06 Oktober 2017

Nach der Spaltung: Welcher Fraktion wird die AfD im Europäischen Parlament künftig angehören?

Zeitweilig stand die AfD Marine Le Pens „Europa der Nationen und der Freiheit“ nahe. Aber das war unter Frauke Petry.
Bei der Bundestagswahl am vergangenen 24. September zog die Alternative für Deutschland (AfD) mit 12,6 Prozent der Stimmen erstmals in den Bundestag ein. Anders als andere rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Europa ist sie zwar noch weit von einer Regierungsbeteiligung entfernt. In absoluten Zahlen waren die fast 5,9 Millionen Stimmen für die AfD jedoch eines der stärksten Ergebnisse, die nationale Rechtsparteien in Europa jemals bei Parlamentswahlen erreicht haben – mehr als die 3,0 Millionen Stimmen des Front National (FN/BENF) bei der französischen Wahl im Juni, die 4,4 Millionen Stimmen der UKIP (ADDE) bei der Europawahl in Großbritannien 2014 oder die 5,7 Millionen Stimmen der PiS (AKRE) bei der Parlamentswahl in Polen 2015.

Doch obwohl die AfD damit endgültig zu einem der großen Akteure im europäischen Rechtsaußen-Spektrum geworden ist, gehört sie bis heute keiner der drei wichtigen gesamteuropäischen Rechtsparteien an. Und obwohl die AfD bereits seit 2014 mit Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist, hat sich auch ihre Zugehörigkeit zu einer der entsprechenden Fraktionen immer wieder verändert – und ist heute vielleicht unklarer denn je.

Die drei Rechtsfraktionen im Europäischen Parlament

Zum Überblick: Auf europäischer Ebene gibt es rechts der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) im Wesentlichen drei große Gruppierungen:

● erstens die nationalkonservative Allianz der Konservativen und Reformer Europas (AKRE) mit der zugehörigen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europäischen Parlament. Tonangebend in dieser Gruppierung, die derzeit 74 Europaabgeordnete stellt, sind die britischen Tories sowie die polnische PiS, die jeweils in ihrem Land die Regierung stellen. Darüber hinaus gehören der AKRE auch einige Mitglieder aus Nicht-EU-Ländern an, darunter die türkische Regierungspartei AKP.

● zweitens die populistische Allianz für Direkte Demokratie in Europa (ADDE), die von der britischen UKIP dominiert wird. Zu ihrer Fraktion im Europäischen Parlament, Europa der Freiheit und der Direkten Demokratie (EFDD, 45 Abgeordnete), gehört außerdem auch das italienische Movimento Cinque Stelle (M5S) um Beppe Grillo.

● drittens die stramm rechte Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit (BENF), die unter anderem den französischen FN um Marine Le Pen, die österreichische FPÖ um Heinz-Christian Strache und die italienische Lega Nord um Matteo Salvini vereint. In der dazugehörigen Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF, 37 Abgeordnete) ist außerdem auch der niederländische PVV um Geert Wilders vertreten.

Darüber hinaus gibt es noch einige rechtsextreme und neofaschistische Europaabgeordnete (etwa der deutschen NPD oder der ungarischen Jobbik), die keiner Fraktion angehören. Da mit dem Fraktionsstatus jedoch einige wichtige Mitspracherechte sowie zusätzliche Ressourcen einhergehen, versuchten zuletzt alle großen nationalen Rechtsparteien, sich einer der drei Gruppierungen anzuschließen.

EKR-Beitritt der AfD unter Bernd Lucke

Dabei machte auch die AfD keine Ausnahme, als sie bei der Europawahl 2014 mit sieben Abgeordneten in das Europäische Parlament einzog. Parteichef und Spitzenkandidat der AfD war damals allerdings noch Bernd Lucke, der eher einen nationalliberalen als einen rechtsextremen Kurs anstrebte. Eine Zusammenarbeit mit Marine Le Pen schloss Lucke deshalb von vornherein aus und strebte stattdessen eine Mitgliedschaft in der gemäßigteren EKR-Fraktion an – auch wenn einige Parteimitglieder bereits zu dieser Zeit eher mit dem UKIP-Shootingstar Nigel Farage und seiner EFDD liebäugelten.

Umgekehrt gab es auch in der EKR von Anfang an Vorbehalte gegen die AfD. Vor allem der damalige Tory-Chef David Cameron versuchte ihren Fraktionsbeitritt zu verhindern, da er davon eine Belastung des Verhältnisses zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) befürchtete. Letztlich wurden die Tories jedoch von den übrigen Fraktionsmitgliedern überstimmt, sodass die sieben AfD-Europaabgeordneten im Juni 2014 der EKR beitreten konnten.

Luckes Austritt und der EKR-Rauswurf

Nur ein Jahr später führte die zunehmende Radikalisierung der AfD allerdings zur Parteispaltung. Mitte 2015 traten Bernd Lucke und vier weitere Europaabgeordnete aus der AfD aus und gründeten stattdessen die neue Partei ALFA, die sich später in Liberal-Konservative Reformer (LKR) umbenannte. Sie sind bis heute Mitglied der EKR-Fraktion. (2016 traten die LKR auch der zugehörigen Europapartei AKRE bei, die sie wenige Monate später jedoch wieder verließen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, die türkische AKP aus der AKRE ausschließen zu lassen.)

In der AfD selbst verblieben nur zwei der sieben ursprünglich gewählten Abgeordneten, nämlich Beatrix von Storch und Marcus Pretzell. Angesichts der immer extremeren Positionen der Partei arbeitete die Gruppe um Bernd Lucke allerdings auf deren Ausschluss aus der Fraktion hin – und tatsächlich forderte der Fraktionsvorstand Pretzell und von Storch im März 2016 auf, die EKR zu verlassen.

Aufteilung auf zwei verschiedene Fraktionen

Die beiden verbliebenen AfD-Abgeordneten reagierten unterschiedlich auf diese Aufforderung. Von Storch kam einem Ausschluss aus der EKR zuvor, indem sie freiwillig zur EFDD wechselte. Pretzell hingegen wartete ab, bis die EKR ihn einige Tage später formal ausschloss. Zudem ließ er zunächst offen, welcher Gruppierung er sich stattdessen anschließen würde, und setzte die Frage der Fraktionszugehörigkeit stattdessen auf die Tagesordnung eines damals kurz bevorstehenden AfD-Parteitags. Erst als die Parteitagsdelegierten den Punkt kurzerhand wieder von der Tagesordnung herunternahmen, kündigte Pretzell aus eigener Entscheidung den Beitritt zur ENF an.

Seit April 2016 ist die AfD im Europäischen Parlament deshalb in zwei verschiedenen Fraktionen vertreten – was zu dieser Zeit offiziell damit gerechtfertigt wurde, dass die AfD als „politische Klammer“ dienen wolle und eine Vereinigung der verschiedenen rechtsnationalen Bewegungen zu „einer großen EU-kritischen Fraktion“ anstrebe. Zu dieser Vereinigung kam es freilich nie, vor allem weil UKIP-Chef Nigel Farage keinerlei Interesse daran hatte.

Annäherung an die BENF

Insgesamt jedoch sah es in den folgenden Monaten recht deutlich so aus, als ob von Storchs Entscheidung für die EFDD-Fraktion eine rein persönliche Wahl bleiben und die AfD als Gesamtpartei sich unter das Dach der BENF begeben würde. Unter der Bezeichnung „Blaue Allianz“ hatte die AfD bereits Anfang 2016 eine engere Zusammenarbeit mit der österreichischen BENF-Mitgliedspartei FPÖ eingeleitet. Im Januar 2017 war Pretzell Gastgeber bei einer ENF-Konferenz in Koblenz, bei der auch Le Pen, Wilders, Salvini und andere nationale Parteichefs anwesend waren. Zu einer vertieften Kooperation der AfD mit der britischen UKIP oder anderen EFDD-Mitgliedern kam es hingegen (abgesehen von einem Wahlkampfauftritt von Nigel Farage mit Beatrix von Storch Anfang September) nicht.

Allerdings war die Annäherung an die BENF auch in der AfD nicht unumstritten. Vorangetrieben wurde sie vor allem von dem Europaabgeordneten Marcus Pretzell selbst sowie seiner Ehefrau, Parteichefin Frauke Petry. Andere prominente AfD-Politiker wie Alexander Gauland hielten sich hingegen eher zurück, und Petrys Ko-Parteichef Jörg Meuthen äußerte anlässlich des Koblenzer Treffens sogar offene Ablehnung.

Erneute Spaltung und Austritt von Marcus Pretzell

In der neuerlichen Spaltung der AfD, die sich im Lauf des Jahres 2017 abzeichnete, kam es damit zu einer paradoxen Situation: Auf nationaler Ebene stand Frauke Petry für einen gemäßigteren, „realpolitischen“ Kurs, während ihre innerparteilichen Gegner um Meuthen und Gauland als Vertreter einer hart rechtsnationalistischen Linie gelten. Auf europäischer Ebene strebte Petry hingegen eine Annäherung an das am weitesten rechts positionierte Bündnis an, während Meuthen und Gauland eine klare Positionierung vermieden.

Als der innerparteiliche Streit der AfD nach der Bundestagswahl eskalierte, zögerten Marine Le Pen und andere BENF-Politiker deshalb nicht, sich auf die Seite von Frauke Petry zu stellen – nur wenige Tage bevor diese zusammen mit Marcus Pretzell die AfD verließ. Derzeit ist es deshalb wahrscheinlich, dass Pretzell künftig als parteiloser Abgeordneter in der ENF-Fraktion verbleiben wird.

Der letzte Sitz der AfD

Der AfD bleibt damit nur noch ein einziger Sitz im Europäischen Parlament – jener von Beatrix von Storch, die allerdings am 24. September in den Bundestag gewählt wurde und ihr Europamandat deshalb aufgeben wird. Nachrücken soll an ihre Stelle Dirk Driesang, wobei derzeit noch nicht offiziell bekannt ist, welcher Fraktion er sich anschließen wird.

Dass Driesang ausgerechnet jetzt zur ENF wechselt, erscheint allerdings unwahrscheinlich. Denn zum einen wird die AfD nun bemüht sein, größtmögliche Distanz zu Marcus Pretzell aufzubauen. Und zum anderen zählt Driesang zum gemäßigten Flügel der AfD und passt deshalb auch programmatisch eher nicht in das Lager um Marine Le Pen. Wahrscheinlich ist deshalb, dass Driesang wie schon von Storch in der EFDD sitzen wird, also der ideologisch schwer zu fassenden, nationalpopulistischen Gruppierung um Nigel Farages UKIP und Beppe Grillos M5S.

Spätestens 2019 wird die Zugehörigkeit erneut zum Thema werden

Aber ist damit schon das letzte Wort gesprochen? Wohl kaum: Spätestens mit der Europawahl 2019 dürfte die europäische Zugehörigkeit der AfD erneut zum Thema werden. Denn nicht nur wird mit dem Brexit die UKIP aus dem Europäischen Parlament ausscheiden – auch mehrere andere EFDD-Mitgliedsparteien werden nach Stand der Dinge 2019 die Wiederwahl ins Europäische Parlament verpassen. Es ist deshalb gut möglich, das die EFDD dann nicht mehr als eigenständige Fraktion existieren wird.

Wo also wird die AfD auf europäischer Ebene in zwei Jahren stehen? Eine Möglichkeit ist, dass sie sich dann doch wieder der ENF annähert. Explizit öffentlich ausgeschlossen hat eine Zusammenarbeit mit Marine Le Pen zuletzt jedenfalls keiner der verbliebenen AfD-Spitzenpolitiker. Sobald Marcus Pretzell von der europapolitischen Bühne verschwunden ist, könnten Gauland und Meuthen sich deshalb leicht für eine erneute Zusammenarbeit mit dem Rechtsaußen-Bündnis entscheiden.

Die PiS als Partner?

Es gibt allerdings auch noch eine andere Möglichkeit: nämlich eine Rückkehr in die EKR-Fraktion. Mit dem Brexit werden schließlich auch die britischen Tories das Europäische Parlament verlassen, und Bernd Lucke und seine LKR werden bei der Europawahl 2019 aller Voraussicht nach keine Mandate mehr erringen. Damit werden in der EKR-Fraktion die wichtigsten gemäßigten Kräfte wegfallen. Es ist deshalb zu erwarten, dass sich die Fraktion unter Führung der polnischen PiS nach 2019 radikalisiert, sodass dann auch die AfD darin wieder einen Platz finden könnte.

Wird also bald PiS-Chef Jarosław Kaczyński der wichtigste europäische Partner der AfD? Klar ist derzeit nur, dass das rechte Spektrum im europäischen Parteiensystem weiterhin im Fluss ist – und dass die AfD ihren endgültigen Platz darin noch nicht gefunden hat.

Bild: © European Union 2015 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

2 Kommentare:

  1. Mich persönlich würde es auch interessieren, wie sich die Zusammensetzung des Europaparlaments 2019 verändern könnte. Beispielsweise ob es weiterhin die Fraktion der Grünen/EFA geben wird und wenn nicht, in welche Fraktionen die Mitglieder wechseln könnten. Außerdem würde mich interessieren, ob möglicherweise Fidesz die Fraktion wechseln könnte. Über so einen Artikel würde ich mich sehr freuen :)

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    1. Informationen zur Entwicklung der europäischen Parteienlandschaft gibt es auf diesem Blog in den Artikeln zu den achtwöchentlich aktualisierten Europawahl-Projektionen. Dort bin ich in der Vergangenheit auch schon auf die beiden erwähnten Fragen eingegangen: Die Aussichten der Grünen, ihren Fraktionsstatus zu erhalten, scheinen mir besser zu sein als die nackten Umfragedaten suggerieren, da die Fraktion in der Vergangenheit oft noch unabhängige Mitglieder hatte, die nur zur Europawahl kandidieren und in den regulären Umfragen nicht auftauchen (z.B. Indrek Tarand aus Estland). Was Fidesz betrifft, wird die Partei selbst kaum daran interessiert sein, die EVP zu verlassen. Die Bereitschaft der EVP, Fidesz auszuschließen, könnte aber steigen, da der Vorsprung der EVP auf die S&D wächst und die EVP deshalb weniger auf Fidesz angewiesen ist, um stärkste Fraktion zu sein. Viktor Orbán wird deshalb stärker darauf achten müssen, seine strategischen Partner innerhalb der EVP nicht zu vergrätzen.

      Allerdings ist das alles sehr spekulativ. Wirkliche Klarheit über diese Fragen wird es ziemlich sicher erst nach der Wahl 2019 geben.

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