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Demokratie auf europäischer Ebene: Das finden (mit Ausnahme der AfD)
alle Parteien im Deutschen Bundestag eigentlich erst einmal gut.
Konkrete Vorschläge, um dieses Ziel zu erreichen, waren in der
deutschen politischen Debatte in den letzten Monaten jedoch kaum zu
hören. Im Bundestagswahlkampf spielte
die europäische Demokratie praktisch keine Rolle, und auch der
letzte
Stand der gescheiterten Jamaika-Sondierungsgespräche enthielt
dazu nur den dürren Satz: „Den
Rechtsstaatsmechanismus der EU wollen wir verbessern, die Kommission
in ihrer Rolle als Hüterin der Verträge stärken sowie die
Parlamentarisierung und Demokratisierung der EU fortsetzen.“
Dieses
vage Bekenntnis ist nicht genug. Seit Anfang des Jahres haben das
Europäische Parlament, die Europäische Kommission und die
französische Regierung jeweils eigene, ambitionierte Vorschläge zur
institutionellen Reform der EU unterbreitet. Die Gelegenheit für
echte Fortschritte in diese Richtung ist damit so
gut wie seit langem nicht mehr – aber sie wird ungenutzt
verstreichen, wenn nicht auch Deutschland seinen Beitrag dazu
leistet. Es ist deshalb an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen:
Wenn den deutschen Parteien wirklich an einem demokratischeren Europa
gelegen ist, dann müssen sie dieses schöne Schlagwort jetzt in
konkrete Maßnahmen übertragen.
Jetzt
ist der Bundestag gefordert
Gefordert
ist dabei auch und in erster Linie der Deutsche Bundestag. Denn es
ist zwar richtig, dass die Gestaltung der deutschen Europapolitik vor
allem Aufgabe der Bundesregierung ist. Doch diese ist seit der
Bundestagswahl nur
noch geschäftsführend im Amt. Sie trifft deshalb nach gängiger
politischer Praxis keine weitreichenden Entscheidungen mehr, die die
nachfolgende Regierung binden würden. Und nach dem Scheitern der
Jamaika-Gespräche sieht es so aus, als könnte es bis zur Ernennung
dieser Nachfolgeregierung noch eine ganze Weile dauern.
Der
Bundestag hingegen hat sich nach der Wahl bereits wieder neu
konstituiert und ist damit voll handlungsfähig. Soll Deutschland in
den nächsten Monaten eine mutige, gestaltende Europapolitik
verfolgen, dann führt der beste Weg dazu deshalb über das Parlament: Wenn
die Abgeordneten sie ausdrücklich zum Handeln auffordern, braucht in einer parlamentarischen Demokratie auch eine geschäftsführende Regierung sich nicht aus Rücksicht auf ihre Nachfolge
zurücknehmen.
Dreizehn
konkrete Vorschläge
Bereits
vor einigen Wochen hat ein Netzwerk europapolitischer Vereine
und Initiativen eine
Petition an den Deutschen
Bundestag verfasst, in dem sie die Abgeordneten dazu auffordern,
dreizehn spezifische Maßnahmen zur Stärkung der europäischen
Demokratie zu unterstützen. Den Anstoß zu dieser Petition gab die
Gruppe The European Moment,
zu
den weiteren Verfassern
und
Unterstützern zählen unter anderem die Jungen Europäischen
Föderalisten, European Alternatives, das European Democracy Lab, die
Europa-Union Deutschland sowie DiEM25. Und
auch ich selbst war an
der Formulierung der Petition beteiligt.
Der
volle Wortlaut ist auf einer eigens
dafür eingerichteten Homepage nachzulesen. Noch bis zum 14.
Dezember ist es außerdem möglich, die Petition auf
der Seite des Deutschen Bundestags online mitzuunterzeichnen.
Inhaltlich
zielt die Petition auf vier Themenschwerpunkte ab: die Stärkung des
Europawahlrechts, die Demokratisierung der EU-Institutionen, die
Sicherung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den
Mitgliedstaaten und eine größere Transparenz bei europapolitischen
Entscheidungen. Regelmäßigen
Lesern dieses Blogs werden viele der konkreten Forderungen, die
sich unter diesen Schwerpunkten verbergen, bereits bekannt vorkommen
– im Folgenden sollen die
dreizehn Vorschläge dennoch kurz erläutert werden.
Für
ein stärkeres Europawahlrecht
●
Als
erste Maßnahme fordert die Petition ein klares Bekenntnis
zum Spitzenkandidaten-Verfahren, bei
dem die europäischen Parteien vor der Europawahl
ihre
Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten benennen. Dieses
Verfahren, das bei
der Europawahl 2014 bereits zum ersten Mal angewendet wurde,
stärkt die europäischen Parteien und ist ein
wichtiger Schritt zu einer parlamentarischen Demokratie auf
europäischer Ebene. Da es auf Kosten der Macht des Europäischen
Rates geht, stößt es bei vielen nationalen Regierungen jedoch bis
heute auf Widerwillen. Auch die deutsche Bundesregierung hat sich
bis jetzt nicht klar dazu bekannt, dass es die europäischen
Spitzenkandidaten auch in Zukunft geben sollte. Es wird Zeit, das
sich das ändert.
●
Die
zweite Forderung bezieht
sich auf eine „europäische
Zweitstimme“ bei
der Europawahl: Die 73 Sitze im Europäischen Parlament, die durch
den britischen EU-Austritt frei werden, sollen künftig über
gesamteuropäische Wahllisten besetzt werden. Warum ich selbst das
für einen der wichtigsten Hebel überhaupt zur
Stärkung der europäischen
Demokratie halte, habe
ich hier
ausführlich
beschrieben.
●
Darüber
hinaus fordert die Petition langfristig die vollständige
Stimmgleichheit bei
Europawahlen. Um einen Sitz im Europäischen Parlament zu gewinnen,
sind in manchen EU-Mitgliedstaaten derzeit deutlich weniger Stimmen
nötig als in anderen. Dadurch entstehen nennenswerte Verzerrungen
zwischen Stimm- und Sitzanteil der europäischen Parteien, die
einer repräsentativen Demokratie nicht gut anstehen. Um
diesem Problem abzuhelfen, gibt es verschiedene Optionen. Eine davon
wäre, die europäische Zweitstimme für einen europäischen
Verhältnisausgleich zu nutzen – wie das funktionieren könnte,
habe ich hier
und hier
näher beschrieben.
Für
demokratischere und effektivere Institutionen
●
Der
zweite Themenblock betrifft die europäischen Institutionen. Dabei
fordert die Petition zunächst ein Initiativ-
und Mitentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments in allen
Gesetzgebungsverfahren.
Mit der Idee einer europäischen parlamentarischen Demokratie ist es
kaum vereinbar, wenn wichtige steuer- oder sozialpolitische
Entscheidungen in der EU allein durch einstimmigen Beschluss der
nationalen Regierungen im Ministerrat getroffen werden statt im
Europäischen Parlament.
●
Außerdem
sollen künftig die
Mitglieder der Europäischen Kommission allein durch das Europäische
Parlament gewählt und
nicht mehr von den nationalen Regierungen vorgeschlagen werden.
Außerdem soll das Parlament die Möglichkeit erhalten, die
Kommission durch ein konstruktives Misstrauensvotum abzulösen. Neben
den gesamteuropäischen Europawahllisten halte ich diesen Vorschlag
(wie ich hier
näher beschrieben habe) für den wichtigsten Ansatz für eine
dauerhafte Stärkung der europäischen Demokratie. Er würde eine
echte parlamentarische Verantwortlichkeit der Kommission bringen
–
und dadurch nicht nur den
Einfluss der europäischen Wähler auf die
Vergabe europapolitischer
Spitzenämter
verbessern,
sondern auch die institutionelle
Dynamik
der
EU insgesamt verändern.
●
Des
Weiteren setzt sich die Petition dafür ein, dass das
Europäische Parlament seinen Arbeitsort künftig selbst festlegt und
so die Möglichkeit bekommt, das regelmäßige Pendeln von Brüssel
nach Straßburg zu beenden. Dadurch ließe sich nicht nur viel Geld
und CO2
sparen.
Auch für den politischen Einfluss des Europäischen Parlaments ist
die räumliche Nähe zu den übrigen EU-Institutionen in Brüssel
sinnvoll.
●
Schließlich
fordert die Petition, dass die Europäische
Bürgerinitiative verbindlicher
werden soll. In ihrer aktuellen Form spielt
die Bürgerinitiative in
der europäischen Politik praktisch
kaum eine Rolle: Die
Hürden
dafür sind zu groß, die Effekte zu klein. Nur
mit einer sinnvollen Reform könnte dieses Instrument künftig für
eine echte direktdemokratische Bürgerbeteiligung nützlich werden.
Für
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten
●
Im
dritten Themenfeld geht es darum, wie Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten gesichert werden kann –
eine Frage, die vor allem durch
die Entwicklungen in Ungarn und Polen gerade besondere Dringlichkeit
hat. Die Petition fordert, dass Verstöße
gegen die europäischen Rechtsstaatsstandards künftig direkt vor dem
Europäischen Gerichtshof verhandelt werden können. Was
für
ein solches „systemisches Vertragsverletzungsverfahren“ spricht,
habe ich hier
und
hier
ausführlicher beschrieben.
●
Entscheidend
für die demokratische Kultur in den Mitgliedstaaten ist aber
natürlich die dortige Zivilgesellschaft. Die Petition will
deshalb,
dass die EU die Handlungsfähigkeit
der Zivilgesellschaft in
den Mitgliedstaaten stärker fördert.
●
Und
schließlich fordert die Petition alle Bundestagsparteien dazu auf,
sich innerhalb
ihrer jeweiligen europäischen Dachparteien für die Grundwerte der
EU einzusetzen.
Das betrifft natürlich vor allem die CDU/CSU, die in
der Europäischen Volkspartei bis heute mit der ungarischen Fidesz
zusammenarbeitet. Aber auch andere Parteien dürfen sich
angesprochen fühlen. So kooperiert zum Beispiel die SPD (SPE)
mit
der rumänischen Regierungspartei PSD, die zuletzt durch
Angriffe auf die
Unabhängigkeit der Justiz aufgefallen
ist,
die
FDP (ALDE)
mit
der
tschechischen ANO,
die
jüngst mit
einem europaskeptisch-populistischen Kurs die nationale
Parlamentswahl gewann.
Für
mehr Transparenz bei europäischen Entscheidungen
●
Im
letzten Themenfeld geht es um Transparenz. Dabei setzt sich die
Petition dafür ein, dass Sitzungen des Ministerrats und anderer
zwischenstaatlicher EU-Gremien künftig im
Internet live übertragen werden
– so wie das beim Europäischen Parlament und seinen Ausschüssen
schon lange der
Fall ist.
●
Des
Weiteren fordert die Petition ein verpflichtendes
Lobbyregister für
alle EU-Institutionen. Bislang gibt es nur ein freiwilliges
Transparenzregister
des Europäischen Parlaments und der Kommission. Ein Vorschlag
der Kommission, dieses Register verpflichtend zu machen und auch
auf den Rat auszuweiten, wurde von den nationalen Regierungen noch
nicht beantwortet.
●
Und
schließlich sollen auch die
Verhandlungsmandate für internationale Abkommen der EU künftig
veröffentlicht werden.
Mit dieser Forderung reagiert die Petition auf den langjährigen
Streit um TTIP und andere Freihandelsabkommen, bei denen die fehlende
Transparenz zu großem öffentlichem Misstrauen führte und die
Verhandlungen delegitimierte.
Jetzt
mitunterzeichnen
Natürlich
hat weder der Bundestag noch die Bundesregierung es allein in der
Hand, diese
dreizehn Forderungen zu verwirklichen. Aber
in der aktuellen politischen
Stimmung
können sie einen entscheidenden Beitrag leisten, um auch
auf europäischer Ebene den Ball ins Rollen zu bringen. Der erste
Schritt dazu muss sein, den
Vorschlägen zu einer demokratischeren EU im
deutschen Politikbetrieb größere
Sichtbarkeit zu verschaffen.
Und
dafür kann
die
Petition ein
geeignetes Mittel sein.
Wenn
eine Petition an den Deutschen Bundestag innerhalb von vier Wochen
von 50.000 Menschen unterzeichnet wird, so wird im
Petitionsausschuss in einer öffentlichen Sitzung darüber beraten.
Berechtigt zur Unterschrift ist dabei nach Art.
17 GG „jedermann“ – unabhängig von der Staatsangehörigkeit. In unserem Fall endet die Mitzeichnungsfrist am
14. Dezember 2017. Wer also in diesem Jahr noch schnell einen Beitrag
zu mehr europäischer Demokratie leisten möchte: Hier ist die
Gelegenheit dazu.
Die Petition kann hier auf der Homepage des Deutschen Bundestags online mitgezeichnet werden. Dafür ist es notwendig, sich mit Name und Anschrift zu registrieren. Das dauert aber nur wenige Minuten.
Alternativ gibt es auf der Homepage der Petition eine Vorlage für eine Unterschriftenliste. Diese kann auf Papier ausgedruckt, unterschrieben und bis zum Stichtag an die auf der Liste angegebene Adresse eingeschickt werden. |
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Bilder: The European Moment.