Timothy Garton Ash kommentiert in einer seiner immer wieder lesenswerten Kolumnen die Europadebatten der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag und im britischen House of Commons.
Land für Land, Parlament für Parlament erhebt seine Stimme und sagt: So weit und nicht weiter. Doch worauf eine Nation besteht, kann die andere nicht annehmen: Deutschlands Muss ist Griechenlands Kann-nicht; Nicolas Sarkozys Essenziell ist Angela Merkels Unmöglich; die rote Linie der Slowakei ist das unverzichtbare Minimum Spaniens. Und jeden Tag wird diese Kakophonie nationaler Demokratien Beute der transnationalen Supermacht der Märkte.
Dabei scheinen die Parlamentarier jedes Landes nur in einem übereinzustimmen:
Redner für Redner, einschließlich dem Fraktionschef der Grünen, erhob sich, um darauf zu bestehen […] dass jede neue finanzielle Verpflichtung Deutschlands zur Rettung der Eurozone „hier, im Deutschen Bundestag“ debattiert und beschlossen werden muss. Höre ich da ein affektiertes „Hört, hört!“ von den Hinterbänken der Conservative Party? An beiden Orten ist es vollkommen klar, dass die demokratische Legitimität für europäische Entscheidungen von den nationalen Parlamenten, nicht dem Europäischen Parlament kommt.
Getrieben von nationalen Interessen
Getrieben werden die nationalen Parlamentarier dabei aber von nationalen Öffentlichkeiten, die leider jeweils unterschiedliche nationale Interessen generieren. Timothy Garton Ash macht das an Merkels Bundestagsrede fest, die nur so vor Affronts gegen andere europäische Mitgliedstaaten strotzte. Zunächst fordert sie eine ständige „Überwachung“ für Griechenland („Man bedenke für einen Moment, wie sich dieses deutsche Wort in griechischen Ohren, mit den griechischen Erfahrungen anhört“, schreibt Garton Ash); dann lehnt sie die von Frankreich geforderte Einbindung der EZB in den Euro-Rettungsfonds ab; schließlich verlangt sie eine EU-Vertragsreform, die ihrer Meinung nach in wenigen Monaten erledigt sein könnte, obwohl sie wissen müsste, dass es für die britische Regierung bei einer Vertragsreform kaum vermeidbar wäre, angesichts des öffentlichen Drucks noch weitere Forderungen nach einer Neudefinition des Verhältnisses zwischen Großbritannien und der EU zu stellen.
Getrieben werden die nationalen Parlamentarier dabei aber von nationalen Öffentlichkeiten, die leider jeweils unterschiedliche nationale Interessen generieren. Timothy Garton Ash macht das an Merkels Bundestagsrede fest, die nur so vor Affronts gegen andere europäische Mitgliedstaaten strotzte. Zunächst fordert sie eine ständige „Überwachung“ für Griechenland („Man bedenke für einen Moment, wie sich dieses deutsche Wort in griechischen Ohren, mit den griechischen Erfahrungen anhört“, schreibt Garton Ash); dann lehnt sie die von Frankreich geforderte Einbindung der EZB in den Euro-Rettungsfonds ab; schließlich verlangt sie eine EU-Vertragsreform, die ihrer Meinung nach in wenigen Monaten erledigt sein könnte, obwohl sie wissen müsste, dass es für die britische Regierung bei einer Vertragsreform kaum vermeidbar wäre, angesichts des öffentlichen Drucks noch weitere Forderungen nach einer Neudefinition des Verhältnisses zwischen Großbritannien und der EU zu stellen.
Sind noch irgendwelche europäischen Partner übrig, die [Merkel] vergrätzen könnte, um die eigenen deutschen Wähler davon zu überzeugen, die Hälfte von dem zu tun, was notwendig ist? Ach ja, es wird nötig sein, harte und durchgreifende Maßnahmen gegenüber Staaten zu ergreifen, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Eurozone dauerhaft brechen … „und Griechenland ist nicht der größte“. Der ist für dich, caro Silvio.
Nationale Europadebatten sind noch keine europäische Öffentlichkeit
Eigentümlicherweise aber ist die Kolumne von Garton Ash mit der Überschrift versehen, diese nationalen Europa-Debatten seien genau das, was wir brauchen. Er bezieht sich damit darauf, dass die Europapolitik verstärkt Thema der öffentlichen Aufmerksamkeit werden muss und dass deshalb auch europapolitische Referenden über eine Vertragsreform durchaus wünschenswert sind. Sie würden, so Garton Ash, eine Auseinandersetzung auslösen, in der sich letztlich die besseren Argumente derer durchsetzen würden, die eine Fortsetzung der europäischen Integration befürworten.
Eigentümlicherweise aber ist die Kolumne von Garton Ash mit der Überschrift versehen, diese nationalen Europa-Debatten seien genau das, was wir brauchen. Er bezieht sich damit darauf, dass die Europapolitik verstärkt Thema der öffentlichen Aufmerksamkeit werden muss und dass deshalb auch europapolitische Referenden über eine Vertragsreform durchaus wünschenswert sind. Sie würden, so Garton Ash, eine Auseinandersetzung auslösen, in der sich letztlich die besseren Argumente derer durchsetzen würden, die eine Fortsetzung der europäischen Integration befürworten.
Hoffen wir, dass das kein überzogener Optimismus ist. Schon Jürgen Habermas musste feststellen, dass es einen herrschaftsfreien Diskurs, in dem sich am Ende die besten Argumente durchsetzen, in der vermachteten Realität leider nicht gibt. Solange unsere Europadebatten wirklich nur national bleiben, werden sie immer von nationalen Politikern dominiert sein, die ihre eigenen national geprägten Vorstellungen davon haben, in welche Richtung sich die Europäische Union entwickeln soll. Eine Vertragsreform aber kann es immer nur zu 27 geben, und sie kann niemals alle nationale Interessen befriedigen, sondern allenfalls, wenn man Glück hat, das gemeinsame europäische. Was wir also brauchen, ist eine gesamteuropäische Debatte – und die bekommen wir nicht über die nationalen Parlamente, sondern nur über das europäische, nicht durch nationale Referenden über eine Vertragsreform, sondern höchstens durch ein gesamteuropäisches.