25 Juli 2024

Was eine Kandidatur – und Regierung – von Kamala Harris für die amerikanische Europapolitik bedeuten könnte

Von Cordelia Buchanan Ponczek
Kamala Harris at the 2023 Munich Security Conference
Sie könnte die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten sein – was müssen Europäer:innen über sie wissen?

Die europäischen Länder haben den Verlauf der US-Wahlen mit zunehmender Besorgnis verfolgt. Die Entscheidung von Präsident Joe Biden am Sonntagabend, auf eine Kandidatur zu verzichten und seine derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris zu unterstützen, führte zu überraschten und interessierten Reaktionen. Die Europapolitik von Präsident Biden und Ex-Präsident Donald Trump ist bekannt und wird entweder geschätzt oder gefürchtet. Das Einspringen der in Europa relativ unbekannten Harris hat der US-Wahl hingegen eine neue Dimension der Unsicherheit verliehen.

Dieser Artikel stellt dar, wie Harris’ Perspektive für die Beziehungen zu Europa aussehen könnte. Ihr Hintergrund gibt einige Hinweise darauf, wie sie ihre Außenpolitik führen würde und was europäische Politiker:innen und Entscheidungsträger:innen erwarten könnten, wenn sie die Nominierung und die Präsidentschaft gewinnt. Angesichts ihrer begrenzten Erfahrung in der Außenpolitik ist anzunehmen, dass sie weitgehend den von Biden eingeschlagenen Weg fortsetzen und sich auf die Expertise ihrer Berater:innen verlassen wird, die aus den früheren Regierungen von Barack Obama und Bill Clinton bekannt sind.

Harris in Kürze

Kamala Harris ist die erste Frau, erste Schwarze und erste asiatisch-amerikanische Frau, die das Amt der US-Vizepräsident:in bekleidet. Harris stammt ursprünglich aus Kalifornien und hat einen juristischen Hintergrund. Sie war Bezirksstaatsanwältin von San Franciso und Generalstaatsanwältin von Kalifornien, bevor sie 2016 einen Sitz im US-Senat gewann. Es war dieselbe Wahl, bei der Donald Trump Präsident wurde.

Ihre Amtszeit als kalifornische Senatorin verbrachte Harris in Opposition zu vielen Trump-Politiken. Anschließend kandidierte sie bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei für die Wahl 2020 und wurde nach ihrem Ausscheiden Vizepräsidentschaftskandidatin von Joe Biden. Während des erfolgreichen Wahlkampfs 2020 wurde Harris durch ihre scharfe Vizepräsidentschaftsdebatte mit Trumps Kandidaten Mike Pence bekannt.

Juristischer Hintergrund

Als Bezirksstaatsanwältin führte Harris eine Kampagne für ein hartes Vorgehen gegen Kriminalität, wobei sie sich besonders kritisch gegenüber Strafnachlässen bei häuslicher Gewalt äußerte und sich dafür einsetzte, den Waffenbestand in San Francisco zu verringern. Ihre politisch linken Überzeugungen wurden in der Schaffung neuer Einheiten zur Bearbeitung von Umweltverbrechen und zur Bearbeitung von Hassverbrechen gegen LGBT+-Personen deutlich. Als Generalstaatsanwältin von Kalifornien setzte sich Harris für die Durchsetzung von Datenschutz gegenüber Big-Tech-Unternehmen ein, vertrat eine positive Haltung zur aktiven Förderung von Minderheiten (affirmative action) und verfolgte große Umweltverbrechen wie Ölverschmutzungen und Emissionsmeldungen.

Während Harris in vielen Fragen der allgemeinen demokratischen Parteilinie folgte, setzte sie sich teils auch gegen Widerstände in in ihrer eigenen Partei durch: So vertrat sie als Bezirksstaatsanwältin in San Fransisco eine strikte Haltung gegen die Todesstrafe. Auch als mehrere schwierige Fälle zu politischem Druck langjähriger Demokrat:innen, einschließlich der US-Senatorinnen Dianne Feinstein und Barbara Boxer, zugunsten der Todesstrafe führten, blieb Harris standhaft.

Im Umgang mit Big Tech, Datenschutzgesetzen, Emissionen und Umweltgesetzen könnte eine Harris-Außenpolitik also eine gemeinsame Basis mit der Europäischen Union finden, auch wenn ihr im Vergleich mit Biden teils eine lockerere Haltung gegenüber Big Tech zugeschrieben wird. Im Allgemeinen ist die EU den USA voraus, wenn es darum geht, Big Tech in die Schranken zu weisen, die Privatsphäre der Nutzer:innen zu schützen und umweltfreundliche Gesetze zu erlassen. Es wäre möglich, dass Harris auf ihre Erfahrungen als Staatsanwältin zurückgreift, um auch im US-Rechtssystem einen höheren Schutz zu verankern.

Im US-Senat

Wie Barack Obama war auch Harris nur kurz Mitglied im US-Senat, sodass sich nur recht wenig aus ihrem Abstimmungsverhalten ableiten lässt. Aus ihrer Zeit als Senatorin lassen sich zwar einige kleine Hinweise auf ihre politischen Initiativen und Interessen ableiten, doch als Oppositionspolitikerin bestand ihre Rolle hauptächlich in der Ablehnung der Maßnahmen der Trump-Regierung. In Anhärungen fiel sie dabei durch ihre scharfen – zuweilen aggressiven – Fragen an Zeug:innen und Beamte auf. Während des Amtsenthebungsverfahrens gegen Trump betonte sie ihren Glauben an die Integrität der Rechtsstaatlichkeit im US-Justizsystem, in dem niemand über dem Gesetz stehe, und stimmte für die Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Trump wegen Machtmissbrauchs und Behinderung des Kongresses.

Als Mitglied des Geheimdienstausschusses des Senats sammelte Harris Erfahrung mit dem Erhalt, der Verarbeitung und dem Umgang mit geheimen Informationen, die den meisten anderen Abgeordneten oder US-Bürger:innen nicht zugänglich waren. Zudem war sie Mitglied des Ausschusses für Innere Sicherheit, eine weitere Parallele zu Ex-Präsident Barack Obama.

Eines der großen Themen, zu denen Harris als Senatorin beigetragen hat, waren der DREAM Act, der Einwander:innen ohne Papiere die Möglichkeit zur Einbürgerung in den USA gibt. Im Vorwahlkampf 2020 versprach sie zudem Maßnahmen zur Waffenkontrolle. Zusammen mit Kirsten Gillibrand und Marco Rubio forderte Harris die Trump-Regierung auf, die Verfolgung von Uigur:innen in China zu untersuchen.

Als Vizepräsidentin

Vor ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin lag Harris’ Schwerpunkt im Justizwesen, nicht in der Außen- oder Verteidigungspolitik. Nach ihrer Wahl setzte sie bei der Festlegung ihres außenpolitischen Kurses deshalb größtenteils auf Bidens Führung sowie auf ihre außenpolitischen Berater:innen. Man kann davon ausgehen, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird.

Während Bidens Amtszeit im Weißen Haus ist Harris allerdings mehrfach für ihn bei Veranstaltungen im Ausland eingesprungen. So nahm sie am ASEAN-Gipfel 2023 in Indonesien teil, wo sie die US-Politik der Risikoreduzierung gegenüber China erläuterte. Zuvor hatte sie den chinesischen Staatschef Xi Jinping bereits 2022 in Bangkok beim Gipfel der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) getroffen. 2022 besuchte Harris auch die Münchner Sicherheitskonferenz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. 2024 vertrat sie Biden erneut auf der Münchner Sicherheitskonferenz sowie im Juni auf dem Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz. Ähnlich wie Biden setzte sich auch Harris für die Ukraine ein. Zudem betonte sie wiederholt die Bedeutung einer globalen Rolle der USA – in scharfem Gegensatz zum Isolationismus der Trump-Kampagne, insbesondere von Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance.

Harris’ Berater:innen

Um den möglichen außenpolitischen Kurs, den eine Harris-Regierung einschlagen könnte, und seine Auswirkungen auf Europa zu verstehen, ist für europäische Beobachter:innen auch Harris’ Beraterstab wichtig.

Ihr wichtigster nationaler Sicherheitsberater als Vizepräsidentin war Philip Gordon. Gordon ist ein Europaexperte und war zuvor stellvertretender Staatssekretär für europäische und eurasische Angelegenheiten unter Außenministerin Hillary Clinton. Zu seinem Tätigkeitsfeld gehörten die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den USA und Europa, insbesondere Mittel- und Osteuropa und der postsowjetischen Raum. (Sein Vorgänger und seine Nachfolgerin in dieser Rolle waren zwei andere bekannte Personen: die Botschafter:innen Daniel Fried und Victoria Nuland.)

Nach seinem Dienst unter Ministerin Clinton war Gordon in der Obama-Regierung Sonderberater des Präsidenten und Koordinator des Weißen Hauses für den Nahen Osten, Nordafrika und die Region des Persischen Golfs. Zuvor war er während der Clinton-Regierung Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat. In der Biden-Regierung war Gordon zunächst stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater, während Nancy McEldowney Nationale Sicherheitsberaterin der Vizepräsidentin war, als sie im März 2022 zurücktrat, übernahm Gordon als Harris’ neuer Berater.

Gordon verfügt über umfangreiche Erfahrungen mit Think Thanks und Politikberatungsinstituten. So war er beim Council on Foreign Relations tätig und hatte Positionen bei Brookings, IISS, der deutschen DGAP sowie bei INSEAD und SciencesPo in Frankreich inne. Er hat mehrere Publikationen über den Nahen Osten, die NATO und Europa veröffentlicht.

Nancy McEldowney, Harris’ ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin, gehörte dem diplomatischen Dienst der USA an und war Direktorin des Foreign Service Institute, das US-Diplomat:innen aus- und weiterbildet. Sie arbeitete in US-Vertretungen in der Türkei und Aserbaidschan und war unter den Regierungen Bush und Obama US-Botschafterin in Bulgarien. Danach war sie erste stellvertretende Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten und anschließend Präsidentin der National Defense University. Wie Gordon verfügt auch McEldowney über Europa-Erfahrung aus der Clinton-Regierung, in der sie Direktorin für europäische Angelegenheiten im Stab des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses war. Sie hat Erfahrung mit der Rolle der US-Regierung in der NATO, in Europa und in der OSZE.

Die Berater:innen, mit denen sich Harris als Vizepräsidentin umgab, hatten also einen soliden Hintergrund in europäischen Themen und in den EU- und NATO-Beziehungen. Auch die Regierung Biden hat die Tür für die europäischen Verbündeten offen gehalten und die Bedeutung der Zusammenarbeit und des Angebots von Sicherheit und Kontinuität betont. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Harris-Kandidatur und -Regierung wesentlich von diesem Kurs abweichen würde.

Fazit: Weiter im Kurs

Auch wenn Biden nicht mehr kandidiert und das europäische Publikum angesichts der Aussicht auf eine relativ unbekannte Kandidatin beunruhigt sein könnte: Die gute Nachricht ist, dass Harris in Bezug auf Europa, wie auch in vielen anderen Bereichen, wahrscheinlich nicht allzu stark vom Ansatz der Biden-Regierung abweichen wird. Das beinhaltet auch die Annäherung an die Europäische Union und die Unterstützung der NATO. Harris wird wahrscheinlich die Unterstützung für die Ukraine fortsetzen, obwohl die Kapazität, die Dauer und die Mittel in hohem Maße von den Ergebnissen der Kongresswahl abhängen. Harris’ juristischer Hintergrund und ihre Erfahrung in den Bereichen Big Tech und Umweltrecht könnten Möglichkeiten bieten, die Politik in diesen Bereichen enger zu verzahnen.

Mit Blick auf das globale Engagement wird Harris für die USA wohl weiterhin eine wichtige Rolle sehen. Sie wird sich wahrscheinlich dafür einsetzen, die Unterstützung für Länder im asiatisch-pazifischen Raum weiter auszubauen. Ein Punkt, in dem sie voraussichtlich von Biden abweichen wird, ist Gaza – sowohl aus wahlstrategischen Gründen als auch aufgrund persönlicher Überzeugungen. Harris hat mehr Verständnis für die Notlage der Palästinenser:innen. Allerdings wird es für Biden eine außenpolitische Priorität sein, ein Friedensabkommen abzuschließen, bevor er aus dem Amt scheidet – zum einen, um sein Vermächtnis zu festigen, und zum anderen, damit Harris ihre Regierung nicht mit diesem schwierigen Thema beginnen muss. Da Harris’ Chefberater Gordon ebenfalls über umfangreiche Erfahrungen im Nahen Osten verfügt, könnte es neben den Beziehungen zu Israel auch Initiativen zu anderen Entwicklungen geben.

Wenn sich Harris die Kandidatur sichert, sollten europäische Beobachter:innen zudem besonders auf ihre Entscheidung bei der Wahl einer Vizepräsidentschafts-Kandidat:in achten. Viele der derzeit diskutierten Namen sind außenpolitisch wenig erfahrene Gouverneur:innen von US-Bundesstaaten. Senator Mark Kelly aus Arizona, ein ehemaliger Astronaut und Marineflieger mit Erfahrung im Golfkrieg, könnte jedoch ein außen- und verteidigungspolitisches Flair in die Kandidatur mit einbringen.

Dieser gesamte Artikel ist mit großen Vorbehalten versehen: wenn Harris die Nominierung erhält (was zunehmend wahrscheinlich erscheint), abhängig von ihrer Vizepräsident:in und ihren Berater:innen, und vor allem: falls Harris gewinnt. Aber er bietet einen Ausgangspunkt für ein europäisches Publikum, um Harris besser zu verstehen und nachvollziehen zu können, wie sich ihr Ansatz in den kommenden Wochen und Monaten weiterentwickeln wird.


Übersetzung: Manuel Müller.
Bilder: Harris bei der Münchner Sicherheitskonferenz: MSC/Kuhlmann [CC BY 3.0 DE], via Wikimedia Commons; Porträt Cordelia Buchanan Ponczek: Finnish Institute of International Affairs [alle Rechte vorbehalten].

24 Juli 2024

What a Kamala Harris candidacy – and administration – could mean for policy towards Europe

By Cordelia Buchanan Ponczek
Kamala Harris at the 2023 Munich Security Conference
She could be the next President of the United States – here is what Europeans need to know about her.

European countries have been watching the US election season unfold with increasing apprehension. So President Joe Biden’s decision on Sunday night to step aside and endorse his current Vice President, Kamala Harris, elicited reactions of surprise and curiosity. President Biden’s and Former President Donald Trump’s respective policies towards Europe are well-known and revered or feared; by contrast, the addition of Harris – a relative unknown by European standards – has added a new dimension of uncertainty to the US election.

Europeans do not yet properly know Harris, but this article will introduce her potential perspective on the relationship with Europe. Harris’s background gives some indication on how she might treat foreign policy and what European policymakers and leaders could expect, should she win the nomination and the presidency. Ultimately, because she has less experience in foreign policy, we can expect her to stick mostly to the path Biden has set, and to rely on the expertise of her advisors, who are well-known from the previous administrations of Barack Obama and Bill Clinton.

Harris, in brief

Kamala Harris is the first woman, Black woman, and Asian-American woman, to hold the position of vice president. Originally from California, Harris’s background is in law. She served as the district attorney of San Franciso and Attorney General of California before winning a seat in the US Senate in 2016; it was the same election that Donald Trump won.

Harris spent her term as a California senator in opposition to many Trump policies. She then ran in the Democratic primary for the 2020 election and, after dropping out, she was added to Biden’s ticket. During the successful 2020 campaign, Harris became known for her sharp vice-presidential debate with Trump’s running-mate, Mike Pence.

Legal Background

As district attorney, Harris ran a tough-on-crime campaign, especially critical of domestic violence plea-bargains, and pledged to help cut back on San Fransisco’s gun supply. Showing her leftist streak, she created a unit to handle environmental crimes and a unit to handle hate crimes against LGBT+ individuals. As California’s Attorney General, Harris took strong positions with Big Tech on privacy; a positive position on affirmative action; and chased large environmental crimes, like oil spills and emissions reporting.

While Harris followed the general Democratic party line on many issues, she has shown herself to be strong in the face of resistance from her own party: During her time as district attorney in San Fransisco, Harris took a strictly no-death-penalty stance. Several tough cases resulted in political pressure from long-term Democrats, including US Senators Dianne Feinstein and Barbara Boxer, to pursue the death penalty, but Harris held firm.

Her pursuit of Big Tech, privacy laws, emissions and environmental laws might be places where a Harris foreign policy could find common ground with the European Union, though some say she might go easier on Big Tech than Biden. Generally, the European Union has been ahead of the United States on reeling in Big Tech, promoting privacy for users, and enacting pro-environmental legislation. It would be possible that Harris would return to some of her legal routes to enshrine high protection within the US legal system.

Time in the US Senate

Like Obama, Harris’s time and track-record in the US Senate is short. There are some small indicators of her policy initiatives from her time as a Senator during the Trump administration, but her time was largely spent in opposition to the Trump administration’s policies. She was known for her sharp – at times aggressive – questioning of witnesses and officials during hearings. Turning the proceedings to impeach Trump, Harris spoke to her belief of the integrity of the rule of law in the US justice system, asserting that no one was above the law. Harris voted to convict former President Trump on charges of abuse of power and obstruction of Congress.

Harris served on the Senate Intelligence Committee, which means that she has experience receiving, processing, and acting on highly classified information not available to most other legislators or US citizens. She also served on the Homeland Security Committee, something else she shares in common with former President Barack Obama.

Some big topics that Harris contributed to were the DREAM Act, which was a way for undocumented immigration to become US citizens; and as a senator running for office she promised action on gun control. Along with Kirsten Gillibrand and Marco Rubio, Harris called for the Trump administration to investigate the persecution of Uyghurs in China.

Time as Vice President

Harris’s pre-VP experience is in law, not foreign policy or defense. During her time as vice-president, she has relied in large part on Biden’s lead as well as foreign policy advisors to chart her course. Onlookers could expect that to continue.

In several instances during Biden’s tenure in the White House, Harris has stepped in for him at overseas events, including the 2023 ASEAN summit, in Indonesia, where she commented on US policy of de-risking from China; she has previously met Chinese leader Xi Jinping in Bangkok, at the 2022 Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) summit. In 2022, Harris also attended the Munich Security Conference, which was held after Russia invaded Ukraine. She represented Biden again at the 2024 Munich Security Conference and at the Ukraine peace summit in Switzerland in June. Similar to Biden, Harris showed her dedication to the Ukrainian cause. She also reinforced the importance of the US to have a global role – this is in sharp contrast to the isolationism coming from the Trump campaign, especially Trump’s VP pick, J. D. Vance.

Harris’s advisors

To help understand the possible foreign policy directions a Harris administration could take, and the impact on Europe, it is important for European onlookers to take note of Harris’s advisory staff.

Her chief national security advisor as VP has been Philip Gordon. Gordon is an expert on Europe, and previously served as Assistant Secretary of State for European and Eurasian Affairs under Secretary of State Hillary Clinton. His portfolio tasks included business and political linkages between Europe and the United States, especially in Central and Eastern Europe and the post-Soviet space. (He was preceded and succeeded by two familiar names: Ambassador Daniel Fried and Victoria Nuland.)

After serving with Secretary Clinton, in the Obama administration, Gordon was a Special Assistant to the President and the White House Coordinator for the Middle East, North Africa, and the Persian Gulf Region. He also served as the Director for European Affairs at the National Security Council during the Clinton Administration. Initially, Gordon joined the Biden administration as a Deputy National Security Advisor, with Nancy McEldowney as National Security Advisor to the Vice President; when she stepped down in March 2022, Gordon took over as Harris’s new advisor. Gordon has extensive think thank and policy experience. He served at the Council on Foreign Relations, and has held positions at Brookings, IISS, the German DGAP, as well as INSEAD and SciencesPo in France. He has written extensively on the Middle East, NATO and Europe.

Nancy McEldowney, Harris’s former National Security Advisor, was a part of the US diplomatic service and director of the Foreign Service Institute, which educates and trains US diplomats. She served at US missions to Turkey and Azerbaijan, and was the US Ambassador to Bulgaria under the Bush and Obama administrations. She then took up a position as the Principal Deputy Assistant Secretary of State for European Affairs and then president of the National Defense University. Like Gordon, McEldowney also has experience on Europe from the Clinton administration: she was as Director of European Affairs on the White House National Security Council Staff. She has experience on US government engagement with NATO, Europe and the OSCE.

Harris’s vice-presidential advisors had robust background on European topics and in making linkages with the EU and NATO. The Biden administration has also kept the door open for European allies and has prioritized the importance of working together and offering security and continuity. There is unlikely to be a significant deviation from that were a Harris candidacy and administration come to pass.

Conclusion: Steady on

While it might not be Biden running anymore and while a European audience might feel consternation looking at the prospect of a relative unknown, the good news is that on Europe, as with many other things, Harris is unlikely to deviate too sharply from the approach of the Biden administration, which included rapprochement towards the European Union and support for NATO. Harris is likely to continue support for Ukraine, although the capacity, duration, and means depends to a large degree on results in the legislative branch. Harris’s legal background and experience on Big Tech and environmental law issues might offer opportunities to knit together closer policies on those topics.

As Europe looks to the US global engagement, it is likely that Harris will continue to see a role for US engagement abroad. She is likely to advocate continuing to build up support for countries in the Asia-Pacific. One place that she is likely to break with Biden is on Gaza – both as a point of electoral strategy and a personal preference. Harris has been more sympathetic to the plight of Palestinians – though it will be a foreign policy priority for Biden to close out a peace deal before he leaves office, in part to solidify his legacy and in part to save Harris from needing to start off her administration on that tough issue. Harris’s chief advisor, Gordon, also has a wealth of experience on the Middle East, so in addition to the relationship with Israel, there might be other developments.

If Harris secures the candidacy, a final thing for the European audience to watch is her pick of a running mate. Many of the top names are current governors of US states with little foreign policy experience, but Senator Mark Kelly, from Arizona, a former astronaut and naval aviator with experience in the Gulf War, might bring some foreign policy and defense gusto to the ticket.

There are large caveats throughout this entire article: if Harris secures the nomination (seeming more likely by the hour); depending on her vice president and advisors, and the biggest: IF Harris wins. But these are some ways for a European audience to begin to better understand Harris and track how her approach could develop in the coming weeks and months.


Pictures: Harris at the Munich Security Conference: MSC/Kuhlmann [CC BY 3.0 DE], via Wikimedia Commons; portrait Cordelia Buchanan Ponczek: Finnish Institute of International Affairs [all rights reserved].

16 Juli 2024

EU to go: Europa und Frankreich nach den Wahlen – zwischen Rechtsruck und Erleichterung

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur Europapolitik. Einmal im Monat analysieren Moderatorin Thu Nguyen und ihre Gäste in 20 bis 30 Minuten ein aktuelles Thema.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Die Europawahlen liegen nun schon über einen Monat zurück. In einigen Mitgliedsländern wie Deutschland oder Frankreich, haben die rechten Parteien stark gewonnen. Noch am selben Wahlabend ließ Präsident Macron die Bombe platzen und rief zu Neuwahlen für die französische Nationalversammlung auf. Knapp vier Wochen später erreichte das französische Linksbündnis einen überraschenden Sieg. Doch was bedeuten diese jüngsten Wahlergebnisse in Frankreich für die künftige politische Ausrichtung der EU?

Thu Nguyen, Johannes Lindner und Nils Redeker analysieren die Wahlergebnisse in Frankreich und der EU, diskutieren die neuen politischen Prioritäten und werfen einen Blick auf die kommenden Herausforderungen für die Europäische Union. Was wird wichtig für die nächste EU-Kommission, und wie wird ihre Agenda den künftigen Kurs Europas maßgeblich bestimmen?

03 Juli 2024

What a far-right government in France would mean for the EU

By Manuel Müller
Jordan Bardella in the European Parliament

Jordan Bardella (RN/ID) could be the next French prime minister.

Nothing is decided yet. The far-right Rassemblement National (RN/ID) has won the most votes in the first round of the French legislative elections. But the margin was not quite as large as some polls had predicted, and second-round withdrawal alliances between the other parties could still prevent the RN from winning an absolute majority in the French parliament and thus from forming a government. But if such a government were to emerge, the consequences would be considerable – not only for France itself, but also for the European Union.

French dual leadership

In France’s semi-presidential system, executive power is shared between the directly elected president and the government elected by parliament. If the RN wins an absolute majority in parliament, there would be a so-called cohabitation in which the president – Emmanuel Macron (RE/–) until 2027 – and the government would belong to different parties. The head of government would most likely be RN leader Jordan Bardella.

This dual leadership would also be reflected in France’s representation at EU level. In the European Council, the body of the heads of state and government, Macron would continue to hold the French seat. In the Council, however, France would be represented by RN ministers.

Dispute over the French commissioner

While foreign policy is traditionally seen as a reserved domain of the president, competences are not always clearly delineated, especially in EU policy with its own special procedures. The first, immediate conflict would be the nomination of the French commissioner: Neither European nor French law is clear on whether the power to propose a name lies with Macron or the government.

The last time this happened was in 1999, when a new European Commission was appointed while in France there was a cohabitation between the RPR (close to the EPP) and the PS (PES). At that time, however, France was still allowed to nominate two commissioners, and the positions were shared between the RPR and the PS. Today, each member state has only one commissioner. While Macron has come out in favour of a second term for the current single market commissioner Thierry Breton (close to the RE), Bardella insists on deciding this issue himself.

Portfolios are allocated by the Commission president

The EU treaties are open on this issue: According to Art. 17 (7) TEU, the Council selects the commissioners “on the basis of the suggestions made by Member States”. The fact that the decision lies with the Council (and not the European Council) at first sight speaks in favour of Bardella’s claim that the right to make a proposal lies with the government rather than the president. Later in the nomination procedure, however, after the commissioners have received a vote of approval by the European Parliament, it is the European Council who formally appoints them, which the Macron camp uses as an argument in its favour.

Incidentally, however, both the Council and the European Council act by qualified majority when electing the Commission. This means that, in principle, France could be outvoted in this decision. If there is no agreement between the government and the president, it could therefore be the other governments who end up resolving this dispute. This would be unprecedented in the history of the EU institutions.

In any case, the influence of far-right parties on the Commission will remain very limited. Apart from France, only Italy and Hungary are likely to nominate far-right politicians as commissioners. Moreover, the distribution of portfolios within the Commission is the sole responsibility of the Commission president, who is likely to be Ursula von der Leyen (CDU/EPP). Even if an RN member were to be elected to the Commission, he or she would probably only be responsible for a relatively unimportant issue.

Legislation: Far-right blocking minority in the Council

More problematic is the role of the far-right parties in European legislation. The European Council, and therefore Emmanuel Macron, has no role to play here. Rather, the EU’s ordinary legislative procedure under Art. 294 TFEU, which is used for most EU policies, is a kind of ping-pong game between the European Parliament and the Council, in which France would in future be represented by RN ministers.

However, under the ordinary legislative procedure qualified majority voting applies in the Council: For a proposal to be adopted, it must be supported by at least 55% of the governments (i.e. 15 out of 27) representing at least 65% of the EU population. France could therefore be outvoted here, too.

More right-wing governments mean more right-wing compromises

But France would not be the only member state with a right-wing government, of course – in Italy, the Netherlands, Finland, Croatia, Hungary, the Czech Republic and Slovakia, member parties of the far-right European political groups ECR and ID are also involved in national government coalitions. Together with France, these governments represent just over 40% of the EU population and would therefore form a blocking minority in the Council. For the first time in the history of the EU, it would be impossible to adopt a European law without the agreement of at least one government with far-right participation.

In practice, this too would only be a gradual change. The Council does not usually vote strictly along party lines, and governments have never maintained a cordon sanitaire against the far right here anyway. But the more far-right governments there are, the more right-wing the compromises agreed by the Council will be. And as the second largest member state, France has a special weight.

Integration progress becomes even more difficult

On areas where unanimity is required and each member state has a veto, the presence of an RN government in the Council would have a more direct impact. This would include, for example, new military and financial aid to Ukraine or new sanctions against Russia or Belarus, as well as the next multiannual financial framework from 2028 and all relevant decisions on enlargement policy and institutional reforms.

After Hungary’s various attempts to block processes in recent years, the other member states now have some experience of the (more or less dubious) tricks that can be used to circumvent vetoes. A far-right French government would therefore not necessarily mean a halt to all development, but could possibly unleash new creativity in developing “differentiated” solutions.

However, the special weight of France as the second largest member state would come into play here, too. The German government, in particular, is likely to feel uneasy about pushing ahead with European integration without its traditional partner in the “Franco-German engine”. And when it comes to institutional reform, progress has recently been extremely slow anyway, even without the RN.

New conflicts over the primacy of European law

But the greatest potential for conflict between an RN government and the rest of the EU is likely to lie elsewhere – namely in the unity of the European legal community. In its European election manifesto, the RN made no secret of the fact that it wants to transform the EU into a pure confederation of sovereign states, in which not only would the Commission be completely disempowered, but also national law would take precedence over common European rules. At least in the area of migration policy, the RN even wants to impose the primacy of national law unilaterally by means of a national referendum.

Anyone who has followed the conflict in recent years between Poland’s far-right government (voted out of office in 2023) and its cangaroo constitutional court, on the one hand, and the European Court of Justice on the other, will find this pattern ominously familiar. The fundamental primacy of European law has been firmly embedded in the functioning of the EU for six decades. Challenging it unilaterally would inevitably lead to massive legal uncertainty, as French courts would be faced with the question of whether to follow the national or the European legal order – a kind of “internal Frexit”.

Against a net contributor, financial sanctions are of little help

As it did with Poland, the European Commission would probably react to this by starting infringement proceedings before the European Court of Justice, which could ultimately leaed to fines and periodic penalty payments against France. Unlike Poland, however, France is a net contributor to the EU. If the EU stops payments to France, an RN-dominated parliament could therefore respond by blocking French contributions to the EU budget.

This would be facilitated by the fact that France (unlike other member states) already votes on the payment of its EU contributions as part of the annual national budget law. This is actually not in line with European law: national EU contributions are not part of the national budget, but belong to the EU’s own resources, which are only collected by member states. The only reason this has not been a problem so far is that a majority in the French parliament has regularly voted in favour of fulfilling its obligation to pay the contributions.

If the RN were to change this, the EU would have a problem. Without an own financial administration, it would lack the means to take action against such a power play. This also highlights a major Achilles heel of the rule of law mechanisms that the EU has developed in recent years. Since they are all largely focused on financial sanctions, they have limited effect if the government of a net contributor country decides to play hardball.

For a referendum, the RN needs the president

Still, even if the RN comes to power this Sunday, it is unlikely that these conflicts will escalate immediately. In order to call a national constitutional referendum, which would be necessary for an anti-European judicial reform, the French government needs the approval of the president of the Republic – and that is Emmanuel Macron.

At least in the first few years, an RN government under Jordan Bardella would therefore still remain under the control of the national courts applying EU law. Things would only get really difficult if RN leader Marine Le Pen were to win the next French presidential election in 2027. Thus, the EU still has three years to prepare for the worst-case scenario. Whatever the outcome of Sunday’s election, it should not wait too long.

Picture: Jordan Bardella in the European Parliament: European Union 2022 – Source: EP, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons.

Was eine französische Rechtsaußenregierung für die EU bedeuten würde

Von Manuel Müller
Jordan Bardella in the European Parliament

Jordan Bardella (RN/ID) könnte der nächste französische Regierungschef sein.

Noch ist nichts entschieden: In der ersten Runde der französischen Parlamentswahl gewann das rechtsextreme Rassemblement National (RN/ID) zwar die meisten Stimmen. Doch der Vorsprung fiel nicht ganz so hoch aus wie in einigen Umfragen erwartet, und durch Bündnisse der anderen Parteien im zweiten Wahlgang könnte eine absolute Mehrheit des RN im Parlament und damit eine RN-Regierung noch verhindert werden. Aber wenn es doch dazu kommt, wären die Auswirkungen beträchtlich – und zwar nicht nur für Frankreich selbst, sondern auch für die Europäische Union.

Doppelköpfigkeit auf europäischer Ebene

Im semipräsidentiellen System Frankreichs ist die Regierungsmacht zwischen der direkt gewählten Präsident:in und der vom Parlament gewählten Regierung aufgeteilt. Gewinnt das RN eine absolute Mehrheit im Parlament, käme es zu einer sogenannten cohabitation, bei der der Präsident – bis 2027 Emmanuel Macron (RE/–) – und die Regierung unterschiedlichen Parteien angehören. Regierungschef würde aller Voraussicht nach RN-Chef Jordan Bardella.

Diese Doppelköpfigkeit würde sich auch in der Repräsentation Frankreichs auf EU-Ebene widerspiegeln. Im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschef:innen, würde weiterhin Macron den französischen Sitz einnehmen. Im Rat hingegen wäre Frankreich künftig durch die RN-Minister:innen vertreten.

Streit um das französische Kommissionsmitglied

Die Außenpolitik gilt dabei zwar traditionell als Domäne der Präsident:in. Allerdings sind die Kompetenzen nicht in allen Fällen klar abgegrenzt – zumal in der Europapolitik mit ihren eigenen, besonderen Verfahren. Zum ersten, unmittelbaren Konflikt käme es gleich bei der Nominierung des französischen Kommissionsmitglieds: Weder aus dem europäischen noch aus dem französischen Recht geht eindeutig hervor, ob die Zuständigkeit dafür bei Macron oder bei der Regierung liegt.

Zum letzten Mal kam es zu einem solchen Fall im Jahr 1999, als ebenfalls eine neue Europäische Kommission ernannt wurde, während es in Frankreich eine Cohabitation zwischen RPR (EVP-nah) und PS (SPE) gab. Allerdings konnte Frankreich damals noch zwei Kommissionsmitglieder stellen, die RPR und PS untereinander aufteilten. Heute hingegen schlägt jedes Land nur noch eine Kommissar:in vor. Während sich Macron für eine zweite Amtszeit des derzeitigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton (RE-nah) ausgesprochen hat, besteht Bardella darauf, selbst über diese Personalie zu entscheiden.

Die Ressortverteilung liegt bei der Kommissionspräsident:in

Das Europarecht selbst ist in dieser Frage offen: Nach Art. 17 (7) EUV werden die Kommissionsmitglieder „auf der Grundlage der Vorschläge der Mitgliedstaaten“ ausgewählt – und zwar im Rat, was auf den ersten Blick für ein Vorschlagsrecht der Regierung spricht. Im letzten Schritt werden die Kommissionsmitglieder (nach einem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments) allerdings vom Europäischen Rat ernannt, was wiederum das Macron-Lager als Argument für sich nimmt.

Sowohl der Rat als auch der Europäische Rat handeln bei der Kommissionswahl übrigens mit qualifizierter Mehrheit, sodass Frankreich grundsätzlich auch überstimmt werden könnte. Kommt es innerhalb Frankreichs zu keiner Einigung auf einen eindeutigen Vorschlag, so könnte dieser Streitfall also womöglich zuletzt von den anderen Regierungen gelöst werden. Das wäre ein Novum in der Geschichte der EU-Institutionen.

So oder so wird der Einfluss von Rechtsaußenparteien auf die Kommission aber sehr begrenzt bleiben. Außer Frankreich werden voraussichtlich nur Italien und Ungarn Rechtsaußenpolitiker:innen als Kommissionsmitglied vorschlagen. Zudem liegt die Verteilung der Ressorts innerhalb der Kommission allein bei der Kommissionspräsident:in, voraussichtlich wieder Ursula von der Leyen (CDU/EVP). Selbst wenn ein RN-Mitglied in die Kommission gewählt würde, wäre es dort also voraussichtlich nur für ein relativ unwichtiges Thema zuständig.

Gesetzgebung: Rechtsaußen-Sperrminorität im Rat

Problematischer wird die Rolle der Rechtsaußenparteien in der europäischen Gesetzgebung. Hier spielen der Europäische Rat und damit auch Emmanuel Macron keine Rolle. Vielmehr ist das ordentliche Gesetzgebungsverfahren der EU (nach Art. 294 AEUV) eine Art Ping-Pong-Spiel zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat, in dem Frankreich künftig durch die RN-Minister:innen vertreten wäre.

Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, das für die meisten EU-Politikbereiche angewandt wird, gilt im Rat jedoch die qualifizierte Mehrheit: Damit ein Vorschlag angenommen wird, muss er von mindestens 55 % der Regierungen (also 15 von 27) unterstützt werden, die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren. Auch hier könnte Frankreich also grundsätzlich überstimmt werden.

Je mehr rechte Regierungen, desto rechter die Kompromisse

Allerdings wäre Frankreich ja nicht der einzige Mitgliedstaat mit einer rechten Regierung – auch in Italien, den Niederlanden, Finnland, Kroatien, Ungarn, Tschechien und der Slowakei sind Mitgliedsparteien der europäischen Rechtsaußenfraktionen EKR und ID an nationalen Regierungskoalitionen beteiligt. Gemeinsam mit Frankreich repräsentieren diese Regierungen etwas mehr als 40 % der europäischen Bevölkerung und hätten damit im Rat künftig eine Sperrminorität. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU wäre es unmöglich, einen europäischen Rechtsakt zu beschließen, ohne dass mindestens eine Regierung mit Rechtsaußen-Beteiligung ihm zugestimmt hat.

In der Praxis wäre auch dies nur eine graduelle Änderung: Im Rat wird in der Regel nicht strikt nach parteipolitischen Linien abgestimmt, und eine Brandmauer gegen Rechtsaußen gibt es hier schon heute nicht. Doch je größer der Anteil rechter Regierungen, desto weiter rechts fallen natürlich auch die Kompromisse aus, auf die sich der Rat einigt. Und Frankreich als zweitgrößter Mitgliedstaat spielt dabei eine besondere Rolle.

Integrationsfortschritte werden noch schwieriger

Unmittelbarer würde sich die Präsenz einer RN-Regierung im Rat auf die Bereiche auswirken, in denen das Einstimmigkeitsprinzip gilt und damit jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht hat. Dazu würden zum Beispiel neue Militär- und Finanzhilfen für die Ukraine oder neue Sanktionen gegen Russland oder Belarus gehören, aber auch der nächste mehrjährige Finanzrahmen ab 2028 sowie alle relevanten Beschlüsse in der Erweiterungspolitik und bei institutionellen Reformen.

Immerhin: Nach den ungarischen Blockadeversuchen der letzten Jahre haben die übrigen Mitgliedstaaten inzwischen eine gewisse Erfahrung, mit welchen (mehr oder weniger zweifelhaften) Tricks sich Vetos auch umgehen lassen. Auch eine französische Rechtsaußenregierung müsste deshalb nicht alle Entwicklungen zum Erliegen bringen, sondern könnte womöglich neue Kreativität bei der Entwicklung „differenzierter“ Lösungen freisetzen.

Aber auch hier kommt natürlich das besondere Gewicht Frankreichs als zweitgrößter Mitgliedstaat zum Tragen: Insbesondere die deutsche Bundesregierung dürfte sich unwohl fühlen, die europäische Integration ohne seinen traditionellen Partner im „deutsch-französischen Motor“ voranzutreiben. Und in Sachen institutionelle Reform verliefen die Fortschritte zuletzt ja auch ohne RN schon ausgesprochen schleppend.

Neue Konflikte um den Vorrang des Europarechts

Das größte Konfliktpotenzial zwischen einer RN-Regierung und dem Rest der EU dürfte aber noch einmal an anderer Stelle liegen – nämlich bei der Einheit der europäischen Rechtsgemeinschaft. Das RN machte in seinem Europawahlprogramm kein Geheimnis daraus, dass es die EU gern in einen reinen Staatenbund umwandeln würde, in dem nicht nur die Kommission vollständig entmachtet wird, sondern auch das nationale Recht Vorrang gegenüber gemeinsamen europäischen Regeln erhält. Wenigstens für die Migrationspolitik will das RN Letzteres sogar einseitig durch ein nationales Referendum durchsetzen.

Wer in den vergangenen Jahren den Konflikt zwischen der (2023 abgewählten) polnischen Rechtsaußenregierung bzw. dem von ihr kontrollierten polnischen Verfassungsgericht einerseits und dem Europäischen Gerichtshof andererseits mitverfolgt hat, dem wird dieses Muster unheilvoll bekannt vorkommen. Der grundsätzliche Vorrang des Europarechts ist seit sechs Jahrzehnten fest in der Funktionsweise der EU verankert. Ihn einseitig in Zweifel zu ziehen würde notgedrungen zu massiver Rechtsunsicherheit führen, da es die französischen Gerichte vor die Frage stellen würde, ob sie der nationalen oder der europäischen Rechtsordnung Folge leisten sollen – eine Art „EU-Austritt nach innen“.

Gegen ein Nettozahlerland helfen Finanzsanktionen wenig

Die Europäische Kommission würde in einem solchen Fall (wie schon gegenüber Polen) wohl mit einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof reagieren, das letztlich zu Strafzahlungen und Zwangsgeldern gegen Frankreich führen könnte. Allerdings ist Frankreich (anders als Polen) ein EU-Nettozahlerland. Wenn die EU Zahlungen an Frankreich einstellt, könnte ein RN-dominiertes Parlament deshalb darauf reagieren, indem es die französischen Beiträge zum EU-Haushalt blockiert.

Erleichtert würde dies dadurch, dass Frankreich (anders als andere Mitgliedstaaten) über die Auszahlung seiner EU-Beiträge schon heute jährlich im Rahmen des nationalen Haushaltsgesetzes abstimmt. Das ist eigentlich nicht europarechtskonform, da es sich bei den nationalen EU-Beiträgen nicht um einen Teil des nationalen Haushalts handelt, sondern um Eigenmittel der EU, die von den Mitgliedstaaten nur eingetrieben werden. Es war bislang nur deshalb unproblematisch, weil regelmäßig eine Mehrheit im französischen Parlament für die Auszahlung der Beiträge stimmte.

Sollte das RN das ändern, hätte die EU jedoch ein Problem: Ohne eine eigene Finanzverwaltung fehlen ihr die Möglichkeiten, um gegen ein solches Machtspiel vorzugehen. Damit zeigt sich eine wichtige Achillesferse der in den letzten Jahren entwickelten europäischen Rechtsstaatsmechanismen, die zum wesentlichen Teil auf Finanzsanktionen ausgerichtet sind – und deshalb gegen eine hart spielende Regierung eines Nettozahlerlandes nur begrenzt Wirkung entfalten können.

Für ein Referendum braucht das RN die Präsident:in

Dass diese Konflikte nach einer möglichen Regierungsübernahme des RN gleich in den nächsten Jahren eskalieren, ist allerdings unwahrscheinlich: Um ein nationales Verfassungsreferendum einzuberufen, das für eine europarechtsfeindliche Justizreform nötig wäre, braucht die französische Regierung die Zustimmung der Staatspräsident:in – und das ist Emmanuel Macron.

Wenigstens in den ersten Jahren stünde eine RN-Regierung unter Jordan Bardella also noch unter der Kontrolle der nationalen Gerichte. Wirklich hart auf hart käme es erst, wenn bei der nächsten französischen Präsidentschaftswahl 2027 die RN-Anführerin Marine Le Pen als Siegerin hervorgeht. Der EU bleiben noch drei Jahre, um sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Wie auch immer die Wahl am Sonntag ausgeht: Sie sollte damit nicht allzu lange warten.


Bild: Jordan Bardella im Europäischen Parlament: European Union 2022 – Source: EP, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons.

24 Juni 2024

FIIA-Podiumsdiskussion: Nach der Europawahl

Die Europawahl am 6.-9. Juni markierten den Beginn einer einschneidenden und voraussichtlich kontroversen Wahlperiode. In den nächsten fünf Jahren steht die EU vor einer schwierigen politischen Agenda – mit geopolitischen Herausforderungen, Verhandlungen über Erweiterung und interne Reformen, einem neuen mehrjährigen Finanzrahmen und anderen Projekten wie der grünen und digitalen Transformation und der Reform des Binnenmarktes. Gleichzeitig wird der Aufstieg rechtsextremer Parteien sowohl im Parlament als auch im Rat die Mehrheitsbildung erschweren.

In einer Podiumsdiskussion, die vom Finnish Institute of International Affairs (FIIA) in Zusammenarbeit mit dem Informationsbüro des Europäischen Parlaments in Finnland organisiert wurde, haben wir eine Woche nach der Wahl Bilanz der Ergebnisse gezogen und auf die kommenden Jahre vorausgeblickt. Welche neuen Mehrheiten werden sich herausbilden? Was werden die Prioritäten der nächsten Europäischen Kommission sein? Und wer ist im Rennen um die EU-Spitzenjobs?

Auf dem Podium waren Jarmo Oikarinen (Leiter des EP-Informationsbüros), Hanna Tuominen (Universität Helsinki), Totti Sivonen (Eurooppalainen Suomi / Europäische Bewegung Finnland), Manuel Müller (FIIA) sowie Tuomas Iso-Markku (FIIA) als Moderator. Ein Videomitschnitt der englischsprachigen Veranstaltung ist hier zu finden.

FIIA panel discussion: After the European Parliament election

The European Parliament elections on 6-9 June marked the start of a crucial and likely contentious legislature. Over the next five years, the EU faces a tough political agenda – with geopolitical challenges, negotiations on enlargement and internal reform as well as a new long-term budget, and other projects such as the green and digital transformation and the reform of the single market. At the same time, the rise of far-right parties in both the Parliament and the Council will make it more difficult to build majorities.

In a panel discussion organised by the Finnish Institute of International Affairs (FIIA) in cooperation with the European Parliament Liaison Office in Finland, we take stock of the election results and look ahead to the next legislature: What new majorities will emerge? What will be the priorities of the next European Commission? And who is in the running for the EU’s top jobs?

The panel included Jarmo Oikarinen (head of the EP Liaison Office), Hanna Tuominen (Helsinki University), Totti Sivonen (Eurooppalainen Suomi / European Movement Finland), Manuel Müller (FIIA) as well as Tuomas Iso-Markku (FIIA) as chair. Here is a video recording of the event.