30 August 2014

Wer wird was? Welche Herausforderungen auf die neue Kommission zukommen und welche Kandidaten sie angehen wollen

Kommissionspräsident Juncker (rechts) ist schon designiert, Ratspräsident Tusk (links) wird wohl heute gewählt. Aber die EU hat noch viele weitere wichtige Ämter zu besetzen.
Als der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy (CD&V/EVP) gestern Nachmittag in dem Gebäude ankam, in dem der Europäische Rat heute über seinen Nachfolger und über die neue Hohe Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden will, begrüßte er die wartenden Journalisten mit einem grinsenden „Itʼs done!“ Später wurde das dann von anderer Seite zwar wieder relativiert. Insgesamt aber dürfte der Gipfel die Personalfrage doch recht schnell erledigen: Nachdem die Vergabe der EU-Spitzenjobs im Juli noch an der komplizierten Machtarithmetik der Mitgliedstaaten gescheitert war, zeichneten sich in den letzten Tagen zwei klare Favoriten ab – nämlich der derzeitige polnische Premierminister Donald Tusk (PO/EVP) für die Ratspräsidentschaft und die italienische Außenministerin Federica Mogherini (PD/SPE) als Hohe Vertreterin.

Über die Frauenquote ist Ärger vorprogrammiert

Noch kein endgültiger Beschluss wird hingegen für die Besetzung der weiteren Kommissionsmitglieder erwartet. Auch hier dürfte es allerdings nur noch um Feinarbeit gehen: Fast alle Mitgliedsregierungen haben inzwischen einen Kandidaten aus ihrem jeweiligen Land vorgeschlagen, und in vielen Fällen ist auch schon klar, welches Portfolio die neuen Kommissare gerne hätten (eine Übersicht dazu ist hier zu finden). Die endgültige Entscheidung über die Ressortverteilung wird Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) also in den nächsten Tagen treffen.

Sein Hauptproblem ist dabei nach wie vor der geringe Frauenanteil unter den Vorschlägen der Mitgliedstaaten: Selbst bei optimistischer Rechnung werden von den 28 Kommissionskandidaten nur acht weiblich sein – was deutlich hinter den Forderungen des Europäischen Parlaments zurückbleibt. Insbesondere der christdemokratische Fraktionsvorsitzende Manfred Weber (CSU/EVP) hat die Zustimmung seiner Fraktion zu einer Kommission mit so wenig Frauen „definitiv“ ausgeschlossen. Ärger ist also vorprogrammiert, aber erst im September oder Oktober. Heute hingegen dürften die Staats- und Regierungschefs erst einmal ihrer Selbstzufriedenheit Ausdruck verleihen, dass sie aus ihrer Sicht alles getan haben, um das neue europäische Personaltableau zu füllen.

Und wie geht es dann weiter? An Herausforderungen für die EU besteht jedenfalls kein Mangel: Hier einige der Aufgaben, mit denen die neuen Kommissionsmitglieder in ihrer Amtszeit konfrontiert sein werden.

Die Eurokrise und der Währungskommissar

Das wichtigste Problem der EU dürfte auch in den nächsten Jahren die Eurokrise bleiben. Deren akute Phase dürfte inzwischen zwar vorüber sein: Vor allem dank der Europäischen Zentralbank ist von Staatsbankrotten und Euro-Austritten inzwischen keine Rede mehr. Doch aus der heftigen Krise droht nun eine chronische Krankheit zu werden, die kaum weniger fatal ist: Nach Angaben des Statistischen Amts der EU waren im Juli 2014 fast 25 Millionen Europäer arbeitslos, was einer Quote von 11,5% der Erwerbsbevölkerung entspricht. Die europaweite Langzeitarbeitslosigkeit lag 2013 bei einem Allzeithoch von 5,1% – fast doppelt so hoch wie vor der Krise, Tendenz weiter steigend. Zugleich fiel die Inflationsrate in der Eurozone auf zuletzt nur noch 0,3%, was der Vorbote einer langen wirtschaftlichen Flaute sein könnte.

Entsprechend groß ist unter den Kommissarskandidaten das Drängen um die prominenten Wirtschaftsressorts. Bereits Anfang Juli hatte Juncker erklärt, dass das Portfolio Wirtschaft und Währung (bisher Olli Rehn, Kesk./ALDE) diesmal an einen Sozialdemokraten gehen sollte. Als Favoriten für das Amt galten deshalb der Niederländer Jeroen Dijsselbloem (PvdA/SPE) und der Franzose Pierre Moscovici (PS/SPE). Allerdings ist Dijsselbloem mit Juncker persönlich zerstritten, und Moscovici stößt bei der deutschen Bundesregierung auf Widerstand – vor allem, da der Währungskommissar auch für die Kontrolle der nationalen Haushaltsdefizite zuständig ist und Moscovici nicht als besonders überzeugter Unterstützer der Sparpolitik der letzten Jahre gilt.

Weitere Wirtschaftsressorts

Aber es gibt ja noch weitere Kommissarsposten mit großem Einfluss auf die europäische Wirtschaft, und nichts schreibt vor, dass man die Ressorts nicht auch neu zuschneiden könnte. So war zuletzt im Gespräch, ein neues Vizepräsidentenamt zu schaffen, das sich mit allen Fragen von Investitionen und Wachstumsförderung beschäftigen sollte. Für Moscovici könnte das geradezu ideal geeignet sein, auch wenn die genaue Abgrenzung von den bisherigen Wirtschaftsressorts nicht immer leicht fallen dürfte.

Darüber hinaus hat Juncker angekündigt, dass ein Schwerpunkt seiner Wirtschaftsstrategie auf dem „digitalen Binnenmarkt“ liegen soll. Das zuständige Ressort (bisher Neelie Kroes, VVD/ALDE) dürfte deshalb an Bedeutung zulegen. Auch der neue Sozialkommissar (bisher László Andor, MSZP/SPE) könnte an Einfluss gewinnen – etwa wenn in den nächsten Jahren die Frage einer europäischen Arbeitslosenversicherung auf die Tagesordnung kommt. Weniger wichtig als jetzt könnte hingegen das Ressort Binnenmarkt (bisher Michel Barnier, UMP/EVP) werden, vor allem, wenn Juncker seine Überlegung wahr macht, für den Bereich Finanzmärkte einen eigenen Kommissar zu ernennen.

Darüber hinaus wird es wohl weiterhin noch zahlreiche weitere Wirtschaftsressorts geben, z. B. für Wettbewerb (bisher Joaquín Almunia, PSOE/SPE) oder Industrie (bisher Antonio Tajani, FI/EVP). Allerdings werden all diese Ressorts auch nötig sein, um die vielen Kommissarsanwärter zu versorgen, die an einem Wirtschaftsposten interessiert sind: unter anderem der Brite Jonathan Hill (Cons./AECR), der Portugiese Carlos Moedas (PSD/EVP), der Finne Jyrki Katainen (Kok./EVP), der Lette Valdis Dombrovskis (V/EVP) und der Este Andrus Ansip (RE/ALDE).

Außenhandel und Energie gewinnen an Bedeutung

Zwei weitere Ressorts, auf die in den nächsten Jahren große Aufgaben zukommen, sind Außenhandel (bisher Karel de Gucht, Open-VLD/ALDE) und Energie (bisher Günther Oettinger, CDU/EVP). So wird es wohl die jetzt neu ernannte Kommission sein, die die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zum Abschluss bringt. Der neue Handelskommissar wird deshalb mit Sicherheit einigen Ärger abbekommen, zugleich aber auch viel gestalten können. Entsprechend hoch ist das Interesse an dem Job: Als Favorit gilt der Deutsche Günther Oettinger (CDU/EVP), in Frage kämen aber zum Beispiel auch Hill, Katainen oder die Niederländerin Lilianne Ploumen (PvdA/SPE).

Das Energieressort wiederum hat vor allem durch die aktuellen Konflikte in der Ukraine an Bedeutung gewonnen. Derzeit sind viele östliche Mitgliedstaaten sehr stark von russischen Gasimporten abhängig, was auch an der schlechten Vernetzung der EU-Energieinfrastruktur liegt. Die polnische Regierung forderte vor einigen Monaten gar, die europäischen Energieimporte künftig im Rahmen einer „Energieunion“ komplett zu zentralisieren. Der Pole Radek Sikorski (PO/EVP) gilt dementsprechend als einer der wichtigsten Interessenten an dem Portfolio.

Wenig Interessenten für Klimaschutz, viele für Landwirtschaft

Erstaunlich wenig Beachtung fand zuletzt zudem das Ressort Klimaschutz (bisher Connie Hedegaard, K/EVP). Während der Eurokrise standen in der EU viele Fabriken still, was ganz von selbst den CO2-Ausstoß verringerte. Wenn die Industrie in den nächsten Jahren wieder anspringt, wird die EU jedoch neue Anstrengungen im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz unternehmen müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Klare Interessenten für den Posten scheint es derzeit allerdings nicht zu geben.

Bei den Ressorts, die besonders viel Geld zu verteilen haben, ist die Nachfrage hingegen groß. Sowohl der derzeitige Kommissar für Landwirtschaft (Dacian Cioloș, EVP) als auch der für Regionalpolitik (Johannes Hahn, ÖVP/EVP) würden gern ihr Amt behalten. Cioloș bekommt dabei jedoch Konkurrenz von dem Spanier Miguel Arias Cañete (PP/EVP) und dem Iren Phil Hogan (FG/EVP), Hahn unter anderem von der Tschechin Věra Jourová (ANO/ALDE).

Neue Ressorts für Migration und Grundrechte

Während sich um die Wirtschaftsressorts also sehr viele Kommissarsanwärter balgen, sieht es im Bereich Justiz und Inneres etwas entspannter aus. In der Rede vor seiner Wahl im Europäischen Parlament kündigte Juncker im Juli an, er werde einen neuen Kommissarsposten schaffen, der ausschließlich für Migrationsfragen zuständig ist – was nach hunderten Toten vor Lampedusa in den letzten Jahren sicher eine drängende Aufgabe ist. Junckers Ziel ist es dabei, einerseits die legale Zuwanderung in die EU zu erleichtern, andererseits die illegale effektiver zu verhindern. Infrage käme für den Posten zum Beispiel der Grieche Dimitris Avramopoulos (ND/EVP).

Ein weiteres Kommissionsmitglied soll, wie Juncker ebenfalls in seiner Rede ankündigte, speziell für die Einhaltung der EU-Grundrechtecharta und die Rechtsstaatlichkeit zuständig sein. Bedeutung dürfte dieser Posten vor allem in der Auseinandersetzung mit der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán (Fidesz/EVP) erlangen, die sich in jüngster Zeit immer deutlicher von den europäischen Grundwerten entfernt. Als wichtigste Interessentin für das Amt gilt die Schwedin Cecilia Malmström (FP/ALDE), die zuletzt bereits Innenkommissarin war. Wie genau sich die Aufgabenverteilung zwischen dem neuen Grundrechte- und dem alten Justizressort (bisher Viviane Reding, CSV/EVP) gestalten wird, ist allerdings noch etwas unklar. 

Der außenpolitische Bereich

Auch im außenpolitischen Bereich gibt es noch eine ganze Reihe von Posten zu besetzen. Neben der Hohen Vertreterin (bisher Catherine Ashton, Lab./SPE) gab es hier bisher einen Kommissar für Entwicklungspolitik (Andris Piebalgs, LC/ALDE), eine für Humanitäre Hilfe (Kristalina Georgieva, EVP) und einen für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik (Štefan Füle, SPE-nah).

Allerdings versprechen all diese Posten (möglicherweise mit Ausnahme des Nachbarschaftsressorts) in den nächsten Jahren keine besonders prestigeträchtigen Aufgaben, sodass das Interesse daran eher gering ist. Die Bulgarin Georgieva, die in den letzten Wochen Mogherinis wichtigste Konkurrentin um das Amt der Hohen Vertreterin war, sowie Sikorski und Avramopoulos, die in der Vergangenheit ebenfalls mit dem Amt des Hohen Vertreters geliebäugelt haben, scheinen jedenfalls andere Positionen anzustreben.

Kleinere Ressorts

Auch in den nächsten Jahren wird es außerdem natürlich wieder einen Haushaltskommissar geben, der das EU-Budget verwaltet (bisher Janusz Lewandowski, PO/EVP) – durchaus ein prominentes Amt, auch wenn hier nach der Verabschiedung des mehrjährigen Finanzrahmens für 2014-2020 erst einmal keine großen neuen Entscheidungen anstehen. Auch der Kommissar für institutionelle Beziehungen und Verwaltung (bisher Maroš Šefčovič, SPE-nah) wird weiterhin wichtig bleiben, aber wohl eher hinter den Kulissen tätig sein. Und dann gibt es natürlich noch die vielen „kleineren“ Ressorts: Das Gesundheitsportfolio etwa (bisher Tonio Borg, PN/EVP) dürfte an Vytenis Andriukaitis (LSDP/SPE) gehen, der sich als gelernter Arzt und derzeitiger litauischer Gesundheitsminister wohl als einziger Kandidat ernsthaft dafür interessiert.

Ebenfalls wenig prominent blieben in den letzten Jahren die Ressorts Fischerei, Umwelt, Verbraucherschutz, Steuern und Zollunion, Forschung, Verkehr sowie Bildung, Kultur, Jugend und Mehrsprachigkeit. Ob es sie in Zukunft in dieser Form weiterhin gibt und wer dann dafür zuständig ist, wird sich erst zeigen, wenn Juncker seine finale Liste präsentiert – und das Europäische Parlament darüber entscheiden wird, ob es mit diesem Ergebnis der langwöchigen Verhandlungen einverstanden ist.

Bild: By Jean-Claude Jucnker (junckerepp) [CC BY-NC 2.0], via Flickr.

05 August 2014

Junckers 28: Die Konflikte um die Frauenquote und um die Binnenhierarchien in der neuen Europäischen Kommission

#TenOrMore: Nicht nur Neelie Kroes will in der neuen Kommission mindestens so viele Frauen sehen, wie sie Finger an beiden Händen hat.
Am heutigen Dienstag ist es drei Wochen her, dass das Europäische Parlament Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) nach zähem Ringen und mit einigem öffentlichen Echo zum neuen EU-Kommissionspräsidenten gewählt hat. Zwei Tage später scheiterte der Europäische Rat mit der Ernennung eines neuen Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und beschloss, die Entscheidung über die weiteren EU-Spitzenjobs (neben dem Hohen Vertreter vor allem der Präsident des Europäischen Rates) bis Ende August zu vertagen. Seitdem ist es in den Medien um das Brüsseler Personalpuzzle wieder etwas ruhiger geworden.

Unterhalb des Radars der breiten öffentlichen Aufmerksamkeit aber hat sich einiges getan, denn außer den Spitzenjobs sind schließlich auch die Posten der „normalen“ Kommissionsmitglieder neu zu besetzen. Inzwischen haben fast alle nationalen Regierungen einen Namen für das Kommissionsmitglied aus ihrem jeweiligen Land vorgeschlagen. Eine (laufend aktualisierte) Liste ist hier zu finden, und die meisten der darin enthaltenen Politiker werden wohl tatsächlich im Herbst ihr Büro in Brüssel beziehen. Trotzdem ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Sowohl bei der personellen Zusammensetzung als auch bei der Ressortverteilung zeichnen sich nämlich neue Konflikte ab – und schon bald könnte der Ball wieder beim Europäischen Parlament liegen.

Das Verfahren zur Wahl der Kommission

In aller Kürze zum Verfahren: Wenigstens für die nächste Amtsperiode wird wie bisher jeder Mitgliedstaat einen Kommissar stellen. Nach Art. 17 Abs. 7 EU-Vertrag können dabei die einzelnen nationalen Regierungen Vorschläge machen. Die gesamte Liste wird dann vom Ministerrat „im Einvernehmen mit dem gewählten Präsidenten“ angenommen. Wenigstens de jure hat Juncker also ein Vetorecht gegen die vorgeschlagenen Kandidaten. De facto hat davon allerdings noch kein Kommissionspräsident jemals Gebrauch gemacht; üblicherweise werden die Vorschläge der einzelnen Regierungen im Rat einfach durchgewinkt.

Ist die Liste einmal angenommen, kann Juncker die Zuständigkeitsbereiche für die einzelnen Kommissare nach Art. 248 AEU-Vertrag frei verteilen. (Einzige Ausnahme ist der Hohe Vertreter, der vom Europäischen Rat namentlich ernannt wird.) Anschließend muss sich die gesamte Kommission als Kollegium einer Abstimmung im Europäischen Parlament stellen. Nur wenn sie auch dort bestätigt wird, können die Kommissare ihre Arbeit aufnehmen. In der Vergangenheit hat dies bereits zweimal dazu geführt, dass einzelne im Parlament abgelehnte Kandidaten von ihren jeweiligen nationalen Regierungen zurückgezogen und ersetzt wurden.

#TenOrMore: Die Frauenfrage

Woran der Vorschlag des Rates dieses Jahr scheitern könnte, sind jedoch nicht unbedingt einzelne Kandidaten. In der Kritik steht vielmehr die Zusammensetzung der Kommission insgesamt, genauer: das Verhältnis zwischen Frauen und Männern darin. In der vergangenen Amtsperiode waren nämlich nur neun der 28 Kommissionsmitglieder weiblich – eine Quote, die Jean-Claude Juncker gerne erhöhen wollte. Schon Anfang Juli forderte er die Regierungen deshalb auf, nicht nur jeweils einen einzelnen Kandidaten vorzuschlagen, sondern mindestens eine Frau und einen Mann, aus denen er dann selbst ein ausgewogenes Kollegium zusammenstellen würde. Zudem deutete er wiederholt an, dass weibliche Kandidatinnen bei der Vergabe der wichtigen Ressorts bessere Chancen haben könnten.

Die Regierungen jedoch reagierten kaum auf diese Aufforderung. Das einzige Land, das Juncker tatsächlich mehrere Kandidaten zur Auswahl anbot, war Slowenien, wo gerade eine nationale Parlamentswahl das Parteiensystem durcheinander geworfen hat, sodass die Regierung offenbar andere Sorgen hatte. Darüber hinaus schlugen nur vier weitere Regierungen (Italien, Tschechien, Schweden und Bulgarien) eine Frau vor. Belgien, Dänemark und die Niederlande sind noch unentschlossen. Die übrigen zwanzig hingegen haben sich bereits auf einen Mann festgelegt. Auch einer Bitte Junckers, dass diese Länder ihre Vorschläge noch einmal überdenken und weitere Kandidatinnen nachnominieren, erteilte jüngst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) eine Abfuhr.

Lässt das Parlament die Kommission scheitern?

Geht es nach den Vorschlägen der nationalen Regierungen, dürfte der Frauenanteil in der neuen Kommission also sinken statt zu steigen. Das aber haben die großen Fraktionen des Europäischen Parlaments in den letzten Wochen öffentlich abgelehnt: Der sozialdemokratische Fraktionschef Martin Schulz (SPD/SPE) etwa erklärte Mitte Juli, ein reiner „Männerclub“ werde im Parlament durchfallen. Noch deutlicher wurde sein christdemokratischer Gegenüber Manfred Weber (CSU/EVP), der eine Wahl der Kommission „definitiv“ ausschloss, wenn darin nicht mindestens der bisherige Anteil von neun Frauen gehalten würde. Begleitet wurden diese Forderungen auf Twitter unter dem Hashtag #tenormore, wo unter anderem die scheidenden Kommissarinnen Neelie Kroes (VVD/ALDE) und Androulla Vassiliou (EDI/ALDE) ihre Unterstützung für die Forderung des Parlaments verdeutlichten.

Wird das Parlament also die neue Kommission an der Frauenfrage scheitern lassen? Es würde damit jedenfalls politisches Neuland betreten: Anders als 2004 und 2009, wo es jeweils nur einzelne Regierungen zu einem Rückzug ihrer Kandidaten zwang, wäre es diesmal der gesamte Ministerrat, der seine Liste überdenken müsste. Gleichzeitig könnte es dadurch wenige Monate nach dem erfolgreichen Spitzenkandidaten-Verfahren bei der Europawahl erneut ein Zeichen dafür setzen, dass die Ernennung der Europäischen Kommission nicht allein Sache der nationalen Regierungen ist – und dass es neben dem nationalen Proporz auch noch andere Quoten gibt, die bei der Repräsentation der Europäer wichtig sind.

Die missglückte Verkleinerung der Kommission

Der Konflikt um den Frauenanteil ist allerdings nicht die einzige spannende Frage bei der Bildung der neuen Europäischen Kommission. Nicht weniger interessant wird auch, wie Jean-Claude Juncker unter ihren Mitgliedern die Ressorts aufteilt. Wie schon erwähnt, hat er dabei weitgehend freie Hand – was aber natürlich die nationalen Regierungen und das Europäische Parlament nicht davon abzuhalten braucht, auch zu diesem Thema ihre Meinung zu äußern.

Weitgehend einig sind sich dabei alle Seiten, dass die Kommission eigentlich längst zu groß geworden ist. Auf nationaler Ebene bestehen Regierungskabinette in Europa meistens aus etwa 15 bis 20 Ministern. Die Kommission hingegen, die einen Kommissar aus jedem Mitgliedstaat umfasst, ist durch die EU-Erweiterungen inzwischen auf 28 Mitglieder gewachsen. Und da bislang jeder dieser Kommissare ein eigenes Ressort hat, wurden auch die Zuständigkeitsbereiche immer kleiner. In der aktuellen Kommission Barroso etwa gibt es einen Kommissar für Umwelt und eine andere für Klimaschutz; einen für Entwicklungspolitik und eine andere für humanitäre Hilfe; und im Wirtschaftsbereich tummeln sich (unter anderem) je einer für Binnenmarkt, Wettbewerb, Industrie, Außenhandel und Währungspolitik.

Solche kleinen Ressorts führen in der Kommission natürlich zu ständigen Koordinierungsproblemen, da die meisten Probleme die Zuständigkeiten gleich mehrerer Kommissare betreffen. Der EU-Vertrag von Lissabon sah deshalb eigentlich eine Verkleinerung der Kommission vor. Vor allem in kleineren Ländern stieß dies jedoch auf Kritik, und nach dem gescheiterten Referendum in Irland einigten sich die Staats- und Regierungschefs 2008 darauf, dass auch künftig jedes Land einen Kommissar stellen sollte. Die rechtliche Grundlage dafür bietet heute ein Beschluss des Europäischen Rates von 2013.

„Juniorkommissare“, „Kommissare ohne Portfolio“, „Cluster“?

Damit aber blieb das Problem der ineffizienten Ressortverteilung weiter ungelöst. Seit einigen Jahren mehren sich deshalb die Vorschläge, wie eine Kommission auch mit 28 Mitgliedern besser funktionieren könnte als bisher. Hierzu zählte etwa die Einführung von „Juniorkommissaren“: Diese sollten zwar bei Entscheidungen im Kommissionskollegium beteiligt sein, dabei aber keinen eigenen Zuständigkeitsbereich und womöglich noch nicht einmal Mitarbeiter haben, sondern lediglich einem der „Seniorkommissare“ zuarbeiten. Eine andere Option wären „Kommissare ohne Portfolio“. Anders als „Juniorkommissare“ würden diese nicht bestimmten anderen Kommissaren untergeordnet sein, sondern wären für spezifische ressortübergreifende Querschnittsthemen zuständig. Auch sie hätten jedoch nur einen reduzierten Mitarbeiterstab.

Beide Vorschläge sind allerdings unter den nationalen Regierungen eher unbeliebt, da sowohl ein „Juniorkommissar“ als auch ein „Kommissar ohne Portfolio“ in der Öffentlichkeit als eine Art Kommissar zweiter Klasse wahrgenommen werden könnte. Das Modell, das in den letzten Monaten in Brüssel am häufigsten diskutiert wurde, sind deshalb die sogenannten „Cluster“: Demnach sollen die einzelnen Ressorts künftig in thematische Blöcke zusammengefasst werden, die jeweils von einem Kommissions-Vizepräsidenten geleitet werden. Damit hätte also weiterhin jeder einzelne Kommissar ein Ressort für sich. Die Vizepräsidenten könnten jedoch innerhalb ihres jeweiligen Clusters für eine bessere Koordinierung und eine stimmige Gesamtlinie sorgen.

Nationale Eitelkeiten um die Vizepräsidenten-Posten

Unterstützung findet dieses Konzept insbesondere in den großen Mitgliedstaaten: Sowohl der von Frankreich nominierte Kommissarskandidat Pierre Moscovici (PS/SPE) als auch sein deutscher Kollege Günther Oettinger (CDU/EVP) sprachen sich in den letzten Wochen für die Bildung von Clustern aus – und brachten zugleich sich selbst für einen der Vizepräsidenten-Posten ins Spiel. Skeptisch sind jedoch weiterhin die kleineren Länder. Die bulgarische Kommissarin Kristalina Georgiewa (EVP) sprach sich deshalb Ende Juni für einen flexibleren „Netzwerkansatz“ aus, nach dem die Kommissare zwar ebenfalls enger als bisher zusammenarbeiten würden, aber nicht in feste Cluster gruppiert wären.

Letztlich steht Juncker bei der Frage nach den internen Hierarchien in der Kommission also vor einem Zielkonflikt nationaler Eitelkeiten: Für die Effizienz, aber auch für ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit wäre es zweifellos besser, wenn die Arbeit der Kommission vor allem von einer überschaubaren Gruppe von fünf bis sieben Cluster-Chefs bestimmt würde. Allerdings erwarten die Regierungen der großen Länder wie selbstverständlich, dass ihre Kandidaten bei der Vergabe dieser Posten berücksichtigt werden. Und gerade diese Selbstverständlichkeit ist es, die die kleinen Länder gegen den Vorschlag aufbringt.

Wie genau sich Juncker zuletzt entscheiden wird, ist derzeit deshalb noch weitgehend Spekulation. Das „Juniorkommissar“-Modell lehnte er schon im Juni explizit ab. Die Clusterbildung hingegen schien bei ihm auf größere Sympathie zu stoßen; Mitte Juli wurde sogar ein Plan bekannt, wie diese Cluster aussehen könnten. Zuletzt allerdings distanzierte er sich wieder von der Idee, womit der flexible „Netzwerkansatz“ nun wahrscheinlicher wird – selbst wenn derzeit gar nicht so ganz klar ist, wie dieser eigentlich genau funktionieren soll. Und die Befürchtung steigt, dass die Zuständigkeiten in der neuen Kommission ebenso zersplittert und die Verantwortlichkeiten in der Öffentlichkeit ebenso unklar bleiben werden, wie sie es auch in der Vergangenheit gewesen sind.


Bild: By Sebastiaan ter Burg [CC BY-SA 2.0], via Flickr.