29 Oktober 2024

„Fachkräfte, Kompetenzen und Vorsorge“: ein sozialpolitischer Paradigmenwechsel in Brüssel

Von Amandine Crespy und Bastian Kenn
Roxana Mînzatu


Von kollektiver Verantwortung zu einer Welt atomisierter Individuen: Roxana Mînzatus Beschäftigungs- und Sozialressort bekommt ein neues Branding.

Die Ressortverteilung der EU-Kommission ist eine hochpolitische Angelegenheit. Als das Migrationsportfolio 2019 plötzlich in „Schutz unserer europäischen Lebensweise“ umbenannt werden sollte, folgte eine Diskussion über den sich in Brüssel bemerkbar machenden Rechtsruck. Nun verschwindet der Zuständigkeitsbereich „Beschäftigung und Soziales“. Stattdessen waltet die rumänische Kommissarin Roxana Mînzatu künftig über ein Portfolio mit dem merkwürdig anmutenden Titel „Fachkräfte, Kompetenzen und Vorsorge“ (in der englischen Fassung: „People, skills and preparedness“). Erstmals werden dabei die Ressorts für Bildung und Beschäftigung unter einen politischen Hut gebracht. Was hat das zu bedeuten?

„Fachkräfte, Kompetenzen und Vorsorge“ steht sinnbildlich für ein politisches Verständnis, in dem kollektive Verantwortlichkeiten zugunsten einer Welt atomisierter Individuen aufgegeben werden, die sich das nötige Rüstzeug zulegen sollen, um permanenter Unsicherheit trotzen zu können: ein Paradigmenwechsel hin zur Individualisierung und Versicherheitlichung sozialer Probleme.

Soziales vs. „Fachkräfte“

Der erste der drei Begriffe ist in der englischen Fassung (people bedeutet wörtlich „Menschen“, „Leute“ oder „Personen“) zunächst ein Allgemeinplatz, der mit Wohlwollen interpretiert werden kann. So könnte er auf eine konzeptuelle Erweiterung hindeuten, um sich vermehrt auch den Anliegen gesellschaftlicher Gruppen zu widmen, die vorher nicht primäre Adressaten EU-sozialpolitscher Maßnahmen waren – etwa Kindern, Selbständigen oder Menschen in Armut. Das Aufkommen solch neuer Kategorien ist nicht unbedingt schlecht. Um den besonderen Herausforderungen in Arbeit und Gesellschaft gerecht zu werden, erfasst man beispielsweise alleinerziehende Mütter, Migrant:innen oder Menschen mit Behinderungen als „schutzbedürftige Personen“.

Die deutsche Fassung wird allerdings konkreter und greift erkennbar die allenthalben hitzig geführten Debatten über einen branchenübergreifenden Fachkräftemangel auf. Tatsächlich geht es in vielen sozialpolitischen Debatten inzwischen vor allem darum, eben diese Fachkräfte heranzuziehen. So wird beispielsweise der verbesserte Zugang zu frühkindlicher Bildung primär mit dem zu erwartenden wirtschaftlichen Nutzen zukünftiger Fachkräfte begründet, und auch Migrant:innen werden zunehmend anhand ihres „skill levels“ bewertet.

Die Betonung der individuellen „Fachkräfte“ geht mit einer Abkehr vom semantischen Register des Sozialen einher. Sie lässt außer Acht, dass Individuen unweigerlich in soziale Beziehungen eingebunden sind (etwa Beschäftigungsverhältnisse), dass ihre Zwänge und Möglichkeiten stark von der sozialen Schichtung abhängen und dass das Ziel von Politik neben der Lösung von Problemen auch darin besteht, den Zusammenhalt sozialer Gefüge zu stärken. Während Begriffe wie „Beschäftigte“ oder auch „Bürger:innen“ auf einen bestimmten institutionellen und strukturellen Rahmen verweisen (den Arbeitsmarkt bzw. das öffentliche Leben in einer Demokratie) fehlt dieser bei „Fachkräfte“. Gerade in der englischen Fassung grenzt die Unbestimmtheit des Begriffs ans Absurde: Arbeiten die anderen Kommissar:innen denn etwa nicht für the people?

Beschäftigung vs. „Kompetenzen“

„Beschäftigung“ war seit Jahrzehnten das Kernkonzept, mit dem das Ressort benannt wurde. Es definiert einen klaren Handlungsraum und damit auch einen Auftrag an das politische Personal: Basierend auf den Rechten und Pflichten, die in sozialen Prozessen ausgehandelt werden, soll die Wirtschaft Menschen in einer Art und Weise „beschäftigen“, die sowohl Wohlstand generiert als auch soziale Sicherheit schafft. In diesem Sinne steht das Beschäftigungsverhältnis an der Schnittstelle zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen.

Den primären Fokus auf „Kompetenzen“ („skills“) zu legen, verschiebt dieses Verhältnis deutlich in Richtung individueller Eigenverantwortung und damit in Richtung Arbeitnehmer:innen: „Wer einen guten Job will, muss sich eben die vom Markt gewünschten Eigenschaften zulegen!“ So werden nicht nur Arbeitslosigkeit, sondern auch mangelhafte Arbeitsbedingungen von einem strukturellen zu einem persönlichen Problem.

Dieser Fokus auf Kompetenzen ist keinesfalls neu. Kompetenzen galten als zentrales Mittel zur Überwindung der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Marianne Thyssen, eine von sehr wenigen konservativen Politiker:innen an der Spitze des Beschäftigungsressorts, führte 2014 ebenfalls schon „skills“ im Titel ihres Ressorts (im Deutschen damals noch „Qualifikationen“). Seitdem ist der Diskurs – auch im Kontext des oben genannten Fachkräftemangels – omnipräsent, aber zugleich auch umstrittener geworden. In Reaktion auf die Entscheidung der Europäischen Kommission, 2023 zum „Jahr der Kompetenzen“ zu erklären, wiesen Gewerkschaften darauf hin, dass eher ein Mangel guter Arbeitsplätze als ein Mangel an „Kompetenzen“ vorliege.

Sozialpolitik vs. „Vorsorge“

Der wohl überraschendste Neuzugang in der europäischen Sozialpolitik liegt im Begriff der „Vorsorge“ – im Englischen „preparedness“, was auch mit „Bereitschaft“ oder „Vorbereitetsein“ übersetzt werden könnte. Eigentlich wird mit diesen Begriffen eher die Fähigkeit einer Gesellschaft beschrieben, Risiken zu antizipieren und unerwarteten Schocks zu begegnen. Neben Naturkatastrophen werden zum Beispiel auch Epidemien als Bedrohungen angesehen, die eine ständige Vorsorge rechtfertigen. Zugleich gibt es einen mehr oder weniger direkten sprachlichen Bezug zur Kriegsführung: In den Vereinigten Staaten trat das preparedness movement für eine Verstärkung der Armee nach dem Ersten Weltkrieg ein.

In der Politikwissenschaft bezeichnet man solche Prozesse als „Versicherheitlichung“ (securitization): Es wird insinuiert, soziale Probleme ähnelten in Ursache und Wirkung Sicherheitsproblemen. Dies steht in krassem Widerspruch zu einem Verständnis sozialpolitischer Fragen als Folge der ungleichen Verteilung von Ressourcen, als Ergebnis kollektiver Entscheidungen, die in weitgehend historisch gewachsenen sozialen Dynamiken verankert sind. Stattdessen werden soziale Probleme zu einer Frage des Krisenmanagements, der Fähigkeit, auf „externe“ Schocks zu reagieren.

Der Modus des Krisenmanagements scheint also auf die Sozialpolitik übergeschwappt zu sein. Im Zuge der Finanz- und Staatsschuldenkrise, den insbesondere ab 2015 zunehmenden Migrationsbewegungen, des Brexit und schließlich der Pandemie erprobt und verfeinert, prägt die Idee des Krisenmanagements seit rund 15 Jahren die großen europapolitischen Entscheidungen. In Zeiten der Krise wird Not zum Gesetz und ermöglicht sowohl willkommene institutionelle Neuerungen als auch demokratisch fragwürdige Maßnahmen.

Individuelle Eigenverantwortung ist nicht genug

Aber wie effektiv, legitim und nachhaltig sind die politischen Entscheidungen, die aus dem Krisenmanagement hervorgehen? Die europäische Reaktion auf die Covid-19-Pandemie ist ein gutes Beispiel für die Widersprüche der „Vorsorge“. Keines der neuen Instrumente der EU (die gemeinsame Impfstoffbeschaffung, das Kurzarbeit-Instrument SURE oder das Konjunkturpaket Next Generation EU) hat die tiefgreifenden Probleme europäischer Gesundheitssysteme – die chronische Unterfinanzierung, die sozialen und territorialen Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung und den Fachkräftemangel – ernsthaft gelöst. Wenn morgen eine neue Pandemie ausbrechen würde, wie viele Länder der Europäischen Union hätten dann gut „vorgesorgt“?

In einer von Klimakrise und Konflikten geprägten Welt muss die Europäische Union auf institutionalisierte und nachhaltige Antworten auf strukturelle Veränderungen hinarbeiten. Dafür muss sie sich auch der schwierigen Frage der Umverteilung und der eigentlichen Bedeutung von Wohlstand stellen. Panik zu schüren, Probleme auf die Eigenverantwortung der Individuen abzuwälzen und sich mit kurzfristigen Lösungen zu begnügen, dürfte sich hingegen als ebenso wirkungslos wie gefährlich erweisen.

Amandine Crespy ist Professorin für Politikwissenschaft und Europastudien an der Université Libre de Bruxelles und Gastprofessorin am Europakolleg in Brügge.

Bastian Kenn ist Doktorand an der Université Libre de Bruxelles und forscht zur europäischen Sozialpolitik.

Dieser Artikel ist die leicht bearbeitete Fassung eines Texts, der zuerst auf Englisch bei Social Europe erschienen ist.


Bilder: Roxana Mînzatu: PES Communications [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr; Porträts Amandine Crespy, Bastian Kenn: privat [alle Rechte vorbehalten].

“People, skills, and preparedness”: a paradigm shift in EU social policy

By Amandine Crespy and Bastian Kenn
Roxana Mînzatu


From collective responsibilities towards a world of individuals: Roxana Mînzatu’s employment and social affairs portfolio has been rebranded.

The new European Commission will no longer include a commissioner for employment. Instead, if confirmed, Romanian Roxana Mînzatu will be responsible for “people, skills, and preparedness”. Far from being trivial, this strange title suggests a new vision based on the individualization and securitization of social issues.

If it is true that words have meaning in politics, the titles of European Commissioners’ portfolios are yardsticks for the European Zeitgeist. In 2019, Ursula von der Leyen’s decision to call the migration portfolio „Protecting our European Way of Life” sparked controversy. This time around, employment and social affairs has been rebranded “people, skills, and preparedness” combining previously distinct domains of employment and education. What does that mean? 

The title sketches a political vision away from collective responsibilities towards a world of disembedded individuals required to arm themselves in the face of looming threats and multidimensional insecurity. Merging education and employment under one umbrella further subjects society to the supposed needs of a self-steering economy.

Social Affairs vs. “people”

The inclusion of the term “people” is undoubtedly the most difficult to decipher because it seems so generic and seemingly naïve. It may suggest expanding the scope from workers to many other potential categories of people, such as children, students, pensioners, freelancers or people in poverty. Forging new categories such as “vulnerable people” in reference to mobility poverty or energy poverty could be fruitful in the face of new challenges may be fruitful.

That said, the disappearance of the “social” is telling. It further undermines the understanding that individuals are embedded in social relations (with employment being a social relation par excellence), that their constraints and opportunities are shaped by social stratification, and that the ultimate goal of policies is not only to solve problems, but to enhance the cohesion of the social fabric. Contrary to workers – embedded in the labour market – or citizens, involved in public life and political cultures, “people” are detached from any institutional or systemic basis. Not only does it sound terribly vague, it’s also absurd: do other Commissioners not work for the benefit of the “people”?

Employment vs. “skills”

For most Commission mandates, the traditional term of the portfolio was “employment”. Admittedly dry, employment refers to a policy area and a clear mission for decision makers, namely the idea that the economy should “employ” workers in a way that can generate prosperity but that is also morally acceptable, spelling out rights and responsibilities. In that sense, employment constitutes the nexus of the relations between capital and labour, employers and workers in a social market economy. In contrast, the dominant focus on education and skills tilts the balance towards individual the responsibility, “if you want a quality job, get yourself the skills the market requires!” This underpins the shifting conception of unemployment as an individual rather than collective problem.

Skills are, by no means, a new item on the European agenda. In the aftermath of the financial and sovereign debt crisis, skills emerged as a “crisis exit strategy”, and one of the few conservative politicians ever to take up the employment portfolio, Marianne Thyssen, already boasted skills in her portfolio title in 2014. Ever since, such discourse has become both more omnipresent and more contentious. Over the course of the past year, proclaimed by EU institutions as “the European Year of Skills”, unions insisted the problem wasn’t primarily a lack of skills but a lack of quality employment.

Policy vs. “preparedness”

“Preparedness” is perhaps the most unexpected addition to the portfolio title. The term typically refers to societies’ ability to anticipate risks and build capacity to face unexpected events and disasters. Recently, the notion became popular in relation to the Covid-19 pandemic. Like natural disasters, epidemics should be regarded as cross-border threats deserving to be covered, for instance, by civil protection policy. But preparedness also carries an implicit reference to warfare. In US history, the preparedness movement campaigned for strengthening the army after World War I.

Against the backdrop of tectonic shifts in geopolitics, a discourse of securitization remodels an increasing number of policy areas. This is not benign or purely rhetoric for it contributes to transform our understanding of social issues. These are no longer conceived as the result of the unequal distribution of resources and costs, the fruit of collective decisions taken in the past, rooted in largely endogenous historical and social dynamics, but as a question of crisis management, of the ability to respond to ‘external’ shocks that will strike us in ways that are as certain as they are unpredictable.

Crisis management and emergency politics is a political repertoire by now well known to European leaders and bureaucrats. Tried and tested over the last fifteen years in the wake of the financial and sovereign debt crises, the migratory influx of 2015, Brexit and then the pandemic, European crisis management has been a powerful driving force behind federalization. In times of crisis, necessity justifies both welcome institutional innovations and dangerous democratic shortcuts.

Shifting problems to individual responsibility will fall short

But how effective, legitimate and durable are the policies arising from crisis management? As a matter of fact, Covid-19 provides a good illustration for the contradiction of the preparedness discourse. None of the new tools deployed by the EU (e.g. the short-time work scheme SURE or even Next Generation EU) have seriously addressed European healthcare systems’ deep problems in terms of insufficient funding, affordability, unequal territorial coverage, and labour shortages. If a new pandemic hit tomorrow, how many EU countries would be well “prepared”?

In a world shaped by climate change and political tensions, the EU should be working towards collective, institutionalized, and durable responses to structural transformations. This requires a deeper debate about values, and an engagement with the thorny issue of redistribution and the very meaning of welfare. Fuelling moral panic, shifting problems to individual responsibility, and engineering quick fixes will fall short.

Amandine Crespy is Professor for Political Science and European Studies at the Université Libre de Bruxelles and Visiting Professor at the College of Europe in Bruges.

Bastian Kenn is a researcher at the Université Libre de Bruxelles with a focus on EU social policy.

This article is a slightly revised version of a blog post that first appeared on Social Europe.


Pictures: Roxana Mînzatu: PES Communications [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr; portraits Amandine Crespy, Bastian Kenn: private [all rights reserved].

11 Oktober 2024

Wenn an diesem Sonntag Europawahl wäre (Oktober 2024): Rechte weiter im Aufschwung, EVP und Grüne verlieren

Von Manuel Müller


Linke G/EFA S&D RE EVP EKR PfE ESN fʼlos Sonst.
Wahl 24 46531367718878842533
EP heute 46531367718878862531
Aug. 24 (B) 44451377719173882531
9
Okt. 24 (B) 44411367918674962629
9
Okt. 24 (D) 46411377918777972630
Basis-Szenario,
Stand: 7.10.2024.
Grafiken zum Vergrößern anklicken.


Dynamisches Szenario,
Stand: 7.10.2024.
Grafiken zum Vergrößern anklicken.

Der europaweite Aufstieg der Rechtsaußen-Parteien war das zentrale Thema der diesjährigen Europawahl – und vier Monate später ist noch immer kein Ende in Sicht. Bei der österreichischen Nationalsratswahl Ende September wurde die FPÖ (PfE) stärkste Kraft, bei der litauischen und der bulgarischen Parlamentswahl in diesem Oktober könnten NA („Sonstige“) und Văzrašdane (ESN) jeweils auf dem zweiten Platz landen. Und auch auf Ebene der Gesamt-EU legen die Rechtsaußenfraktionen weiter zu: Wenn jetzt Europawahl wäre, kämen sie zusammen auf 196 Sitze – das sind zehn mehr als bei der letzten Sitzprojektion im August und ein neues Allzeit-Hoch.

Die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei muss hingegen ihre Zugewinne von August wieder abgeben und fällt in der Projektion etwas unter ihr Ergebnis bei der Europawahl im Juni zurück. Auch die Grünen verlieren leicht und liegen in der Projektion nun wieder knapp hinter der Linksfraktion. Die übrigen Fraktionen sind weitgehend stabil.

EVP: Ungarischer Shootingstar

Betrachtet man die Umfragewerte im Einzelnen, so sind die Verluste für die EVP allerdings nicht allzu besorgniserregend. In den meisten Fällen handelte es sich nur um kleine Schwankungen, häufig innerhalb der Fehlermarge der Umfragen, die nur zufällig in mehreren Mitgliedstaaten in dieselbe Richtung weisen.

Noch am markantesten sind die Veränderungen in den Niederlanden, wo die beiden EVP-nahen Regierungsparteien BBB und NSC nach dem Amtsantritt des Kabinetts Schoof beide verlieren, während sich der klassisch-christdemokratische CDA stabilisiert. Zudem kann die EVP in Ungarn deutlich zulegen: Die Tisza um Shootingstar Péter Magyar, die bei der Europawahl im Juni erstmals Sitze gewinnen konnte, liegt nun in einigen Umfragen nur noch wenige Prozentpunkte hinter Viktor Orbáns Regierungspartei Fidesz (PfE). Insgesamt steht die EVP im Basis-Szenario nun bei 186 Sitzen (–⁠5 gegenüber der August-Projektion).

S&D: Durchmischte Umfragen

Für die sozialdemokratische S&D-Fraktion sind die jüngsten Umfragewerte durchmischt. Die deutsche SPD und die griechische PASOK können leicht dazugewinnen, und die finnische SDP erobert auf nationaler Ebene den ersten Platz zurück, den sie nach der Europawahl kurzzeitig an Kokoomus (EVP) verloren hatte. Zudem hätte auch die irische Labour Party nun knapp Chancen auf einen Sitz im Europäischen Parlament.

In Spanien und Italien beenden die S&D-Mitgliedsparteien hingegen ihre kleinen sommerlichen Höhenflüge. Zudem wird in Ungarn die sozialdemokratische DK zum Opfer des Tisza-Aufstiegs: Obwohl sie sich seit der Europawahl mit anderen Mitte-links-Parteien zu einer Allianz zusammengeschlossen hat, würde sie derzeit nur noch einen Sitz im Europäischen Parlament erreichen. Unter dem Strich kommt die S&D in der Projektion jetzt auf 136 Sitze (–⁠1).

RE: Ärger in Bulgarien

Ein etwas besseres Bild bietet sich der liberalen RE-Fraktion (79 Sitze/+⁠2). In Italien würde eine Neuauflage des Bündnisses der beiden Parteien Italia Viva und Più Europa (das bei der Europawahl unter der Bezeichnung „Stati Uniti d’Europa“ angetreten war) nun knapp die nationale Vier-Prozent-Hürde überwinden. Auch in Estland und Litauen können liberale Parteien leicht zulegen, während sie in Deutschland und Portugal leicht verlieren. In Dänemark konsolidiert sich die rechtsliberale Venstre auf Kosten der kleineren zentristischen Parteien RV und Moderaterne, die beide keinen Sitz mehr im Europäischen Parlament erringen würden.

Ärger gibt es schließlich in der bulgarischen DPS, die sich wenige Wochen vor der bevorstehenden nationalen Parlamentswahl in zwei konkurrierende Listen gespalten hat: Die APS um Ahmed Dogan kann auf die Unterstützung der europäischen Liberalen zählen. Unklar ist hingegen die Zukunft der DPS-NN: Deren Anführer Delyan Peevski wurde unter anderem in den USA und Großbritannien wegen Korruptionsvorwürfen sanktioniert und war im Sommer bereits Anlass für Debatten über einen Ausschluss der DPS aus der ALDE.

Vorerst sind alle für die DPS gewählten Europaabgeordneten – von denen einer der APS, die beiden anderen der DPS-NN nahestehen – in der Renew-Fraktion verblieben. Im Basis-Szenario der Projektion werden deshalb beide Parteien weiterhin dort verortet. Im dynamischen Szenario, das mögliche, aber noch unsichere künftige Fraktionswechsel mit einbezieht, wird die DPS-NN hingegen als fraktionslos eingestuft.

Grüne: Post-Europawahl-Kater

Auf der linken Seite des politischen Spektrums verspüren die europäischen Grünen ihren fast schon traditionellen Post-Europawahl-Kater: Wie bereits 2014 und 2019 legten die Fraktion in der Projektion kurz vor der Wahl deutlich zu und sackte kurz danach wieder ab.

Dieses Muster liegt zum Teil an der Art der Umfragen, die für die Projektion genutzt werden: Die Umfrageinstitute sind sich bewusst, dass die Grünen bei Europawahlen oft besser abschneiden als bei nationalen Wahlen, und weisen deshalb in europawahlspezifischen Umfragen (die es in den meisten Ländern nur kurz vor der Europawahl gibt) bessere Werte für sie aus. Zum Teil scheint es jedoch auch mit Themenkonjunkturen zusammenzuhängen, denn auch in Umfragen für nationale Parlamentswahlen (wie sie der Projektion inzwischen wieder für fast alle Länder zugrunde liegen) stehen grüne Parteien jetzt wieder schwächer da als noch im August.

So haben die Grünen etwa in Deutschland zu kämpfen und schnitten bei der österreichischen Nationalratswahl im September etwas schlechter ab als in den Umfragen im Sommer. Auch in Dänemark ist das Sommerhoch, das die grüne Mitgliedspartei SF nach der Europawahl in einigen Umfragen auf den ersten Platz brachte, wieder vorbei. Unter dem Strich erreichen die Grünen damit noch 41 Sitze (–⁠4).

Linke: Gespalten, aber stabil

Die Linksfraktion wiederum kann in den Niederlanden Zugewinne verbuchen – sowohl die linke SP als auch die Tierschutzpartei PvdD würden nun wieder knapp einen Sitz gewinnen. In Griechenland hingegen ist die ehemalige Regierungspartei Syriza in parteiinterne Machtkämpfe verwickelt und verliert in den Umfragen zunehmend Wähler:innen an die sozialdemokratische PASOK (S&D) oder andere linke Parteien. Auch die irische SF befindet sich in einem längeren Abwärtstrend, und für die finnische Vasemmistoliitto endete ein durch die Europawahl ausgelöster Sommer-Höhenflug.

Die jüngste Spaltung der Europäischen Linken hat indessen keine Auswirkungen auf die Sitzprojektion: Die alte Europäische Linkspartei und die neue Europäische Linksallianz bilden im Parlament weiterhin eine gemeinsame Fraktion. Insgesamt steht diese wie im August bei 44 Sitzen (±⁠0).

EKR und ESN: Leichte Zugewinne

Unter den Rechtsaußen-Fraktionen können die EKR nur geringfügig zulegen. Während die lettische NA deutlich und die polnische PiS sowie die dänischen DD leicht dazugewinnen, verzeichnen die tschechische ODS und die litauische LVŽS Verluste. Insgesamt kommen die EKR damit auf 74 Sitze (+⁠1).

Nur wenig Veränderungen gab es auch bei der kleinen rechtsextremen ESN (26 Sitze/+⁠1). Hier gewannen vor allem die deutsche AfD und die tschechische SPD gegenüber dem Sommer leicht an Zustimmung. Wie schon im August hätte die ESN aktuell jedoch nur noch Mitgliedsparteien aus sechs verschiedenen Ländern und könnte sich damit nicht mehr als Fraktion konstituieren.

PfE: Mit polnischem Neuzugang im Allzeit-Hoch

Deutlicher fallen die Gewinne für die PfE-Fraktion aus, die in der Projektion mit 96 Sitzen (+⁠8) einen neuen Rekordwert für Rechtsaußenfraktionen im Europäischen Parlament erreicht. Viele ihrer Mitgliedsparteien können ihre Umfragewerte im Vergleich zum Sommer etwas verbessern, wobei es sich in den meisten Fällen allerdings nur um geringe Veränderungen im Rahmen der normalen Schwankungsbreite handelt.

Darüber hinaus profitiert die PfE-Fraktion aber auch vom ersten Fraktionswechsel der Legislaturperiode: Anfang Oktober schlossen sich ihr zwei zuvor fraktionslose Europaabgeordnete der polnischen Konfederacja an. In der Projektion werden die Sitze der Konfederacja deshalb künftig jeweils hälftig zwischen PfE und ESN aufgeteilt.

Ohne die Konfederacja sinkt der Sitzanteil der fraktionslosen Parteien in der Projektion – auch wenn in Rumänien die rechtsextrem-irredentistische und ukrainefeindliche Partei SOS in den Umfragen vor der nationalen Parlamentswahl im Dezember noch einmal deutlich zulegen konnte. Insgesamt erreichen die Fraktionslosen jetzt 29 Sitze (–⁠2).

„Sonstige“: ohne Satireparteien aus Ungarn und Österreich

Wenig Veränderungen gibt es schließlich bei den „sonstigen“ Parteien – also Parteien, die derzeit im Europäischen Parlament nicht vertreten sind und auch keiner europäischen Partei angehören, sodass sie keiner Fraktion eindeutig zugeordnet werden können (9 Sitze/±⁠0). Neu im Tableau sind hier:

  • die rumänische Mitte-rechts-Partei FD, die in einem Wahlbündnis mit der liberalen USR antritt, aber auf europäischer Ebene der EVP nahesteht, und
  • die griechische Linkspartei NA, die sich von der Syriza abgespalten hat, bei einem Einzug ins Europäische Parlament jedoch wie diese der Linksfraktion beitreten dürfte.

Nicht mehr ins Parlament einziehen würden hingegen zwei mitteleuropäische Satireparteien: Während in Ungarn die MKKP ebenso wie andere Oppositionsparteien von Péter Magyars Tisza verdrängt wird, blieb in Österreich die Bierpartei bei der Nationalratswahl im September weit hinter den Erwartungen zurück und scheiterte klar an der Vier-Prozent-Hürde.

Die Übersicht

Die folgende Tabelle schlüsselt die Sitzverteilung der Projektion nach nationalen Einzelparteien auf. Die Tabelle folgt dem Basisszenario, in dem die nationalen Parteien jeweils ihrer aktuellen Fraktion (bzw. der Fraktion ihrer europäischen Dachpartei) zugeordnet sind. Parteien, die weder im Parlament vertreten sind noch einer europäischen Partei angehören, verbleiben in der Spalte „Sonstige“.

Das dynamische Szenario der Sitzprojektion baut auf dem Basisszenario auf, ordnet jedoch auch alle „sonstigen Parteien“ jeweils Fraktionen zu, denen diese plausiblerweise beitreten könnten. Zudem berücksichtigt das dynamische Szenario auch plausible künftige Fraktionswechsel von Parteien, die schon jetzt im Parlament vertreten sind. In der Tabelle sind die Veränderungen vom Basis- zum dynamischen Szenario durch farbige Schrift und durch Hinweise im Mouseover-Text gekennzeichnet. Gegebenenfalls sind im Mouseover-Text zudem noch alternative Zielfraktionen für die betreffende Partei angeführt.

Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Projektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Wie die Datengrundlage für die Länder im Einzelnen aussieht, ist im Kleingedruckten unter den Tabellen erläutert. Mehr Informationen zu den europäischen Parteien und zu den Fraktionen im Europäischen Parlament gibt es hier.



Linke G/EFA S&D RE EVP EKR PfE ESN fʼlos Sonst.
Wahl 24 46531367718878842533
EP heute 46531367718878862531
Aug. 24 (B) 44451377719173882531
9
Okt. 24 (B) 44411367918674962629
9
Okt. 24 (D) 46411377918777972630

Linke G/EFA S&D RE EVP EKR PfE ESN fʼlos
DE 3 Linke
1 Tier
10 Grüne
3 Volt
15 SPD 4 FDP
3 FW
29 Union
1 Familie
1 ÖDP


16 AfD 7 BSW
2 Partei
1 PdF

FR 8 LFI
4 EELV 11 PS 19 RE 9 LR
30 RN


IT 10 M5S
2 SI
4 EV 18 PD 3 IV/+E 7 FI
1 SVP
24 FdI 7 Lega


ES 2 Sumar
2 Pod
1 Bildu
2 Sumar
1 ERC

19 PSOE 1 PNV
23 PP
7 Vox
2 SALF
1 Junts

PL

4 Lewica 3 PL2050
19 KO
3 KP
18 PiS 3 Konf 3 Konf

RO

11 PSD
4 USR
1 PMP
7 PNL
6 AUR

3 SOS 1 FD
NL 1 SP
1 PvdD

3 GL
4 PvdA 5 VVD
2 D66
3 CDA
1 BBB

11 PVV


BE 2 PTB 1 Groen
1 Ecolo
2 Vooruit
2 PS
1 O-VLD
3 MR
1 LE
2 CD&V
1 CSP
3 N-VA 3 VB


CZ
2 Piráti


2 STAN
1 TOP09
1 KDU-ČSL
3 ODS 9 ANO
1 PaM
1 SPD

EL 2 Syriza
4 PASOK
6 ND 2 EL 1 FL
2 KKE
1 PE
1 NIKI
1 MéRA
1 NA
HU

1 DK

9 TISZA

10 Fidesz
1 MHM

PT 1 BE

7 PS 1 IL 8 PSD
4 Chega


SE 2 V 2 MP 8 S 1 C
4 M
4 SD



AT
1 Grüne 4 SPÖ 2 Neos 6 ÖVP
7 FPÖ


BG

2 BSP 2 APS
2 PP
1 DPS-NN
5 GERB
1 DB
1 ITN

3 V

DK 1 Enhl. 2 SF 4 S 2 V
2 LA
1 K
2 DD 1 DF



SK


4 PS 1 KDH 1 SaS

1 REP 5 Smer
3 Hlas

FI 1 Vas 1 Vihreät 4 SDP 2 Kesk
4 Kok
3 PS



IE 3 SF

1 Labour
3 FF
6 FG



1 SD
HR
1 Možemo 4 SDP
5 HDZ 1 DP


1 Most
LT
1 DSVL 3 LSDP 1 LRLS
1 LP
2 TS-LKD 1 LVŽS



2 NA

LV
1 Prog 1 SDPS
1 JV
2 NA
1 LRA
1 LPV


1 ZZS
1 ST!
SI

1 SD 3 GS 4 SDS
1 NSi





EE

1 SDE 2 RE
1 KE
2 Isamaa
1 EKRE


CY 1 AKEL
1 DIKO

2 DISY 1 ELAM

1 Fidías
LU
1 Gréng 1 LSAP 1 DP 2 CSV 1 ADR



MT

3 PL
3 PN





Verlauf (Basisszenario)


Linke G/EFA S&D RE EVP EKR PfE ESN fʼlos Sonst.
07.10.24 44 41 136 79 186 74 96 26 29 9
12.08.24 44 45 137 77 191 73 88 25 31 9
Wahl 24 46 53 136 77 188 78 84 25 33

Verlauf (dynamisches Szenario)


Linke G/EFA S&D RE EVP EKR PfE ESN fʼlos Sonst.
07.10.24 46 41 137 79 187 77 97 26 30
12.08.24 45 46 138 78 191 76 89 25 32
Wahl 24 46 53 136 77 188 78 84 25 33

Die Zeile „Wahl 24“ kennzeichnet die Sitzverteilung zum 16. Juli 2024, dem Zeitpunkt der Konstituierung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl im Juni 2024.
Für Übersichten von Sitzprojektionen aus früheren Wahlperioden siehe hier (2014-2019) und hier (2019-2024).

Fraktionszuordnung

Basisszenario: Für die Projektion werden Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören, werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. In Fällen, bei denen sich die Mitglieder einer nationalen Liste nach der Wahl voraussichtlich auf mehrere Fraktionen aufteilen werden, wird jeweils die am plausibelsten scheinende Verteilung zugrundegelegt (siehe unten). Parteien, bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden im Basisszenario als „Sonstige“ eingeordnet.

Für die Bildung einer eigenständigen Fraktion sind nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten (also 7 der 27 Mitgliedstaaten) erforderlich. Gruppierungen, die diese Bedingungen nach der Projektion derzeit nicht erfüllen würden, müssten gegebenenfalls nach der Europawahl zusätzliche Abgeordnete für sich gewinnen, um sich (wieder) als Fraktion konstituieren zu können.

Dynamisches Szenario: Im dynamischen Szenario werden alle „sonstigen“ Parteien einer schon bestehenden Fraktion (oder der Gruppe der Fraktionslosen) zugeordnet. Außerdem werden gegebenenfalls Fraktionsübertritte von bereits im Parlament vertretenen Parteien berücksichtigt, die politisch plausibel erscheinen, auch wenn sie noch nicht öffentlich angekündigt wurden. Um diese Veränderungen gegenüber dem Basisszenario deutlich zu machen, sind Parteien, die im dynamischen Szenario einer anderen Fraktion zugeordnet werden, in der Tabelle mit der Farbe dieser Fraktion gekennzeichnet. Zudem erscheint der Name der möglichen künftigen Fraktion im Mouseover-Text. Die Zuordnungen im dynamischen Szenario basieren teils auf einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung und Strategie der Parteien und können daher im Einzelnen recht unsicher sein. In der Gesamtschau kann das dynamische Szenario jedoch näher an der wirklichen Sitzverteilung nach der nächsten Europawahl liegen als das Basisszenario.

Die vollen Namen der Fraktionen und der nationalen Einzelparteien erscheinen als Mouseover-Text, wenn der Mauszeiger eine kurze Zeit regungslos auf der Bezeichnung in der Tabelle gehalten wird. Bei „sonstigen“ Parteien und Parteien, bei denen nach der nächsten Europawahl ein Fraktionswechsel wahrscheinlich erscheint, nennt der Mouseover-Text zudem die Fraktionen, denen sich die Partei gegebenenfalls anschließen könnte. Dabei wird die Fraktion, der die Partei im dynamischen Szenario zugeordnet ist, als Erstes aufgeführt.

Datengrundlage

Soweit verfügbar, wird bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. Wo mehr als eine Umfrage erschienen ist, wird der Durchschnitt aller Umfragen aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten Umfrage berechnet, wobei jedoch von jedem einzelnen Umfrageinstitut nur die jeweils letzte Umfrage berücksichtigt wird. Stichtag für die Berücksichtigung einer Umfrage ist, soweit bekannt, jeweils der letzte Tag der Durchführung, andernfalls der Tag der Veröffentlichung.
Für Länder, in denen die letzte spezifische Europawahlumfrage mehr als zwei Wochen zurückliegt oder in den letzten zwei Wochen deutlich weniger Umfragen zur Europawahl als zur Wahl zum nationalen Parlament veröffentlicht wurden, wird stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament bzw. der Durchschnitt aller Umfragen für das nationale oder das Europäische Parlament aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten verfügbaren Umfrage verwendet. Für Länder, in denen es keine aktuellen Umfragen für Parlamentswahlen gibt, wird stattdessen gegebenenfalls auf Umfragen zu Präsidentschaftswahlen zurückgegriffen, wobei die Umfragewerte der Präsidentschaftskandidat:innen jeweils den Parteien der Kandidat:innen zugeordnet werden (dies kann insbesondere Frankreich und Zypern betreffen). Für Mitgliedstaaten, für die sich überhaupt keine Umfragen finden lassen, wird auf die Ergebnisse der letzten nationalen Parlaments- oder Europawahl zurückgegriffen.
In der Regel werden die nationalen Umfragewerte der Parteien direkt auf die Gesamtzahl der Sitze des Landes umgerechnet. Für Länder, in denen die Wahl in regionalen Wahlkreisen ohne Verhältnisausgleich erfolgt (aktuell Belgien und Irland), werden regionale Umfragedaten genutzt, soweit diese verfügbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Sitzzahl für jeden Wahlkreis einzeln berechnet, dabei aber jeweils die nationalen Gesamt-Umfragewerte herangezogen. Nationale Sperrklauseln werden, soweit vorhanden, in der Projektion berücksichtigt.
In Belgien entsprechen die Wahlkreise bei der Europawahl den Sprachgemeinschaft, während Umfragen üblicherweise auf Ebene der Regionen durchgeführt werden. Für die Projektion werden für die französischsprachige Gemeinschaft gegebenenfalls die Umfragedaten aus Wallonien, für die niederländischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Flandern genutzt. Für die deutschsprachige Gemeinschaft wird das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (1 Sitz für CSP).
In Ländern, in denen es üblich ist, dass mehrere Parteien als Wahlbündnis auf einer gemeinsamen Liste antreten, werden der Projektion plausibel erscheinende Listengemeinschaften zugrunde gelegt. In der Tabelle sind diese in der Regel unter der Bezeichnung des Wahlbündnisses oder der größten dazugehörigen Partei zusammengefasst. Manchmal gehören die Parteien eines Wahlbündnisses im Europäischen Parlament jedoch unterschiedlichen Fraktionen an. In diesem Fall werden die Parteien einzeln aufgeführt und (in der Regel auf Grundlage der Europawahlergebnisse 2024) eine Plausibilitätsannahme über die Verteilung der Listenplätze getroffen. Das betrifft folgende Fälle: Spanien: Sumar: Sumar (1., 6. Listenplatz), CatComù (2.), Compromís (3.), IU (4.) und Más País (5.); Ahora Repúblicas: ERC (1., 4.), Bildu (2.) und BNG (3.); CEUS: PNV (1.) und CC (2.); Rumänien: ADU: USR (1.-2., 4.-5., 7.-9.), PMP (3.) und FD (6.); Niederlande: GL-PvdA: PvdA (1., 3., 5. etc.) und GL (2., 4., 6. etc.); Tschechien: TOP09 (1., 3., 5. etc.) und KDU-ČSL (2., 4., 6. etc.); Ungarn: DK: DK (1.-4., 6., 8.), MSZP (5.), PM (7.). In manchen Ländern ist die genaue Verteilung der Sitze unter den Parteien eines Wahlbündnisses von Vorzugsstimmen oder regionalen Wahlkreisergebnissen abhängig, sodass sich im Voraus nur eine Plausibilitätsannahme darüber treffen lässt. Dies betrifft folgende Fälle: Italien: AVS: EV (1., 3.-4., 6.-7. etc.) und SI (2., 5., 8. etc.); Polen: TD: PL2050 (1., 3., 5. etc.), KP (2., 4., 6. etc.). In Polen geht die Projektion davon aus, dass sich die Abgeordneten der Konfederacja hälftig zwischen den Fraktionen ESN und PfE aufteilen. In Italien können Minderheitenparteien durch eine Sonderregelung auch mit nur recht wenigen Stimmen ins Parlament einziehen, sofern sie mit einer größeren Partei kooperieren. Dies ist der Fall bei der SVP im Bündnis mit FI.
Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, können Parteien bereits mit weniger als 1 Prozent der Stimmen einen Sitz im Europäischen Parlament gewinnen. Da deutsche Umfrageinstitute für Kleinparteien jedoch in der Regel keine Werte ausweisen, wird in der Projektion jeweils das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (je 3 Sitze für Volt und FW, 2 Sitze für die PARTEI, je 1 Sitz für Tierschutzpartei, ödp, Familienpartei und PdF). Falls eine Kleinpartei in aktuellen Umfragen einen besseren Wert erreicht als bei der letzten Europawahl, wird stattdessen dieser Umfragewert genutzt.

Die folgende Übersicht führt die Datengrundlage für die Mitgliedstaaten im Einzelnen auf. Die Daten beziehen sich auf den letzten Tag der Durchführung; falls dieser nicht bekannt ist, auf den Tag der Veröffentlichung der Umfragen:
Deutschland: nationale Umfragen, 27.9.-7.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Frankreich: Ergebnisse der ersten Runde der nationalen Parlamentswahl, 30.6.2024, Quelle: Wikipedia.
Italien: nationale Umfragen, 19.-30.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Spanien: nationale Umfragen, 19.-27.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Polen: nationale Umfragen, 28.9.-6.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Rumänien: nationale Umfragen, August 2024, Quelle: Wikipedia.
Niederlande: nationale Umfragen, 23.-28.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Belgien: Ergebnisse der Europawahl, 9.6.2024.
Tschechien: nationale Umfragen, 31.8.-10.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Griechenland: nationale Umfragen, 21.9.-2.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Ungarn: nationale Umfragen, 6.-18.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Portugal: nationale Umfragen, 5.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Schweden: nationale Umfragen, 22.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Österreich: nationale Umfragen, 1.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Bulgarien: nationale Umfragen, 24.9.-1.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Dänemark: nationale Umfragen, 27.9.-30.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Slowakei: nationale Umfragen, 16.-26.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Finnland: nationale Umfragen, 1.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Irland: nationale Umfragen, 4.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Kroatien: nationale Umfragen, 25.9.-6.10.2024, Quelle: Wikipedia.
Litauen: nationale Umfragen, 21.-25.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Lettland: nationale Umfragen, August 2024, Quelle: Wikipedia.
Slowenien: nationale Umfragen, 11.-19.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Estland: nationale Umfragen, 18.-29.9.2024, Quelle: Wikipedia.
Zypern: Ergebnisse der Europawahl, 9.6.2024.
Luxemburg: Ergebnisse der Europawahl, 9.6.2024.
Malta: nationale Umfragen, 19.9.2024, Quelle: Wikipedia.

Bilder: alle Grafiken: Manuel Müller.