Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die
europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der
Bundestagsparteien – CDU/CSU
(EVP), SPD
(SPE), FDP
(ALDE), Grüne
(EGP) und Linke
(EL). Heute: Finanzmärkte. (Zum
Anfang der Serie.)
Die
Finanzmärkte und die Eurokrise
Dass
die Finanzmärkte neu reguliert werden müssen, ist seit Ausbruch der
globalen Finanzkrise vor fünf Jahren ein Gemeinplatz in der
internationalen Politik. Besonderen Nachholbedarf hat dabei die EU,
da sie einerseits über einen integrierten Kapitalmarkt verfügt,
aber andererseits bei der Bankenregulierung, -aufsicht und
-abwicklung in eine Vielzahl von nationalen Systemen zerfällt. Der
Wettlauf um die stärkste Einlagensicherung, der 2008
die irische Staatsschuldenkrise auslöste, der Kollaps
des zyprischen Bankensektors vor einem halben Jahr und die
Diskussion
über Bankenrettungen aus ESM-Mitteln sind nur einige Beispiele dafür, wie
dringend die EU eine neue Finanzmarktordnung benötigt.
Dabei
ist es allerdings nicht so, dass die Politik in diesem Bereich in den letzten Jahren untätig geblieben wäre: Bereits 2010 wurden auf
internationaler Ebene die Basel-III-Regeln
beschlossen, die vor allem die Eigenkapitalvorschriften für die
Banken verschärfen sollen. Im Juli 2013 wurden die entsprechenden
Bestimmungen durch eine neue
Eigenkapitalrichtlinie auch in EU-Recht umgesetzt. Den deutschen
Parteien allerdings genügt dies offensichtlich nicht – jedenfalls
haben sie alle nach wie vor die Forderung nach einer besseren
Finanzmarktregulierung in ihren Wahlprogrammen stehen.
Eigenkapitalvorschriften
Während
CDU/CSU und SPD dabei allerdings nur allgemein bleiben, machen die
Grünen recht konkrete Vorschläge: Diese wollen nicht nur die
Eigenkapitalanforderungen allgemein erhöhen, sondern auch eine
spezielle „Größenbremse“, durch die größere Banken strengere
Vorgaben erfüllen müssten. Außerdem sollen
Over-the-counter-Geschäfte, die nicht an regulierten
Handelsplätzen erfolgen, künftig besser überwacht werden können.
Für den Hochfrequenzhandel, bei dem Computer innerhalb von
Sekundenbruchteilen Wertpapiere kaufen und wieder verkaufen, fordern
die Grünen ein „Tempolimit“ in Form einer Mindesthaltefrist.
Und
auch die FDP will die Eigenkapitalvorschriften verschärfen,
allerdings an einer anderen Stelle: Wenn es nach ihr geht, sollen die
Banken künftig nicht nur bei Unternehmenskrediten, sondern auch beim
Erwerb von Staatsanleihen einen Eigenkapitalpuffer vorweisen müssen.
Bislang nämlich sind Staatsanleihen von den Vorgaben des
Basel-III-Regimes noch ausgenommen – was auch die deutsche
Bundesbank im Angesicht der Eurokrise verschiedentlich
kritisiert hat.
Trennbankensystem
Ein
großes Diskussionsthema der letzten Jahre ist außerdem die
Einführung eines „Trennbankensystems“ – also einer Regelung,
nach der Banken nicht gleichzeitig im Einlagengeschäft mit
Privatkunden und im riskanten Investmentbereich tätig sein dürfen.
Eine entsprechende Regelung, der sogenannte Glass-Steagall
Act,
existierte lange Zeit in den USA und wurde 1999 aufgehoben, um den
Banken mehr Handlungsfreiheit zu verschaffen. Genau dies sahen viele
Beobachter jedoch als eine der Ursachen der US-Finanzkrise von 2007
an, sodass nicht nur die Obama-Regierung, sondern auch eine
europäische
Expertenkommission um den finnischen Zentralbankchef Erkki Liikanen
die Investmenttätigkeiten wieder stärker vom Rest des
Bankengeschäfts trennen will. In Deutschland wiederum wurde (trotz
der Ablehnung
des deutschen Bankenverbands)
vor wenigen Wochen ein „Trennbankengesetz“
verabschiedet, das allerdings hinter den Vorschlägen der
Liikanen-Kommission zurückblieb.
In
den Wahlprogrammen der deutschen Parteien lässt sich in diese Frage
ein recht deutlicher Links-rechts-Gegensatz erkennen: Während die
Grünen sich für ein Trennbankensystem aussprechen, wollen CDU/CSU
und FDP die traditionellen Universalbanken erhalten und allenfalls im
Detail nachjustieren. Am drastischsten aber sind die Pläne
der Linken: Diese ist dafür,
das Investmentbanking gleich komplett „als Geschäftsfeld
abzuwickeln“. Offen lassen alle vier
Parteien dabei allerdings, ob sie ihre Vorschläge nur
deutschlandweit oder in der ganzen EU umsetzen wollen.
Europäische
Ratingagentur
Und
noch ein weiteres Thema tauchte in den letzten Jahren wiederholt auf:
die Rolle der Rating-Agenturen, die die Bonität von Kreditnehmern
oder die Qualität von Finanzprodukten bewerten. Bislang sind in
diesem Geschäft vor allem die drei Agenturen Standard & Poorʼs,
Moodyʼs
und Fitch aktiv, die alle in den USA ansässig sind. Besonderen
Einfluss haben sie dadurch, dass sich auch staatliche Organe ihr
Handeln oft an den Bewertungen der Agenturen ausrichten. Doch deren
Tätigkeiten führten zuletzt immer wieder zu Kritik – zuerst, weil
sie vor 2007 die Risiken der „Subprime“-Derivate nicht richtig
einschätzten, und dann, weil sie während der Eurokrise den
südeuropäischen Ländern immer schlechtere Noten gaben und dadurch
in der europäischen Politik für einige Unruhe sorgten.
Geht
es nach SPD, Grünen und Linken, soll daher die Macht der
Ratingagenturen künftig durch striktere Regulierungen begrenzt
werden. Als Konkurrenz zu den drei US-Unternehmen fordern alle drei
Parteien außerdem die Einrichtung einer europäischen Ratingagentur
– unbeeindruckt davon, dass ein entsprechender
Versuch eines Privatunternehmers erst vor wenigen Monaten gescheitert
ist. Am weitesten geht dabei die Linke: Ihr zufolge soll künftig
ein staatlicher „Finanz-TÜV […] sämtliche angebotenen
Finanzprodukte prüfen und vor der Einführung genehmigen“.
Gleichzeitig sollen die Ratings der privaten Agenturen künftig nicht
mehr als Grundlage verbindlicher EU-Vorschriften herangezogen werden
dürfen. CDU/CSU und FDP äußern sich zum Thema Ratingagenturen
nicht.
Bankenunion:
Bankenaufsicht
Das
Kernstück der neuen europäischen Finanzmarktpolitik ist aber ohne
Zweifel die „Bankenunion“, die die Europäische Kommission vor
etwas über einem Jahr vorgeschlagen hat. Nach den Plänen
von Binnenmarktkommissar Michel Barnier (UMP/EVP)
sollten ihre wichtigsten Bestandteile eine einheitliche europäische
Bankenaufsicht, ein gemeinsamer Restrukturierungs- und
Abwicklungsfonds für Krisenbanken sowie eine gemeinsame
Einlagensicherung bei Bankenpleiten sein. In der Praxis wurden diese
drei Vorschläge allerdings getrennt voneinander angegangen. Die
schnellsten Fortschritte machte dabei die einheitliche
Bankenaufsicht, über die bereits im
März 2013 Einigkeit im Rat erzielt wurde
und die im
Juni auch der Bundestag bestätigt hat.
Demnach wird künftig die Europäische Zentralbank für die
Überwachung aller „bedeutenden“ Kreditinstitute zuständig sein,
wozu unter anderem alle Banken mit einer Bilanzsumme
von über 30 Milliarden Euro sowie die drei größten Banken jedes
Mitgliedstaats zählen.
Da CDU/CSU,
SPD, Grüne und FDP diese Bestimmungen bereits im Bundestag
unterstützten, ist es wenig überraschend, dass sie sich auch in
ihren Wahlprogrammen dafür aussprechen. Im Detail allerdings finden sich
einige Unterschiede. So legen CDU/CSU, SPD und FDP einigen Wert
darauf, dass die europäische Aufsicht nur Großbanken umfasst,
während die Grünen gerne sämtliche „international aktive Banken“
auf europäischer Ebene überwachen lassen würden. Hingegen sollen
ihnen zufolge die nationalen Aufsichten nur noch für „kleine
Institute mit ausschließlich regionalem Geschäft“ zuständig sein
– und überdies einem europäischen „Durchgriffs- und
Letztentscheidungsrecht“ unterliegen.
Gewisse
Vorbehalte gibt es zudem gegenüber der Ansiedlung der Bankenaufsicht
bei der EZB: Diese sieht die SPD nur als vorläufige Lösung, die
langfristig durch eine „eigenständige europäische
Aufsichtsbehörde“ ersetzt werden sollte. Die Grünen wollen bei
der Bankenkontrolle eine „demokratische Rechenschaftspflicht der
EZB gegenüber dem Europaparlament“ einführen. Und die FDP legt
„strengen
Wert auf eine strikte institutionelle Trennung zwischen Zentralbank-
und Aufsichtsfunktionen“ und will diese mindestens innerhalb der
EZB durch getrennte Entscheidungsgremien verankert sehen.
Komplett
andere Vorstellungen hat dagegen die Linke: Diese lehnt eine
Bankenaufsicht durch die EZB vollständig ab, „da
es dieser an unmittelbarer demokratischer Legitimation fehlt“.
Stattdessen fordern sie zur Bankenaufsicht Gremien, an denen „nicht
nur ‚Expertinnen und Experten‘ oder Politikerinnen und Politiker,
sondern auch Gewerkschaften, Sozialverbände, Verbraucherschutz- und
Umweltverbände und andere zivilgesellschaftliche Akteure“
beteiligt sein sollen. Nach welchem Verfahren diese Akteure genau
bestimmt würden, erklärt das Programm allerdings nicht.
Bankenunion:
Abwicklungsmechanismus
Stärker
umstritten als die Bankenaufsicht ist die Einrichtung eines
gemeinsamen Abwicklungsverfahrens für überschuldete Banken. Auch
hier war auf europäischer Ebene zuletzt einiges in Bewegung: Erst
vor wenigen Wochen präsentierte
die Europäische Kommission ihre Vorschläge für einen „europäischen
Abwicklungsmechanismus“. Demnach soll die Kommission künftig
bei Entscheidungen über die Schließung einer Bank selbst das letzte
Wort haben. Außerdem soll für die Bankenabwicklung ein
55 Milliarden Euro schwerer Fonds zur Verfügung stehen. Dieser
würde vorläufig aus Steuergeld, mittelfristig aus einer
Bankenabgabe finanziert; über seine Verwendung würde ein Ausschuss
entscheiden, der sich aus der Kommission, der EZB sowie den
nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzt.
Diese
Vorschläge decken sich recht gut mit dem Wahlprogramm der SPD, die
die „Einrichtung einer europäischen
Abwicklungsbehörde und eines europäischen Restrukturierungsfonds“
fordert, der aus einer Bankenabgabe finanziert sein soll. Auch die
Grünen wollen ein solches Modell wenigstens „prüfen“.
CDU/CSU
und FDP hingegen wollen zwar ebenfalls gern ein europäisches
Verfahren zur Abwicklung insolventer Banken. Von einem gemeinsamen
Fonds ist bei ihnen jedoch keine Rede; die FDP lehnt einen
„Zugriff auf […] den nationalen Restrukturierungsfonds“ sogar
explizit ab. Entsprechend wies die Bundesregierung im Juli auch die
Vorschläge der Kommission in ungewohnter Schärfe zurück.
Geht es nach den Regierungsparteien, soll Geld zur Restrukturierung
überschuldeter Banken allenfalls aus den „europäischen
Rettungsschirmen“ (also dem ESM) kommen – und auch das erst,
sobald die „Arbeitsfähigkeit der
europäischen Bankenaufsicht“ sichergestellt ist (so die CDU/CSU),
und nur, wenn es gleichzeitig auch zu einer „Mithaftung
des betreffenden Sitzstaates“ kommt (so die FDP).
Bankenunion:
Einlagensicherung
Etwas
weniger kontrovers ist schließlich die Frage der Einlagensicherung.
Dies liegt vor allem daran, dass die Europäische Kommission
inzwischen (nicht zuletzt aufgrund des Widerstands der
Bundesregierung) offenbar von der Idee abgerückt ist, hierfür ein
gemeinsames europäisches System zu schaffen. Nach einem
Richtlinienentwurf,
über den derzeit verhandelt wird, sollen lediglich die
nationalen Einlagensicherungsregeln stärker harmonisiert werden.
Den
deutschen Parteien dürfte das recht sein: CDU/CSU und FDP lehnen in
ihren Wahlprogrammen einen gemeinsamen Einlagensicherungsfonds
ohnehin ab, und auch die Grünen sprechen nur vage von einem
„gemeinsamen Rahmen für europäische Einlagensicherungssysteme“.
SPD und Linke erwähnen das Thema überhaupt nicht. Dass von der
nächsten Bundesregierung irgendeine Initiative ausgeht, um diese
wichtige
Lücke in der Bankenunion zu schließen, wird man also nicht
erwarten dürfen.
Fazit
Die
Neuregulierung der europäischen Finanzmärkte befindet sich im vollen Gang, und auch die deutschen Parteien haben dazu in ihren Wahlprogrammen einige Vorschläge – auch wenn diese teilweise schon jetzt von
aktuellen Gesetzgebungsvorschlägen der Europäischen Kommission
eingeholt worden sind. Eine Sonderrolle spielt dabei die Linke, die
einen guten Teil des Finanzmarkts komplett verbieten oder
verstaatlichen will. Unter den übrigen Parteien sind es vor allem
die Grünen, die das Bankwesen durch schärfere
Eigenkapitalvorschriften und durch eine strikte Trennung von
Investment- und Einlagengeschäft einhegen wollen. Außerdem wollen
alle drei Oppositionsparteien einen neuen Anlauf zur Gründung einer
europäischen Ratingagentur versuchen.
Was
die Bankenunion betrifft, sind sich bis auf die Linke alle Parteien
einig, dass die EZB die Aufsicht über die Großbanken übernehmen
soll. Umstritten ist hingegen der europäische
Abwicklungsmechanismus: Während SPD und Grüne hier mit den
Kommissionsplänen auf einer Linie liegen, lehnen CDU/CSU und FDP
einen gemeinsamen Restrukturierungsfonds ebenso ab wie eine
gemeinsame Einlagensicherung. In den harten Konflikten, die die
EU-Institutionen in den nächsten Monaten aller Voraussicht nach über
dieses Thema austragen werden, dürfte es deshalb eine wichtige Rolle
spielen, welche Parteien die deutsche Bundestagswahl gewinnen.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: By Thomas Wolf, www.foto-tw.de [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.
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