- Kommissionspräsident Juncker (rechts) ist schon designiert, Ratspräsident Tusk (links) wird wohl heute gewählt. Aber die EU hat noch viele weitere wichtige Ämter zu besetzen.
Als der EU-Ratspräsident
Herman Van Rompuy (CD&V/EVP) gestern Nachmittag in dem Gebäude
ankam, in dem der Europäische Rat heute über seinen Nachfolger und
über die neue Hohe Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik entscheiden will, begrüßte er die wartenden
Journalisten mit einem grinsenden „Itʼs
done!“ Später
wurde das dann von anderer Seite zwar wieder relativiert.
Insgesamt aber dürfte der Gipfel die Personalfrage doch recht
schnell erledigen: Nachdem die Vergabe der EU-Spitzenjobs im Juli
noch an
der komplizierten Machtarithmetik der Mitgliedstaaten gescheitert
war, zeichneten sich in den letzten Tagen zwei klare Favoriten ab
– nämlich der derzeitige polnische Premierminister Donald Tusk
(PO/EVP) für die Ratspräsidentschaft und die italienische
Außenministerin Federica Mogherini (PD/SPE) als Hohe Vertreterin.
Über die Frauenquote ist Ärger vorprogrammiert
Noch
kein endgültiger Beschluss wird hingegen für die Besetzung der
weiteren Kommissionsmitglieder erwartet. Auch hier dürfte es
allerdings nur noch um Feinarbeit gehen: Fast alle
Mitgliedsregierungen haben inzwischen einen Kandidaten aus ihrem
jeweiligen Land vorgeschlagen, und in vielen Fällen ist auch schon
klar, welches Portfolio die neuen Kommissare gerne hätten (eine
Übersicht dazu ist hier
zu finden). Die endgültige Entscheidung über die Ressortverteilung
wird Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) also in den
nächsten Tagen treffen.
Sein
Hauptproblem ist dabei nach wie vor der geringe Frauenanteil unter
den Vorschlägen der Mitgliedstaaten: Selbst bei optimistischer
Rechnung werden von den 28 Kommissionskandidaten nur acht weiblich
sein – was deutlich
hinter den Forderungen des Europäischen Parlaments zurückbleibt.
Insbesondere der christdemokratische Fraktionsvorsitzende Manfred
Weber (CSU/EVP) hat die Zustimmung seiner Fraktion zu einer
Kommission mit so wenig Frauen „definitiv“
ausgeschlossen. Ärger ist also vorprogrammiert, aber erst im
September oder Oktober. Heute hingegen dürften die Staats- und
Regierungschefs erst einmal ihrer Selbstzufriedenheit Ausdruck
verleihen, dass sie aus ihrer Sicht alles getan haben, um das neue
europäische Personaltableau zu füllen.
Und
wie geht es dann weiter? An Herausforderungen für die EU besteht
jedenfalls kein Mangel: Hier einige der Aufgaben, mit denen die neuen
Kommissionsmitglieder in ihrer Amtszeit konfrontiert sein werden.
Die Eurokrise und der
Währungskommissar
Das
wichtigste Problem der EU dürfte auch in den nächsten Jahren die
Eurokrise bleiben. Deren akute Phase dürfte inzwischen zwar vorüber
sein: Vor allem dank der Europäischen Zentralbank ist von
Staatsbankrotten und Euro-Austritten inzwischen keine Rede mehr. Doch
aus der heftigen Krise droht nun eine chronische Krankheit zu werden,
die kaum weniger fatal ist: Nach Angaben
des Statistischen Amts der EU waren im Juli 2014 fast 25
Millionen Europäer arbeitslos, was einer Quote von 11,5% der
Erwerbsbevölkerung entspricht. Die europaweite
Langzeitarbeitslosigkeit lag 2013 bei
einem Allzeithoch von 5,1% – fast doppelt so hoch wie vor der
Krise, Tendenz weiter steigend. Zugleich fiel die Inflationsrate in
der Eurozone auf zuletzt
nur noch 0,3%, was der Vorbote einer langen wirtschaftlichen
Flaute sein könnte.
Entsprechend
groß ist unter den Kommissarskandidaten das Drängen um die
prominenten Wirtschaftsressorts. Bereits Anfang Juli hatte Juncker
erklärt, dass das Portfolio Wirtschaft und Währung (bisher Olli
Rehn, Kesk./ALDE) diesmal
an einen Sozialdemokraten gehen sollte. Als Favoriten für das
Amt galten deshalb der Niederländer Jeroen Dijsselbloem (PvdA/SPE)
und der Franzose Pierre Moscovici (PS/SPE). Allerdings ist
Dijsselbloem mit
Juncker persönlich zerstritten, und Moscovici stößt bei
der deutschen Bundesregierung auf Widerstand – vor allem, da
der Währungskommissar auch für die Kontrolle der nationalen
Haushaltsdefizite zuständig ist und Moscovici nicht als besonders
überzeugter Unterstützer der Sparpolitik der letzten Jahre gilt.
Weitere
Wirtschaftsressorts
Aber
es gibt ja noch weitere Kommissarsposten mit großem Einfluss auf die
europäische Wirtschaft, und nichts schreibt vor, dass man die
Ressorts nicht auch neu zuschneiden könnte. So war zuletzt im
Gespräch, ein neues
Vizepräsidentenamt zu schaffen, das sich mit allen Fragen von
Investitionen und Wachstumsförderung beschäftigen sollte. Für
Moscovici könnte das geradezu ideal geeignet sein, auch wenn die
genaue Abgrenzung von den bisherigen Wirtschaftsressorts nicht immer
leicht fallen dürfte.
Darüber
hinaus hat Juncker angekündigt, dass ein Schwerpunkt seiner
Wirtschaftsstrategie auf dem „digitalen Binnenmarkt“ liegen soll.
Das zuständige Ressort (bisher Neelie Kroes, VVD/ALDE) dürfte
deshalb an Bedeutung zulegen. Auch der neue Sozialkommissar (bisher
László Andor, MSZP/SPE) könnte an Einfluss gewinnen – etwa wenn
in den nächsten Jahren die
Frage einer europäischen Arbeitslosenversicherung auf die
Tagesordnung kommt. Weniger wichtig als jetzt könnte hingegen
das Ressort Binnenmarkt (bisher Michel Barnier, UMP/EVP) werden, vor
allem, wenn Juncker seine Überlegung wahr macht, für
den Bereich Finanzmärkte einen eigenen Kommissar zu ernennen.
Darüber
hinaus wird es wohl weiterhin noch zahlreiche weitere
Wirtschaftsressorts geben, z. B. für Wettbewerb (bisher Joaquín
Almunia, PSOE/SPE) oder Industrie (bisher Antonio Tajani, FI/EVP).
Allerdings werden all diese Ressorts auch nötig sein, um die vielen
Kommissarsanwärter zu versorgen, die an einem Wirtschaftsposten
interessiert sind: unter anderem der Brite Jonathan Hill
(Cons./AECR), der Portugiese Carlos Moedas (PSD/EVP), der Finne Jyrki
Katainen (Kok./EVP), der Lette Valdis Dombrovskis (V/EVP) und der
Este Andrus Ansip (RE/ALDE).
Außenhandel und
Energie gewinnen an Bedeutung
Zwei
weitere Ressorts, auf die in den nächsten Jahren große Aufgaben
zukommen, sind Außenhandel (bisher Karel de Gucht, Open-VLD/ALDE)
und Energie (bisher Günther Oettinger, CDU/EVP). So wird es wohl die
jetzt neu ernannte Kommission sein, die die Verhandlungen über das
transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zum Abschluss bringt. Der neue Handelskommissar
wird deshalb mit Sicherheit einigen Ärger abbekommen, zugleich aber
auch viel gestalten können. Entsprechend hoch ist das Interesse an
dem Job: Als Favorit gilt der Deutsche Günther Oettinger (CDU/EVP),
in Frage kämen aber zum Beispiel auch Hill, Katainen oder die
Niederländerin Lilianne Ploumen (PvdA/SPE).
Das
Energieressort wiederum hat vor allem durch die aktuellen Konflikte
in der Ukraine an Bedeutung gewonnen. Derzeit sind viele östliche
Mitgliedstaaten sehr stark von russischen Gasimporten abhängig, was
auch an der schlechten Vernetzung der EU-Energieinfrastruktur liegt.
Die polnische Regierung forderte vor einigen Monaten gar, die
europäischen Energieimporte künftig im
Rahmen einer „Energieunion“ komplett zu zentralisieren. Der
Pole Radek Sikorski (PO/EVP) gilt dementsprechend als einer der
wichtigsten Interessenten an dem Portfolio.
Wenig Interessenten
für Klimaschutz, viele für Landwirtschaft
Erstaunlich
wenig Beachtung fand zuletzt zudem das Ressort Klimaschutz (bisher
Connie Hedegaard, K/EVP). Während der Eurokrise standen in der EU
viele Fabriken still, was ganz von selbst den CO2-Ausstoß
verringerte. Wenn die Industrie in den nächsten Jahren wieder
anspringt, wird die EU jedoch neue Anstrengungen im Bereich
erneuerbare Energien und Energieeffizienz unternehmen müssen, um die
Klimaziele zu erreichen. Klare Interessenten für den Posten scheint
es derzeit allerdings nicht zu geben.
Bei
den Ressorts, die besonders viel Geld zu verteilen haben, ist die
Nachfrage hingegen groß. Sowohl der derzeitige Kommissar für
Landwirtschaft (Dacian Cioloș, EVP)
als auch der für Regionalpolitik (Johannes Hahn, ÖVP/EVP) würden
gern ihr Amt behalten. Cioloș bekommt dabei jedoch Konkurrenz von
dem Spanier Miguel Arias Cañete
(PP/EVP) und dem Iren Phil Hogan (FG/EVP), Hahn unter anderem von der
Tschechin Věra
Jourová
(ANO/ALDE).
Neue
Ressorts für Migration und Grundrechte
Während
sich um die Wirtschaftsressorts also sehr viele Kommissarsanwärter
balgen, sieht es im Bereich Justiz und Inneres etwas entspannter aus.
In der Rede
vor seiner Wahl im Europäischen Parlament kündigte Juncker im
Juli an, er werde einen neuen Kommissarsposten schaffen, der
ausschließlich für Migrationsfragen zuständig ist – was nach
hunderten
Toten vor Lampedusa in den letzten Jahren sicher eine drängende
Aufgabe ist. Junckers Ziel ist es dabei, einerseits die legale
Zuwanderung in die EU zu erleichtern, andererseits die illegale
effektiver zu verhindern. Infrage käme für den Posten zum Beispiel der Grieche Dimitris
Avramopoulos (ND/EVP).
Ein
weiteres Kommissionsmitglied soll, wie Juncker ebenfalls in seiner
Rede ankündigte, speziell für die Einhaltung der
EU-Grundrechtecharta und die Rechtsstaatlichkeit zuständig sein.
Bedeutung dürfte dieser Posten vor allem in der Auseinandersetzung
mit der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán (Fidesz/EVP)
erlangen, die sich in jüngster Zeit immer
deutlicher von den europäischen Grundwerten entfernt. Als wichtigste Interessentin für das Amt gilt die Schwedin Cecilia Malmström (FP/ALDE), die zuletzt bereits Innenkommissarin war. Wie genau
sich die Aufgabenverteilung zwischen dem neuen Grundrechte- und dem alten Justizressort (bisher Viviane Reding, CSV/EVP) gestalten wird, ist allerdings
noch etwas unklar.
Der
außenpolitische Bereich
Auch
im außenpolitischen Bereich gibt es noch eine ganze Reihe von Posten
zu besetzen. Neben der Hohen Vertreterin (bisher Catherine Ashton,
Lab./SPE) gab es hier bisher einen Kommissar für Entwicklungspolitik
(Andris Piebalgs, LC/ALDE), eine für Humanitäre Hilfe (Kristalina
Georgieva, EVP) und einen für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik
(Štefan Füle, SPE-nah).
Allerdings
versprechen all diese Posten (möglicherweise mit Ausnahme des
Nachbarschaftsressorts) in den nächsten Jahren keine besonders
prestigeträchtigen Aufgaben, sodass das Interesse daran eher gering
ist. Die Bulgarin Georgieva, die in den letzten Wochen
Mogherinis wichtigste Konkurrentin um das Amt der Hohen Vertreterin war, sowie Sikorski und Avramopoulos, die in der
Vergangenheit ebenfalls mit dem Amt des Hohen Vertreters geliebäugelt
haben, scheinen jedenfalls andere Positionen anzustreben.
Kleinere
Ressorts
Auch in den nächsten Jahren wird es außerdem natürlich wieder einen
Haushaltskommissar geben, der das EU-Budget verwaltet (bisher Janusz
Lewandowski, PO/EVP) – durchaus ein prominentes Amt, auch wenn hier nach der Verabschiedung des
mehrjährigen Finanzrahmens für 2014-2020 erst einmal keine großen
neuen Entscheidungen anstehen. Auch der Kommissar für
institutionelle Beziehungen und Verwaltung (bisher Maroš
Šefčovič, SPE-nah) wird weiterhin wichtig bleiben, aber wohl eher
hinter den Kulissen tätig sein. Und
dann gibt es natürlich noch die vielen „kleineren“ Ressorts:
Das Gesundheitsportfolio etwa (bisher
Tonio Borg, PN/EVP) dürfte an Vytenis Andriukaitis (LSDP/SPE) gehen,
der sich als gelernter Arzt und derzeitiger litauischer
Gesundheitsminister wohl als einziger Kandidat ernsthaft dafür
interessiert.
Ebenfalls
wenig prominent blieben in den letzten Jahren die Ressorts Fischerei,
Umwelt, Verbraucherschutz, Steuern und Zollunion, Forschung, Verkehr
sowie Bildung, Kultur, Jugend und Mehrsprachigkeit. Ob es sie in
Zukunft in dieser Form weiterhin gibt und wer dann dafür zuständig
ist, wird sich erst zeigen, wenn Juncker seine finale Liste
präsentiert – und das Europäische Parlament darüber entscheiden
wird, ob es mit diesem Ergebnis der langwöchigen Verhandlungen
einverstanden ist.
Bild: By Jean-Claude Jucnker (junckerepp) [CC BY-NC 2.0], via Flickr.