23 Oktober 2017

Katalonien, die Demokratie und das „Europa der Regionen“: Eine Antwort auf Wulf Loh

Wäre ein unabhängiges Katalonien eine Chance für die Demokratisierung der EU?
Aus Anlass der katalanischen Krise habe ich auf diesem Blog vor einigen Wochen einen Artikel geschrieben, in dem ich mich kritisch mit den diversen Abspaltungsbewegungen in Europa (von Katalonien über Norditalien und Flandern bis zum Brexit) auseinandersetzte. Mein Grundgedanke war dabei, dass das separatistische Versprechen von „Unabhängigkeit“ und „Selbstbestimmung“ meist trügerisch ist – denn auch wenn es politisch zur Abspaltung kommt, lassen sich doch die gesellschaftlichen Verflechtungen, die die Region mit dem Rest des Landes verbinden, nicht so einfach kappen. Und wo es gesellschaftliche Verflechtungen gibt, entstehen immer auch Fragen, für die es gemeinsame politische Antworten braucht. Durch die Abspaltung verändert sich nur der Ort, an dem diese Antworten zustande kommen: Aus einem gemeinsam gewählten Parlament verlagern sie sich in den Raum der zwischenstaatlichen Verhandlungen; an die Stelle des Prinzips „Eine Person, eine Stimme“ treten die Machtspiele der Diplomatie. A priori bedeuten Abspaltungen deshalb einen Verlust an Demokratie.

Hinzu kommt, dass es meist die reicheren Regionen sind, die sich von den ärmeren trennen wollen – oft mit der Begründung, durch die gemeinsamen Steuer- und Sozialsysteme „bestohlen“ zu werden. Aus ökonomischer Sicht lässt sich der Separatismus deshalb auch als Ausdruck einer Entsolidarisierung verstehen: als Versuch, fiskalische Umverteilung durch territoriale Eingrenzung zu minimieren.

Katalonien als Chance für ein „Europa der Regionen“?

Auf diesen Artikel hat der Rechtsphilosoph Wulf Loh (mit dem ich, full disclosure, an der Humboldt-Universität zu Berlin mehrere Jahre lang ein Büro geteilt habe) in der Berliner Gazette eine kritische Antwort verfasst. Darin geht er sowohl auf die ökonomische als auch auf die politische Dimension des Separatismus-Problems ein und beschreibt die katalanische Krise – ganz ähnlich wie jüngst auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in einem Beitrag für Die Zeit – als Chance zu einem postnationalen „Europa der Regionen“.

Ich finde Wulfs Argumente bedenkenswert, auch wenn ich seine Schlussfolgerungen nicht teile. An dieser Stelle möchte ich deshalb meinerseits auf seine Antwort erwidern.

Weniger Kuchen abgeben oder mehr Kuchen für alle?

Was die wirtschaftliche Dimension betrifft, hebt Wulf hervor, dass nicht nur die Separatisten gern auf ökonomische Argumente zurückgreifen. Auch ihre Gegner (nennen wir sie „Unionisten“ oder, wie in Großbritannien, „Remainer“) verweisen gerne darauf, dass eine Abspaltung nur mit großen wirtschaftlichen Kosten möglich sei. Geht es also beiden Seiten nur ums Geld?

Mir scheint, dass diese Gleichsetzung, die Wulf suggeriert, einen wichtigen normativen Unterschied verkennt: Während die Separatisten darauf abzielen, fiskalische Umverteilung zu reduzieren, warnen die Remainer davor, dass neue Grenzen zu Handelsfriktionen, geringerer Wirtschaftsleistung und letztlich allgemein weniger Wohlstand führen. Ersteres Argument bezieht sich also auf den ökonomischen Eigennutz ihrer Region, letzteres auf den ökonomischen Gemeinnutz. Bildlich gesprochen: Die Separatisten wollen weniger vom Kuchen abgeben, die Remainer einen größeren Kuchen für alle.

Weniger Solidarität destabilisiert den Währungsraum

Wulf argumentiert weiter, dass das ökonomische Argument der Remainer im Fall von Katalonien ins Leere führe: Schließlich wollen die katalanischen Separatisten in der EU verbleiben. Sie wären mit Spanien deshalb weiterhin über den europäischen Binnenmarkt verbunden und würden mit dem Euro sogar eine gemeinsame Währung teilen. Anders als etwa beim Brexit seien die von den Remainern befürchteten Handelsfriktionen in Katalonien deshalb kaum plausibel.

Das ist, was allein den Handel betrifft, vermutlich richtig (jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass ein unabhängiges Katalonien tatsächlich in der EU verbleiben könnte). Das Bild ändert sich allerdings, wenn man auch die Funktionsweise der Währungsunion in den Blick nimmt. Denn für die Stabilität eines Währungsraums ist ein gewisses Maß an interregionaler Umverteilung von wesentlicher Bedeutung – wie der Wirtschaftswissenschaftler Peter Kenen bereits 1969 zeigte und die Eurokrise jüngst eindrucksvoll belegte. Je mehr unabhängige Staaten ohne gemeinsames Steuer- und Sozialsystem die europäische Währungsunion umfasst, desto anfälliger ist sie für asymmetrische Schocks. Wenigstens solange es keine gesamteuropäische Fiskalunion gibt (die sich derzeit allenfalls in den Kinderschuhen befindet), bleibt das ein starkes ökonomisches Argument gegen Abspaltungen innerhalb der Eurozone.

Demokratisierung und Regionalisierung: Was kommt zuerst?

Es bleibt die politische Dimension: Was würde ein unabhängiges Katalonien aus demokratietheoretischer Sicht bedeuten? In Grundzügen sind Wulf und ich uns hier einig: Mehr Mitgliedstaaten bedeutet mehr Veto-Akteure im Europäischen Rat und damit erst einmal weniger Demokratie. Auch Wulf fordert deshalb „eine Abkehr vom Paradigma des souveränen Staates als der politischen Grundeinheit auf globaler Ebene, hin zu einem stärker komplementären ‚Mehrebenen-Regieren‘“, bei dem das gemeinsam gewählte Europäische Parlament im Mittelpunkt aller Entscheidungen stünde und der Europäische Rat an Bedeutung verlöre: „60 Regionen ohne Vetorecht führten vermutlich zu einer effizienteren, bürgernäheren und damit auch demokratischeren EU.“

Allerdings eröffnet sich an dieser Stelle eine Frage der Reihenfolge: Aus meiner Sicht wäre es zuerst notwendig, die EU zu demokratisieren, nationale Vetorechte abzuschaffen und die Fiskalunion zu vertiefen, ehe man danach – sofern man das will – über eine weitere Regionalisierung nachdenken könnte.

Für Wulf könnte die „Regionalisierung“ (also die Aufspaltung größerer Mitgliedstaaten in mehrere kleine) hingegen auch der erste Schritt sein, der dann eine weitere Aufwertung des Europäischen Parlaments und Abschaffung nationaler Vetorechte erleichtert. Denn da kleine Staaten mit vielen wichtigen Hoheitsaufgaben ohnehin überfordert seien, stünden sie Kompetenzübertragungen an die EU generell offener gegenüber.

Sind kleine Staaten integrationsfreundlicher?

Aber sind kleinere Staaten wirklich integrationsfreundlicher und eher bereit, auf nationale Vetorechte zu verzichten? Leider führt Wulf für diese starke These keine empirischen Belege an. Tatsächlich ist es sehr schwer, hier zu soliden Befunden zu gelangen: Da sich ein großer Teil der Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten im Informellen abspielt, müssen Veto-Drohungen nur selten explizit gemacht werden und sind deshalb für Sozialwissenschaftler schwer messbar.

Insgesamt aber scheint mir in Sachen Integrationsbereitschaft kein klarer Gegensatz zwischen großen und kleinen Ländern zu erkennen: Historisch zählten das große Italien und das kleine Luxemburg meist zu den Beschleunigern, das große Großbritannien und das kleine Dänemark zu den Bremsern der Integration. Und betrachtet man vor allem die letzten Jahre, zeigen gerade die mittelgroßen Staaten (zu denen mit rund 7,5 Millionen Einwohnern auch ein unabhängiges Katalonien gehören würde) eine bedrückende Veto-Bilanz: Irland (4,6 Mio. Einwohner) setzte bei der Ratifikation des Vertrags von Lissabon 2008 im Alleingang durch, dass bis heute jeder Mitgliedstaat einen eigenen Kommissar stellt. Die Slowakei (5,4 Mio. Einwohner) drohte 2011 den Euro-Rettungsschirm EFSF platzen zu lassen. Ungarn (9,8 Mio. Einwohner) verhindert seit 2016 mit seiner Veto-Drohung Sanktionen der EU gegen die polnische Regierung. Und Ungarn und die Slowakei gemeinsam versuchten zuletzt, wenn auch vergeblich, sich vor dem EuGH ein Vetorecht gegen den EU-Beschluss zur Umverteilung von Flüchtlingen zu erstreiten.

„Regionen sind Heimat, Nationen sind Fiktion“?

Die Vorstellung, dass sich ein „Europa der Regionen“ mit einer Vielzahl kleiner bis mittelgroßer Staaten zum Selbstläufer in Richtung europäische Demokratie entwickeln würde, scheint mir deshalb ein Trugschluss zu sein. Noch problematischer wird es schließlich, wenn man wie Ulrike Guérot die regionalen Identitäten als eine Art natürliche Einheit betrachtet, denen ein grundsätzlicher normativer Vorrang gegenüber den heutigen Nationalstaaten zukomme.

„Regionen sind Heimat, Nationen sind Fiktion“, so zitiert sie in ihrem Zeit-Artikel den Schriftsteller Robert Menasse – und unterschlägt dabei, dass auch regionale Identitäten stets so vielschichtig und widersprüchlich sind, dass sich zwischen ihnen niemals eindeutige und unumstrittene Grenzen ziehen lassen. Spaltet sich heute Bayern von Deutschland ab, so wird sich morgen Franken von Bayern abspalten wollen und übermorgen Oberfranken von Unterfranken. Auch in einem „Europa der Regionen“ wären die Grenzen zwischen den politischen Einheiten stets das Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses: nicht anders (und wohl auch nicht friedlicher) als im Europa der Staaten von heute.

Katalonien ist kein Vorbild

Fazit: In einer Mehr-Ebenen-Demokratie muss die Frage, welche Probleme auf welcher Ebene sinnvoll gelöst werden können, immer wieder neu diskutiert und ausgehandelt werden. Ohne Zweifel können dabei auch „Autonomiearrangements“ eine wichtige Rolle spielen, wie sie Wulf fordert und wie sie, nebenbei gesagt, in Spanien seit vielen Jahren existieren. Aber zwischen Autonomie und Abspaltung liegt ein gravierender Unterschied, und wenigstens in der heute existierenden EU würden regionale Abspaltungen nicht zu mehr, sondern zu weniger Demokratie führen – selbst wenn sie auf vordergründig demokratische Weise, nämlich per Referendum, zustande kommen.

Nun mag es angesichts der aufgewühlten Lage in Katalonien sein, dass dort ein solches Referendum (mit der spanischen Regierung ausgehandelt und auf eine solide Rechtsgrundlage gestellt) mittelfristig notwendig ist, um eine allgemein akzeptierte Entscheidung herbeizuführen und die polarisierte Gesellschaft zu befrieden. Aber ein Vorbild für andere Regionen oder gar eine demokratische Chance für die EU ist der katalanische Separatismus mit Sicherheit nicht.

Bild: Òmnium Cultural [CC BY-SA 2.0], via Flickr.

16 Oktober 2017

Wenn am nächsten Sonntag Europawahl wäre (Oktober 2017): EVP verliert, Grüne und Rechte gewinnen


GUE/
NGL
Grüne/
EFA
S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
EP heute 52 51 190 68 216 74 45 37 18
Aug. 17 57 24* 149 108 196 42 29* 44 12 17
Okt. 17 55 28 150 106 192 45 38* 37 12 15

Stand: 16.10.2017.
Ob es für die christdemokratische Europäische Volkspartei gerade ziemlich gut oder ziemlich schlecht läuft, ist nicht so einfach zu sagen. Auf der einen Seite hält sie unangefochten ihre Position als stärkste Kraft in der Europäischen Union. Das liegt nicht zuletzt am anstehenden britischen EU-Austritt: Ohne die Labour Party haben die europäischen Sozialdemokraten in der Europawahl-Projektion momentan über 40 Sitze Rückstand auf die EVP – eine Distanz, die sie in den kommenden anderthalb Jahren bis zur nächsten Europawahl wohl kaum noch aufholen werden. Knapper sind die Verhältnisse im Europäischen Rat, wo die Christdemokraten derzeit acht, Sozialdemokraten und Liberale jeweils sieben Staats- und Regierungschefs stellen. Nach dem Sieg bei der österreichischen Parlamentswahl am gestrigen Sonntag dürfte sich allerdings auch hier die Balance weiter zugunsten der Europäischen Volkspartei verschieben.

Auf der anderen Seite erfuhr aber auch die EVP seit der letzten Europawahl europaweit einen deutlichen Aderlass. Lässt man den Brexit-Effekt außer Acht, verlor sie sogar stärker als jede andere Partei – teils an die Liberalen, teils an Nationalkonservative und Rechte. In allen großen Mitgliedstaaten (Frankreich, Italien, Spanien, Polen) büßten die Christdemokraten bei den letzten Parlamentswahlen Sitze ein. Und auch die deutsche CDU/CSU konnte sich bei der Bundestagswahl am 24. September zwar als stärkste Kraft halten, war dabei aber gleichzeitig so schwach wie seit 1953 nicht mehr.

Einbußen für EVP

Das unerwartet schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl schlägt sich auch in der aktuellen Europawahl-Projektion nieder, bei der die EVP nur noch auf 192 Sitze käme – vier weniger als bei der letzten Projektion im August. Außer in Deutschland müssen die Christdemokraten auch in Griechenland, Kroatien und Malta Einbußen hinnehmen. In anderen Ländern gewinnen sie gegenüber August aber auch Sitze hinzu: vor allem in Österreich, aber auch in Italien, Schweden und Lettland.

Keine großen Entwicklungen gibt es hingegen bei den europäischen Sozialdemokraten. Auch diese blieben bei der deutschen Bundestagswahl hinter den Erwartungen zurück. Außerdem verloren sie in den letzten Wochen auch in Spanien in der Wählergunst und rutschten in Polen wieder unter die nationale Fünf-Prozent-Hürde. In zahlreichen kleineren Ländern (unter anderem Belgien, den Niederlanden, Finnland, Kroatien, Slowenien und Malta) legen die Sozialdemokraten hingegen zu, sodass die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament nun insgesamt 150 Sitze erreichen würde (+1).

Liberale profitieren von Katalonien-Krise

Weiterhin auf hohem Niveau hält sich die liberale ALDE, wobei auch hier die Entwicklung je nach Land etwas auseinander geht. Verluste erfahren die Liberalen etwa in den Niederlanden, wo VVD und D66 gerade eine langwierige Regierungsbildung mit schwierigen Kompromissen abgeschlossen haben. Auch in Finnland und Belgien, wo die Liberalen ebenfalls die Regierung anführen, erlitten sie in den Umfragen zuletzt Rückschläge.

Zulegen kann hingegen die deutsche FDP, die bei der Bundestagswahl noch etwas besser abschnitt als von den Umfragen erwartet. In Spanien schließlich profitieren die Liberalen besonders von der Katalonien-Krise: Ihre dortige Mitgliedspartei Ciudadanos hat ihre Wurzeln selbst in Barcelona, wo sie 2006 als eine Gegenbewegung zum katalanischen Separatismus entstand. Heute sind die Ciudadanos im spanischen Parlament die Partei, die gegenüber den Abspaltungsversuchen am kompromisslosesten auftritt – was bei der eigenen Wählerschaft offenbar gut ankommt. (Dass der ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament gleichzeitig auch die separatistische katalanische Regierungspartei PDeCAT angehört, gehört zu den kleinen Paradoxien in der europäischen Parteienlandschaft.)

Was macht Macron?

Die entscheidende Frage für die ALDE-Fraktion bleibt allerdings weiterhin, ob sich ihr nach der Europawahl 2019 auch die französische Regierungspartei LREM um Emmanuel Macron anschließen wird oder nicht. Trotz einiger politischer und programmatischer Übereinstimmungen vermeidet LREM bislang eine eindeutige Festlegung und spielt stattdessen mit dem Gedanken, eine eigene, ganz neue europäische Partei zu gründen.

Wo die Mitglieder dieses „europäischen En Marche“ herkommen sollen, ist allerdings ziemlich unklar. In der Projektion gehen wir deshalb weiterhin davon aus, dass sich LREM letztlich der ALDE-Fraktion anschließen wird. Insgesamt käme diese damit nun auf 106 Sitze (–2).

Grüne wieder in Fraktionsstärke

Auf der linken Seite des Parteienspektrums erfährt die europäische Linksfraktion GUE/NGL gegenüber der August-Projektion leichte Verluste. Der Höhenflug ihrer belgischen Mitgliedspartei PTB scheint fürs Erste gebremst. Und auch in Spanien verlor Unidos Podemos mit seiner differenzierten Haltung in der katalanischen Krise (UP unterstützt als einzige Partei zwar die Durchführung des Referendums, aber auch einen Verbleib Kataloniens bei Spanien) an Zustimmung. In Deutschland und Griechenland können sich die Linken jedoch auch etwas verbessern, sodass sie insgesamt noch auf 55 Sitze kämen (–2).

Die europäischen Grünen wiederum können nach langer Krise ein wenig aufatmen: Sie übertrafen zuletzt nicht nur bei der deutschen Bundestagswahl die Umfrageerwartungen, sondern legen auch in den Niederlanden, Belgien und Ungarn zu. Ein Wermutstropfen ist allerdings Österreich, wo die Grünen bei der gestrigen Nationalratswahl voraussichtlich an der Vier-Prozent-Hürde gescheitert sind. Sollten sie bei der Europawahl dasselbe Ergebnis erzielen, wären sie auch im Europäischen Parlament nicht mehr vertreten.

Aber auch ohne ihre österreichischen Mitglieder kämen die europäischen Grünen nun insgesamt auf 28 Sitze (+4) – und würden damit auch wieder die Bedingungen erfüllen, die die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments für die Bildung einer eigenständigen Fraktion aufstellt: mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben verschiedenen Mitgliedstaaten.

Eine neue Fraktion für die AfD

Zulegen können auch die Parteien rechts der EVP. Insbesondere die nationalkonservative polnische Regierungspartei PiS hatte zuletzt eine Reihe von sehr guten Umfragewerten, was ihrer EKR-Fraktion in der Projektion Aufwind verschafft (45 Sitze / +3).

Auch in der zuletzt etwas schwächeren Rechtsaußen-Fraktion ENF gewinnen einige Parteien wieder an Zustimmung, etwa die österreichische FPÖ und die tschechische SPD. Eine große Veränderung ergibt sich hier allerdings in Bezug auf die deutsche AfD: Diese war im Europäischen Parlament bislang mit zwei Abgeordneten vertreten, von denen der eine, Marcus Pretzell, der ENF-Fraktion angehörte, die andere, Beatrix von Storch, der nationalpopulistischen EFDD. In der Projektion hier wurde die AfD allerdings allein der ENF zugerechnet, da es hier eine deutlichere inhaltliche Zusammenarbeit gab.

Ende September ist nun allerdings Pretzell zusammen mit der bisherigen AfD-Parteichefin Frauke Petry aus der AfD ausgetreten, sodass von Storch nun die letzte verbleibende Europaabgeordnete der Partei ist. Wie ich hier vor einigen Tagen ausführlicher beschrieben habe, ist nicht ganz klar, was das langfristig für die Fraktionszugehörigkeit der AfD im Europäischen Parlament bedeutet. Fürs Erste aber gehört die AfD nun eindeutig zur EFDD, sodass sie in der Projektion ab jetzt auch in deren Spalte erscheinen wird. Für die ENF ist das ein deutlicher Verlust: Ohne die AfD käme sie nun nur noch auf 37 Sitze (–7).

Kann sich die EFDD noch retten?

Die nationalpopulistische EFDD hingegen legt mit den AfD-Sitzen kräftig zu und würde nun 38 Mandate erreichen (+9). Ob die Fraktion auch nach der Europawahl 2019 weiter existieren wird, ist allerdings nach wie vor unsicher. Denn auch mit der AfD würde sie derzeit nur Mitgliedsparteien aus vier verschiedenen Ländern (Deutschland, Italien, Schweden und Litauen) umfassen – drei weniger, als nach der Geschäftsordnung für die Bildung einer eigenen Fraktion notwendig sind.

Um sich zu retten, müsste die EFDD nach der Europawahl also noch weitere Mitglieder aus anderen Ländern anwerben. Die wahrscheinlichsten Kandidaten dafür wären die Vertreter neu gegründeter nationalpopulistischer Parteien, die 2019 zum ersten Mal ins Europäische Parlament einziehen werden. In der Projektion erscheinen diese neuen Parteien, die bislang keiner Fraktion eindeutig zuzuordnen sind, in der Spalte „Weitere“.

Weitere und fraktionslose Parteien

Die Chance der EFDD besteht nun darin, dass unter diesen „weiteren Parteien“ gleich mehrere sind, die durchaus programmatische Überschneidungen zur EFDD aufweisen. Das betrifft insbesondere das nationalpopulistische Forum voor Democratie (FvD) aus den Niederlanden, aber auch die nationalkonservative EKRE aus Estland, die rechtspopulistische Kʼ15 aus Polen oder Sme Rodina (SR) aus der Slowakei.

Ähnlich wie nach der Europawahl 2014 wird es letztlich wohl auch 2019 wieder einen Wettlauf zwischen EFDD, EKR und ENF um die neuen rechtspopulistischen Parteien geben. Ob die EFDD dabei so erfolgreich ist, dass sie noch einmal eine eigene Fraktion bilden kann, steht derzeit in den Sternen. In der aktuellen Projektion kommen die „weiteren Parteien“ – zu denen allerdings nicht nur Rechtspopulisten zählen, sondern beispielsweise auch die niederländische Seniorenpartei 50plus oder die rumänische Antikorruptionspartei USR – auf 15 Sitze (–2).

Keine Veränderungen gibt es in der Projektion schließlich bei den Fraktionslosen. Diese meist rechtsextremen Parteien, die mit keiner anderen Gruppierung im Europäischen Parlament zusammenarbeiten, kommen nach wie vor auf 12 Sitze (±0).

Die Übersicht

Die folgende Tabelle schlüsselt die Projektion für die Sitzverteilung zwischen den Fraktionen im nächsten Europäischen Parlament nach nationalen Einzelparteien auf. Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Projektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Die Werte für das Vereinigte Königreich werden zwar in der Tabelle angegeben, gehen jedoch nicht in die Gesamtsitzzahl ein.

Wie die Datengrundlage für die Länder im Einzelnen aussieht und nach welchen Kriterien die nationalen Parteien den europäischen Fraktionen zugeordnet wurden, ist im Kleingedruckten unter der Tabelle erläutert. Mehr Informationen zu den europäischen Parteien und zu den Fraktionen im Europäischen Parlament gibt es hier.



GUE/
NGL
Grüne/
EFA
S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
EP heute 52 51 190 68 216 74 42 40 18
Aug. 17 57 24* 149 108 196 42 29* 44 12 17
Okt. 17 55 28 150 106 192 45 38* 37 12 15
DE 9 Linke
1 Tier
9 Grüne
1 Piraten
1 ödp
20 SPD 10 FDP
1 FW
30 Union 1 Familie 11 AfD
1 Partei
1 NPD
FR 9 FI
6 PS 31 LREM 19 LR

9 FN

GB 1 SF 3 Greens
3 SNP
1 PC
35 Lab
1 SDLP


26 Cons 2 UKIP
1 DUP
IT

22 PD
12 FI
1 SVP

22 M5S 12 LN
4 FdI


ES 8 UP 1 ERC
1 Comp
1 ICV
13 PSOE 11 Cʼs
1 PDeCAT
18 PP




PL


5 .N 13 PO 28 PiS


5 Kʼ15
RO

17 PSD 2 ALDE 10 PNL
1 UDMR




2 USR
NL 2 SP
1 PvdD
3 GL 2 PvdA 6 VVD
3 D66
3 CDA 1 CU
3 PVV
1 FvD
1 50plus
EL 5 Syriza
1 LAE

2 Pasok
1 Potami
1 EK 7 ND


2 XA
2 KKE

BE 2 PTB 2 Groen
1 Ecolo
2 sp.a
2 PS
1 OpenVLD
2 MR
2 CD&V
1 cdH
1 CSP
4 N-VA
1 VB

PT 1 CDU
2 BE

10 PS
8 PSD-CDS




CZ 3 KSČM 1 Piráti 3 ČSSD 7 ANO 1 TOP09
2 KDU-ČSL
2 ODS
2 SPD

HU
1 LMP 3 MSZP
1 DK

12 Fidesz


4 Jobbik
SE 2 V
6 S 3 C
1 L
4 M
4 SD


AT 5 SPÖ 1 Neos 7 ÖVP

5 FPÖ

BG

6 BSP 1 DPS 8 GERB



2 OP
DK 1 FmEU
4 S 3 V
1 RV
1 LA

3 DF



FI 1 Vas 3 Vihr 3 SDP 2 Kesk 3 Kok 1 PS



SK

4 SMER
1 KDH
1 M-H
1 OĽ-NOVA
2 SaS

1 SNS 2 ĽSNS 1 SR
IE 3 SF

3 FF 5 FG




HR 1 ŽZ
4 SDP
5 HDZ



1 Most
LT
3 LVŽS 2 LSDP 1 LRLS 3 TS-LKD 1 LLRA 1 TT


LV

3 SDPS 2 ZZS 1 V 1 NA


1 JKP
SI 1 Levica
2 SD 1 SMC 3 SDS
1 NSi-SLS





EE

1 SDE 2 KE
2 RE





1 EKRE
CY 2 AKEL
1 DIKO
3 DISY




LU

1 LSAP 1 DP 4 CSV




MT

4 PL
2 PN





Verlauf


GUE/
NGL
G/EFA S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
16.10.2017 55 28 150 106 192 45 38 37 12 15
22.08.2017 57 24 149 108 196 42 29 44 12 17
27.06.2017 55 23 155 109 201 38 28 42 11 16
02.05.2017 46 28 170 82 198 35 27 59 12 21
mit GB 47 35 186 88 198 68 36 59 13 21
06.03.2017 50 35 182 80 191 69 48 60 14 22
16.01.2017 48 40 180 82 191 63 48 68 14 17
14.11.2016 48 38 182 91 194 65 47 61 13 12
13.09.2016 47 38 181 91 189 62 53 63 14 13
26.07.2016 48 39 185 90 192 59 54 61 13 10
25.05.2016 55 40 174 85 187 63 51 70 14 12
05.04.2016 52 37 179 85 192 72 50 53 15 16
07.02.2016 51 34 183 82 196 70 51 55 12 17
14.12.2015 52 33 185 87 192 68 52 53 12 17
17.10.2015 51 33 193 75 204 66 51 54 12 12
21.08.2015 56 35 190 74 204 70 47 49 11 15
30.06.2015 61 34 188 73 205 69 43 47 11 20
03.05.2015 60 32 193 80 205 62 44 51 15 9
10.03.2015 60 31 196 77 216 60 43 49 12 7
12.01.2015 65 40 190 70 212 59 47 43 17 8
18.11.2014 60 42 195 69 212 59 47 43 16 8
23.09.2014 53 39 196 67 223 61 47 40 15 10
28.07.2014 56 47 191 75 215 66 44 40 13 4
EP 01.07.14 52 50 191 67 221 70 48 37 15

Die Zeile „EP 01.07.14“ kennzeichnet die Sitzverteilung zum 1. Juli 2014, dem Zeitpunkt der Konstituierung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl im Mai 2014. Bis März 2017 sind die Werte der Sitzprojektion einschließlich dem Vereinigten Königreich angegeben, ab Mai 2017 ohne das Vereinigte Königreich. Die Zeile „mit GB“ kennzeichnet die Werte für Mai 2017 mit dem Vereinigten Königreich. Die Spalte für die ENF-Fraktion gibt bis Mai 2015 die Werte der Europäischen Allianz für Freiheit (EAF) bzw. der Bewegung für ein Europa der Nationen und Freiheiten (BENF) und ihr nahestehender Parteien an, die bis zur Fraktionsgründung im Juni 2015 fraktionslos waren.

Die vollen Namen der Fraktionen und der nationalen Einzelparteien erscheinen als Mouseover-Text, wenn der Mauszeiger eine kurze Zeit regungslos auf der Bezeichnung in der Tabelle gehalten wird. Bei den „weiteren“ Parteien ist zudem die ungefähre politische Ausrichtung angegeben, um ihre Bündnismöglichkeiten auf europäischer Ebene anzudeuten. Da die betreffenden Parteien allerdings oft erst vor kurzer Zeit gegründet wurden, befindet sich ihre Programmatik zum Teil noch im Fluss, sodass die Angabe lediglich zur groben Orientierung dienen kann.

Fraktionszuordnung

Für die Projektion werden Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet, es sei denn, sie haben ausdrücklich ihren Entschluss zu einem Fraktionswechsel nach der nächsten Wahl erklärt oder ein Fraktionswechsel erscheint aus anderen Gründen sehr wahrscheinlich. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören oder ihr in der politischen Ausrichtung sehr nahe stehen, werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. In Fällen, bei denen sich die Mitglieder einer nationalen Liste nach der Wahl voraussichtlich auf mehrere Fraktionen aufteilen werden, wird jeweils die am plausibelsten scheinende Verteilung zugrundegelegt. Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind und bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden als „Weitere Parteien“ eingeordnet. Diese Zuordnungen folgen zum Teil natürlich auch einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung der Parteien. Jeder Leserin und jedem Leser sei es deshalb selbst überlassen, sie nach eigenen Kriterien zu korrigieren.

Für die Bildung einer eigenständigen Fraktion sind nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich. Mit einem Asterisk (*) gekennzeichnete Gruppierungen würden diese Bedingungen nach der Projektion derzeit nicht erfüllen. Sie müssten deshalb gegebenenfalls nach der Europawahl zusätzliche Abgeordnete (z. B. aus der Spalte „Weitere“) für sich gewinnen, um sich als Fraktion konstituieren zu können.

Datengrundlage

Soweit verfügbar, wurde bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. In Ländern, wo es keine spezifischen Europawahlumfragen gibt oder wo die letzte solche Umfrage mehr als ein Jahr zurückliegt, wurde stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament verwendet. Wo mehr als eine Umfrage erschienen ist, wurde der Durchschnitt aller Umfragen aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten Umfrage berechnet. Für Mitgliedstaaten, für die sich überhaupt keine Umfragen finden lassen, wurde auf die Ergebnisse der letzten nationalen Parlaments- oder Europawahl zurückgegriffen.
In der Regel wurden die nationalen Umfragewerte der Parteien direkt auf die Gesamtzahl der Sitze des Landes umgerechnet. In Ländern, wo die Wahl in regionalen Wahlkreisen ohne Verhältnisausgleich erfolgt (Frankreich, Vereinigtes Königreich, Belgien, Irland), werden regionale Umfragedaten genutzt, soweit diese verfügbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Sitzzahl für jeden Wahlkreis einzeln berechnet, dabei aber jeweils die nationalen Gesamt-Umfragewerte herangezogen. Nationale Sperrklauseln werden, soweit vorhanden, in der Projektion berücksichtigt.
In Belgien entsprechen die Wahlkreise bei der Europawahl den Sprachgemeinschaft, während Umfragen üblicherweise auf Ebene der Regionen durchgeführt werden. Für die Projektion wurden für die französischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Wallonien, für die niederländischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Flandern genutzt. Für die deutschsprachige Gemeinschaft wird das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen.
In Ländern, in denen es üblich ist, dass Parteien zu Wahlen in Listenverbindungen antreten, werden der Projektion jeweils die am plausibelsten erscheinenden Listenverbindungen zugrunde gelegt. Insbesondere werden für Spanien folgende Listenverbindungen angenommen: Unidos Podemos, Compromís und ICV (mit Compromís auf dem 3., ICV auf dem 6. Listenplatz); PDeCAT, PNV und CC (mit PNV auf dem 2., CC auf dem 4. Listenplatz).
Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, können Parteien bereits mit weniger als 1 Prozent der Stimmen einen Sitz im Europäischen Parlament gewinnen. Mangels zuverlässiger Umfragedaten wird für diese Kleinparteien in der Projektion jeweils das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (je 1 Sitz für Tierschutzpartei, ödp, Piraten, FW, Familienpartei, PARTEI und NPD).
In Großbritannien haben wegen der Unterschiede im Wahlrecht einige Parteien nur bei Europawahlen echte Chancen, Mandate zu gewinnen. In Umfragen zu nationalen Wahlen schneiden diese Parteien deshalb strukturell deutlich schlechter ab als bei der Europawahl. Dies gilt vor allem für UKIP und Greens. Um dies zu kompensieren, wird in der Projektion für die Greens stets das Ergebnis der Europawahl herangezogen (3 Sitze). Für UKIP und LibDem werden die aktuellen Umfragewerte für nationale Wahlen verwendet, aber für die Projektion mit dem Faktor 3 (UKIP) bzw. 1,33 (LibDem) multipliziert.
In Italien können Minderheitenparteien durch eine Sonderregelung auch mit nur recht wenigen Stimmen ins Parlament einziehen. In der Projektion wird die Südtiroler Volkspartei deshalb jeweils mit dem Ergebnis der letzten Europawahl (1 Sitz) geführt.

Die folgende Übersicht führt die Datengrundlage für die Mitgliedstaaten im Einzelnen auf:
Deutschland: nationale Umfragen, 1.-14.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Frankreich: Ergebnis der nationalen Parlamentswahl (1. Runde), 11.6.2017.
Vereinigtes Königreich, England: nationale Umfragen, 29.9.-11.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Wales: Umfragen für Regionalwahl, 7.9.2017, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Schottland: Umfragen für Regionalwahl, 5.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Nordirland: regionales Ergebnis der nationalen Parlamentswahl, 8.6.2017.
Italien: nationale Umfragen, 28.9.-11.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Spanien: nationale Umfragen, 6.-14.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Polen: nationale Umfragen, 7.-15.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Rumänien: nationale Umfragen, September 2017, Quelle: Wikipedia.
Niederlande: nationale Umfragen, 5.-15.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Griechenland: nationale Umfragen, 12.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Belgien, niederländischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Flandern) für die nationale Parlamentswahl, 3.9.2017, Quelle: Wikipedia.
Belgien, französischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Wallonien) für die nationale Parlamentswahl, 3.9.2017, Quelle: Wikipedia.
Belgien, deutschsprachige Gemeinschaft: Ergebnisse der Europawahl, 25.5.2014.
Portugal: nationale Umfragen, 28.9.-11.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Tschechien: nationale Umfragen, 2.-10.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Ungarn: nationale Umfragen, 20.-27.9.2017, Quelle: Wikipedia.
Schweden: nationale Umfragen, 1.-12.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Österreich: Ergebnisse der nationalen Parlamentswahl, 15.10.2017 (Hochrechnung 20.54 Uhr), Quelle: Der Standard.
Bulgarien: nationale Umfragen, 22.6.2017, Quelle: Novinite.
Dänemark: nationale Umfragen, 28.9.-5.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Finnland: nationale Umfragen, 3.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Slowakei: nationale Umfragen, 18.-20.9.2017, Quelle: Wikipedia.
Irland: nationale Umfragen, 22.9.-2.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Kroatien: nationale Umfragen, 26.8.-6.9.2017, Quelle: Wikipedia.
Litauen: nationale Umfragen, 28.9.2017, Quelle: Delfi.
Lettland: nationale Umfragen, September 2017, Quelle: Wikipedia.
Slowenien: nationale Umfragen, 23.9.-6.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Estland: nationale Umfragen, 10.10.2017, Quelle: Wikipedia.
Zypern: Ergebnis der nationalen Parlamentswahl, 22.5.2016.
Luxemburg: nationale Umfragen, 4.12.2016, Quelle: Electograph.
Malta: nationale Umfragen, 5.10.2017, Quelle: Malta Today.

Bilder: Eigene Grafiken.

06 Oktober 2017

Nach der Spaltung: Welcher Fraktion wird die AfD im Europäischen Parlament künftig angehören?

Zeitweilig stand die AfD Marine Le Pens „Europa der Nationen und der Freiheit“ nahe. Aber das war unter Frauke Petry.
Bei der Bundestagswahl am vergangenen 24. September zog die Alternative für Deutschland (AfD) mit 12,6 Prozent der Stimmen erstmals in den Bundestag ein. Anders als andere rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Europa ist sie zwar noch weit von einer Regierungsbeteiligung entfernt. In absoluten Zahlen waren die fast 5,9 Millionen Stimmen für die AfD jedoch eines der stärksten Ergebnisse, die nationale Rechtsparteien in Europa jemals bei Parlamentswahlen erreicht haben – mehr als die 3,0 Millionen Stimmen des Front National (FN/BENF) bei der französischen Wahl im Juni, die 4,4 Millionen Stimmen der UKIP (ADDE) bei der Europawahl in Großbritannien 2014 oder die 5,7 Millionen Stimmen der PiS (AKRE) bei der Parlamentswahl in Polen 2015.

Doch obwohl die AfD damit endgültig zu einem der großen Akteure im europäischen Rechtsaußen-Spektrum geworden ist, gehört sie bis heute keiner der drei wichtigen gesamteuropäischen Rechtsparteien an. Und obwohl die AfD bereits seit 2014 mit Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist, hat sich auch ihre Zugehörigkeit zu einer der entsprechenden Fraktionen immer wieder verändert – und ist heute vielleicht unklarer denn je.

Die drei Rechtsfraktionen im Europäischen Parlament

Zum Überblick: Auf europäischer Ebene gibt es rechts der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) im Wesentlichen drei große Gruppierungen:

● erstens die nationalkonservative Allianz der Konservativen und Reformer Europas (AKRE) mit der zugehörigen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europäischen Parlament. Tonangebend in dieser Gruppierung, die derzeit 74 Europaabgeordnete stellt, sind die britischen Tories sowie die polnische PiS, die jeweils in ihrem Land die Regierung stellen. Darüber hinaus gehören der AKRE auch einige Mitglieder aus Nicht-EU-Ländern an, darunter die türkische Regierungspartei AKP.

● zweitens die populistische Allianz für Direkte Demokratie in Europa (ADDE), die von der britischen UKIP dominiert wird. Zu ihrer Fraktion im Europäischen Parlament, Europa der Freiheit und der Direkten Demokratie (EFDD, 45 Abgeordnete), gehört außerdem auch das italienische Movimento Cinque Stelle (M5S) um Beppe Grillo.

● drittens die stramm rechte Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit (BENF), die unter anderem den französischen FN um Marine Le Pen, die österreichische FPÖ um Heinz-Christian Strache und die italienische Lega Nord um Matteo Salvini vereint. In der dazugehörigen Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF, 37 Abgeordnete) ist außerdem auch der niederländische PVV um Geert Wilders vertreten.

Darüber hinaus gibt es noch einige rechtsextreme und neofaschistische Europaabgeordnete (etwa der deutschen NPD oder der ungarischen Jobbik), die keiner Fraktion angehören. Da mit dem Fraktionsstatus jedoch einige wichtige Mitspracherechte sowie zusätzliche Ressourcen einhergehen, versuchten zuletzt alle großen nationalen Rechtsparteien, sich einer der drei Gruppierungen anzuschließen.

EKR-Beitritt der AfD unter Bernd Lucke

Dabei machte auch die AfD keine Ausnahme, als sie bei der Europawahl 2014 mit sieben Abgeordneten in das Europäische Parlament einzog. Parteichef und Spitzenkandidat der AfD war damals allerdings noch Bernd Lucke, der eher einen nationalliberalen als einen rechtsextremen Kurs anstrebte. Eine Zusammenarbeit mit Marine Le Pen schloss Lucke deshalb von vornherein aus und strebte stattdessen eine Mitgliedschaft in der gemäßigteren EKR-Fraktion an – auch wenn einige Parteimitglieder bereits zu dieser Zeit eher mit dem UKIP-Shootingstar Nigel Farage und seiner EFDD liebäugelten.

Umgekehrt gab es auch in der EKR von Anfang an Vorbehalte gegen die AfD. Vor allem der damalige Tory-Chef David Cameron versuchte ihren Fraktionsbeitritt zu verhindern, da er davon eine Belastung des Verhältnisses zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) befürchtete. Letztlich wurden die Tories jedoch von den übrigen Fraktionsmitgliedern überstimmt, sodass die sieben AfD-Europaabgeordneten im Juni 2014 der EKR beitreten konnten.

Luckes Austritt und der EKR-Rauswurf

Nur ein Jahr später führte die zunehmende Radikalisierung der AfD allerdings zur Parteispaltung. Mitte 2015 traten Bernd Lucke und vier weitere Europaabgeordnete aus der AfD aus und gründeten stattdessen die neue Partei ALFA, die sich später in Liberal-Konservative Reformer (LKR) umbenannte. Sie sind bis heute Mitglied der EKR-Fraktion. (2016 traten die LKR auch der zugehörigen Europapartei AKRE bei, die sie wenige Monate später jedoch wieder verließen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, die türkische AKP aus der AKRE ausschließen zu lassen.)

In der AfD selbst verblieben nur zwei der sieben ursprünglich gewählten Abgeordneten, nämlich Beatrix von Storch und Marcus Pretzell. Angesichts der immer extremeren Positionen der Partei arbeitete die Gruppe um Bernd Lucke allerdings auf deren Ausschluss aus der Fraktion hin – und tatsächlich forderte der Fraktionsvorstand Pretzell und von Storch im März 2016 auf, die EKR zu verlassen.

Aufteilung auf zwei verschiedene Fraktionen

Die beiden verbliebenen AfD-Abgeordneten reagierten unterschiedlich auf diese Aufforderung. Von Storch kam einem Ausschluss aus der EKR zuvor, indem sie freiwillig zur EFDD wechselte. Pretzell hingegen wartete ab, bis die EKR ihn einige Tage später formal ausschloss. Zudem ließ er zunächst offen, welcher Gruppierung er sich stattdessen anschließen würde, und setzte die Frage der Fraktionszugehörigkeit stattdessen auf die Tagesordnung eines damals kurz bevorstehenden AfD-Parteitags. Erst als die Parteitagsdelegierten den Punkt kurzerhand wieder von der Tagesordnung herunternahmen, kündigte Pretzell aus eigener Entscheidung den Beitritt zur ENF an.

Seit April 2016 ist die AfD im Europäischen Parlament deshalb in zwei verschiedenen Fraktionen vertreten – was zu dieser Zeit offiziell damit gerechtfertigt wurde, dass die AfD als „politische Klammer“ dienen wolle und eine Vereinigung der verschiedenen rechtsnationalen Bewegungen zu „einer großen EU-kritischen Fraktion“ anstrebe. Zu dieser Vereinigung kam es freilich nie, vor allem weil UKIP-Chef Nigel Farage keinerlei Interesse daran hatte.

Annäherung an die BENF

Insgesamt jedoch sah es in den folgenden Monaten recht deutlich so aus, als ob von Storchs Entscheidung für die EFDD-Fraktion eine rein persönliche Wahl bleiben und die AfD als Gesamtpartei sich unter das Dach der BENF begeben würde. Unter der Bezeichnung „Blaue Allianz“ hatte die AfD bereits Anfang 2016 eine engere Zusammenarbeit mit der österreichischen BENF-Mitgliedspartei FPÖ eingeleitet. Im Januar 2017 war Pretzell Gastgeber bei einer ENF-Konferenz in Koblenz, bei der auch Le Pen, Wilders, Salvini und andere nationale Parteichefs anwesend waren. Zu einer vertieften Kooperation der AfD mit der britischen UKIP oder anderen EFDD-Mitgliedern kam es hingegen (abgesehen von einem Wahlkampfauftritt von Nigel Farage mit Beatrix von Storch Anfang September) nicht.

Allerdings war die Annäherung an die BENF auch in der AfD nicht unumstritten. Vorangetrieben wurde sie vor allem von dem Europaabgeordneten Marcus Pretzell selbst sowie seiner Ehefrau, Parteichefin Frauke Petry. Andere prominente AfD-Politiker wie Alexander Gauland hielten sich hingegen eher zurück, und Petrys Ko-Parteichef Jörg Meuthen äußerte anlässlich des Koblenzer Treffens sogar offene Ablehnung.

Erneute Spaltung und Austritt von Marcus Pretzell

In der neuerlichen Spaltung der AfD, die sich im Lauf des Jahres 2017 abzeichnete, kam es damit zu einer paradoxen Situation: Auf nationaler Ebene stand Frauke Petry für einen gemäßigteren, „realpolitischen“ Kurs, während ihre innerparteilichen Gegner um Meuthen und Gauland als Vertreter einer hart rechtsnationalistischen Linie gelten. Auf europäischer Ebene strebte Petry hingegen eine Annäherung an das am weitesten rechts positionierte Bündnis an, während Meuthen und Gauland eine klare Positionierung vermieden.

Als der innerparteiliche Streit der AfD nach der Bundestagswahl eskalierte, zögerten Marine Le Pen und andere BENF-Politiker deshalb nicht, sich auf die Seite von Frauke Petry zu stellen – nur wenige Tage bevor diese zusammen mit Marcus Pretzell die AfD verließ. Derzeit ist es deshalb wahrscheinlich, dass Pretzell künftig als parteiloser Abgeordneter in der ENF-Fraktion verbleiben wird.

Der letzte Sitz der AfD

Der AfD bleibt damit nur noch ein einziger Sitz im Europäischen Parlament – jener von Beatrix von Storch, die allerdings am 24. September in den Bundestag gewählt wurde und ihr Europamandat deshalb aufgeben wird. Nachrücken soll an ihre Stelle Dirk Driesang, wobei derzeit noch nicht offiziell bekannt ist, welcher Fraktion er sich anschließen wird.

Dass Driesang ausgerechnet jetzt zur ENF wechselt, erscheint allerdings unwahrscheinlich. Denn zum einen wird die AfD nun bemüht sein, größtmögliche Distanz zu Marcus Pretzell aufzubauen. Und zum anderen zählt Driesang zum gemäßigten Flügel der AfD und passt deshalb auch programmatisch eher nicht in das Lager um Marine Le Pen. Wahrscheinlich ist deshalb, dass Driesang wie schon von Storch in der EFDD sitzen wird, also der ideologisch schwer zu fassenden, nationalpopulistischen Gruppierung um Nigel Farages UKIP und Beppe Grillos M5S.

Spätestens 2019 wird die Zugehörigkeit erneut zum Thema werden

Aber ist damit schon das letzte Wort gesprochen? Wohl kaum: Spätestens mit der Europawahl 2019 dürfte die europäische Zugehörigkeit der AfD erneut zum Thema werden. Denn nicht nur wird mit dem Brexit die UKIP aus dem Europäischen Parlament ausscheiden – auch mehrere andere EFDD-Mitgliedsparteien werden nach Stand der Dinge 2019 die Wiederwahl ins Europäische Parlament verpassen. Es ist deshalb gut möglich, das die EFDD dann nicht mehr als eigenständige Fraktion existieren wird.

Wo also wird die AfD auf europäischer Ebene in zwei Jahren stehen? Eine Möglichkeit ist, dass sie sich dann doch wieder der ENF annähert. Explizit öffentlich ausgeschlossen hat eine Zusammenarbeit mit Marine Le Pen zuletzt jedenfalls keiner der verbliebenen AfD-Spitzenpolitiker. Sobald Marcus Pretzell von der europapolitischen Bühne verschwunden ist, könnten Gauland und Meuthen sich deshalb leicht für eine erneute Zusammenarbeit mit dem Rechtsaußen-Bündnis entscheiden.

Die PiS als Partner?

Es gibt allerdings auch noch eine andere Möglichkeit: nämlich eine Rückkehr in die EKR-Fraktion. Mit dem Brexit werden schließlich auch die britischen Tories das Europäische Parlament verlassen, und Bernd Lucke und seine LKR werden bei der Europawahl 2019 aller Voraussicht nach keine Mandate mehr erringen. Damit werden in der EKR-Fraktion die wichtigsten gemäßigten Kräfte wegfallen. Es ist deshalb zu erwarten, dass sich die Fraktion unter Führung der polnischen PiS nach 2019 radikalisiert, sodass dann auch die AfD darin wieder einen Platz finden könnte.

Wird also bald PiS-Chef Jarosław Kaczyński der wichtigste europäische Partner der AfD? Klar ist derzeit nur, dass das rechte Spektrum im europäischen Parteiensystem weiterhin im Fluss ist – und dass die AfD ihren endgültigen Platz darin noch nicht gefunden hat.

Bild: © European Union 2015 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.