Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die europapolitischen
Vorschläge in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien –
CDU/CSU
(EVP), SPD
(SPE), FDP
(ALDE), Grüne
(EGP) und Linke
(EL). Heute: Haushalts- und Steuerpolitik. (Zum
Anfang der Serie.)
Fiskalpakt
Zu
den großen europapolitischen Neuerungen der letzten Jahre zählt
ohne Zweifel der Fiskalpakt, der Ende 2011 vereinbart wurde und die
Euro-Mitgliedstaaten zur Einführung strikter nationaler
Schuldenbremsen verpflichtete. Obwohl diese Reform damals (auch
in diesem Blog) stark umstritten war, wurde ihre Ratifikation im
Deutschen Bundestag zuletzt von
einem breiten Bündnis unterstützt, dem sich außer CDU/CSU und
FDP auch SPD und Grüne anschlossen. Seit 1. Januar 2013 ist der
Fiskalpakt nun in Kraft, und Änderungen daran wird es auf absehbare Zeit wohl kaum geben. Doch die Wellen, die er schlug, führen
dazu, dass mit Ausnahme der Sozialdemokraten nun noch einmal alle
Parteien in ihren Wahlprogrammen dazu Stellung nehmen.
Eindeutig
zufrieden mit ihrer Leistung sind dabei die Regierungsparteien. So
fordert die CDU/CSU eine „strikte Einhaltung nationaler
Schuldenbremsen“, die FDP will den Fiskalpakt
„konsequent“ umsetzen. Etwas verlegen wirken hingegen die Grünen,
die die Ratifikation des Vertrags als die „[i]n der Gesamtabwägung
[…] bestmögliche Entscheidung“ rechtfertigen, nun aber seine
Ergänzung um ein „Investitions- und
Wachstumspaket“ fordern (dazu demnächst mehr). Die Linken
schließlich betonen, dass sie den
Fiskalpakt „als einzige Partei
im Deutschen Bundestag“ abgelehnt haben.
Kontrolle
der nationalen Haushalte
Allerdings
war der Fiskalpakt nicht die einzige Maßnahme, um die
Haushaltsdisziplin die Mitgliedstaaten zu steigern: Durch eine Reihe
von Beschlüssen wie das „europäische Semester“, das „Sixpack“
und das „Twopack“ erhielt die Europäische Kommission neue
Befugnisse bei der Kontrolle der nationalen Haushalte – ein
Verfahren, das bislang allerdings noch an
einigen inneren Widersprüchen krankt. Die Positionen zu diesem
Thema ähneln jenen zum Fiskalpakt: Während die CDU/CSU die „Möglichkeiten zur
Überwachung und Überprüfung der nationalen Haushalte durch die
Europäische Kommission“ in Zukunft noch weiter stärken will,
wendet sich die Linke „gegen
die Pläne aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien, die
EU-Kommission zu einem sanktionsbewehrten Kontrollinstrument der
Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten zu machen“.
Besonders konkret werden die Parteien in dieser Frage jedoch nicht: Die
Vorschläge
von Wolfgang Schäuble von Oktober 2012
etwa werden auch im CDU/CSU-Programm nicht explizit übernommen.
Insgesamt scheint es, als ob eine noch striktere europäische
Kontrolle der nationalen Haushaltsausgaben nicht mehr ganz vorne auf
der Tagesordnung der Parteien steht. Oder jedenfalls haben sie
derzeit keine konkreten Pläne dazu, mit denen sie Wahlkampf führen
könnten.
Harmonisierung
von Steuern
Weitaus
größere Aktivität hingegen zeigen die Parteien, wenn es um die
Einnahmeseite der nationalen Haushalte geht. So sind sie sich fast
alle darüber einig, dass bestimmte Steuern europaweit harmonisiert
werden sollen, um einen Steuerwettbewerb
zwischen den EU-Mitgliedstaaten
zu vermeiden. Besonders entschlossen sind hier die Grünen, für
die die nationale Souveränität in Steuerfragen oft nur noch eine
„leere Hülle“ ist. Die FDP hingegen ist die einzige Partei, in
deren Programm die europaweite Angleichung von Steuern kein Thema
ist.
Die
beliebtesten Kandidaten für eine europaweite Angleichung sind die
Unternehmenssteuer und die Finanztransaktionssteuer. CDU/CSU, SPD,
Grüne und Linke sind sich hier (abgesehen von einigen Unterschieden
bei der Umsetzung) weitgehend einig. SPD, Grüne und Linke fordern
zudem eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe. Darüber hinaus
schlagen die Sozialdemokraten einheitliche Mindeststandards für
Steuern auf Kapitaleinkommen vor, und die Linken wünschen sich eine
Bankenabgabe sowie eine europaweite „Reichensteuer“ von 75 Prozent auf Einkommen, die eine Million Euro im Jahr
übersteigen. Die Grünen schließlich wollen noch eine europäische
Harmonisierung des Mehrwertsteuerverfahrens und setzen sich für eine
„Angleichung der Energie- und Umweltsteuern“ ein, „um
beispielsweise Tanktourismus einzudämmen“.
Die Erfolgsaussichten all dieser Pläne sind allerdings ungewiss. Zwar
enthält das europäische Primärrecht durchaus Grundlagen für eine
Angleichung von Steuersätzen (einschlägig sind Art. 113
AEUV für indirekte und Art. 115
AEUV für direkte Steuern), doch ist dafür auf jeden Fall ein
einstimmiger Beschluss im Rat notwendig. Und da nicht jede Regierung
bereit ist, ihre niedrigeren Steuersätze auf das deutsche Niveau
anzuheben, wird die von den deutschen Parteien gewünschte
Harmonisierung wohl nur durch sanften Druck oder gegen Zugeständnisse in anderen Bereichen
möglich sein. Immerhin werden sie dabei andere Länder wie Frankreich an ihrer Seite haben, die ebenfalls an dem steuerpolitischen Unterbietungswettbewerb in der EU zu leiden haben.
Kampf gegen Steuerhinterziehung
Ähnliches
gilt auch für den europaweiten Kampf gegen Steuerhinterziehung, den
sich sämtliche deutschen Parteien als Ziel ins Programm geschrieben haben.
Besonders populär ist für diesen Zweck der bessere Informationsaustausch
zwischen den Mitgliedstaaten (etwa durch eine Ausweitung der
Zinsertragsrichtlinie, die die Europäische Kommission vor
einigen Monaten vorgeschlagen hat)
– eine Maßnahme, die SPD, Grüne, Linke und FDP gleichermaßen
unterstützen.
Darüber
hinaus haben vor allem die Oppositionsparteien noch weitere Ideen, um
Steuerflucht zu bekämpfen: Die Grünen etwa wollen die Steuerpflicht
von Privatpersonen „wie die USA an die Nationalität koppeln und so
Steuervermeidung per Wegzug verhindern“. Außerdem sollen eine
„europäische schwarze Liste“ mit Steueroasen eingeführt und
Finanztransaktionen in und aus diesen Ländern europaweit mit einer
Strafsteuer belegt werden. Transnational aktive Unternehmen sollen
bei der Steuererklärung „länderbezogene
Offenlegungspflichten“ haben und ihre Gewinne jeweils „in den
Ländern versteuern müssen, in denen sie erwirtschaftet werden“.
Zudem sollen „kooperationsunwillige Banken“, die „wiederholt
und schwerwiegend gegen Steuergesetze verstoßen“, europaweit die
Lizenz verlieren. Diesen
letzten Vorschlag unterstützt auch die Linke, die außerdem noch
„automatische
Meldepflichten für Banken“, „die
Möglichkeit, verdächtige Guthaben einzufrieren“ sowie die
Einführung von „Kapitalverkehrskontrollen“
fordert. Die SPD wiederum macht sich die europaweite Bekämpfung des
Betrugs bei der Umsatzsteuer zum Ziel.
Etwas
unklar bleibt in all diesen Fällen allerdings, auf welchem Weg diese
Ziele erreicht werden sollen. Vertragliche Grundlage wäre auch in
diesem Fall Art. 115
AEUV,
der einen einstimmigen Beschluss aller nationalen Regierungen im
Ministerrat voraussetzt. Dort aber haben sich bislang Österreich und
Luxemburg eifrig quergestellt – um ihre Ziele umzusetzen, müsste
es der nächsten deutschen Bundesregierung also noch gelingen, diese
beiden Länder umzustimmen. Oder sie greift auf den Plan B zurück, den die SPD im Programm hat:
Diese nämlich möchte den „Kampf gegen Steuerdumping und
Steuerbetrug“ künftig auch zur „Bedingung für Finanzhilfen im
Rahmen der Euro-Rettungspakete“ machen. Damit würde man zwar nicht
alle Mitgliedstaaten erreichen, aber immerhin einige von denen, die
am meisten unter den Folgen von Steuerhinterziehung leiden. (Und die
zugleich natürlich am wenigsten Widerstand gegen Vorschläge aus
Deutschland leisten können.)
Fazit
Nach
dem Inkrafttreten des Fiskalvertrags steht die europäische Kontrolle
der nationalen Haushaltsausgaben für die deutschen Parteien nicht
mehr im Zentrum der politischen Debatte. Stattdessen richtet sich die
Aufmerksamkeit zunehmend auf die Einführung von Mindeststandards auf der
Einnahmeseite. Um die Steuerkonkurrenz zwischen den
Mitgliedstaaten zu verringern, wollen sich fast alle Parteien für
eine europaweite Harmonisierung bestimmter Steuersätze und für eine
effektivere Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung
einsetzen. Das größere Engagement zeigt dabei allerdings die derzeitige Opposition, besonders die
Grünen: Außer für Unternehmensgewinne und Finanztransaktionen wollen sie auch für große Vermögen und Einkommen eine europaweite Mindestbesteuerung festlegen. Am Ende wird es wohl vor allem darauf ankommen, für welche dieser Maßnahmen sich im Ministerrat
der nötige Konsens aller Mitgliedstaaten finden lässt.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: By User Exxu on de.wikipedia (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons.