Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die
europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der
Bundestagsparteien – CDU/CSU
(EVP), SPD
(SPE), FDP
(ALDE), Grüne
(EGP) und Linke
(EL). Heute: Landwirtschaft. (Zum
Anfang der Serie.)
Gemeinsame
Agrarpolitik
- Das Landleben in Europa stellt man sich meist friedlich und harmonisch vor. Anders die Diskussion über die europäischen Agrarsubventionen.
Zu
den großen Konfliktthemen in der Europäischen Union gehört seit eh
und je die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Diese macht nicht nur einen
sehr großen Teil des EU-Budgets aus (derzeit etwa zwei Fünftel der
Gesamtausgaben), sondern zeitigte lange Zeit auch die absurdesten
Nebenwirkungen: Bis in die 1990er Jahre kaufte die EU sämtliche
Agrarprodukte, die auf dem Markt nicht verkauft worden waren, zu
einem bestimmten Mindestpreis auf – und finanzierte dadurch aus
Steuergeldern eine massive Überproduktion, während sie zugleich die
Preise für die Endverbraucher künstlich verteuerte.
Seitdem hat
sich durch mehrere Reformen vieles gebessert. Die
beiden wichtigsten Bereiche der europäischen Agrarpolitik sind heute
die „Entwicklung des ländlichen Raums“, durch die die
Lebensbedingungen in ländlichen Regionen verbessert sowie Umwelt-
und Tierschutz gefördert werden sollen, und die direkte
Subventionierung von Landwirten, die an die Stelle der früheren Preisstützungspolitik getreten ist. Diese Direktzahlungen sind nicht mehr von der produzierten Menge abhängig, sondern orientieren sich in erster Linie an der Größe der Betriebsfläche, wodurch sich die landwirtschaftliche Überproduktion inzwischen in Grenzen hält. Wie sinnvoll diese Subventionen überhaupt sind, ist jedoch bis heute heftig umstritten. Während die Europäische Kommission sich dafür
einsetzt, die Direktzahlungen an größere Agrarbetriebe zu kürzen
(zuletzt während
der Haushaltsverhandlungen in diesem Frühling), lehnen die
Bauernverbände solche
Forderungen entschieden ab. Im Ministerrat wiederum ist es vor
allem Frankreich, das den Erhalt der Direktzahlungen verteidigt,
während Polen und andere osteuropäische Länder eher zu Kürzungen
bereit sind. Im Juni 2013 einigten sich die EU-Institutionen auf
einen Kompromiss, der es den einzelnen Mitgliedstaaten
freistellt, die Subventionen stärker an Umweltauflagen zu koppeln
sowie kleinere Betriebe gegenüber größeren zu bevorzugen.
Abbau
der Direktzahlungen
In der Frage, wie man mit dieser Option umgehen sollte, sind die deutschen Parteien gespalten. So setzt
sich die SPD dafür ein, die „pauschalen Agrarsubventionen bis auf einen kleinen
Sockelbetrag“ abzuschmelzen und in die „Stärkung und Wiederbelebung des ländlichen Raums“ umzuschichten. Auch die Grünen sind dafür, einen Teil der
Finanzmittel für direkte Subventionen zugunsten der Entwicklung des
ländlichen Raums umzuwidmen. Außerdem wollen sie eine stärkere
„Degression der Direktzahlungen“, das heißt bei größeren
Betrieben stärker kürzen als bei kleinen.
Keine
Eile hat hingegen die FDP, die die Direktzahlungen erst „ab dem
Jahr 2020 schrittweise reduzieren“ will. Außerdem sehen die
Liberalen auch keinen Zweck in der Förderung von Kleinbauern: Eine „degressive
Ausgestaltung von Direktzahlungen, auch in Abhängigkeit von
Arbeitsplätzen“ lehnen sie ab, da diese „langfristig zu
ineffizienten Betriebsstrukturen“ führe. Am nächsten bei der
Bauernlobby steht schließlich die CDU/CSU: Diese will „auch in
Zukunft ein wirksames Sicherheitsnetz spannen zum Schutz unserer
Landwirte vor extremen Markteinbrüchen“ und lehnt „Überlegungen
von Rot-Grün, die Direktzahlungen an die Landwirte zu kürzen“,
ab. Allerdings ist die CDU/CSU durchaus dafür, zur „Stärkung der
bäuerlichen Landwirtschaft und der Familienbetriebe“ eine stärkere
Degression einzuführen – nur will sie dies nicht durch Kürzungen
bei den großen, sondern durch mehr Subventionen bei kleinen
Unternehmen erreichen.
Umwelt-
und Sozialförderung im ländlichen Raum
Größere
Einigkeit besteht hingegen in Bezug auf die stärkere
umweltpolitische Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Den Vorschlag, die Höhe der Direktzahlungen an
Landwirte stärker von bestimmten Umweltleistungen abhängig zu
machen, unterstützen sowohl die Grünen als auch die CDU/CSU
in ihren Programmen. Zudem wollen CDU/CSU, Grüne, SPD
und Linke auch die Mittel aus dem Fonds für die Entwicklung des
ländlichen Raumes noch stärker für Umweltprogramme einsetzen. Nur
die FDP hebt diesen Punkt nicht gesondert hervor, sondern betont
stattdessen die „marktwirtschaftliche
Weiterentwicklung der
Gemeinsamen Agrarpolitik“ und den „Abbau von
Wettbewerbsverzerrungen“.
Vor
allem die Oppositionsparteien heben zudem die sozialen Kontexte des
ländlichen Raums hervor. So will die SPD mit EU-Mitteln außer der
Agrarwirtschaft noch eine „breitere
Palette an wirtschaftlichen Impulsen für den ländlichen Raum
fördern: regionale Veredelungswirtschaft, Handwerk, Tourismus,
Gesundheitswesen und Dienstleistungen“. Die Linke setzen etwas
allgemeiner auf „regionale Erzeugung, Verarbeitung und
Vermarktung“. Für die Grünen bieten vor allem „die Erneuerbaren
Energien, die ökologische Lebensmittelwirtschaft und der nachhaltige
Tourismus“ Chancen für die ländliche Entwicklung. Und die CDU/CSU
will EU-Gelder nutzen, um „Naturschutzgebiete, Nationalparks,
Naturparks und Biosphärenreservate“ als Urlaubsregionen zu
bewerben.
Agrar-Exportsubventionen
Ein
weiterer heftig umstrittener Bestandteil der Gemeinsamen Agrarpolitik
sind auch die Exportsubventionen, mit denen die EU die Ausfuhr von
landwirtschaftlichen Erzeugnissen fördert. Bis in die 1990er Jahre spielte diese
Exportförderung eine zentrale Rolle im System der GAP, um die enorme
Überproduktion der europäischen Landwirtschaft nicht komplett
vernichten zu müssen. Zugleich hatte sie jedoch auch fatale Effekte
für viele afrikanische und asiatische Entwicklungsländer, da die
subventionierten europäischen Agrarprodukte lokale Bauern vom Markt
drängten.
Seit der Einführung der Direktzahlungen haben die Exportsubventionen
deutlich an Bedeutung verloren, doch vollständig abgeschafft wurden
sie bis heute nicht. Unter den deutschen Parteien allerdings stoßen
sie kaum noch auf Unterstützung: Bereits Anfang 2012 setzte
sich die Bundesregierung ihre Abschaffung ein, nun unterstützen
Grüne und Linke diese Forderung in ihren Wahlprogrammen.
Lebensmittelsicherheit
und Gentechnik
Doch
nicht nur die Finanzierung der Landwirtschaft beschäftigt die
deutschen Parteien, auch die Sicherheit der Agrarerzeugnisse nimmt in
ihren Wahlprogrammen einen hohen Stellenwert ein. Sowohl CDU/CSU
als auch SPD fordern eine bessere Bekämpfung von Kriminalität in
der Nahrungsmittelbranche. Hierzu will die SPD
„Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Deutschland
und Europa“ einrichten; die CDU/CSU schlägt ein
„Frühwarnsystem für den Lebensmittelsektor“ vor, das
„wirtschaftliche Anreize für Betrüger frühzeitig ausfindig
machen soll“.
Große
Einigkeit herrscht bei den Parteien in Bezug auf den Einsatz von
Gentechnik. CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne sprechen sich gleichermaßen
dafür aus, Produkte von Tieren, die mit genmanipulierten Pflanzen
gefüttert wurden, besser zu kennzeichnen. Die Linke geht noch einen
Schritt weiter und fordert eine vollständig „gentechnikfreie
Land- und Lebensmittelwirtschaft“. Außerdem wollen Linke und Grüne
„Biopatente“ bzw. „Patente auf Lebewesen“ verbieten.
Umwelt-
und Tierschutz
Vor
allem die kleineren Parteien haben darüber hinaus noch allgemeinere
Forderungen an die europäische Umweltpolitik: So setzt sich die FDP
dafür ein, europaweit „ressortübergreifende und
indikatorenbasierte Nachhaltigkeitsstrategien“ zu entwickeln, und
auch die Grünen unterstützen „gemeinsame europäische Ziele,
Wegmarken und Bewertungsmaßstäbe für die Ressourceneffizienz“.
Außerdem ist die FDP für eine „Nachhaltigkeitszertifizierung“
für Agrarrohstoffe, die Grünen wollen „europaweit ehrgeizige
Vorgaben für den Bodenschutz durchsetzen“, und die Linke schlägt
eine Mengenbegrenzung „beim
Import und bei der Förderung ausgewählter Rohstoffe“ vor, um den
Verbrauch von knappen Ressourcen zu senken.
Außerdem
fordert die FDP eine „engagiertere Politik der EU“ im
Tierschutzbereich, insbesondere bei der Haltung von Nutztieren in der
Landwirtschaft. Und auch die Grünen wollen den Tierschutz auf
europäischer Ebene stärken, nämlich durch „Importverbote von
unter tierquälerischen Bedingungen erzeugten Produkten, Jagdtrophäen
und wild gefangenen Tieren“.
Fazit
Wenn
es um Lebensmittelbetrug, Gentechnik oder Tierschutz geht, sind die
deutschen Parteien sich wenigstens auf dem Papier schnell einig.
Anders sieht es hingegen aus, wenn die Direktzahlungen an die
europäischen Landwirte, der Kernbestandteil der Gemeinsamen
Agrarpolitik, auf dem Spiel stehen. Während vor allem SPD und Grüne
diese Subventionen stark kürzen oder komplett streichen würden,
will die CDU/CSU auch weiterhin Bauern direkt aus dem EU-Haushalt
finanzieren. Alle Parteien bis auf die FDP fordern allerdings, dass ökologische Aspekte bei der Landwirtschaftsförderung
künftig eine wichtigere Rolle spielen sollen. Außerdem wollen vor
allem die Oppositionsparteien auch einen größeren Teil der Mittel
für den ländlichen Raum nutzen, um nicht-agrarische
Wirtschaftsbereiche wie den Tourismus oder die Verarbeitung von
Lebensmitteln zu unterstützen.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: By Josep Renalias Lohen11 (Own work) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.