16 August 2013

Die Bundestagswahl und Europa (6): Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion

Bei der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien – CDU/CSU (EVP), SPD (SPE), FDP (ALDE), Grüne (EGP) und Linke (EL). Heute: Finanzmärkte. (Zum Anfang der Serie.)

Die Finanzmärkte und die Eurokrise

Im Frankfurter Bankenviertel sollen bald neue Regeln gelten.
Dass die Finanzmärkte neu reguliert werden müssen, ist seit Ausbruch der globalen Finanzkrise vor fünf Jahren ein Gemeinplatz in der internationalen Politik. Besonderen Nachholbedarf hat dabei die EU, da sie einerseits über einen integrierten Kapitalmarkt verfügt, aber andererseits bei der Bankenregulierung, -aufsicht und -abwicklung in eine Vielzahl von nationalen Systemen zerfällt. Der Wettlauf um die stärkste Einlagensicherung, der 2008 die irische Staatsschuldenkrise auslöste, der Kollaps des zyprischen Bankensektors vor einem halben Jahr und die Diskussion über Bankenrettungen aus ESM-Mitteln sind nur einige Beispiele dafür, wie dringend die EU eine neue Finanzmarktordnung benötigt.

Dabei ist es allerdings nicht so, dass die Politik in diesem Bereich in den letzten Jahren untätig geblieben wäre: Bereits 2010 wurden auf internationaler Ebene die Basel-III-Regeln beschlossen, die vor allem die Eigenkapitalvorschriften für die Banken verschärfen sollen. Im Juli 2013 wurden die entsprechenden Bestimmungen durch eine neue Eigenkapitalrichtlinie auch in EU-Recht umgesetzt. Den deutschen Parteien allerdings genügt dies offensichtlich nicht – jedenfalls haben sie alle nach wie vor die Forderung nach einer besseren Finanzmarktregulierung in ihren Wahlprogrammen stehen.

Eigenkapitalvorschriften

Während CDU/CSU und SPD dabei allerdings nur allgemein bleiben, machen die Grünen recht konkrete Vorschläge: Diese wollen nicht nur die Eigenkapitalanforderungen allgemein erhöhen, sondern auch eine spezielle „Größenbremse“, durch die größere Banken strengere Vorgaben erfüllen müssten. Außerdem sollen Over-the-counter-Geschäfte, die nicht an regulierten Handelsplätzen erfolgen, künftig besser überwacht werden können. Für den Hochfrequenzhandel, bei dem Computer innerhalb von Sekundenbruchteilen Wertpapiere kaufen und wieder verkaufen, fordern die Grünen ein „Tempolimit“ in Form einer Mindesthaltefrist.

Und auch die FDP will die Eigenkapitalvorschriften verschärfen, allerdings an einer anderen Stelle: Wenn es nach ihr geht, sollen die Banken künftig nicht nur bei Unternehmenskrediten, sondern auch beim Erwerb von Staatsanleihen einen Eigenkapitalpuffer vorweisen müssen. Bislang nämlich sind Staatsanleihen von den Vorgaben des Basel-III-Regimes noch ausgenommen – was auch die deutsche Bundesbank im Angesicht der Eurokrise verschiedentlich kritisiert hat.

Trennbankensystem

Ein großes Diskussionsthema der letzten Jahre ist außerdem die Einführung eines „Trennbankensystems“ – also einer Regelung, nach der Banken nicht gleichzeitig im Einlagengeschäft mit Privatkunden und im riskanten Investmentbereich tätig sein dürfen. Eine entsprechende Regelung, der sogenannte Glass-Steagall Act, existierte lange Zeit in den USA und wurde 1999 aufgehoben, um den Banken mehr Handlungsfreiheit zu verschaffen. Genau dies sahen viele Beobachter jedoch als eine der Ursachen der US-Finanzkrise von 2007 an, sodass nicht nur die Obama-Regierung, sondern auch eine europäische Expertenkommission um den finnischen Zentralbankchef Erkki Liikanen die Investmenttätigkeiten wieder stärker vom Rest des Bankengeschäfts trennen will. In Deutschland wiederum wurde (trotz der Ablehnung des deutschen Bankenverbands) vor wenigen Wochen ein „Trennbankengesetz“ verabschiedet, das allerdings hinter den Vorschlägen der Liikanen-Kommission zurückblieb.

In den Wahlprogrammen der deutschen Parteien lässt sich in diese Frage ein recht deutlicher Links-rechts-Gegensatz erkennen: Während die Grünen sich für ein Trennbankensystem aussprechen, wollen CDU/CSU und FDP die traditionellen Universalbanken erhalten und allenfalls im Detail nachjustieren. Am drastischsten aber sind die Pläne der Linken: Diese ist dafür, das Investmentbanking gleich komplett „als Geschäftsfeld abzuwickeln“. Offen lassen alle vier Parteien dabei allerdings, ob sie ihre Vorschläge nur deutschlandweit oder in der ganzen EU umsetzen wollen.

Europäische Ratingagentur

Und noch ein weiteres Thema tauchte in den letzten Jahren wiederholt auf: die Rolle der Rating-Agenturen, die die Bonität von Kreditnehmern oder die Qualität von Finanzprodukten bewerten. Bislang sind in diesem Geschäft vor allem die drei Agenturen Standard & Poorʼs, Moodyʼs und Fitch aktiv, die alle in den USA ansässig sind. Besonderen Einfluss haben sie dadurch, dass sich auch staatliche Organe ihr Handeln oft an den Bewertungen der Agenturen ausrichten. Doch deren Tätigkeiten führten zuletzt immer wieder zu Kritik – zuerst, weil sie vor 2007 die Risiken der „Subprime“-Derivate nicht richtig einschätzten, und dann, weil sie während der Eurokrise den südeuropäischen Ländern immer schlechtere Noten gaben und dadurch in der europäischen Politik für einige Unruhe sorgten.

Geht es nach SPD, Grünen und Linken, soll daher die Macht der Ratingagenturen künftig durch striktere Regulierungen begrenzt werden. Als Konkurrenz zu den drei US-Unternehmen fordern alle drei Parteien außerdem die Einrichtung einer europäischen Ratingagentur – unbeeindruckt davon, dass ein entsprechender Versuch eines Privatunternehmers erst vor wenigen Monaten gescheitert ist. Am weitesten geht dabei die Linke: Ihr zufolge soll künftig ein staatlicher „Finanz-TÜV […] sämtliche angebotenen Finanzprodukte prüfen und vor der Einführung genehmigen“. Gleichzeitig sollen die Ratings der privaten Agenturen künftig nicht mehr als Grundlage verbindlicher EU-Vorschriften herangezogen werden dürfen. CDU/CSU und FDP äußern sich zum Thema Ratingagenturen nicht.

Bankenunion: Bankenaufsicht

Das Kernstück der neuen europäischen Finanzmarktpolitik ist aber ohne Zweifel die „Bankenunion“, die die Europäische Kommission vor etwas über einem Jahr vorgeschlagen hat. Nach den Plänen von Binnenmarktkommissar Michel Barnier (UMP/EVP) sollten ihre wichtigsten Bestandteile eine einheitliche europäische Bankenaufsicht, ein gemeinsamer Restrukturierungs- und Abwicklungsfonds für Krisenbanken sowie eine gemeinsame Einlagensicherung bei Bankenpleiten sein. In der Praxis wurden diese drei Vorschläge allerdings getrennt voneinander angegangen. Die schnellsten Fortschritte machte dabei die einheitliche Bankenaufsicht, über die bereits im März 2013 Einigkeit im Rat erzielt wurde und die im Juni auch der Bundestag bestätigt hat. Demnach wird künftig die Europäische Zentralbank für die Überwachung aller „bedeutenden“ Kreditinstitute zuständig sein, wozu unter anderem alle Banken mit einer Bilanzsumme von über 30 Milliarden Euro sowie die drei größten Banken jedes Mitgliedstaats zählen.

Da CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP diese Bestimmungen bereits im Bundestag unterstützten, ist es wenig überraschend, dass sie sich auch in ihren Wahlprogrammen dafür aussprechen. Im Detail allerdings finden sich einige Unterschiede. So legen CDU/CSU, SPD und FDP einigen Wert darauf, dass die europäische Aufsicht nur Großbanken umfasst, während die Grünen gerne sämtliche „international aktive Banken“ auf europäischer Ebene überwachen lassen würden. Hingegen sollen ihnen zufolge die nationalen Aufsichten nur noch für „kleine Institute mit ausschließlich regionalem Geschäft“ zuständig sein – und überdies einem europäischen „Durchgriffs- und Letztentscheidungsrecht“ unterliegen.

Gewisse Vorbehalte gibt es zudem gegenüber der Ansiedlung der Bankenaufsicht bei der EZB: Diese sieht die SPD nur als vorläufige Lösung, die langfristig durch eine „eigenständige europäische Aufsichtsbehörde“ ersetzt werden sollte. Die Grünen wollen bei der Bankenkontrolle eine „demokratische Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Europaparlament“ einführen. Und die FDP legt „strengen Wert auf eine strikte institutionelle Trennung zwischen Zentralbank- und Aufsichtsfunktionen“ und will diese mindestens innerhalb der EZB durch getrennte Entscheidungsgremien verankert sehen.

Komplett andere Vorstellungen hat dagegen die Linke: Diese lehnt eine Bankenaufsicht durch die EZB vollständig ab, „da es dieser an unmittelbarer demokratischer Legitimation fehlt“. Stattdessen fordern sie zur Bankenaufsicht Gremien, an denen „nicht nur ‚Expertinnen und Experten‘ oder Politikerinnen und Politiker, sondern auch Gewerkschaften, Sozialverbände, Verbraucherschutz- und Umweltverbände und andere zivilgesellschaftliche Akteure“ beteiligt sein sollen. Nach welchem Verfahren diese Akteure genau bestimmt würden, erklärt das Programm allerdings nicht.

Bankenunion: Abwicklungsmechanismus

Stärker umstritten als die Bankenaufsicht ist die Einrichtung eines gemeinsamen Abwicklungsverfahrens für überschuldete Banken. Auch hier war auf europäischer Ebene zuletzt einiges in Bewegung: Erst vor wenigen Wochen präsentierte die Europäische Kommission ihre Vorschläge für einen „europäischen Abwicklungsmechanismus“. Demnach soll die Kommission künftig bei Entscheidungen über die Schließung einer Bank selbst das letzte Wort haben. Außerdem soll für die Bankenabwicklung ein 55 Milliarden Euro schwerer Fonds zur Verfügung stehen. Dieser würde vorläufig aus Steuergeld, mittelfristig aus einer Bankenabgabe finanziert; über seine Verwendung würde ein Ausschuss entscheiden, der sich aus der Kommission, der EZB sowie den nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzt.

Diese Vorschläge decken sich recht gut mit dem Wahlprogramm der SPD, die die „Einrichtung einer europäischen Abwicklungsbehörde und eines europäischen Restrukturierungsfonds“ fordert, der aus einer Bankenabgabe finanziert sein soll. Auch die Grünen wollen ein solches Modell wenigstens „prüfen“.

CDU/CSU und FDP hingegen wollen zwar ebenfalls gern ein europäisches Verfahren zur Abwicklung insolventer Banken. Von einem gemeinsamen Fonds ist bei ihnen jedoch keine Rede; die FDP lehnt einen „Zugriff auf […] den nationalen Restrukturierungsfonds“ sogar explizit ab. Entsprechend wies die Bundesregierung im Juli auch die Vorschläge der Kommission in ungewohnter Schärfe zurück. Geht es nach den Regierungsparteien, soll Geld zur Restrukturierung überschuldeter Banken allenfalls aus den „europäischen Rettungsschirmen“ (also dem ESM) kommen – und auch das erst, sobald die „Arbeitsfähigkeit der europäischen Bankenaufsicht“ sichergestellt ist (so die CDU/CSU), und nur, wenn es gleichzeitig auch zu einer „Mithaftung des betreffenden Sitzstaates“ kommt (so die FDP).

Bankenunion: Einlagensicherung

Etwas weniger kontrovers ist schließlich die Frage der Einlagensicherung. Dies liegt vor allem daran, dass die Europäische Kommission inzwischen (nicht zuletzt aufgrund des Widerstands der Bundesregierung) offenbar von der Idee abgerückt ist, hierfür ein gemeinsames europäisches System zu schaffen. Nach einem Richtlinienentwurf, über den derzeit verhandelt wird, sollen lediglich die nationalen Einlagensicherungsregeln stärker harmonisiert werden.

Den deutschen Parteien dürfte das recht sein: CDU/CSU und FDP lehnen in ihren Wahlprogrammen einen gemeinsamen Einlagensicherungsfonds ohnehin ab, und auch die Grünen sprechen nur vage von einem „gemeinsamen Rahmen für europäische Einlagensicherungssysteme“. SPD und Linke erwähnen das Thema überhaupt nicht. Dass von der nächsten Bundesregierung irgendeine Initiative ausgeht, um diese wichtige Lücke in der Bankenunion zu schließen, wird man also nicht erwarten dürfen.

Fazit

Die Neuregulierung der europäischen Finanzmärkte befindet sich im vollen Gang, und auch die deutschen Parteien haben dazu in ihren Wahlprogrammen einige Vorschläge – auch wenn diese teilweise schon jetzt von aktuellen Gesetzgebungsvorschlägen der Europäischen Kommission eingeholt worden sind. Eine Sonderrolle spielt dabei die Linke, die einen guten Teil des Finanzmarkts komplett verbieten oder verstaatlichen will. Unter den übrigen Parteien sind es vor allem die Grünen, die das Bankwesen durch schärfere Eigenkapitalvorschriften und durch eine strikte Trennung von Investment- und Einlagengeschäft einhegen wollen. Außerdem wollen alle drei Oppositionsparteien einen neuen Anlauf zur Gründung einer europäischen Ratingagentur versuchen.

Was die Bankenunion betrifft, sind sich bis auf die Linke alle Parteien einig, dass die EZB die Aufsicht über die Großbanken übernehmen soll. Umstritten ist hingegen der europäische Abwicklungsmechanismus: Während SPD und Grüne hier mit den Kommissionsplänen auf einer Linie liegen, lehnen CDU/CSU und FDP einen gemeinsamen Restrukturierungsfonds ebenso ab wie eine gemeinsame Einlagensicherung. In den harten Konflikten, die die EU-Institutionen in den nächsten Monaten aller Voraussicht nach über dieses Thema austragen werden, dürfte es deshalb eine wichtige Rolle spielen, welche Parteien die deutsche Bundestagswahl gewinnen.

Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:

1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung

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