30 Oktober 2023

Vertragsänderungen – aber welche? Aktuelle EU-Reformvorschläge im Vergleich

Von Manuel Müller
Notizblock mit EU-Reformvorschlägen
Probleme, die vielen EU-Reformideen im Blick zu behalten? Hier ist eine Übersicht.

Die Debatte über EU-Vertragsreformen ist in vollem Gange. Etliche Arbeitsgruppen, Thinktanks und Expertengremien haben dazu in letzter Zeit Entwürfe und Vorschläge vorgelegtAngesichts der Vielzahl einzelner Ideen ist es allerdings nicht immer einfach, den Überblick zu behalten. In welchen Bereichen werden Reformen diskutiert, und wer hat dabei welche Vertragsänderung ins Spiel gebracht?

Ich habe deshalb eine Übersichtstabelle erstellt, die einen Vergleich zwischen den wichtigsten Reformentwürfen der letzten Jahre und Monate bieten soll. Es handelt sich dabei um ein Arbeitsdokument, das zunächst nur für meinen eigenen Gebrauch gedacht war. Aber vielleicht ist die Übersicht ja auch für andere nützlich, darum habe ich sie hier öffentlich zugänglich gemacht.

Sieben Reformpläne

Die Tabelle vergleicht sieben Entwürfe für institutionelle Reformen der EU, die seit 2013 von diversen Gremien vorgelegt wurden:

Im Einzelnen sind diese Entwürfe ganz unterschiedlicher Art: Manche sind offizielle Dokumente europäischer Institutionen, andere wurden von Thinktanks vorgelegt; manche sind ausformulierte Vertragsentwürfe, andere nur Auflistungen von Vorschlägen. Gemeinsam haben sie, dass sie jeweils eine umfassende Sammlung von institutionellen Reformansätzen bieten. Wenn in nächster Zeit noch andere entsprechende Reformentwürfe vorgelegt werden, werde ich die Übersicht entsprechend erweitern.

Die Tabelle listet für unterschiedliche Reformbereiche jeweils die in den Entwürfen vorgelegten Einzelvorschläge auf und nennt dazu die Fundstellen in den verlinkten englischsprachigen Originaldokumenten. Sie soll eine Übersicht über die wichtigsten Reformansätze geben, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Fokus liegt auf Reformen, die Vertragsänderungen notwendig machen.  Ergänzungs- oder Verbesserungshinweise sind jederzeit herzlich willkommen.


Bild: Notizblock mit EU-Reformvorschlägen: Manuel Müller [alle Rechte vorbehalten].

Changing the treaties – but how? Current EU institutional reform proposals in comparison

By Manuel Müller
Notepad with proposals for EU reforms
Having trouble keeping up with EU reform ideas? Here’s an overview.

The debate on reforming the EU treaties is once again gaining momentum. Working groups, think tanks and expert panels are writing drafts and proposals. With so many plans being put forward, however, it is easy to lose track of the multitude of individual ideas. In which areas are treaty reforms being discussed, and who has suggested which change?

To keep an overview, I have drawn up a table that compares the main reform proposals of recent years and months. It is a working document, initially intended for my own use only. But it may be useful to others, too, so I have made it publicly available here.

Seven reform plans

The compilation compares seven plans for EU institutional reform presented by different bodies since 2013:

These drafts are very different in nature: Some are official documents of European institutions, others have been presented by think tanks; some are fully formulated draft treaties, others are just lists of proposals. What they all have in common is that they offer comprehensive plans for institutional reform. As more such plans are presented in the near future, I will expand the compilation accordingly.

The table lists each draft’s proposals for specific reform areas (focusing mainly on institutional changes that require a treaty revision) and provides references to the linked original documents. While the table is intended to give an overview of the most important reform approaches, it doesn’t claim to be exhaustive. Suggestions for additions or improvements are always welcome.


Picture: Notepad with proposals for EU reforms: Manuel Müller [all rights reserved].

20 Oktober 2023

Das europapolitische Quartett: Neue Vorschläge zur Erweiterung und Reform der EU

Mit:
  • Minna Ålander, Finnish Institute of International Affairs, Helsinki
  • Carmen Descamps, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, Brüssel
  • Manuel Müller, Finnish Institute of International Affairs / Der (europäische) Föderalist, Helsinki
  • Julian Plottka, Universität Passau / Universität Bonn
  • Sophie Pornschlegel, Europe Jacques Delors, Brüssel
Dieses Gespräch entstand als Online-Chat und wurde redaktionell bearbeitet.
Hölzernes Getriebe
Damit auch eine erweiterte EU weiter funktionieren kann, ist es notwendig, ihr Getriebe zu überholen.

Manuel
Über institutionelle Reformen der EU wird schon seit der Eurokrise diskutiert, aber konkrete Vorstöße in diese Richtung blieben lange sehr zaghaft. Zuletzt hat sich das durch verschiedene Ereignisse geändert: Zum einen durch die Konferenz über die Zukunft Europas, die in ihrem Abschlussbericht im Mai 2022 mehrere Vorschläge für institutionelle Änderungen machte. Daran anschließend forderte das Europäische Parlament den Europäischen Rat im Juni 2022 offiziell auf, einen Konvent zur Vertragsreform einzuberufen. Jüngst im September hat eine Arbeitsgruppe des Verfassungsausschusses detailliert ausformulierte Änderungsvorschläge vorgelegt, über die in den nächsten Wochen erst im Ausschuss und dann im Parlamentsplenum diskutiert und abgestimmt werden soll.

Zum anderen hat der russische Angriff auf die Ukraine zu einer EU-Erweiterungsdebatte und in der Folge zu einer Diskussion darüber geführt, wie eine EU mit 30, 35 oder mehr Mitgliedern ihre Handlungsfähigkeit erhalten soll. Die deutsche und französische Regierung haben dazu im Januar 2023 eine Expertengruppe eingesetzt, die nun ebenfalls im September ihre Vorschläge vorgelegt hat. Später im Jahr will das deutsche Auswärtige Amt zu einer großen Europakonferenz einladen, um auch auf Regierungsebene voranzukommen.

Auch sonst tut sich einiges, zum Beispiel hat erst gestern eine „High-Level Group on bolstering EU Democracy“ der Thinktanks SWP und CEPS ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Debatte gewinnt also an Fahrt. Was haltet ihr von den Vorschlägen, die jetzt auf dem Tisch liegen?

Julian
Ich mag Deinen Optimismus, dass die Debatte an Fahrt gewinnt. Ich hoffe, Du hast Recht, sehe das aber noch nicht wirklich.

Die Debatte nimmt Fahrt auf

Sophie
Hallo zusammen! Schön, dass wir uns wieder treffen. Ich mach’s ganz kurz: Ich finde es sehr positiv, dass die Debatte Fahrt aufgenommen hat und konkrete Vorschläge vorgelegt wurden, die jetzt ernsthaft diskutiert werden können.

Aber es sind nur noch knapp acht Monate bis zur Europawahl, und ich fürchte, dass diese Reformvorschläge im Wahlkampf etwas untergehen werden. Die große Frage ist natürlich, ob nach der Europawahl die neue EU-Kommission und die nationalen Regierungen die Vorschläge weiter vorantreiben. Aber falls nach den polnischen Wahlen am letzten Sonntag Donald Tusk wieder an die Regierung kommt, könnte es tatsächlich sein, dass die EU-Reformen und die Erweiterungsdebatte konstruktiv weitergeführt werden.

Carmen
Ich stimme Julian und Sophie grundsätzlich zu, dass der neue Elan in der Reformdebatte zu begrüßen ist. An Vorschlägen mangelt es nun ja wirklich nicht, einerseits aus den Institutionen, andererseits aus den Hauptstädten und von diversen Thinktanks. Es ist sehr zu hoffen, dass dieses Momentum nun genutzt wird und nicht verpufft. Ich sehe hierin eine große Chance und würde mir wirklich wünschen, dass es zu diesen Reformen kommt. Was das genau beinhaltet, diskutieren wir ja sicher gleich noch.

Minna
Hallo auch von mir – ich kann heute leider nur zur ersten Hälfte unseres Gesprächs bleiben, weil ich gleich noch zu einer anderen Veranstaltung weiter muss.

In Finnland und Schweden spielt die Debatte um EU-Reformen momentan keine große Rolle im öffentlichen Diskurs; da ist noch alles überschattet vom NATO-Beitritt. Das könnte kontraintuitiv aber auch ein Vorteil sein: Wenn die EU in der öffentlichen Debatte nicht so präsent ist, gibt es vielleicht auch weniger Opposition zu Reformen.

Interessant ist die Rolle der Partei „Die Finnen“ in der Regierung: Einerseits sind sie europaskeptisch, andererseits ist der frühere Parteivorsitzende und jetzige Parlamentspräsident Jussi Halla-aho aber auch sehr pro-ukrainisch. Auch sonst gibt es allgemein starke Unterstützung für die Beitrittsperspektive der Ukraine – die könnte man in der Diskussion nutzen, um auch den Reformbedarf deutlich zu machen.

Eine Frage von Jahren – oder Jahrzehnten?

Julian
In der Sache ist es ja vollkommen richtig, dass eine Erweiterung der EU ohne grundlegende Reformen nicht möglich ist. Aber für eine zeitnahe Reform fehlt trotzdem der politische Druck. Wenn wir auf die Ukraine, Moldau und vielleicht bald Georgien schauen, reden wir über Zeithorizonte, die in Dekaden und nicht in Jahren zu messen sind – da lässt sich eine EU-Reform wunderbar auf die lange Bank schieben.

Denn was hat sich seit der Zukunftskonferenz geändert? Die Situation ist eher noch schwieriger geworden. Der mögliche Regierungswechsel in Polen wäre ein kleiner Lichtblick, aber den sehe ich eher in Bezug auf konkretes Policy-Making (zum Beispiel beim Klimaschutz) und weniger auf der Ebene Polity-Making.

Manuel
Als Zeithorizont für die Erweiterung hat Ratspräsident Charles Michel das Jahr 2030 ins Spiel gebracht. Klar, das ist sehr ambitioniert – aber wenn man es halbwegs ernst nimmt (was man sollte, um die Beitrittskandidaten nicht jetzt schon wieder vor den Kopf zu stoßen), muss die Debatte über die Vorbedingungen dafür quasi sofort beginnen.

In Berlin jedenfalls scheint man schon bis Ende dieses Jahres vorankommen zu wollen. Annalena Baerbock hat im September angekündigt, „noch vor dem Europäischen Rat im Dezember zu einer Europakonferenz nach Berlin ein[zu]laden, um genau das zu diskutieren, was die nötigen Schritte für uns in der Europäischen Union mit Blick auf die Erweiterung und die dafür zugrundeliegenden Reformen sind“.

Das Ziel ist also offenbar, noch rechtzeitig vor der Europawahl erste Pflöcke einzuschlagen, über die man dann diskutieren kann. Und übrigens höre ich auch aus Finnland, dass es dort gar nicht ungern gesehen würde, wenn es in der Debatte um Erweiterung und Reformen mehr „Leadership“ gäbe.

Gelegenheitsfenster

Sophie
Insgesamt ist die politische Situation sehr volatil – das kann bedeuten, dass sich auch auf einmal ein Gelegenheitsfenster öffnet und ganz schnell eine Erweiterung stattfinden soll, und dann ganz schnell auch Reformen mitgetragen werden. Das kann natürlich auch nach hinten losgehen und sehr negative Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der EU haben. Mein Punkt ist: Wir wissen nicht, welche politische Dynamik sich in den nächsten Jahren entwickelt, auch wenn es bisher nicht so scheint, als gäbe es viel politischen Willen für Reformen.

Die größte Gefahr ist aus meiner Sicht, dass es zu einer Erweiterung ohne Reformen kommt – was daraus hinauslaufen würde, dass die EU nicht mehr entscheidungsfähig ist.

Minna
Ja, da stimme ich Sophie zu. Es gibt sehr wohl die Möglichkeit, dass externe Ereignisse die EU einholen – und dann muss man einfach machen, ob die Debatte nun ausreichend geführt worden ist oder nicht. Das Resultat könnte dann klassisch suboptimal sein.

Manuel
„Failing forward“ nennt man das heutzutage... 😉

Julian
Ein solches Gelegenheitsfenster setzt aber ein Ende des Krieges in der Ukraine und eine Lösung mit festen Grenzen voraus. Die Bedingung, dass die EU keine Staaten mit (Grenz-)Konflikten aufnimmt, wird mit Sicherheit nicht aufgegeben – berechtigterweise. Allein das wird den Beitrittsprozess erheblich verzögern.

Der andere Grund, warum ich bei einer Zielmarke 2030 skeptisch bin, sind die Erfahrungen mit Bulgarien und Rumänien. Auch hier denke ich, dass das Diktum „keine Abkürzungen mehr“ erhalten bleibt. Nur noch sieben Jahre für die Reformen in der Ukraine ist echt knapp.

Andererseits stimme ich voll und ganz zu, dass ein längerer Zeithorizont auch die Gefahr erhöht, dass es zu Enttäuschungen und Reformermüdung in der Ukraine und Moldau kommt.

Die EU erweiterungsfähig machen

Manuel
Wenigstens bei der deutschen Bundesregierung scheint mir die Haltung sehr klar zu sein, dass man die Erweiterung ernst nimmt und deshalb will, dass sich die EU so schnell wie möglich selbst in einen Zustand versetzt, in dem sie andere Länder aufnehmen kann. Wenn dann die Reformen in der Ukraine, Moldau oder anderswo länger dauern, dann ist das eben so – aber wenn es in diesen Ländern Fortschritte gibt, dann soll die Erweiterung nicht an der EU selbst scheitern.

Die Frage ist natürlich, ob andere Regierungen, von denen manche ja ohnehin auch zu einer Erweiterung ohne Reformen bereit wären, sich auf diese Logik einlassen werden.

Carmen
Sophies Punkt, dass es keine Erweiterung ohne Reformen geben darf, weil die EU sonst nicht mehr handlungsfähig wäre, ist ja auch nicht neu. Ex-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte das schon für die Legislaturperiode 2014-2019 unterstrichen.

Seitdem ist noch nicht so viel passiert an der Reformfront – obwohl es an den von Minna erwähnten „externen Ereignissen“ derzeit ja wirklich nicht mangelt!

Sophie
In die Kristallkugel zu schauen ist immer schwierig. Wichtig ist aber, dass die Reformvorschläge jetzt existieren und bereits ernsthaft und auf höchstem Niveau diskutiert werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass – falls es ein Gelegenheitsfenster gibt – die Reformvorschläge nicht hinten runterfallen und nur auf Erweiterung gesetzt wird. Das werden ja so oder so schon schwierige Prozesse.

Minna
Da stimme ich zu – und damit muss ich mich leider schon wieder verabschieden. Macht’s gut und bis zum nächsten Mal! 👋

Reformprioritäten

Manuel
Schauen wir noch mal auf die Reformvorschläge selbst. Im Mittelpunkt der Debatte steht vor allem der Übergang zu mehr Mehrheitsentscheiden, aber auch die Mechanismen zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Geht es nach dem Europäischen Parlament, sollen außerdem auch die repräsentative und die direkte Demokratie auf EU-Ebene gestärkt werden, zum Beispiel bei der Wahl der Kommission oder in Form von europaweiten Referenden. Was sind aus eurer Sicht die wichtigsten Bereiche, in denen die EU institutionellen Reformbedarf hat?

Sophie
Das ist keine einfache Frage, weil natürlich alle Reformen wichtig sind. Trotzdem möchte ich zwei Punkte hervorheben: Erstens ist es wichtig, dass in Zukunft die Grundwerte der EU nicht mehr mit Füßen getreten werden – also dass es Mechanismen gibt, die es autoritären Herrschern wie Viktor Orbán nicht mehr erlauben, als gleichwertiger Partner gesehen zu werden und EU-Entscheidungen blockieren zu können, obwohl sie schon längst den Club der Demokratien verlassen haben. Das bedeutet eine Reform von Artikel 7, aber auch stärkere Konditionalitäts- und womöglich Sanktionsmechanismen zum EU-Budget.

Zweitens bin ich grundsätzlich der Meinung, dass es mehr Möglichkeiten geben sollte, Initiativen auch mit einer „Koalition der Willigen“ voranzubringen, vor allem wenn die EU in Zukunft mehr als 30 Mitgliedstaaten hat. Wie genau das möglich ist, ohne die Institutionen zu schwächen, ist natürlich die Frage, auf die ich noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden habe.

Europäische Demokratie und Unionsbürgerrechte

Julian
Ich stimme zu. Außerdem ist natürlich die Stärkung der europäischen Demokratie ein Evergreen. Jenseits des Übergangs zu Mehrheitsentscheidungen (bei dem Demokratie und Handlungsfähigkeit Hand in Hand gehen) wird es allerdings schwierig zu erklären, warum mehr Demokratie die Effizienz der EU erhöht und deshalb für die Erweiterung notwendig ist.

Carmen
Manuel, du stellst uns hier eine Gretchenfrage. Jenseits der üblichen Verdächtigen wie der Ausweitung der Mehrheitsentscheide gibt es noch einen weiteren Punkt, der in der Agenda nicht so weit oben steht, aber mir persönlich eine Herzensangelegenheit ist – nämlich die Unionsbürgerrechte. Nachbesserungsbedarf besteht hier vor allem noch beim Wahlrecht für mobile Unionsbürger:innen, also denjenigen EU-Bürger:innen, die in einem anderen Mitgliedstaat als in ihrem Herkunftsland leben. Aus unserer beschaulichen Quartett-Runde trifft das immerhin auf 60% zu, was im Vergleich zur EU-Bevölkerung natürlich weit überproportional ist.

Manuel
Ja, aber du hast schon Recht: Auch auf die Gesamtbevölkerung bezogen ist der Anteil der mobilen Bürger:innen nicht trivial. 2020 waren immerhin rund 3,3 Prozent der Unionsbürger:innen im Erwerbsalter betroffen, mit steigender Tendenz.

Welche Rolle für die Europäische Politische Gemeinschaft?

Julian
Aus drei Gründen würde ich außerdem noch die Außenbeziehungen der EU als weiteres wichtiges Reformthema ergänzen. (Ich schreibe hier bewusst Außenbeziehungen und nicht GASP oder GSVP, weil meiner Ansicht nach eine der Herausforderungen gerade mehr Kohärenz zwischen den unterschiedlichen Politikinstrumenten in den Außenbeziehungen ist.)

Der erste Grund ist schlichtweg der dringende Reformbedarf, der seit Jahren außer Frage steht. Der zweite ist die Verknüpfung der Reformen mit der Erweiterungsdebatte. Wenn die anstehende Erweiterung der Anlass für Reformen ist, dann muss es bei den Reformen eben auch um den Politikbereich gehen, der für die Beitrittsstaaten besonders wichtig ist – die ja zum großen Teil aus geopolitischen Gründen in die EU wollen.

Der dritte Grund ist, dass wie schon 2004 eine kommende Erweiterung die Nachbarschaft der EU verändern wird und die Außenbeziehungen zur direkten Nachbarschaft neu geordnet werden müssen. Die deutsch-französische Expertengruppe hat in diesem Zusammenhang die Europäische Politische Gemeinschaft als Lösung vorgeschlagen. Wie seht ihr das?

Sophie
Da sprichst du einen wichtigen Punkt an. Grundsätzlich fand ich die Idee der Europäischen Politischen Gemeinschaft gut, weil dadurch ein Forum entsteht, wo sich alle Regierungen treffen und austauschen können. Es gab ja bereits die Kritik, dass das nichts als ein talking shop sei. Aber das kommt auf die Erwartungshaltung an. Aus meiner Sicht hat es bereits einen Mehrwert, wenn die EU dadurch wieder regelmäßiger mit Großbritannien spricht – nach dem Brexit sind ja viele Kommunikationskanäle weggefallen. Austausch und Dialog auf höchster Ebene sollte niemals unterbewertet werden, auch wenn nicht gleich eine politische Initiative daraus entsteht.

Problematisch ist allerdings, dass die EU in ihrer Nachbarschaftspolitik keine kohärente Strategie fährt – und es auch keine Alternative zum EU-Beitritt gibt, die für die Länder in der Nachbarschaft attraktiv genug ist.

Carmen
Grundsätzlich finde ich die EPG auch eine gute Idee, die in ihrer Konzeption Staaten um einen Tisch bringt, die sonst kein solches Forum hätten – Großbritannien und die EU, aber auch Drittstaaten wie Aserbaidschan und Armenien. Nach dem Treffen in Granada am 5. Oktober sind meine Erwartungen aber offen gestanden etwas gedämpft. Aber vielleicht bin ich da auch zu ergebnisfokussiert; die EPG-Gipfel sollen ja vor allem ein Forum für Austausch bieten.

Julian
Viele Regierungen scheinen in der fehlenden Zielorientierung sogar gerade den Wert der EPG zu sehen, weil sie von dem ständigen Zwang zu Ergebnissen in anderen Formaten der Nachbarschaftspolitik überfordert sind.

Neuerfindung der Nachbarschaftspolitik

Manuel
Viele der Länder, die an der EPG beteiligt sind, sind allerdings selbst Beitrittskandidaten. Wenn die Erweiterungspolitik ein voller Erfolg ist, dann könnten bald alle demokratischen Staaten im östlichen Europa der EU angehören, und die verbleibenden Nachbarn wären Länder wie die Türkei oder Aserbaidschan. Das würde in der Tat eine Neuerfindung der Nachbarschaftspolitik nötig machen – aber braucht es dafür auch institutionelle Reformen?

Julian
Eine Frage ist, ob die Nachbarschaftspolitik von den supranationalen Politiken zur intergouvernementalen GASP wechseln sollte, weil sie nun zur originären Außenpolitik wird.

Bisher ist die Nachbarschaftspolitik – vor allem da, wo sie erfolgreich war – als external governance der EU angelegt: Die Nachbarstaaten sollen partiell in den Rechtsrahmen der EU integriert werden. Die große Frage ist, ob das in Zukunft noch funktionieren würde. Die Expertengruppe scheint das partiell zu glauben, denn das Papier positioniert die EPG zwar außerhalb der Rechtsunion, macht dann aber in einigen Politikbereichen doch Vorschläge für eine Institutionalisierung, was ohne eine Anwendung von EU-Recht nicht geht.

Angesichts der potenziellen Adressaten der Nachbarschaftspolitik in einer erweiterten Union ist zweifelhaft, ob diese Staaten dazu bereit wären. Wenn nicht, brauchen wir eben einen neuen Ansatz, der die Nachbarschaftsbeziehungen als klassische Außenpolitik sieht, weil die Partner dort bei einer auch nur partiellen Integration nicht mitgehen. Damit stellen sich meiner Meinung nach grundlegende Fragen der außenpolitischen Zuständigkeiten, die auch institutionelle Reformen nötig machen.

Petrifizierte Verfassung

Manuel
Ein anderes Thema, das mich selbst in letzter Zeit viel beschäftigt, ist die Frage, welche Reformen eigentlich nötig wären, um die Reformierbarkeit der EU selbst zu verbessern. Selbst heute noch wird die Debatte über institutionelle Reformen oft mit dem Argument abgewürgt, dass das Verfahren dafür „zu aufwendig“ ist, in eine jahrelange „Nabelschau“ münden oder gar „die Büchse der Pandora öffnen“ würde. Das ist kein tragbarer Zustand, denn wenn sich die EU-Verträge nicht mehr reformieren lassen, kann die EU ihren institutionellen Rahmen auch nicht mehr an neue Herausforderungen anpassen.

Ursache dieser petrifizierten Verfassung sind die hohen Hürden einer Vertragsänderung – Einstimmigkeit unter den Regierungen, gefolgt von einer Ratifikation durch jeden einzelnen Mitgliedstaat, teilweise sogar per Referendum. Der Entwurf des Europäischen Parlaments schlägt deshalb vor, die Verfahren zur Vertragsänderung zu erleichtern, sodass für eine Reform künftig nur noch vier Fünftel der Mitgliedstaaten zustimmen und ratifizieren müssten. Das könnte allerdings in vielen Ländern Probleme mit der nationalen Verfassung geben – auch in Deutschland insistierte das Bundesverfassungsgericht ja im Lissabon-Urteil auf der nationalen „Kompetenz-Kompetenz“.

Eine Alternative könnte mehr differenzierte Integration sein, aber das ist, wie Sophie oben schon geschrieben hat, sehr schwierig, ohne die bestehenden supranationalen Institutionen zu schwächen.

Carmen
Ich halte die Möglichkeit und aktive Nutzung differenzierter Integration jedenfalls für sehr sinnvoll. Das wird in einigen Mitgliedstaaten nicht gern gesehen, da man befürchtet, außen vor gelassen zu werden. Aber die Option, sich an bestimmten EU-Politiken zu beteiligen, steht ja grundsätzlich jedem Mitgliedstaat offen. Daher sehe ich das Problem nicht und halte differenzierte Integration für ein sehr gutes Mittel, um als EU30+ zu agieren. „One size fits all“ bringt uns nicht weiter.

Zukunft der differenzierten Integration

Manuel
Die deutsch-französische Expertengruppe hat dazu ja auch den Vorschlag gemacht, notfalls mithilfe von „Ergänzungsverträgen“ voranzugehen – ähnlich dem „Zusatzvertrag“-Modell, das ich selbst letztes Jahr hier in einem unserer europapolitischen Quartette beschrieben habe. Nach diesem Modell könnte zum Beispiel eine Gruppe von Ländern unter sich vereinbaren, künftig auf die Ausübung ihres Vetorechts im EU-Rat zu verzichten. Außerdem könnte diese innere Gruppe ein eigenes Budget haben (was die Beteiligung daran attraktiver machen würde) und auch in anderen Fragen wie dem Wahlrecht für mobile Bürger:innen vorangehen.

Damit das funktioniert, müsste ein solcher Zusatzvertrag europarechtliche Qualität haben, sodass die Vereinbarungen darin vor dem EuGH einklagbar sind. Das geht nur, wenn die anderen Mitgliedstaaten es zulassen – allerdings hätten die dadurch ja nicht viel zu verlieren, weil sich an ihrem eigenen Status erst einmal nichts ändert. Die eigentliche Herausforderung wäre deshalb wohl nur, eine gewisse Mindestanzahl an Staaten zu finden, die bereit sind, den Schritt zur Gründung einer solchen Avantgarde mitzugehen. Ich bin mir nicht sicher, ob Deutschland und Frankreich selbst davon so begeistert sind.

Julian
Auch wenn differenzierte Integration meistens als (Notfall-)Instrument zur Steigerung der Entscheidungseffizienz gesehen wird, ist es meiner Ansicht nach wichtig, auch die demokratische Seite nicht zu vergessen. Wenn die legitimatorische Funktion von differenzierter Integration allein darin bestehen soll, dass jeder Mitgliedstaat nur machen muss, was er möchte, enden wir beim Rosinenpicken und letztlich im Chaos.

Deshalb kann es aus meiner Sicht Differenzierung nicht politikbereichsweise geben, sondern nur in Form von klaren, transparenten Stufen – andernfalls wird es für die Bürger:innen vollkommen unübersichtlich. Je Stufe muss ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten definiert werden. Der Vorschlag der Expertengruppe geht ja in diese Richtung.

Sophie
Ich finde das Zusatzvertrag-Modell spannend, kann dir bei dem letzten Punkt aber nicht komplett zustimmen, Julian. Realistischerweise wird es eine differenzierte Integration nach Politikbereichen geben, denn ich kann mir kaum vorstellen, wie sich die Mitgliedstaaten in „Stufen“ einsortieren sollten. Auch die Länder, die an einer differenzierten Integration interessiert wären, haben ja ihre Politikbereiche, in denen sie auf keinen Fall ihr Veto aufgeben wollen – sei es Frankreich in der Agrarpolitik oder Irland in der Steuerpolitik.

Julian
Ja, ich fürchte, da hast Du Recht. 🙄

Sophie
Und leider ist das politische System der EU für die Bürger:innen ja schon jetzt ziemlich unübersichtlich – schon allein, weil es nicht nur die verschiedenen Institutionen gibt, sondern auch ganz unterschiedliche Formen von Kompetenzen und Verfahren. Das sollte aber natürlich kein Argument sein, jetzt alles noch komplexer zu gestalten als unbedingt nötig.

Kein Allheilmittel

Carmen
Julian hat aber schon Recht, dass man genau darauf achten muss, wie differenzierte Integration ausgestaltet wird. Heutzutage ist das ja ein Schlagwort, das von manchen geradezu als Allheilmittel für die Politiksklerose der EU beschrieben wird. Vor allem, weil es gerade Europaverfechter:innen wie uns bei der Integration nie schnell und tief genug gehen kann. 😉

Wie man sich wirklich auf solche Zusatzverträge einigt, sehe ich noch nicht ganz – aber ich lasse mich da gern eines Besseren überzeugen. Eine Chance sehe ich in der Möglichkeit schon, aber es darf nicht zu einer Zwei-Klassen-EU führen.

Sophie
Naja, das wäre ja nur eine Fortführung der verschiedenen Klassen in den Zügen für die Europaabgeordneten und ihre Assistent:innen, wenn sie monatlich nach Straßburg fahren. 😅

Carmen
Oder nach Disneyland … 🚄

Institutionelle Erosion?

Manuel
Meine Sorge bleibt, dass wir – wenn es uns nicht gelingt, in Sachen Reformierbarkeit Fortschritte zu machen – bald über eine unkontrollierte Differenzierung, über eine institutionelle Erosion und letztlich auch wieder über Desintegration sprechen werden.

Die externen Bedingungen, um sich auf institutionelle Reformen zu einigen, werden ja nicht besser, sondern auf absehbare Zeit eher schlechter. Die erhöhte geopolitische Unsicherheit, der Aufstieg rechter Parteien, die Demokratiekrise in vielen Mitgliedstaaten, der Klimawandel und seine gesellschaftlichen Folgen: All das wird einen Konsens in der EU in Zukunft nur noch schwieriger machen als heute. Wenn wir also selbst jetzt, im Angesicht all dieser Krisen, nach der EU-Zukunftskonferenz und mit der Erweiterung vor Augen, in institutionellen Fragen nicht vorankommen – wann dann?

Jetzt brauchen wir aber bitte noch ein optimistisches Schlusswort …

Sophie
Ich habe eins: Die politische Unsicherheit führt dazu, dass manchmal auch positive Veränderungen sehr schnell passieren können. Ich gebe zu, dass das in letzter Zeit grundsätzlich eher selten der Fall ist, aber aufgrund der polnischen Wahlergebnisse diese Woche bin ich gerade hoffnungsvoll gestimmt. Und deshalb denke ich schon, dass die Reformvorschläge mindestens eine Chance haben.


Carmen Descamps ist Fachgebietsleiterin für europäische Energie- und Digitalthemen beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Brüssel.

Die Beiträge geben allein die persönliche Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Frühere Ausgaben des europapolitischen Quartetts sind hier zu finden.


Bilder: Hölzernes Getriebe: Manuel Müller [alle Rechte vorbehalten]; Porträt Carmen Descamps: Life Studio [alle Rechte vorbehalten]; Porträts Minna Ålander, Manuel Müller: Finnish Institute of International Affairs [alle Rechte vorbehalten]; Porträts Julian Plottka, Sophie Pornschlegel: privat [alle Rechte vorbehalten].

The European Policy Quartet: New proposals for EU enlargement and reform

With:
  • Minna Ålander, Finnish Institute of International Affairs, Helsinki
  • Carmen Descamps, German Association of Energy and Water Industries (BDEW), Brussels
  • Manuel Müller, Finnish Institute of International Affairs / Der (europäische) Föderalist, Helsinki
  • Julian Plottka, University of Passau / University of Bonn
  • Sophie Pornschlegel, Europe Jacques Delors, Brussels
This conversation was conducted as an online chat in German. The transcript below has been edited and translated.
Close-up of a wooden gear
For an enlarged EU to keep functioning, its gears will need an overhaul.

Manuel
Institutional reforms of the EU have been discussed since the euro crisis, but there was almost no tangible progress for a long time. Recently, this has changed due to various events: First, there was the Conference on the Future of Europe, which made several proposals for institutional changes in its final report in May 2022. This prompted the European Parliament to formally call on the European Council in June 2022 to convene a treaty convention. Now, in September, a working group of the Constitutional Affairs Committee has put forward detailed proposals for treaty changes, which will be debated and voted on first in committee and then in plenary in the coming weeks.

Second, the Russian attack on Ukraine has led to an EU enlargement debate and subsequently to a discussion on how an EU with 30, 35 or more members can maintain its capacity to act. The German and French governments set up an expert working group on this in January 2023, which has also presented its proposals this September. Later in the year, the German Foreign Office wants to convene a major European conference in order to make progress also at the government level.

And there is even more going on; for example, a “High-Level Group on bolstering EU Democracy” of the think tanks SWP and CEPS has presented its report just yesterday. In short, the debate is gaining momentum. What do you think of the proposals that are now on the table?

Julian
I like your optimism that the debate is gaining momentum. I hope you are right, but don’t really see that happening yet.

Gaining momentum

Sophie
Hello everyone! It’s nice to meet again. I’ll be brief: I think it’s very positive that the debate has gained momentum and that concrete proposals have been put forward that can now be discussed seriously.

But there are barely eight months left until the European elections, and I fear that these reform proposals will get lost in the electoral campaign. The big question, of course, is whether the new European Commission and the national governments will push the proposals further after the election. But if Donald Tusk returns to government after last Sunday’s Polish elections, it could indeed be that EU reforms and the enlargement debate will be taken forward in a constructive way.

Carmen
In principle, I agree with Julian and Sophie that the new momentum in the reform debate is to be welcomed. There really is no shortage of proposals, both from the institutions and from capitals and various think tanks. It’s to be hoped that this momentum will now be used and will not fizzle out. I consider this a great opportunity, and I would really like to see these reforms happen. I’m sure we’ll be discussing exactly what that means in a moment.

Minna
Hello from me too – unfortunately I can only stay for the first half of our conversation today because I have to go to another event in a moment.

In Finland and Sweden, the debate on EU reform is not a major issue in public discourse at the moment; everything is still overshadowed by NATO accession. Counter-intuitively, this could also be an advantage: If the EU is not so present in the public debate, there may be less opposition to reforms.

The role of the Finns Party in the government is interesting: On the one hand, it is Eurosceptic, but on the other, the former party leader and current speaker of parliament, Jussi Halla-aho, is also very pro-Ukrainian. In general, there is also strong support for Ukraine’s membership perspective – which could be used in the public debate to highlight the need for reform.

A matter of years – or decades?

Julian
It is absolutely true that EU enlargement is impossible without fundamental reforms. However, that’s not enough political pressure for timely reforms. The accession process of Ukraine, Moldova and perhaps soon Georgia will take decades, not years.

After all, what has changed since the Conference on the Future of Europe? If anything, the situation has become more difficult. The possible change of government in Poland could be a silver lining, but I think it will be more helpful in terms of policy-making (for example on climate protection) than in terms of polity-making.

Manuel
The European Council President, Charles Michel, has mentioned the year 2030 as a time horizon for enlargement. This is, of course, a very ambitious goal – but if we take it halfway seriously (as we should, so as not to frustrate the candidate countries once again), the debate on the preconditions for it must begin almost immediately.

In any case, Berlin seems determined to make progress by the end of this year. Annalena Baerbock announced in September that she would “issue an invitation to a conference on Europe in Berlin before the European Council in December to discuss precisely that – the necessary steps for us in the European Union in view of the enlargement and the reforms on which it needs to be based”.

So her aim seems to be to lay some groundwork in time for the European elections, which can then be used as a basis for further discussions. Incidentally, I have also heard from Finnish diplomats that it would not be unwelcome if there were more “leadership” in the debate on enlargement and reforms.

Window of opportunity

Sophie
Overall, the political situation is very volatile – this can also mean that a window of opportunity will suddenly open to have a very fast enlargement, and then reforms might also be supported very quickly. Of course, this same volatility can also backfire and have a very negative impact on the EU’s capacity to act. My point is that, even if it doesn’t seem at the moment that there is much political will for reform, we don’t know how the political dynamics will develop over the next few years.

The biggest danger, in my view, is that we will have an enlargement without reforms, which could take us to a situation in which the EU is paralysed and no longer able to take decisions.

Minna
Yes, I agree with Sophie. It is very possible that external events will overtake the plans of the EU – and then reforms will have to be implemented, whether there has been sufficient debate or not. In the end, this could lead to a classically sub-optimal result.

Manuel
“Failing forward” is what they call it these days … 😉

Julian
Such a window of opportunity presupposes that the war in Ukraine ends with a solution with fixed borders. The condition that the EU will not accept states with (border) conflicts will certainly not be abandoned – and rightly so. This alone will significantly delay the accession process.

The other reason why I am sceptical about a 2030 target is the experience with Bulgaria and Romania. Again, I think the principle of “no more shortcuts” will remain. Just seven years for reforms in Ukraine is really tight.

On the other hand, I fully agree that a longer time horizon also increases the risk of disappointment and reform fatigue in Ukraine and Moldova.

Getting the EU ready for enlargement

Manuel
At least with regard to the German government’s attitude, I think that they want to be very clear that they take enlargement seriously and therefore want the EU to be in a state where it can take in other countries as quickly as possible. If reforms in Ukraine, Moldova or elsewhere take longer, so be it – but if progress is made in these countries, then enlargement should not fail because of the EU itself.

The question, of course, is whether other governments – some of which would be prepared to accept new member states even without institutional reform anyway – will accept this logic.

Carmen
Sophie’s point that there must be no enlargement without reform, because otherwise the EU would no longer be able to act, is not new. Former Commission President Jean-Claude Juncker had already underlined this for the 2014-2019 legislative period.

Since then, not much has happened on the reform front – although there really is no shortage of the “external events” mentioned by Minna!

Sophie
It is always difficult to look into the crystal ball. What is important, however, is that the reform proposals exist now and are already being discussed seriously and at the highest level. This increases the likelihood that, if a window of opportunity opens, the reform proposals won’t fall by the wayside and the focus won’t be on enlargement alone. But in any case, these will be difficult processes.

Minna
I agree – and with that, I must already say goodbye for today. Take care and see you next time! 👋

Reform priorities

Manuel
Let’s have a look again at the reform proposals themselves. The debate focuses mainly on the transition to more (qualified) majority voting in the Council, but also on mechanisms to protect the rule of law. If the European Parliament has its way, representative and direct democracy at EU level should also be strengthened, for example by parliamentarising the election of the Commission or by introducing Europe-wide referendums.

What do you think are the main areas where the EU needs institutional reform?

Sophie
This is not an easy question, because of course all reforms are important. But I would like to highlight two points: First, it is important that in the future the EU’s fundamental values can no longer be trampled on – in other words, that there are mechanisms to prevent authoritarian rulers like Viktor Orbán from being treated as equal partners and from blocking EU decisions when they have long since left the club of democracies. This means a reform of Article 7, but also stronger conditionality and possibly sanction mechanisms for the EU budget.

Secondly, I believe that in general there should be more opportunities to take initiatives forward with a “coalition of the willing”, especially when the EU has more than 30 member states in the future. How exactly this can be done without weakening the institutions is, of course, a crucial question to which I have not yet found a satisfactory answer.

European democracy and EU citizenship rights

Julian
I agree. Strengthening European democracy is, of course, an evergreen, too. However, beyond the transition to majority voting (where democracy and capacity to act go hand in hand), it will be rather difficult to explain why more democracy increases the efficiency of the EU and is therefore necessary as a precondition to enlargement.

Carmen
Manuel, you’re asking us for a confession here. Apart from the usual suspects, such as the extension of majority voting, I have another issue that is not so high on the agenda, but very close to my heart – EU citizenship rights. There is still room for improvement, especially as regards the voting rights of mobile citizens, i. e. those EU citizens who live in a member state other than their country of origin. Among the members of our little quartet, this applies to a whopping 60%, which is of course disproportionately high compared to the EU population.

Manuel
Yes, but you are quite right: Even in relation to the total population, the proportion of mobile citizens is not insignificant. In 2020, they were around 3.3% of all EU citizens of working age, with a rising trend.

What role for the European Political Community?

Julian
For three reasons, I would also add the EU’s external relations as another important reform issue. (I deliberately say external relations rather than CFSP or CSDP because, in my view, one of the challenges is precisely to achieve greater coherence between the various policy instruments in that area.)

The first reason is simply the urgent need for reform, which has been clear for years. The second is the link between the reforms and the enlargement debate. If the impending enlargement is the reason for reforms, then they should address the policy area that is particularly important for the accession countries – which to the most part want to join the EU for geopolitical reasons.

The third reason is that, as in 2004, the forthcoming enlargement will change the EU’s neighbourhood, and external relations with the immediate neighbourhood will have to be reorganised. In this context, the Franco-German expert group has proposed the European Political Community as a solution. What do you think of that?

Sophie
You’re making an important point there. In principle, I liked the idea of the European Political Community because it creates a forum where all governments can meet and exchange ideas. Of course, the EPC has been criticised for being nothing more than a talking shop. But that criticism depends on your expectations. From my point of view, there is already added value in the EU talking more regularly with the UK again – many channels of communication had been cut after Brexit. Exchange and dialogue at the highest level should never be underestimated, even if it does not immediately lead to political initiatives.

What is problematic, however, is that the EU does not have a coherent strategy in its neighbourhood policy – and that there is no alternative to EU accession that is attractive enough for the neighbouring countries.

Carmen
In principle, I also think the EPC is a good idea, bringing together states that wouldn’t otherwise have such a forum – the UK and the EU, but also third countries such as Azerbaijan and Armenia. But frankly, after the meeting in Granada on 5 October my expectations are somewhat dampened. Still, perhaps I am too focused on results, as the EPC summits are only supposed to be a forum for exchange.

Julian
In fact, many governments seem to see the lack of goal-orientation as the main value of the EPC, because they are overwhelmed by the constant pressure to deliver results that exists in other formats of EU neighbourhood policy.

Reinventing neighbourhood policy

Manuel
Many of the countries involved in the EPC are themselves candidates for accession, however. If the enlargement policy is a complete success, all democratic states in the eastern part of Europe could soon become part of the EU, and the remaining neighbours would be countries like Turkey or Azerbaijan. This would indeed require a reinvention of the neighbourhood policy – but would it also require institutional reforms?

Julian
One question is whether the neighbourhood policy should be transferred from supranational policy-making to the intergovernmental CFSP, since it would become part of genuine foreign policy.

So far, the neighbourhood policy – especially where it has been successful – has been conceived as an external governance of the EU: a policy to partially integrate neighbouring states into the EU’s legal framework. The big question is whether this will still work in the future. The expert group seems to think so, because the paper places the EPC outside the union of law. But then, it also makes proposals to institutionalise some policy areas, which would require the application of EU law.

Considering the potential addressees of an enlarged EU’s neighbourhood policy, I doubt that these states would be willing to go along with even partial integration. And if they’re not, we need a new approach that treats neighbourhood relations as part of classic foreign policy. In my view, this raises fundamental questions about who is responsible for external relations within the EU. Answering them will also require institutional reform.

Petrified constitution

Manuel
Another issue that has been on my mind a lot lately is the question of what reforms are actually needed to improve the EU’s ability to reform itself. Even today, the debate on institutional reform is often stifled by the argument that the process is “too complex”, would lead to years of “navel-gazing” or even “open Pandora’s box”. This is not an acceptable situation, because if the treaties can no longer be reformed, the EU can’t adapt its institutional framework to new challenges.

The main cause of this petrified constitution is that there are too many procedural obstacles to changing the treaties – unanimity among the governments, followed by ratification by each member state, sometimes even by referendum. The European Parliament’s draft report therefore proposes to simplify the procedure for treaty revisions, so that in future only four-fifths of the member states would have to agree and ratify a reform. However, this could cause problems with national constitutions in many countries – including Germany, where the Federal Constitutional Court insisted on a national Kompetenz-Kompetenz in its Lisbon judgment.

An alternative could be more differentiated integration, but as Sophie mentioned above, this is very difficult without weakening the existing supranational institutions.

Carmen
In any case, I think the possibility and active use of differentiated integration is very useful. This is not welcomed in some member states for fear of being left out. But as a matter of principle, every member state is free to participate in any differentiated EU policy. So I don’t really see the problem and I think that differentiated integration is a very good way to go forward as an EU30+. “One size fits all” won’t get us anywhere.

The future of differentiated integration

Manuel
The Franco-German expert group also suggested that, if necessary, we could move forward by means of “supplementary treaties” – similar to a model that I myself described here last year in one of our European Policy Quartets. Under this model, a group of countries could, for example, agree among themselves not to use their veto in the EU Council. This inner circle could also have its own budget (which would make it more attractive to join) and take the lead on other issues, such as voting rights for mobile citizens.

For this to work, such a supplementary treaty would have to have the quality of European law, so that its provisions could be enforced by the ECJ. This is only possible if the other member states allow it – but they wouldn’t have much to lose as it wouldn’t change their own status anyway. So the real challenge would rather be to find a certain minimum number of states willing to take the step of creating such a vanguard. I’m not sure whether Germany and France themselves would be enthusiastic about it.

Julian
Differentiated integration is usually seen as an emergency instrument to increase the efficiency of decision-making, but I think it is also important not to forget the democratic side. If the legitimising function of differentiated integration is simply to let each member state do what it wants, we will end up with cherry-picking and chaos.

That’s why, in my opinion, there can be no differentiation by policy area, but only in the form of clear, transparent tiers – otherwise it will be completely confusing for the citizens. For each tier, a balance of rights and obligations must be defined. It’s good that the expert group’s proposal goes in this direction.

Sophie
I find the supplementary treaty model interesting, but I can’t quite agree with you on that last point, Julian. Realistically, there will be differentiated integration by policy areas, because it’s hard to imagine how member states would organise themselves into “tiers”. The countries that could be interested in differentiated integration also have their pet policy areas where they definitely don’t want to give up their veto – be it agricultural policy for France or tax policy for Ireland.

Julian
Yes, I’m afraid you’re right there. 🙄

Sophie
And unfortunately, the EU’s political system is already quite confusing for citizens now – simply because there are not only different institutions, but also very different forms of competences and procedures. Of course, this shouldn’t be an argument for making things more complex than necessary.

No panacea

Carmen
But Julian is right that you have to be very careful about how differentiated integration is designed. It’s sometimes used as a buzzword these days, and some almost see it as a panacea that will resolve all the problems of the EU’s political sclerosis. Especially since Europhiles like us can never go fast or deep enough when it comes to integration. 😉

How exactly the member states would agree on such supplementary treaties is something I can’t quite see yet. But I would be happy to be proved wrong. I see it as an opportunity, as long as it doesn’t lead to an EU with first- and second-class members.

Sophie
Well, that would just be a continuation of the different classes on the trains for the MEPs and their assistants when they travel to Strasbourg every month. 😅

Carmen
Or to Disneyland … 🚄

Institutional erosion?

Manuel
My concern remains that if we don’t succeed in making progress on reformability, we will soon be talking about uncontrolled differentiation, institutional erosion and ultimately disintegration.

The external conditions for agreeing institutional reforms are not going to get better in the foreseeable future. Increased geopolitical uncertainty, the rise of right-wing parties, the democratic backsliding in many member states, climate change and its social consequences: all this will make consensus in the EU even more difficult in the future than it is today. So if we don’t make progress on institutional issues now, in the face of all these crises, after the Conference on the Future of Europe and with enlargement on the horizon, when will we?

Now I need one of you to make an optimistic closing statement, please …

Sophie
Here is one: The current political uncertainty means that positive changes can sometimes happen very quickly. I admit that this has rarely been the case recently, but the results of the Polish elections this week make me feel hopeful at the moment. And that’s why I think the reform proposals do at least have a chance.

Carmen Descamps works as Manager for EU Energy and Digital policies for the German Association of Energy and Water Industries (BDEW) in Brussels.
Sophie Pornschlegel is the Director of Studies and Development at Europe Jacques Delors in Brussels.

The contributions reflect solely the personal opinion of the respective authors.

Previous issues of the European Policy Quartet can be found here.


Translation: Manuel Müller.
Pictures: Wooden gear: Manuel Müller [all rights reserved]; portrait Carmen Descamps: Life Studio [all rights reserved]; portrait Minna Ålander, Manuel Müller: Finnish Institute of International Affairs [all rights reserved]; portraits Julian Plottka, Sophie Pornschlegel: private [all rights reserved].

18 Oktober 2023

EU to go: Verteidigungswende in Europa – wo stehen wir?

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur aktuellen Europapolitik. Einmal im Monat analysiert Moderatorin Thu Nguyen zusammen mit Gästen ein aktuelles Thema. In 20 bis 30 Minuten erklären die Policy Fellows und Forscher:innen Zusammenhänge und stellen Lösungsansätze vor.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat Europa in vielerlei Hinsicht zum Umdenken gebracht. Im Februar 2022 rief Bundeskanzler Scholz drei Tage nach Beginn des Krieges eine Zeitenwende für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik aus. Diese sollte einen Kurswechsel vollziehen und die Ukraine so lange wie nötig mit militärischen, zivilen und finanziellen Mitteln unterstützen. Seitdem wird in Deutschland und Europa viel über die Zeitenwende gesprochen. Doch was hat sich gerade auf europäischer Ebene in Sachen Sicherheit und Verteidigung geändert? Gab es auch eine Verteidigungswende in Europa?

Darüber spricht Thu Nguyen mit Nicole Koenig, Head of Policy bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Verteidigungsexpertin erklärt die kurz- und langfristigen Ziele der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, benennt die sicherheitspolitischen Schwachstellen Europas und diskutiert notwendige Reformen und Investitionen.

02 Oktober 2023

EU to go: Größer, demokratischer, handlungsfähiger – deutsch-französischer Impuls zu EU-Reformen

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur aktuellen Europapolitik. Einmal im Monat analysiert Moderatorin Thu Nguyen zusammen mit Gästen ein aktuelles Thema. In 20 bis 30 Minuten erklären die Policy Fellows und Forscher:innen Zusammenhänge und stellen Lösungsansätze vor.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Das Thema der institutionellen Reformen und Erweiterung ist spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in aller Munde, mit den Westbalkanstaaten laufen die Zutrittsgespräche bereits seit einigen Jahren. Doch wie kann eine EU mit über 30 Mitgliedstaaten funktionieren und was muss sich vor der nächsten Erweiterung ändern, damit die EU handlungsfähig bleibt?

Eine unabhängige Expertengruppe mit zwölf Mitgliedern aus Deutschland und Frankreich, zu der auch Thu Nguyen und Daniela Schwarzer zählen, hat genau diese Fragen unter die Lupe genommen und zahlreiche Empfehlungen erarbeitet. Ihren Bericht, im Auftrag von Anna Lührmann und ihrem Pendant in Paris, der französischen Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten Laurence Boone, haben sie am 19. September vorgestellt und damit überall in Europa Wellen geschlagen.

In dieser Folge besprechen Thu Nguyen, Anna Lührmann und Daniela Schwarzer, warum EU-Reformen und Erweiterung Hand in Hand gehen müssen, wie ihre wichtigsten Vorschläge, inklusive zur Rechtsstaatlichkeit und Vetorecht, lauten und wie es nun weiter gehen soll. Eines ist klar: Das Thema wird uns noch in den nächsten Jahren, bald aber schon in den anstehenden Europawahlen, begleiten.