- Kurzfristige Sprünge haben meist nationale Ursachen, aber der langfristige Trend ist gesamteuropäisch.
Nach
der Europawahl 2014 begann dieses Blog (damals als erstes
europäisches Medium) regelmäßige
Sitzprojektionen für das Europäische Parlament zu veröffentlichen, die im Achtwochenrhythmus vermessen, wie beliebt die
europäischen Parteien bei ihren Wählerinnen und Wählern sind. Da
es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, handelt es sich bei
der Projektion zwar jeweils um eine Aggregation nationaler Umfragen,
die sich meist auf nationale Parlamentswahlen beziehen und auch sonst
mit einer Reihe von methodischen Problemen einhergehen. Andererseits ist auch ein verschwommenes Bild besser
als überhaupt kein Bild – und wie die Europawahl gezeigt hat, lag
die Projektion letztlich auch nicht allzu fern von dem realen Ergebnis.
Inzwischen
summieren sich die Projektionen zu einer Zeitreihe von fünf Jahren,
in denen europapolitisch nicht nur allgemein einiges los war, sondern
auch die europäische Parteienlandschaft sich verändert hat. Die
Verlaufsgrafik, mit der dieser Artikel illustriert ist, zeigt das Auf
und Ab der europäischen Fraktionen in der Sitzprojektion und lässt einige Sprünge, Brüche und Trends erkennen. Was aber sorgte für diese Bewegungen? Wurden sie vor allem durch Ereignisse der nationalen
Politik in den Mitgliedstaaten getrieben, die sich über nationale
Umfragen auf die gesamteuropäische Sitzprojektion niederschlugen?
Oder ist die europäische Öffentlichkeit schon so weit
fortgeschritten, dass bestimmte europapolitische Ereignisse
europaweit die Umfragen beeinflussten?
Europäische
und nationale Ereignisse
Die
zweite Grafik (hier in höherer Auflösung) kontrastiert den Verlauf
der Umfragen mit wichtigen Ereignissen der letzten Wahlperiode, die
sich wenigstens potenziell auf die politische Stimmung in der EU
hätten auswirken können:
Blau
markiert sind dabei europapolitische Ereignisse im engeren Sinn:
- die Grexit-Krise Mitte 2015, als die griechische Regierung ein Referendum über die Bedingungen der EU-Hilfskredite durchführte und für einige Wochen der Austritt Griechenlands aus der Eurozone als eine plausible Möglichkeit erschien;
- die Flüchtlingskrise im September 2015, als eine große Zahl hauptsächlich syrischer Flüchtlinge Europa erreichte, zahlreiche Mitgliedstaaten Grenzkontrollen einführten und der EU-Rat eine Umverteilung von Asylbewerbern unter den Mitgliedstaaten beschloss (die später großteils nicht umgesetzt wurde);
- das Brexit-Referendum am 23. Juni 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der britischen Bevölkerung für den Austritt aus der EU stimmte, sowie
- die wichtigen und umstrittenen Parlamentsabstimmungen über die Datenschutz-Grundverordnung (14.4.2016) und die Urheberrechtsreform (26.3.2019).
Violett
gekennzeichnet sind partei- bzw. koalitionspolitische Ereignisse
– Ereignisse, die, würden sie auf nationaler Ebene geschehen, mit
großer Sicherheit die politische Debatte dominieren würden und sich
auch auf die Wahrnehmung der Parteien niederschlagen würden:
- der Amtsantritt der Kommission Juncker am 1. November 2014;
- das „Ende der europäischen Großen Koalition“, das der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pittella (PD/SPE) Ende 2016 zur Hälfte der Wahlperiode ausrief und auf das kurz darauf eine Art Koalitionsvertrag zwischen EVP und ALDE folgte;
- die Parteitage, auf denen die beiden großen Parteien EVP und SPE Ende 2018 ihre Spitzenkandidaten für die Europawahl nominierten.
Grün
markiert sind wichtige Ereignisse der nationalen Politik einzelner
Mitgliedstaaten, die sich auf die gesamteuropäische Sitzprojektion
niederschlugen oder hätten niederschlagen können:
- die nationalen Parlamentswahlen in Griechenland im Januar 2015, Polen im Oktober 2015, Frankreich im Juni 2017;
- der „Schulz-Effekt“ im Frühjahr vor der deutschen Bundestagswahl 2017, als die SPD (SPE) für einige Wochen stark in den Umfragen zulegte;
- die italienische Regierungsbildung im Frühjahr 2018, bei der eine Koalition aus M5S (–) und Lega (BENF) die Regierung übernahm;
- die Ende 2018 erschienenen ersten französischen Wahlumfragen zur Europawahl 2019.
Orange
markiert sind Vorfälle, die sich auf die Gesamtsitzzahl in der Projektion
auswirkten. Das betrifft ausschließlich Ereignisse rund
um den Brexit:
- Als das Vereinigte Königreich am 29. März 2017 die Artikel-50-Notifikation sandte, mit der die Zweijahresfrist bis zum Austritt zu laufen begann, wurden die britischen Sitze aus der Projektion herausgenommen, sodass sich die Gesamtsitzzahl in der Projektion von 751 auf 678 reduzierte.
- Im Juni 2018 beschloss der Europäische Rat, 27 der ehemals britischen Sitze nach dem Brexit auf andere Mitgliedstaaten umzuverteilen. In der Folge erhöhte sich die Sitzzahl der Projektion von 678 auf 705.
- Im Frühling 2019 beantragte das Vereinigte Königreich zweimal eine Verschiebung des Austrittsdatums, das daraufhin auf die Zeit nach der Europawahl, nämlich den 31. Oktober 2019, verlegt wurde. Seitdem präsentiert die Projektion zwei Szenarien: 751 Sitze mit dem Vereinigten Königreich oder 705 ohne.
Rot
gekennzeichnet sind schließlich
Ereignisse, bei denen größere nationale Parteien die Fraktion im
Europäischen Parlament wechselten.
- Das betrifft vor allem die deutsche AfD, die sich nach der Europawahl 2019 zunächst der EKR-Fraktion anschloss. Nach der ersten Parteispaltung wurden die verbliebenen zwei AfD-Abgeordneten im Frühling 2016 jedoch aus der Fraktion ausgeschlossen; daraufhin wechselte Beatrix von Storch zur EFDD, während Marcus Pretzell in die ENF eintrat. Nach der zweiten Parteispaltung verließ im Oktober 2017 auch Pretzell die Partei, sodass von Storch bzw. ihr Nachfolger Jörg Meuthen als letztes AfD-Mitglied im Parlament verblieb. Im April 2019 kündigte Meuthen schließlich den ENF-Beitritt der AfD nach der Europawahl an. In der Projektion wurde die AfD deshalb von 2014 bis 2016 der EKR, von 2016 bis 2017 der ENF, von 2017 bis 2019 der EFDD und in der letzten Projektion vor der Wahl 2019 wiederum der ENF zugerechnet.
- Die zweite große Partei, die während der Wahlperiode einen Wechsel ankündigte, war das italienische M5S, das im März 2018 erklärte, die EFDD-Fraktion nach der Europawahl 2019 verlassen zu wollen. In der Projektion wurde das M5S deshalb ab diesem Zeitpunkt als „weitere Partei“ ohne klare Zuordnung geführt.
Brexitbedingte Sitzzahl-Sprünge
Die Ereignisse, die im Lauf der Wahlperiode die größten Sprünge in
der Projektion auslösten, waren recht offensichtlich die orangen und
die roten. Wenn große Parteien die Fraktion wechseln oder – wie im
Fall des Brexit – ganz aus dem Parlament ausscheiden, so führt
dies oft unmittelbar zu größeren Verschiebungen.
So
ist nach
der Artikel-50-Notifikation (29.3.2017) deutlich sichtbar, wie
das Ausscheiden der Labour Party und der Conservatives aus der
Projektion sich negativ auf die S&D- bzw. die EKR-Fraktion
niederschlug, während die Verschiebung
des Brexit (Frühling 2019) beiden Fraktionen wieder Luft
verschaffte. Die 27
zusätzlichen Sitze (13.6.2018) wiederum kamen ganz
unterschiedlichen Fraktionen zugute, unter anderem auch der EVP, die
in Großbritannien selbst überhaupt nicht vertreten ist. Durch
die Verschiebung des Brexit
verlor die EVP diese
zusätzlichen Sitze in der
Projektion wieder.
All diese Veränderungen
sind in
der Verlaufsgrafik als Sprünge, an denen die Zeitreihe unterbrochen
ist, deutlich zu sehen.
Fraktionswechsel bringen plötzliche Verschiebungen
Und
auch die Fraktionswechsel der AfD sind in der Projektion klar zu
erkennen. Auch wenn diese in der Realität jeweils nur einzelne
Abgeordnete im Parlament betrafen, führten sie aufgrund der starken
Umfragewerte der AfD zu starken Ausschlägen in der Projektion.
Gleiches gilt für die Ankündigung
des M5S im März 2018, die zu dem größten Anstieg der
„Weiteren“-Gruppe in der ganzen Wahlperiode führte.
Dass
die (zwar nicht gerade
häufigen, aber auch nicht sehr seltenen) Fraktionswechsel
einzelner Parteien so große Auswirkungen auf die Projektion haben
können, ist natürlich ein
Problem für die Verlaufsgrafik, die dadurch plötzliche Umschwünge
in der öffentlichen Meinung suggeriert, die in dieser Form gar nicht
stattgefunden haben. Immerhin: Im Fall der AfD entsprachen
die Übertritte von der EKR zur EFDD und dann zur ENF der
immer stärkeren
Rechtsaußenpositionierung der Partei – und, wie man vermuten darf,
ihrer Wähler. Insofern spiegelt die sinkende Kurve der EKR und die
steigende Kurve der ENF also durchaus eine Veränderung in der
europäischen politischen Stimmung wider, auch wenn diese in der
Realität nicht so plötzlich erfolgte, wie die Sprünge in der
Projektion nahelegen.
Sprünge in einzelnen Ländern können die
Projektion bewegen
Neben
den orange und den rot markierten Ereignissen lösten auch die grünen
verschiedentlich größere Veränderungen in der Projektion aus. Auch
hier handelt es sich allerdings nur begrenzt um gesamteuropäische
Phänomene, sondern eher um schnelle Veränderungen der
Wählerstimmung in einzelnen Mitgliedstaaten, oft bedingt durch
nationale Wahlkämpfe. So sorgte der starke Lauf der Syriza vor der
griechischen Parlamentswahl im Januar 2015 (zusammen mit den
gleichzeitigen guten Werten der spanischen Podemos) für einen
Höhenflug
der GUE/NGL. Der Einbruch der PO bei der polnischen Wahl im
Oktober 2015 wiederum bescherte
der
EVP-Kurve
einen Knick.
Allerdings
sind auch nicht alle plötzlichen Meinungsumschwünge in einzelnen
Mitgliedstaaten in der Projektion sichtbar: Der „Schulz-Effekt“
der deutschen SPD beispielsweise wurde in
der Projektion von März 2017 weitgehend durch die gleichzeitig
eher schwachen Umfragewerte der sozialdemokratischen Parteien in
anderen Ländern überlagert – und hatte acht
Wochen später seinen Zenit bereits wieder überschritten.
Ein
Sonderfall: die seltenen französischen Umfragen
Ein
Sonderfall des Effekts, dass Veränderungen in einzelnen
Mitgliedstaaten stark auf die europäische Projektion durchschlagen
können, zeigt sich schließlich am Erfolg der neu gegründeten LREM
(ALDE zugerechnet) und dem schwachen Abschneiden von PS (S&D) und
FN (ENF) bei der französischen Parlamentswahl im Juni 2017. Der
Sprung fiel
hier besonders deutlich
aus,
da es in Frankreich generell kaum Umfragen gibt, die nach der
Wahlabsicht bei Parlamentswahlen fragen. (Regelmäßige Umfragen
erfolgen lediglich zu den nationalen Präsidentschaftswahlen,
die aber für die Projektion nicht berücksichtigt werden.) Deshalb
beruhten die Werte in der Projektion bis Mitte 2017 auf den
Ergebnissen der Europawahl 2014 – als der FN die stärkste Kraft
gewesen war und es LREM noch gar nicht gegeben hatte.
Und
damit nicht genug: Nach der nationalen Parlamentswahl gab es erneut
mehrere Monate lang keine französischen Umfragen mehr, bis Ende
2017/Anfang 2018 erste Umfragen zur Europawahl erschienen. In der
Zwischenzeit hatte sich die Stimmung in Frankreich erneut stark
gewandelt. In der Projektion kam es deshalb wiederum
zu einem Sprung, bei dem LR (EVP) und LREM (ALDE) verloren, FI
(GUE/NGL) und FN (ENF) gewannen.
Europäische
Ereignisse haben kurzfristig oft nur wenig Effekt
Im
Vergleich zu diesen nationalen Ereignissen hatten gesamteuropäische
Ereignisse hingegen nur geringe oder keine kurzfristigen Effekte auf
die Wahlumfragen. Dies gilt besonders für die partei- bzw.
koalitionspolitischen Ereignisse in violetter Farbe. Dass Pittella
die Große Koalition aufkündigte, bewegte
die Umfragen ebenso wenig wie die Wahlparteitage zur Ernennung
der Spitzenkandidaten – von einem convention
bounce, wie man ihn von US-amerikanischen Wahlen kennt, ist
in der Verlaufsgrafik nichts zu erkennen. Das könnte daran liegen, dass der Effekt der Parteitage zu kurzfristig war, um in der achtwöchentlichen Projektion erfasst zu werden. Wahrscheinlicher ist aber eine andere Erklärung: Angesichts des geringen Medieninteresses dürften die meisten europäischen Bürgerinnen
und Bürger von diesen Ereignissen schlicht nicht viel mitbekommen haben.
Aber
auch die blau markierten Ereignisse, die in den Medien stärker
diskutiert wurden, führten nicht immer zu erkennbaren Sprüngen in der
Projektion. Die Datenschutz-Grundverordnung oder
die Urheberrechtsreform waren zwar heftig umstritten, hatten aber
keinen klaren Effekt auf die europäischen Umfragen.
Grexit-
und Brexit-Krise schlugen sich europaweit nieder
Etwas
anders liegt die Sache mit der Grexit-Krise im Sommer 2015, die mit
dem Ende des GUE/NGL-Höheflugs zu Beginn jenes Jahres zusammenfiel:
Nachdem die griechische Regierung die Bedingungen der EU-Hilfskredite
entgegen dem nationalen Referendum letztlich doch akzeptiert hatte,
erfuhr nicht nur Syriza Einbußen in der Wählergunst, sondern insbesondere auch die spanische Podemos.
Dies könnte damit zusammenhängen, dass mit dem Scheitern der griechischen Regierung auch in anderen Ländern die Hoffnung verblasste, dass Linksparteien eine grundsätzliche
Wende gegen die ungeliebte Austeritätspolitik würden einleiten
können. Allerdings spielten bei dem Niedergang von Podemos auch andere Gründe der
nationalen spanischen Politik eine Rolle.
Ein
anderer Effekt ist in Bezug auf das Brexit-Referendum (23.6.2016)
sowie die Artikel-50-Notifikation (29.3.2017) zu beobachten: Die
beiden Ereignisse verschafften kurzfristig jeweils allen
drei großen proeuropäischen Fraktionen der Mitte – EVP, S&D,
ALDE – Auftrieb, während europaskeptisch-rechte
Parteien in den Umfragen verloren. In den darauffolgenden
Umfragen verblasste ein Teil dieses Effekts freilich rasch wieder.
Die beiden Ereignisse rund um den Brexit sind damit der deutlichste
Fall für europaweit geteilte kurzfristige Schübe in der
öffentlichen Meinung. Das dürfte kein Zufall sein, handelte es sich
doch zugleich auch um die Gelegenheit, bei der die grundsätzliche
Frage, ob die EU eine Zukunft hat, europaweit die größte mediale
Sichtbarkeit gewann. Angesichts des Brexit waren Verletzlichkeit und
Umkehrbarkeit der europäischen Integration in der öffentlichen
Debatte so präsent war wie nie zuvor, und diese Sorge schlug sich
offenbar auch in den Wahlumfragen nieder.
Polarisierung zwischen Kosmopoliten und Nativisten
Ein
besonderer Fall ist schließlich auch die Flüchtlingskrise im
September 2015: Diese ging zum einen kurzfristig
mit besseren Umfragewerten der einwanderungsfeindlichen
Rechtsfraktionen EFDD und ENF einher. Zum anderen aber scheint sie auch zu einer längerfristigen Transformation der
europäischen Parteienlandschaft beigetragen zu haben, denn im Lauf
des folgenden Jahres verstärkte sich der (schon zuvor erkennbare)
Niedergang der traditionellen Volksparteien EVP und S&D deutlich,
während ALDE, EKR und ENF dazugewannen.
Die
Flüchtlingskrise lässt sich damit als sichtbarstes Einzelereignis
im Rahmen eines längerfristigen Trends verstehen, in dem der Gegensatz
zwischen Weltoffenheit und Nativismus (bzw. zwischen Inklusion
und Exklusion von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wie Minderheiten
und Migranten) gegenüber anderen politischen Trennlinien an
Bedeutung gewinnt. Im Zuge dieser Koordinatenverschiebung verloren die in Sachen Weltoffenheit und Migration
oft eher ambivalenten traditionellen Volksparteien, während die
Parteien am kosmopolitischen und am nativistischen Pol in der
Wählergunst zulegten.
Europaweit
gemeinsame Trends
Diese
Entwicklung zeigte sich nicht in jedem einzelnen Land in gleichem
Ausmaß, und sie hatte auch nicht überall dieselbe Bedeutung, da die
Parteiensysteme in den EU-Mitgliedstaaten nicht identisch sind: So
gilt in manchen Ländern (wie Deutschland) eine Regierungsbeteiligung
von Parteien rechts der EVP als fast undenkbar, in anderen (wie
Polen) ist sie Normalität; in manchen Ländern (wie Frankreich)
definieren sich liberale Parteien geradezu als Gegenpol zur
politischen Rechten, in anderen (wie Dänemark) fungieren
ALDE-Mitglieder als die große Mitte-rechts-Volkspartei und grenzen
sich weit weniger deutlich nach rechts ab. Es sind deshalb nicht
überall dieselben Parteien, die mit einer dezidiert
kosmopolitisch-inkludierenden Haltung punkten können: Während diese
Rolle in einigen Ländern (wie Frankreich oder Rumänien) den
Liberalen zufällt, profitieren anderswo die Grünen (wie in
Deutschland) oder sogar sozialdemokratische Parteien (wie Wiosna in
Polen).
Andererseits
sind die verschiedenen nationalen Parteiensysteme aber auch nicht
vollkommen unterschiedlich – und deshalb schlägt sich die
gesamteuropäische Polarisierung zwischen Inklusion und Exklusion
zuletzt eben doch auch auf gesamteuropäischer Ebene nieder.
Jedenfalls zeigt die Projektion (und das
Ergebnis der Europawahl) eine Reihe von langfristigen Trends, die
sich gut damit erklären lassen: der nahezu kontinuierliche Niedergang von EVP und S&D, der Aufstieg der
Fraktionen aus dem linksliberal-kosmopolitischen Spektrum (bis Mitte 2017 vor allem
der ALDE, danach vor allem der G/EFA) sowie die ebenfalls recht
kontinuierlichen, nur von Mitte 2016 bis Mitte 2017 unterbrochenen
Zugewinne der nationalistischen Rechten.
Kurzfristige
und langfristige Effekte
Und
was bedeutet dies nun für die europäische Öffentlichkeit? Wie
sich zeigt, ist diese in der Regel noch nicht so ausgeprägt, dass
europapolitische Ereignisse die Wahlabsichten in der Bevölkerung
kurzfristig stark und in europaweit ähnlicher Weise bewegen
würden. Wenn eine Fraktion in der Verlaufsgrafik sprunghaft Sitze
gewinnt oder verliert, so liegt das meist entweder daran, dass sich
die Wählergunst in einem einzelnen großen Mitgliedstaat gewandelt
hat oder dass Einmal-Effekte wie Fraktionswechsel das Gesamtbild
verzerren.
Dass
sich langfristig trotzdem gemeinsame europaweite Trends
identifizieren lassen, macht aber auch deutlich, dass die Umfragen in
den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten sich nicht völlig unabhängig
voneinander bewegen. Politische Meinungsbildung findet nicht mehr nur
im abgeschlossenen nationalen Raum statt: Debatten, die in einem
europäischen Land geführt werden, können auf andere überspringen,
und Parteien, die für eine ähnliche politische Linie stehen,
erfahren – wenigstens über einen Zeitraum von einigen Jahren
hinweg – oft länderübergreifend einen gemeinsamen Aufstieg oder
Fall.
Bilder: Eigene Grafiken.
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