Die Idee einer EU-Vertragsreform ist in der Welt – es wird Zeit, über unsere Prioritäten zu sprechen. In einer losen Serie von Gastartikeln antworten Europa-Blogger hier auf die Frage: „Wenn du eines an den EU-Verträgen ändern könntest, was wäre es?“ Heute: Eurocentric von The European Citizen. (Zum Anfang der Serie.)
- Für José Manuel Durão Barroso (erste Reihe, Mitte rechts) haben die europäischen Parteien bereits Nachfolgekandidaten nominiert. Und für seine Kollegen?
Bis
zu den Europawahlen sind es noch einige Monate hin, aber wir haben
bereits Spitzenkandidaten von den Liberalen,
Sozialdemokraten,
Grünen
und Linken.
Auch die christdemokratische Europäische Volkspartei wird im März
ihren Kandidaten für
das Amt des Kommissionspräsidenten benennen. Damit geben die
europäischen Parteien eine ernsthafte Antwort auf die Aufgabe des
Europäischen Parlaments, den Kommissionspräsidenten zu wählen, und
sie eröffnen der europäischen Wählerschaft eine Möglichkeit, über
diese Posten mitzuentscheiden – was die Wahlen stärker mit der
Exekutive verbindet und ganz der parlamentarischen
Tradition Europas folgt.
Diese Veränderung hat Potenzial: Sie
wird die Bedeutung der Europawahlen steigern, da die europäischen
Parteien einen besseren Zugang zur Gesetzgebung bekommen, und
zugleich wird sie den Menschen eine Möglichkeit zur Kontrolle der
Exekutive geben und damit die Verantwortlichkeit der EU vor ihren
Bürgern verbessern. Derzeit hat allein die Europäische Kommission,
nicht das Parlament das Recht, Gesetze vorzuschlagen. Wenn der
Kommissionspräsident künftig durch das Parlament gewählt wird,
wird er ein demokratisches Mandat haben, um Gesetzgebungsvorschläge
vorzulegen, die auf dem Programm der siegreichen Partei oder
Koalition beruhen. Dadurch steigt auch der Einfluss der Bürger auf
die Agenda der EU.
Der Kommissionspräsident und das Kommissarskollegium
Doch wir sollten unseren Blick auch auf
die Zeit nach der Wahl richten: Der nächste Kommissionspräsident
wird dann von einem Kommissarskollegium umgeben sein, das von den
Mitgliedstaaten nominiert wurde und daher die politischen Farben der
verschiedenen nationalen Regierungen widerspiegelt – und nicht etwa
die bei der Europawahl siegreiche Koalition, die den
Kommissionspräsidenten selbst gewählt hat. Dieses Kollegium stimmt
über die Gesetzgebungsvorschläge ab, die dem Rat und dem Parlament
vorgelegt werden; und obwohl der Kommissionspräsident darin eine
herausragende Rolle einnimmt und den juristischen Dienst unter sich
hat, wirkt sich auch die übrige Zusammensetzung der Kommission
natürlich auf deren politische Ausrichtung aus.
Wenn ich eines an der EU ändern könnte, wäre es das Ernennungsverfahren für die Kommission. Wenn
der Kommissionspräsident die Macht erhielte, selbst die übrigen
Kommissare zu ernennen (und wenn das Europäische Parlament das Recht
hätte, diese Nominierungen einzeln zu bestätigen), würde die
Kommission künftig die siegreichen Koalitionen im Europäischen
Parlament widerspiegeln und somit demokratischer werden. Außerdem
würde sie dadurch effektiver: Sie hätte nicht nur eine gemeinsame
politische Richtung, die sich aus den Europawahlen ergäbe, sondern
würde auch aufhören, als Deponie für peinliche oder inkompetente
Politiker zu fungieren, die die nationalen Regierungen gerne
loswerden wollen.
Repräsentation der demokratischen Mehrheit und der Mitgliedstaaten
Zugleich bliebe die nationale
Repräsentation in der Kommission erhalten: Es könnte weiterhin ein
estnisches, ein maltesisches und ein luxemburgisches
Kommissionsmitglied geben. Der „konkordanzdemokratische“
Charakter der Kommission könnte gewahrt bleiben, sodass weiterhin
große und kleine Mitgliedstaaten gleichermaßen repräsentiert wären
– aber innerhalb einer Kommission, die das Ergebnis der Europawahl
widerspiegelt. Mit anderen Worten würde es weiterhin einen
Kommissar aus jedem Mitgliedstaat geben, doch würde jeder von ihnen
allein vom Kommissionspräsidenten nominiert und vom Europäischen
Parlament bestätigt werden. Auf den ersten Blick mag es nach einer
paradoxen Position erscheinen, dass die Kommission sowohl das
Wahlergebnis als auch die Mitgliedstaaten abbilden soll. Aber
die Repräsentation der einzelnen Nationalitäten, aus denen sich die
Union zusammensetzt, ist noch immer ein wichtiger Teil ihrer
Legitimität.
Dass die Zusammensetzung der Kommission
von den Wahlergebnissen abhängig werden soll, geht Hand in Hand mit
dem Ziel, ihre Legitimität und Reaktionsfähigkeit innerhalb des europäischen politischen Systems weiterzuentwickeln. Als „Hüterin der
Verträge“ hat die Kommission den Auftrag, die vereinbarten
gemeinsamen Regeln in der ganzen EU durchzusetzen und muss sich deshalb
bisweilen auch gegen bestimmte Politiken und Praktiken einzelner
Mitgliedstaaten stellen. Eine Kommission, die sowohl alle
Mitgliedstaaten als auch eine demokratische Mehrheit im Europäischen
Parlament repräsentiert, wird dieser Aufgabe besser gerecht werden
können, ohne dabei als „fremde Macht“ wahrgenommen zu werden.
Darüber hinaus sind auch Veränderungen
im Ressortzuschnitt der Kommission notwendig, um zu gewährleisten,
dass die
Einteilung der Zuständigkeitsbereiche rational erfolgt. Die
derzeitigen Ressorts der Kommission – von Landwirtschaft bis zur
Innenpolitik – können kaum weiter untergliedert werden. Um
bürokratische Dopplungen zu vermeiden, könnte es deshalb künftig
nötig sein, auch Kommissare ohne Portfolio zu haben. Diese könnten
sich zum Beispiel auf bestimmte ressortübergreifende
Querschnittsthemen konzentrieren und Arbeitsgruppen anderer
Kommissare leiten, die sich mit gemeinsamen Problemen befassen. Aber
das ist eine Frage für eine andere Gelegenheit.
Mehr Relevanz für die Europawahl
Die Kommission offener,
verantwortlicher und repräsentativer zu machen, würde die EU ihren
Bürgern näher bringen und der Europawahl eine größere Relevanz
geben. Zwar hatte das letzte Europäische Parlament einen größeren
politischen Einfluss als all seine Vorgänger – man denke nur
an ACTA,
das SWIFT-Abkommen
und die Reformen
der Eurozone. Doch wegen der reaktiven Natur des Parlaments fällt
es sehr schwer, eine Verbindung von der Repräsentation der
Bevölkerung zum politischen Handeln zu ziehen. Wähler müssen
wissen, dass ihre Stimme bei der Europawahl auch wirklich den Inhalt
politischer Entscheidungen beeinflusst, und nicht nur die politische
Färbung eines Parlaments, das auf die Initiativen der Kommission und
des Europäischen Rates reagiert. Derzeit fällt es sehr schwer, der
Wählerschaft die Rolle der Europaabgeordneten zu erklären: Anders
als Wahlen auf nationaler Ebene entscheiden die Europawahlen bislang
weder direkt darüber, wer die Ämter der europäischen Exekutive
(der Kommission) bekleidet, noch wie in wichtigen Fragen wie der
Zukunft der Währungsunion weiter vorgegangen werden soll. Ohne diese
Verbindung aber ist es kaum möglich, Amtsträger für ihr
politisches Handeln zur Verantwortung zu ziehen, was eine
Kernfunktion der Demokratie ist.
Auch mit der Veränderung, die ich hier
vorgeschlagen habe, wird die EU noch ein kompliziertes Gebilde sein,
voll von Deals zwischen der Kommission, dem Rat und dem Parlament.
Aber die Kommission demokratischer zu machen öffnet die Tür für
eine breitere und bessere Auseinandersetzung über die Europäische
Union – nicht nur darüber, was schlecht ist, sondern auch darüber,
was wir tun sollten, um es zu verbessern, und welche Politiken wir ändern wollen. Es genügt nicht, unter den Menschen eine
Debatte über die Stärken und Schwächen der EU von der Eurozone bis
zur Gemeinsamen Agrarpolitik zu entfachen. Es muss auch einen Punkt
geben, an dem wir eine demokratische Antwort darauf geben können,
wie wir weiter vorzugehen wünschen.
Eurocentric ist das Pseudonym eines irischen Bloggers, der seit 2009 auf The European Citizen über europapolitische Themen schreibt.
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Wenn du eines an den EU-Verträgen ändern könntest, was wäre es? – Übersicht
1: Wenn du eines an den EU-Verträgen ändern könntest, was wäre es?
2: Für eine wirklich demokratische Kommission ● Eurocentric
3: Gegen die schleichende Kompetenzübertragung: Ein Subsidiaritätstest vor dem Europäischen Gerichtshof ● Martin Holterman
4: Politische Union: Der Schmetterlingseffekt eines einzelnen Wortes ● Horațiu Ferchiu
5: Menschen, nicht Mitgliedstaaten: Eine Vertragsreform für ein neues Zeitalter politischer Organisation ● Protesilaos Stavrou
6: Eine Klausel für sozialen Fortschritt ● Eric Bonse
1: Wenn du eines an den EU-Verträgen ändern könntest, was wäre es?
2: Für eine wirklich demokratische Kommission ● Eurocentric
3: Gegen die schleichende Kompetenzübertragung: Ein Subsidiaritätstest vor dem Europäischen Gerichtshof ● Martin Holterman
4: Politische Union: Der Schmetterlingseffekt eines einzelnen Wortes ● Horațiu Ferchiu
5: Menschen, nicht Mitgliedstaaten: Eine Vertragsreform für ein neues Zeitalter politischer Organisation ● Protesilaos Stavrou
6: Eine Klausel für sozialen Fortschritt ● Eric Bonse
Bilder: By European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; privates Bild [alle Rechte vorbehalten].
„Wenn du eines an den EU-Verträgen ändern könntest, was wäre es?“
AntwortenLöschenVon den Artikeln die ich jetzt gelesen habe würde ich mich wohl auch, für die Änderungen bei der Wahl der Kommission entscheiden. Auch wenn das nur eine Formalie ist, glaube ich das hätte große Wirkungen und auch Einfluss auf Sozial, Umwelt oder Wirtschaftspolitik.