vernünftigen Argumente waren, wie sich an der seither
eingekehrten Ruhe erkennen lässt, ohnehin nicht der wesentliche
Grund für die vehemente Ablehnung, auf die das Glühbirnenverbot in
Deutschland stieß. Vielmehr scheinen sie mir lediglich der Hintergrund für
ein gewisses Unbehagen mit der Entscheidung gewesen zu sein – das
sich nur deshalb zu irrationalen Höhen aufschwang, weil es kein
politisches Ventil fand.
Dieses
Ventil zu sein, ist in einem parlamentarischen System die Aufgabe der
Opposition. Indem sie sich als Wahlalternative bereithält und Kritik
am Regierungshandeln in den öffentlichen Raum trägt, kanalisiert
und verarbeitet sie die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Wie
rational sich diese Unzufriedenheit begründen lässt, ist dabei
zunächst einmal nicht entscheidend: Vielmehr kommt es darauf an, dass
Menschen, die von der Regierung enttäuscht sind, eine Alternative
angeboten wird – sodass es dem Parlamentarismus gelingt, ganz
unterschiedliche politische Ansichten in sich zu vereinen und die
Legitimität des politischen Systems auch dann noch zu wahren, wenn
einem Großteil der Bevölkerung das Handeln der Regierung nicht gefällt.
Wie
der amerikanische Politikwissenschaftler Carroll Quigley einmal
formulierte, liegt ein wesentliches Verdienst des Zweiparteiensystems
der USA darin, dass die Bevölkerung bei jeder Wahl die Möglichkeit
bekommt „to throw the rascals out“ („die Schurken
rauszuwerfen“). Gerade dadurch, dass die Opposition bei politischen
Entscheidungen in der Regel
von den Regierungsparteien überstimmt wird, kann sie sich bei der
nächsten Wahl als glaubwürdige Alternative präsentieren. Und umgekehrt
bezieht natürlich auch die Regierung einen Teil ihrer Legitimität
daraus, dass ihr Programm bei der letzten Wahl auf eine größere
Zustimmung gestoßen ist als das Angebot der Opposition. Wie beliebt
ein Vorschlag tatsächlich ist, zeigt sich erst, wenn er von einer
Oppositionspartei öffentlich kritisiert wird – und die Mehrheit
der Bevölkerung dennoch weiterhin die Regierung wählt.
Keine Opposition gegen
das Glühbirnenverbot
Dem
Glühbirnenverbot hätte deshalb kaum etwas Besseres passieren können
als eine europäische Opposition, die die (rationale oder
irrationale) Kritik daran aufgegriffen und in der öffentlichen
Debatte repräsentiert hätte. Anstelle von Ängsten über eine
drohende EU-Umweltdiktatur hätte dies den Austausch über Vor- und
Nachteile der geplanten Maßnahme gefördert – und der Großteil
der Menschen hätte vermutlich festgestellt, dass das Thema ihnen
nicht so wichtig ist, dass sie ihr Verhalten bei der nächsten
Europawahl davon abhängig machen würden.
Allein,
so eine Opposition gab es nicht. In dem oben schon erwähnten
Blogeintrag von Februar 2009 versuchte Jochen Bittner, die
Verantwortlichkeiten für das Glühbirnenverbot zu klären. Dafür
vollzog er nach, wer ihm bei jedem einzelnen Entscheidungsschritt
zugestimmt hatte. Und obwohl ihm in seiner Rekonstruktion einige
kleinere Fehler unterliefen (weshalb auch die Lektüre der
Leserkommentare zu dem Artikel empfehlenswert ist), war sein
Fazit vollkommen berechtigt:
Die generelle Verantwortung für das Glühbirnenverbot trägt eine große Koalition aus allen europäischen Regierungen, Fachleuten aus der EU-Kommission sowie des Europäischen Parlaments. Die spezielle Verantwortung dafür, dass es über das Verbot keine öffentliche Plenardebatte [im Europaparlament] gab, tragen vor allem die Sozialdemokraten, die Grünen und die Liberalen, plus – etwa zur Hälfte – die Konservativen. Welche Schlüsse sich daraus für die Stimmabgabe bei der Europawahl im Juni ziehen lassen, das muss nun jeder für sich beleuchten.
Die Schwächen der
europäischen Konsenspolitik
Ich
habe in diesem Blog schon vor einiger Zeit einen längeren Artikel darüber geschrieben, welche strukturellen
Aspekte die parteipolitische Debatte im Europäischen Parlament
behindern. Der Glühbirnenfall ist ein gutes Beispiel dafür, welche
schädlichen Auswirkungen dieses Fehlen einer institutionalisierten
Opposition besitzen kann.
Gerade
weil im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fast alle politischen
Akteure – Europäische Kommission, nationale Regierungen,
Fraktionen des Europäischen Parlaments – dem Vorschlag irgendwann
einmal zustimmten, bot das politische System der EU keine
Möglichkeit, die schwelende Unzufriedenheit mit der Entscheidung
demokratisch aufzufangen. Wer das Verbot ablehnte, der konnte sich
nicht einfach vornehmen, bei der nächsten Wahl „die Schurken
rauszuwerfen“, die es beschlossen hatten: denn es gab niemanden,
der nicht zu diesen „Schurken“ gehörte. Der Ärger konnte sich
deshalb nur noch in der medialen Empörung Bahn brechen – und in
einer schleichenden, aber immer verbisseneren Verdrossenheit gegenüber
allem, was aus Brüssel kommt.
Zur Demokratie gehört
das Überstimmtwerden
Was
bedeutet dies für die weitere Entwicklung der Europäischen Union?
Bei dem Versuch, die EU demokratischer und bürgernäher zu machen,
orientieren sich viele Europapolitiker bis heute an dem einfachen
Leitbild, möglichst viele Organe im Gesetzgebungsverfahren zu
beteiligen. Konnte die Kommission in der Anfangsphase der
europäischen Integration noch viele Entscheidungen ganz allein
treffen, so mischten sich recht bald auch die nationalen Regierungen
im Rat in allen wichtigen Angelegenheiten ein. Seit den 1980er Jahren
wurden zudem die Mitspracherechte des Europäischen Parlaments
schrittweise erhöht (dessen Abstimmungsregeln wiederum dazu führen,
dass viele Entscheidungen nur mit großen, fraktionenübergreifenden
Koalitionen möglich sind). Und seit einiger Zeit verbreitet sich
zudem besonders in Deutschland die Vorstellung, dass eine
demokratische Europapolitik eigentlich immer auch eine Mitsprache der nationalen Parlamente benötigt.
Doch
dieses Bemühen nach immer mehr checks and balances macht die
Europapolitik nicht nur schwerfällig. Auch auf die Legitimation der
EU hat es zuletzt genau die entgegengesetzte Wirkung als gewünscht
– denn wenn an jeder Entscheidung alle politischen Akteure
beteiligt sind, verschwimmt nicht nur die politische
Verantwortlichkeit, sondern auch die grundsätzliche Möglichkeit,
alternative Politikentwürfe innerhalb desselben demokratischen
Systems zu integrieren. Zur Demokratie gehört auch das
Überstimmtwerden.
Damit
die EU an Legitimität zurückgewinnt, muss es für politische
Akteure einfacher werden, ihre Vorschläge (ob irrational oder nicht)
in den Entscheidungsprozess einzubringen, ohne dass dabei immer
gleich der Beschluss als Ganzes in Frage steht. Dies wiederum setzt
voraus, dass Kompetenzen stärker gebündelt und
Entscheidungsverfahren vereinfacht werden: Irgendjemand muss regieren
können, damit ein anderer in der Opposition sein kann. Und das
einzige europäische Organ, das tatsächlich geeignet ist, das Forum für ein
solches Wechselspiel zwischen einer gewählten und abwählbaren Regierungsmehrheit
und einer Opposition zu bieten, ist das Europäische
Parlament.
Bild: By 1997 [GFDL 1.2], via Wikimedia Commons.
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