27 Februar 2025

Nichtwähler wider Willen: Zum versagten Wahlrecht für Auslandsdeutsche bei der Bundestagswahl

Von Manuel Müller
Stimmzettel mit Briefwahlumschlag

Deutsche, die im Ausland leben, können an der Bundestagswahl nur per Briefwahl teilnehmen. Und in diesem Jahr viele nicht einmal das.

Bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben zum Nichtwähler. Unfreiwillig, ebenso wie mutmaßlich zehntausende andere Deutsche mit Wohnsitz im Ausland. Angesichts der erwartbar knappen Fristen (die Bundeswahlleiterin hatte schon Anfang November davor gewarnt, dass bei einer Wahl im Januar oder Februar zu wenig Vorbereitungszeit bleiben könnte) nutzte ich im Dezember die erste Gelegenheit, um mich ins Wahlregister einzutragen und Briefwahlunterlagen anzufordern.

Anders als die in Deutschland lebenden Wahlberechtigten müssen sich Auslandsdeutsche für jede Wahl einzeln registrieren. Immerhin ging das in diesem Jahr erstmals per E-Mail – was dazu führte, dass sich die Zahl der eingetragenen Auslandswähler:innen im Vergleich zur letzten Bundestagswahl um rund zwei Drittel erhöhte, von knapp 130.000 auf über 210.000. Angesichts von geschätzt insgesamt 3 bis 4 Millionen Deutschen im Ausland ist das allerdings immer noch ein bemerkenswert niedriger Anteil.

Wahlunterlagen kamen bis heute nicht an

Wahlberechtigt war ich in Berlin-Mitte, weil dort mein letzter Wohnsitz vor dem Wegzug aus Deutschland lag. Angesichts der notorischen Überforderung der Berliner Verwaltung bat ich sicherheitshalber um eine Empfangsbestätigung für meine Wahlanmeldung, die ich auch prompt erhielt. Auch die Deutsche Botschaft in Helsinki tat, was sie konnte, und organisierte für den 18. Februar einen Sonderkurier, der Wahlbriefe nach Deutschland mitnehmen würde. Einige meiner Bekannten konnten diesen nutzen, um an der Wahl teilzunehmen. Doch für mich selbst und viele andere waren alle Mühen vergebens: Die Briefwahlunterlagen – die in Berlin-Mitte ab dem 10. Februar verschickt wurden – kamen bis heute nicht bei mir an.

Die Regellaufzeit von Priority-Briefsendungen zwischen Deutschland und Finnland beträgt laut Deutscher Post 5-8 Werktage; längere Laufzeiten sind möglich und erfahrungsgemäß nicht selten. Selbst im besten Fall hätte ich also noch ein wenig Glück benötigt, um rechtzeitig an meinen Stimmzettel zu kommen. Und damit war ich nicht allein: In die USA, wo besonders viele Auslandsdeutsche leben, benötigt ein Brief im Regelfall 6-10 Tage. Aber auch in der EU-Hauptstadt Brüssel gab es (auch wegen eines Streiks der belgischen Post) zahlreiche Betroffene. Und selbst beim deutschen Botschafter in London kamen keine Wahlunterlagen an. Wie viele auslandsdeutsche Wahlberechtigte genau keine Gelegenheit bekamen, an der Wahl teilzunehmen, ist nicht bekannt; aber es scheint naheliegend, dass es sich um eine fünfstellige Zahl handelt.

Mandatsrelevanz dürfte gegeben sein

Das alles ist nicht nur persönlich frustrierend, sondern könnte auch Auswirkungen auf die Gültigkeit der Wahl haben. Für eine wenigstens teilweise Wiederholung der Wahl müssten zwei Voraussetzungen gegeben sein: Zum einen müsste es sich bei den massenhaft nicht angekommenen Briefwahlunterlagen um einen Wahlfehler handeln. Und zum anderen müsste dieser Wahlfehler so gravierend sein, dass er wenigstens potenziell Auswirkungen auf die Mandatsverteilung im Bundestag hat.

In der Öffentlichkeit wurde zuletzt vor allem über Letzteres diskutiert. Das liegt vor allem am Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW/–), das den Einzug in den Bundestag um weniger als 13.500 Stimmen verpasste. Unmittelbar nach der Wahl kündigte Wagenknecht eine „Anfechtung“ der Wahl an und verwies dafür unter anderem auf die Auslandsdeutschen.

Dieser Fokus auf das BSW und die Fünfprozenthürde ist allerdings etwas irreführend: Mandatsrelevant ist ein Wahlfehler schon dann, wenn irgendeine Partei mehr Sitze hätte gewinnen können, falls ein großer Teil der nicht gewerteten Stimmen an sie gegangen wäre. Im vorliegenden Fall hätte die CDU (EVP) nach dem vorläufigen Endergebnis weniger als 13.000 zusätzliche Zweitstimmen benötigt, um einen weiteren Sitz im Bundestag zu gewinnen. Im Vergleich zu den geschätzten Betroffenenzahlen sind das nicht besonders viele. Die Mandatsrelevanz dürfte also gegeben sein – vorausgesetzt natürlich, dass sich die Betroffenen auch wirklich die Mühe machen, ihre verhinderte Wahlteilnahme per Wahleinspruch zu dokumentieren.

Alternative Deutschlandreise – aber ist das lebensnah?

Juristisch ist darüber hinaus aber auch die Frage interessant, ob es sich bei der verhinderten Wahlteilnahme der Auslandsdeutschen überhaupt um einen Wahlfehler handelt. Ein solcher Fehler ist dann gegeben, wenn entweder das Wahlgesetz nicht richtig angewandt wurde oder das Wahlgesetz selbst im Widerspruch zu höherrangigem Recht steht. Einschlägig ist in diesem Fall insbesondere Art. 38 (1) GG, der die Allgemeinheit der Wahl garantiert.

In öffentlichen Stellungnahmen von Jurist:innen vor und nach der Wahl waren einige Begründungen zu hören, warum das nicht der Fall sei. Im Wesentlichen gibt es dabei zwei Argumente: Erstens wird darauf hingewiesen, dass es am Ende in der Eigenverantwortung der Wahlberechtigten liege, dass ihr Stimmzettel rechtzeitig im Wahllokal ankomme. Statt sich auf die Briefwahl zu verlassen, hätten sie ja auch nach Deutschland reisen und den Wahlschein dort in Person abgeben können. (Wenn die Unterlagen – wie in meinem Fall – gar nicht erst angekommen sind, hätte man bis am Tag vor der Wahl um 12 Uhr im Wahlamt vorsprechen können, um dann vor Ort einen Ersatzwahlschein zu erhalten.)

Wirklich plausibel ist diese Deutschlandreise-Option jedoch allenfalls für Menschen in den Nachbarländern Deutschlands. Für Auslandsdeutsche, die mehrere Flugstunden von ihrem Wahlamt entfernt leben, erscheint sie kaum als eine lebensnahe, verhältnismäßige Alternative. Ob sie genügt, um die Allgemeinheit der Wahl zu retten, wird deshalb wohl erst das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Die Überforderung der Verwaltung hat keinen Verfassungsrang

Das zweite Argument ist verfassungsrechtlicher Natur und zielt darauf ab, dass es zwar Probleme gab, diese aber leider unvermeidlich seien. Schließlich sehe Art. 39 (1) GG ausdrücklich vor, dass im Fall einer Auflösung des Bundestags die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen stattfinden müsse. Als lex specialis habe diese Regelung Vorrang gegenüber dem Grundsatz der allgemeinen Wahl. Die schnelle Frist sei der Verfassung wichtiger, als dass auch wirklich alle Deutschen die Gelegenheit zur Stimmabgabe erhalten.

Allerdings setzt dieses Argument implizit voraus, dass eine effektive Organisation von Auslandswahlen innerhalb der Sechzig-Tage-Frist faktisch unmöglich sei – dass Gesetzgeber, Regierung und Verwaltung wirklich ihr Äußerstes getan hätten, um die beiden verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen. Das aber ist ziemlich offensichtlich nicht der Fall. Denn zum einen ist die vielfache Überforderung der deutschen Verwaltung, die zu verspätet in Auftrag gegebenen Druckaufträgen oder zur Wahl billiger und langsamer Postanbieter führt, ja weder naturgegeben noch von der Verfassung vorgeschrieben, sondern in der Regel schlicht eine Folge personeller und finanzieller Unterausstattung. Und zum anderen ließe sich auch im Wahlgesetz einiges ändern, um Auslandsdeutschen das Wählen zu erleichtern und damit dem Verfassungsgrundsatz der allgemeinen Wahl auch innerhalb der Sechzig-Tage-Frist gerecht zu werden.

Ineffizientes und bürokratisches Auslandswahlrecht

Auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist das deutsche Wahlrecht für Auslandsbürger:innen ineffizient und bürokratisch gestaltet.

Das fängt schon mit der eingangs erwähnten Pflicht an, sich für jede Bundestagswahl einzeln ins Wählerregister eintragen zu lassen. (Wen es interessiert: Hier ist das Formular dafür.) Hintergrund dafür ist, dass Deutschland kein allgemeines Auslandsbürgerverzeichnis hat. In Frankreich gibt es das Registre des Français établis hors de France, in das sich Auslandsfranzös:innen freiwillig eintragen können und das neben konsularischen Diensten auch die Teilnahme an nationalen Wahlen ermöglicht. In Italien gab es bis vor einigen Jahren das Anagrafe Italiani Residenti all’Estero (AIRE), ein von den Kommunen betriebenes verpflichtendes Melderegister für Auslandsitaliener:innen; inzwischen ist es im einheitlichen nationalen Register ANPR aufgegangen.

Deutschland hingegen betreibt lediglich die ELEFAND-Liste, durch die Auslandsbürger:innen in Krisenfällen Nachrichten des Auswärtigen Amts erhalten können. Darüber hinaus werden Auslandsdeutsche nicht erfasst – was nicht nur dazu führt, dass ihre genaue Zahl unbekannt ist, sondern eben auch dazu, dass sie sich für jede Wahl einzeln anmelden müssen.

Und nicht nur das: Deutsche, die seit mehr als 25 Jahren im Ausland leben, verlieren ihr Bundestagswahlrecht nach § 12 (2) BWahlG sogar vollständig, sofern sie nicht zeigen können, dass sie „persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind“. Was das genau bedeutet, erläutert die Bundeswahlleiterin in diesem vierseitigen Merkblatt; das Formular dazu gibt es hier. Einen echten Sinn hat die Regelung nicht. Auslandsbürger:innen, die mit den politischen Verhältnissen in Deutschland nicht vertraut sind, würden sich wohl ohnehin kaum die Mühe machen, an einer Wahl teilzunehmen.

Stimmabgabe in Botschaften und Konsulaten

Diese Hürden bei der Registrierung machen das Wählen umständlich und schrecken bereits viele deutsche Auslandsbürger:innen ab, wie man an den recht niedrigen Registrierungszahlen sieht. Gravierender sind allerdings die Probleme bei der Stimmabgabe. Dass man nicht per Internet wählen kann (wie es in Estland für alle Wähler:innen, in Frankreich für Auslandsbürger:innen möglich ist), mag bei einem so digitalisierungsskeptischen Land wie Deutschland nicht überraschen; auch die meisten anderen europäischen Länder haben sich aus Sicherheitsgründen gegen ein solches Modell entschieden.

Daneben gäbe es aber auch noch die Möglichkeit einer Stimmabgabe in diplomatischen Vertretungen, also Botschaften und Konsulaten. Dieses Modell ist in Europa weit verbreitet, zwei Drittel der EU-Mitgliedstaaten bieten ihren Auslandsbürger:innen eine entsprechende Option an. Wäre ich zum Beispiel finnischer Staatsbürger in Deutschland, so könnte ich an den finnischen Parlamentswahlen in der finnischen Botschaft in Berlin teilnehmen. Deutschland, das nach Frankreich von allen EU-Staaten über das zweitdichteste Netz an Auslandsvertretungen verfügt, erlaubt diese Möglichkeit hingegen nicht. Wer als Auslandsdeutsche:r an der Bundestagswahl teilnehmen will, kann das nur per Briefwahl tun.

Auslandswahlkreise würden die Wahl erleichtern

Ein Grund dafür mag sein, dass Auslandsdeutsche (wie bereits erwähnt) jeweils in dem Wahlkreis stimmberechtigt sind, in dem ihr letzter deutscher Wohnsitz lag. Da bei der Bundestagswahl jeder der 299 Wahlkreise andere Direktkandidat:innen und damit auch andere Wahlzettel hat, müssten die Botschaften also hunderte unterschiedliche Zettel vorrätig halten und für jede Wähler:in den richtigen heraussuchen. Selbst mit einem einheitlichen Auslandswählerregister wäre das ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand.

Aber auch das ist kein unumgängliches Hindernis: In mehreren anderen europäischen Ländern – etwa Frankreich, Italien oder Rumänien – gibt es bei nationalen Parlamentswahlen eigene Auslandswahlkreise. Warum sollte nicht auch bei Bundestagswahlen das Ausland wie ein „17. Bundesland“ behandelt werden, mit einer eigenen Landesliste und eigenen Direktkandidat:innen, die von den Auslandsverbänden der Parteien nominiert werden könnten?

Auslandsbürger:innen wären dann nicht mehr in ihrer früheren Heimatgemeinde wahlberechtigt, sondern zum Beispiel in einem Wahlkreis „Europa“ oder „Amerika“. Wie viele Auslandswahlkreise es genau gäbe und wie sie zugeschnitten wären, hinge von den im Auslandswahlverzeichnis eingetragenen Wähler:innen ab. Die Zahl der 3-4 Millionen Auslandsdeutschen ist in etwa mit der Einwohnerzahl von Schleswig-Holstein oder Sachsen vergleichbar. Aber selbst wenn man sich nur an der deutlich niedrigeren Zahl der rund 215.000 Auslandsdeutschen orientiert, die sich dieses Jahr ins Wählerverzeichnis haben eintragen lassen, wäre das noch genug für einen Bundestagswahlkreis. (Bremen, mit 450.000 Wahlberechtigten und 350.000 Wählenden, hat zwei.)

Auslandsdeutschen fehlt es im Bundestag an Repräsentation

Ein solches Modell würde die Auslandswahl, insbesondere das Wählen in Botschaften und Konsulaten, stark vereinfachen, da nur noch ein einheitlicher Stimmzettel benötigt würde. Gleichzeitig gibt es auch gute demokratietheoretische Gründe, die für einen Auslandswahlkreis sprechen. Dass es bei der Bundestagswahl überhaupt Wahlkreise gibt, soll eine ausgewogene geografische Verteilung der Abgeordneten sicherstellen. Das ist wichtig, da man davon ausgeht, dass Menschen, die am selben Ort leben, strukturell auch bestimmte gemeinsame Interessen haben, die im Bundestag durch einen Abgeordneten von diesem Ort repräsentiert sein sollten.

Dies lässt sich aber auch auf Auslandsbürger:innen übertragen: Auch sie teilen durch ihren Wohnort bestimmte strukturelle Interessen, die sie von Inlandsbürger:innen unterscheiden. Insbesondere sind sie besonders stark von den außen- und europapolitischen Entscheidungen des Bundestags und der Bundesregierung betroffen. Zu der früheren Wohnort-Gemeinde, in der die Auslandsdeutschen nach dem jetzigen Wahlsystem wahlberechtigt sind, haben sie hingegen teilweise kaum noch Kontakt. Und natürlich wird sich auch die Wahlkreisabgeordnete von Berlin-Mitte in erster Linie als Repräsentant:in der Bewohner:innen von Berlin-Mitte sehen und sich wenig Gedanken darüber machen, welche besonderen Bedürfnisse ihre Wähler:innen in Helsinki, Beijing oder Aix-en-Provence haben.

Sollten Auslandsbürger:innen überhaupt wählen dürfen?

Noch eine grundsätzliche Frage zum Schluss: Sollten Staatsbürger:innen, die im Ausland leben, überhaupt an nationalen Parlamentswahlen teilnehmen? In einem supranationalen demokratischen Föderalsystem gäbe es dafür aus meiner Sicht keinen guten Grund, und auch in der heutigen Welt sehe ich ein allgemeines Wahlrecht im Wohnsitzland (wo die Menschen Steuern zahlen und im Alltag den lokalen Gesetzen unterworfen sind) als das wichtigere politische Ziel an. Wenn ich selbst an der finnischen Parlamentswahl teilnehmen könnte und eine in Deutschland lebende Finn:in an der Bundestagswahl, fände ich das jedenfalls sinnvoller als umgekehrt.

Von einem allgemeinen Wohnort-Wahlrecht für nationale Parlamentswahlen sind wir allerdings noch recht weit entfernt. Und zudem steht außer Zweifel, dass im Ausland lebende Staatsbürger:innen auch von den Entscheidungen des Parlaments und der Regierung ihres Herkunftslands stark betroffen sein können. Man denke, um ein Extrembeispiel zu nennen, nur an die in der EU lebenden Brit:innen, die sich durch den vom britischen Parlament beschlossenen Brexit 2020 plötzlich ihrer Unionsbürgerschaft beraubt sahen.

Wie die Dinge stehen, ist eine gute Organisation des Auslandswahlrechts deshalb eine zentrale Voraussetzung für die demokratische Teilhabe von Migrant:innen. Mit seinen übermäßig bürokratischen Verfahren, seiner überforderten Verwaltung und der knappen Wahlfrist hat Deutschland seine Auslandsbürger:innen bei dieser Bundestagswahl im Stich gelassen. Ob die Wahl nun – wenigstens teilweise – wiederholt werden muss, wird sich zeigen. Klar ist aber, dass das Wahlsystem reformiert werden sollte, damit so etwas nicht noch einmal geschieht.


Korrekturhinweis, 27.2.2025: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es irrtümlich, die CDU benötige nur weniger als 8000 zusätzliche Stimmen für einen weiteren Sitz. Tatsächlich sind es knapp 13.000 Stimmen.

Non-voters against their will: On the disenfranchisement of Germans living abroad in the last Bundestag elections

By Manuel Müller
Ballot paper with postal voting envelope

Germans living abroad can only vote in the Bundestag elections by post. And this year, many of them couldnt even do that.

For the first time in my life, I did not vote in last Sunday’s German federal election. Involuntarily, like probably tens of thousands of other Germans living abroad. Given the expected tight schedule (the Federal Returning Officer had warned already in early November that there might not be enough time to prepare if the elections were held in January or February), I took the first opportunity in December to register to vote and request an absentee ballot.

Unlike voters living in Germany, Germans living abroad have to register each time they want to take part in an election. This year, for the first time, this could be done by e-mail – which led to the number of registered voters abroad rising by around two-thirds compared to the last Bundestag election, from just under 130,000 to over 210,000. But with an estimated 3-4 million Germans living abroad, this is still a remarkably low proportion.

My ballot paper never arrived

I was eligible to vote in Berlin-Mitte because that was my last place of residence before leaving Germany. Given the notoriously overburdened Berlin administration, I asked for an acknowledgement of receipt for my voter registration, which I promptly received. The German embassy in Helsinki also did what it could and organised a special courier for 18 February to take the ballot letters to Germany. Some of my friends were able to use this to take part in the election. But for me and many others, all efforts were in vain: The postal voting documents – which were sent out in Berlin-Mitte from 10 February on – have still not reached me.

According to Deutsche Post, the standard transit time for Priority letters from Germany to Finland is 5-8 working days; longer transit times are possible and experience shows that they are not uncommon. So even in the best-case scenario, I would have needed a bit of luck to get my ballot paper in time. And I wasn’t the only one: A letter to the USA, where many German expats live, has a standard transit time of 6-10 days. In the EU capital, Brussels, many people were affected, too (also due to a strike by the Belgian postal service). Even the German ambassador in London did not receive his ballot paper. It is not known exactly how many German expatriates were unable to vote, but the number is likely to have been in the five-figure range.

Will the election have to be repeated?

All this is not only personally frustrating, but could also affect the validity of the election. Two conditions would have to be met for the election to be at least partially re-run: First, the fact that so many absentee ballots did not arrive in time would have to be an electoral error. And secondly, the error would have to be serious enough to have at least a potential impact on the distribution of seats in the Bundestag.

The post-election public debate in Germany has focused mostly on the latter. This is mainly due to the left-conservative party Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW/–), which missed out on entering the Bundestag by less than 13,500 votes. Immediately after the election, Wagenknecht announced that the party would challenge the election, referring in part to the voting problems of Germans living abroad.

However, this focus on the BSW and the five-per-cent threshold is somewhat misleading. An electoral error already has “mandate relevance” if any party could have won an additional seat by winning a large proportion of the uncounted votes. In this case, according to the provisional results, the CDU (EPP) would have needed less than 13,000 additional votes to win one more seat in the Bundestag. Compared to the estimated number of affected (non-)voters, this is not a particularly high threshold. The mandate relevance should thus be there – provided, of course, that those affected actually take the trouble to document their prevented participation in the election by lodging an appeal.

The alternative: travel to Germany – but is that a realistic option?

From a legal point of view, however, it is also necessary to consider whether the fact that Germans living abroad were prevented from voting constitutes an electoral error at all. Such an error exists if either the electoral law was not correctly applied or the electoral law itself contradicts higher-ranking law. In this case, Article 38 (1) of the Basic Law, which guarantees that the elections are “general”, is particularly relevant.

In public statements made before and after the election, several legal scholars gave a number of reasons why this might not be the case. There are two main arguments: The first is that it is ultimately the voter’s own responsibility to ensure that their ballot paper arrives at the polling station on time. Instead of relying on postal voting, they could have travelled to Germany and handed in their ballot paper in person. (If, as in my case, the documents had not arrived at all, you could have gone to the electoral office until 12 noon on the day before the election and obtained a replacement ballot paper on the spot).

However, this option of travelling to Germany is only really plausible for expatriates living in one of Germany’s neighbouring countries. For voters who would have to fly for hours to get to their polling station, it hardly seems a realistic or proportionate alternative. Whether this will be enough to save the principle of “general” elections will probably only be decided by the Federal Constitutional Court.

Administrative overload is not constitutionally required

The second argument touches on constitutional law and claims that the problems were real but unavoidable. After all, Article 39 (1) of the Basic Law explicitly states that if the Bundestag is dissolved, new elections must be held within sixty days. As a lex specialis, this provision takes precedence over the principle of universal suffrage. The short deadline is more important for the constitution than ensuring that all Germans actually have the opportunity to vote.

However, this argument implicitly assumes that the effective organisation of overseas elections within the sixty-day period is factually impossible – that the legislature, the government and the administration have really done their utmost to reconcile the two constitutional requirements. This is clearly not the case. Firstly, the overburdening of the German administration, which leads to printing orders being placed late or to the selection of cheaper rather than quicker postal service providers, is neither natural nor required by the constitution, but simply a consequence of understaffing and underfunding. And secondly, a number of changes could also be made to the electoral law to simplify the vote of Germans living abroad and thus comply with the constitutional principle of “general” elections even within a sixty-day period.

An inefficient and bureaucratic system

Compared to other European countries, German electoral law for citizens abroad is remarkably inefficient and bureaucratic.

This starts with the aforementioned obligation to renew your voter registration for every single Bundestag election. (If you’re interested, here is the form.) The background for this is that Germany has no general register of its citizens living abroad. In France, there is the Registre des Français établis hors de France, in which French citizens abroad can register voluntarily and which, in addition to consular services, allows them to vote in national elections. In Italy, until a few years ago, there was the Anagrafe Italiani Residenti all’Estero (AIRE), a compulsory register of Italians living abroad managed by the municipalities; it has since been merged into the single national register ANPR.

Germany, on the other hand, only operates the ELEFAND list, which allows citizens abroad to receive messages from the Foreign Office in crisis situation. Beyond that, Germany does not keep any record of its citizens living abroad – which means not only that their exact number is unknown, but also that they have to register individually for each election.

And there is more: According to Section 12 (2) of the Federal Elections Act, Germans who have been living abroad for more than 25 years even lose their right to vote in the Bundestag completely, unless they can prove that they are “personally and directly familiar with the political situation in the Federal Republic of Germany and are affected by it”. If you wonder what exactly that means, there is a four-page information sheet by the Federal Returning Officer; the relevant form is available here. In practice, the rule does not make much sense. Citizens abroad who are not familiar with the political situation in Germany would hardly bother to vote anyway.

Voting in embassies and consulates

These registration hurdles make voting cumbersome and already deter many German citizens abroad, as evidenced by the relatively low registration rates. However, the problems with voting are even more serious. The fact that online voting (which is possible for all voters in Estonia and for citizens living abroad in France) is not allowed in Germany is perhaps unsurprising in a country known for its digital scepticism. Admittedly, most other European countries have also decided against such a model for security reasons.

But there is also the option of voting in diplomatic missions, i.e. embassies and consulates. This model is widespread in Europe, with two-thirds of EU member states offering it to their citizens abroad. For example, if I were a Finnish citizen in Germany, I could vote in the Finnish parliamentary elections at the Finnish embassy in Berlin. But Germany, which after France has the second densest network of diplomatic missions among all EU countries, does not allow this. If you are a German abroad and want to vote in the Bundestag elections, you can only do so by post.

Abroad constituencies would make voting easier

One reason for this may be that (as mentioned above) Germans living abroad are entitled to vote in the constituency where they last lived before leaving Germany. As each of the 299 constituencies in the Bundestag election has different candidates, embassies would have to stock hundreds of different ballot papers and find the right one for each voter. This would be a considerable administrative burden, even with a unified voters’ register.

But that is not an unavoidable obstacle. Several other European countries – such as France, Italy, and Romania – have specific overseas constituencies in their national parliamentary elections. Why shouldn’t also Germany treat its citizens abroad like a “17th state” in federal elections, with its own state list and its own constituency candidates, who could be nominated by the abroad branches of the parties?

German expatriates would then no longer be entitled to vote in their former home municipality, but, for example, in a “Europe” or “America” constituency. Exactly how many overseas constituencies there would be and how they would be organised would depend on the number of voters registered on the overseas electoral roll. The 3-4 million Germans living abroad are roughly comparable to the population of Schleswig-Holstein or Saxony. But even if you take only the much smaller number of around 215,000 Germans living abroad who have registered to vote this year, that would still be enough for one Bundestag constituency. (Bremen, with 450,000 eligible voters and 350,000 voters, has two).

Germans abroad lack representation in the Bundestag

Such a model would greatly simplify voting abroad, especially in embassies and consulates, as only one type of ballot paper would be required. At the same time, there are also good democratic reasons for having an overseas constituency. The main purpose of having constituencies in the first place is to ensure a balanced geographical distribution of the members of the Bundestag. This is deemed important because it is assumed that people who live in the same place structurally also have certain common interests, which should be represented by an MP from that place.

However, this logic can also be applied to citizens living abroad: By virtue of their place of residence, they share certain structural interests that distinguish them from citizens living in Germany. In particular, they are more directly affected by the Bundestag’s and the federal government’s foreign and European policy decisions. On the other hand, some Germans living abroad have hardly any ties to their former place of residence, where they are entitled to vote under the current electoral system. And, of course, the MP for the Berlin-Mitte constituency will see herself primarily as a representative of the residents of Berlin-Mitte, and will have little regard for the special needs of her constituents in Helsinki, Beijing or Aix-en-Provence.

Should expatriates be allowed to vote at all?

Finally, a fundamental question: Should citizens living abroad have a right to vote in national parliamentary elections at all? In my view, there would be no good reason for this in a supranational democratic federal system, and even in today’s world I see universal suffrage in the country of residence (where people pay taxes and are subject to local laws in everyday life) as the more important political goal. If I myself could vote in Finnish parliamentary elections and a Finn living in Germany could vote in Bundestag elections, that would make more sense to me than the other way round.

But we are still a long way from such a universal suffrage for residents in national parliamentary elections, and there is no doubt that citizens living abroad can also be strongly affected by decisions taken by the parliament and government of their country of origin. To take an extreme example, consider British citizens living in the EU who, in 2020, found themselves stripped of their European citizenship rights as a result of the UK Parliament’s Brexit decision.

As things stand, good organisation of voting rights abroad is therefore a key prerequisite for the democratic participation of migrants. With its overly bureaucratic procedures, overburdened administration and tight voting deadline, Germany failed its expatriates in this Bundestag election. Whether the election will have to be repeated – at least in part – remains to be seen. What is clear, however, is that the electoral system should be reformed to prevent this from happening again.


19 Februar 2025

EU to go: Die Bundestagswahl und Europa

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur Europapolitik. Einmal im Monat analysieren Moderatorin Thu Nguyen und ihre Gäste in 20 bis 30 Minuten ein aktuelles Thema.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Europa steht vor enormen Herausforderungen. Wer Deutschland künftig regiert, wird auch für die EU entscheidend sein. Seit dem Aus der Ampelkoalition im November letzten Jahres ist die deutsche Regierung auf europäischer Ebene kaum mehr handlungsfähig. Doch auch schon zuvor ließ ihr europapolitischer Wille teils zu wünschen übrig – Stichwort „German Vote“. Neun Tage vor der Wahl wird viel über Migration und ein wenig über die Wirtschaft gesprochen. Doch wo bleibt die EU-Politik im Bundestagswahlkampf?

Gemeinsam mit Johannes Lindner, Co-Direktor des Jacques Delors Centre, schaut Thu Nguyen auf den Bundestagswahlkampf und die Rolle Europas, die darin zuletzt eine unerwartete Bedeutung bekommen hat. In Hinblick auf den 23. Februar fragen sich die beiden: Was sind die europapolitischen Vorschläge der Parteien? Wie sähe die deutsche Europapolitik unter einem Kanzler Friedrich Merz aus? Und warum ist gerade in diesen Zeiten eine stabile Bundesregierung so wichtig für Europa?

13 Februar 2025

FIIA seminar: Germany on the eve of elections

On 23 February, the EU’s largest member state will hold parliamentary elections, the results of which will of course have an impact beyond Germany’s borders. Yesterday, the Finnish Institute of International Affairs (FIIA) hosted a discussion on the latest developments and prospects for the new election period: Where do the parties stand a week and a half before the election? What have been the main themes of the campaign? What will become of the “firewall” against the AfD? And what does all this mean for German foreign and European policy in the coming years?

At the heart of the event was a guest lecture by Nicolai von Ondarza, head of the EU/Europe research division at the German Institute for International and Security Affairs (SWP) in Berlin. The panel, moderated by Marco Siddi, also included Tuomas Iso-Markku, Sanna Salo, and Manuel Müller (all FIIA). The event was held in English at the Finnish Parliament in Helsinki. A video recording is available here.

FIIA-Diskussion: Deutschland vor der Bundestagswahl

Am 23. Februar finden im größten EU-Mitgliedstaat Parlamentswahlen statt, und natürlich werden ihre Ergebnisse auch über die deutschen Grenzen hinaus von Bedeutung sein. Am gestrigen Mittwoch organisierte das Finnish Institute of International Affairs (FIIA) eine Diskussionsveranstaltung, in der wir über die jüngsten Entwicklungen und die Aussichten auf die neue Wahlperiode gesprochen haben: Wo stehen die Parteien anderthalb Wochen vor der Wahl? Welche Themen prägten den Wahlkampf? Was wird aus der „Brandmauer“ gegenüber der AfD? Und was bedeutet all das für die deutsche Außen- und Europapolitik in den kommenden Jahren?

Mittelpunkt der Veranstaltung war ein Gastvortrag von Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Mit auf dem Podium saßen Tuomas Iso-Markku, Sanna Salo und Manuel Müller sowie als Moderator Marco Siddi (alle FIIA). Die Veranstaltung fand in englischer Sprache im Auditorium des finnischen Parlaments in Helsinki statt. Ein Videomitschnitt ist hier zu finden.

06 Februar 2025

FIIA Briefing Paper: Germany’s “perfect storm”

By Manuel Müller
Cover des FIIA Briefing Paper: Germany’s ‘perfect storm’: A structural crisis for the EU’s engine?

Ahead of the federal elections on 23 February, Germany faces numerous and profound structural challenges. In foreign and economic policy, growing geopolitical tensions – the loss of Russian energy supplies, the uncertainties surrounding the economic partnership with China and the prospect of an unfriendly US administration under Donald Trump – have undermined the country’s model based on global interdependence and open trade.

Domestically, Berlin is struggling with the consequences of long-term underinvestment in public infrastructure, limited innovation capacity and sluggish productivity growth. Despite the country’s reliance on labour migration, public opinion has become increasingly hostile to immigrants. At the same time, the rise of the far-right AfD (ESN) has severely limited post-election coalition options and led to conflicts between centrist parties over the future of the cordon sanitaire.

Setbacks in EU policy

All of this has not been without an impact on Gemany’s role in the European Union. The “traffic light” coalition entered the 2021-25 legislature with high ambitions for EU policy. Since then, however, both Germany’s leading role in the EU and its long-standing partnership with France have suffered severe setbacks. Not least Germany’s reactions to the wars in Ukraine and in Gaza have sparked criticism and dented the country’s credibility.

At the same time, no credible alternatives have emerged to replace the role of the Franco-German tandem. On the contrary: Many other EU member states are struggling with similar problems as Germany. Even if recent developments have affected Germany’s status in the EU, the Union will hardly be able to overcome its internal and international crises without Germany’s contribution and leadership. Still, solving the many structural problems will not be easy: Even if the next German government is more stable than the recent one, it will still be subject to the same economic constraints and domestic political pressures.

In a new Briefing Paper for the Finnish Institute of International Affairs (FIIA), my colleagues and I take a look at the German situation ahead of the federal elections. The full Briefing Paper is available here.

FIIA is also organising a discussion on the federal elections next Wednesday, 13 February, at the Finnish Parliament in Helsinki. As a guest speaker, we will welcome Nicolai von Ondarza, Head of the EU/Europe Research Division of the German Institute for International and Security Affairs (SWP). More information on the event here.


Picture: Cover of the FIIA Briefing Paper, based on a photo by Kay Nietfeld, DPA / Lehtikuva.

FIIA Briefing Paper: Deutschland vor der Bundestagswahl

Von Manuel Müller
Cover des FIIA Briefing Paper: Germany’s ‘perfect storm’: A structural crisis for the EU’s engine?

Vor der Bundestagswahl am 23. Februar steht Deutschland vor einer Vielzahl von strukturellen Herausforderungen. Außen- und wirtschaftspolitisch stellen die wachsenden geopolitischen Spannungen – das Ende der russischen Energieimporte, die Unsicherheiten um die Wirtschaftspartnerschaft mit China und die Aussicht auf eine unfreundliche US-Regierung unter Donald Trump – das bisherige deutsche Erfolgsmodell in Frage.

Innenpolitisch kämpft Berlin mit den Folgen anhaltender Unterinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur, einer eingeschränkten Innovationsfähigkeit und einem schwachen Produktivitätswachstum. Obwohl das Land auf die Einwanderung von Arbeitskräften angewiesen ist, ist die öffentliche Stimmung zunehmend migrationsfeindlich geworden. Zugleich schränkt der Aufstieg der rechtsextremen AfD (ESN) auch die Koalitionsoptionen nach der Wahl erheblich ein und führt zu Konflikten zwischen den Parteien der Mitte über die Zukunft der „Brandmauer“.

Europapolitische Rückschläge

Das alles hat sich auch auf Deutschlands Rolle in der Europäischen Union ausgewirkt. Die Ampel-Koalition startete 2021 mit hohen europapolitischen Ambitionen in die Legislaturperiode. Doch seitdem haben sowohl die deutsche Führungsrolle in der EU als auch die langjährige Partnerschaft mit Frankreich Rückschläge erlitten. Nicht zuletzt Deutschlands Reaktionen auf die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen haben Kritik ausgelöst und die Glaubwürdigkeit des Landes beschädigt.

Gleichzeitig haben sich keine glaubwürdigen Alternativen herauskristallisiert, die die führende Rolle des deutsch-französischen Tandems ersetzen könnten. Im Gegenteil: Viele andere EU-Mitgliedstaaten haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie Deutschland. Auch wenn die jüngsten Entwicklungen Deutschlands Status in der EU beeinträchtigt haben, wird die Union ihre internen und internationalen Krisen kaum ohne Deutschlands Beitrag und Führungsrolle bewältigen können. Doch eine Lösung für die zahlreichen strukturellen Probleme wird nicht einfach zu finden sein: Selbst wenn die nächste deutsche Bundesregierung stabiler ist, als es die Ampel zuletzt war, bleibt sie denselben wirtschaftlichen Zwängen und demselben innenpolitischem Druck ausgesetzt.

In einem neuen Briefing Paper für das Finnish Institute of International Affairs (FIIA) werfen meine Kolleg:innen und ich einen Blick auf die Lage in Deutschland vor der Bundestagswahl. Das vollständige Briefing Paper (auf Englisch) ist hier zu finden.

Außerdem organisiert FIIA am kommenden Mittwoch, 13. Februar, eine Diskussionsveranstaltung zur Bundestagswahl im Auditorium des finnischen Parlaments in Helsinki. Als Gastredner begrüßen wir Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mehr Informationen zu der Veranstaltung gibt es hier.


Bild: Cover des FIIA Briefing Paper, basierend auf einem Foto von Kay Nietfeld, DPA / Lehtikuva.

04 Februar 2025

Der EUROMAT zur Bundestagswahl 2025

Von Manuel Müller

In weniger als drei Wochen steht die Wahl des neuen Deutschen Bundestags an – und damit auch eine Richtungsentscheidung für die Europäische Union. Die neue Bundesregierung, die aus dieser Wahl hervorgeht, wird im Rat der EU an der europäischen Gesetzgebung beteiligt sein, sie wird ein Vetorecht in der gemeinsamen Außen-, Sozial- und Haushaltspolitik besitzen, sie wird eine tonangebende Rolle spielen, wenn es um institutionelle Reformen oder die Erweiterung der EU geht. Und auch Parteien, die im Bundestag in der Opposition sind, können für Europa wichtig sein, indem sie zum Beispiel mit Parteien aus anderen Ländern zusammenarbeiten und in der öffentlichen Debatte den Ton setzen.

Mit ihrem Stimmzettel werden die deutschen Wähler:innen deshalb großen Einfluss auf die Ausrichtung der EU in den kommenden vier Jahren nehmen. Aber wofür stehen die Bundestagsparteien in der Europapolitik eigentlich genau? Irgendwie „für Europa“ zu sein, nehmen fast alle von ihnen in Anspruch, doch will man es genauer wissen, muss man sich meist tief in die Details der Wahlprogramme einlesen. Oder man nutzt den EUROMAT.

Mit dem europapolitischen Wahlkompass EUROMAT können Sie Ihre Standpunkte zu 25 europapolitischen Thesen mit denen der Parteien im Deutschen Bundestag – SPD (SPE), CDU/CSU (EVP), Grüne (EGP), FDP (ALDE), AfD (ESN), Linke (EL) und BSW (–) – vergleichen. Er funktioniert ähnlich wie der bekannte Wahl-O-Mat, konzentriert sich aber auf Fragen mit europapolitischer Bedeutung.

25 Thesen, sieben Parteien, ein Thema: Europa

Der EUROMAT zur Bundestagswahl 2025 ist ein gemeinsames Informationsangebot der Bürgerbewegung Pulse of Europe, der Jungen Europäischen Föderalist:innen Deutschland, des Graswurzel-Thinktanks Polis 180 und des Blogs Der (europäische) Föderalist. Er schließt an frühere EUROMAT-Ausgaben zu den deutschen Bundestagswahlen 2017 und 2021 und zur Europawahl 2024 an und baut auf deren Erfahrungen auf. Vor allem in zwei Bereichen gibt es wichtige Neuerungen:

  • Erstens haben wir die Thesen im EUROMAT nicht den Parteien selbst vorgelegt, sondern ihre Positionen aus den Wahl- und Parteiprogrammen abgeleitet. Das hat zum einen praktische Gründe, da Parteien in der Vergangenheit oft nicht, nicht vollständig oder erst sehr spät auf unsere Anfragen geantwortet haben. Zum anderen hat es aber auch den Vorteil, dass wir im EUROMAT keine von den Parteien auf uns maßgeschneiderten Antworten präsentieren, sondern eben jene Standpunkte, die sie auch in ihren wichtigsten programmatischen Texten vertreten.
  • Zweitens gibt es zu jeder These im EUROMAT jetzt einen kurzen Text, der in wenigen Sätzen zusammenfasst, worum es bei dem Vorschlag geht und welche die wichtigsten Argumente dafür und dagegen sind. Dieser Ansatz geht auf Feedback von Nutzer:innen früherer EUROMAT-Ausgaben zurück, denen es teils schwer gefallen war, eigene Positionen zu den Thesen zu beziehen – auch weil sie mangels einer breiten öffentlichen Debatte zur Europapolitik zu wenig Informationen dazu hatten. Die kurzen Erklärtexte sollen dem abhelfen und zugleich dazu einladen, sich eigenständig weiter mit den Hintergründen der Thesen zu beschäftigen.

Ansonsten funktioniert der EUROMAT genau wie immer: Als Nutzer:in bewerten Sie 25 Thesen mit „Stimme zu“, „Stimme nicht zu“ oder „Neutral“ – von der europäischen Außenpolitik über Wirtschaft, Asyl und Klima bis zu institutionellen Grundsatzfragen. Sie können einzelne Thesen überspringen sowie Thesen, die Ihnen besonders wichtig sind, im Nachhinein doppelt gewichten. Anschließend berechnet das Programm, wie weit Ihre Antworten mit denen der Parteien übereinstimmen. Zum Abschluss können Sie einzelne Parteien anklicken und nachlesen, wie diese ihre Standpunkte im Wahl- oder Parteiprogramm begründet haben.

Mehr zum Entstehen des EUROMAT finden Sie hier. Auf diesem Blog ist der EUROMAT über die Website euromat.info eingebunden. Personenbezogene Daten fallen bei seiner Nutzung kaum an; insbesondere werden die von Nutzer:innen eingegebenen Standpunkte nicht gespeichert. Die dazugehörige Datenschutzerklärung gibt es hier.

The EUROMAT for the 2025 German Bundestag election

By Manuel Müller

The election of the new German Bundestag is less than three weeks away – and, as always, it will also be a decision on the future of the European Union. The new German government that emerges from these elections will be involved in European legislation in the EU Council; it will have a veto in common foreign, defence, social, tax, and budgetary policy; it will play a leading role in matters of EU enlargement and institutional reform. And even parties in opposition in the Bundestag can be important for Europe, for example by cooperating with parties from other countries and setting the tone in public debate.

With their ballot papers, German voters will therefore have a major influence on the direction of the EU over the next four years. But what exactly do the parties in the Bundestag stand for when it comes to European policy? Almost all of them claim to be “pro-European” in some way, but if you want to find out more, you usually have to dig deep into the details of their election manifestos. Or you can use the EUROMAT.

The EUROMAT is an election tool that allows you to compare your views on 25 European policy statements with those of the parties in the German Bundestag – SPD (PES), CDU/CSU (EPP), Greens (EGP), FDP (ALDE), AfD (ESN), Left (EL) and BSW (–). It works similarly to the well-known Wahl-O-Mat or other voting advice apps, but focuses on questions of importance for EU policy.

25 statements, seven parties, one topic: EU policy

Der EUROMAT zur Bundestagswahl 2025 ist ein gemeinsames Informationsangebot der Bürgerbewegung Pulse of Europe, der Jungen Europäischen Föderalist:innen Deutschland, des Graswurzel-Thinktanks Polis 180 und des Blogs Der (europäische) Föderalist. It follows previous EUROMAT editions for the German Bundestag elections in 2017 and 2021 and for the 2024 European elections, and builds on their experience. There have been two major changes in two areas in particular:

  • Firstly, we did not ask the parties themselves for their views on the EUROMAT statements, but inferred their positions from their manifestos and party programmes. This is partly for practical reasons, as in the past the parties have often not responded to our requests or have responded very late. At the same time, it has the advantage that the EUROMAT does not present tailor-made answers that the parties have written only for us, but rather the positions they take in the main programmatic texts that they also use as their policy guidelines themselves.
  • Secondly, each statement in the EUROMAT is now accompanied by a short text summarising its context and the main arguments for and against it. This is based on feedback from users of previous EUROMAT editions, some of whom found it difficult to form their own opinions on the statements – partly because they had too little information about them due to the lack of a broad public debate on EU policy. The short explanatory texts aim to address this problem, while inviting users to further explore the background to the issues themselves. 

Otherwise, the EUROMAT works in the same way as always: as a user, you rate 25 statements – covering a wide range of issues such as European foreign policy, the economy, migration, climate action, as well as fundamental institutional issues – with “agree”, “disagree” or “neutral”. You can skip individual statements or give double weighting to statements that are particularly important to you. The EUROMAT then calculates how closely your positions match those of each party. Finally, you can click on individual parties and read how they justify their positions in their manifesto or party programme.

You can read more about the background of the EUROMAT here. The EUROMAT is embedded into this blog via the euromat.info website. Hardly any personal data is collected during its use; in particular, the answers entered by users are not stored. The privacy policy of the EUROMAT can be found here.