30 April 2018

Verwässert bis zur Unkenntlichkeit: Warum die Reform des Europawahlrechts (für diesmal) gerne scheitern darf

Von den Parlamentsvorschlägen zur Wahlrechtsreform ist im Rat nicht viel übrig geblieben. Die Abgeordneten sollten diese Farce jetzt beenden.
In diesen Tagen entscheidet sich das Schicksal der europäischen Wahlrechtsreform. Die Änderung des Direktwahlakts, die 2015 vom Europäischen Parlament vorgeschlagen und seitdem von den nationalen Regierungen im Ministerrat verschleppt wurde, muss nun entweder sehr bald beschlossen werden – oder sie wird überhaupt nicht mehr kommen.

Tatsächlich arbeitet die bulgarische Ratspräsidentschaft bereits seit einigen Wochen unter Hochdruck daran, die Wahlrechtsreform doch noch zu verabschieden. Nachdem das Europäische Parlament dem Rat Ende 2017 noch einmal durch eine mündliche Anfrage Druck gemacht hatte, legte der Ausschuss der Ständigen Vertreter (das Gremium der nationalen EU-Botschafter) am vergangenen 12. April einen finalen Kompromissentwurf vor, der im Ministerrat angenommen werden sollte.

Stattdessen kündigten jedoch die belgische und die italienische Regierung ein Veto an: erstere aus inhaltlichen Gründen, letztere weil sie noch die Zustimmung ihres nationalen Parlaments benötigt, was sich aufgrund der unklaren Mehrheitsverhältnisse seit den Wahlen im März als schwierig erweist. Und da der Rat den Beschluss über die Wahlrechtsreform nach Art. 223 AEUV nur einstimmig fassen kann, kam es auf seiner Sitzung am 17. April letztlich doch nur zu einer weiteren Vertagung mit Wiedervorlage „so bald wie möglich“.

Die Reform steht vor dem Scheitern

Allzu viel Zeit bleibt den Ministern allerdings nicht mehr, um diese Hindernisse noch zu umschiffen. Denn die nächste Europawahl wird am 23.-26. Mai 2019 stattfinden, und die EU wird wohl kaum gegen die Wahlrecht-Leitlinien der Venedig-Kommission verstoßen wollen, denen zufolge die „Grundelemente des Wahlrechts und insbesondere des Wahlsystems […] bis ein Jahr vor einer Wahl nicht mehr verändert werden“ sollen. Falls der Ministerrat sich also bei seinem nächsten Treffen am 14. Mai nicht auf einen Kompromiss einigen kann, muss die Reform wohl als gescheitert gelten.

Auf den ersten Blick wäre das natürlich eine große Enttäuschung: Schließlich könnte ein besseres Wahlrecht ein wichtiger institutioneller Hebel sein, um den europäischen Parteien mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, die Fragmentierung der Europawahl in 27 nationale Einzelwahlen zu überwinden und einen echten europaweiten Wahlkampf in Gang zu bringen. Doch sieht man sich den Kompromiss, über den die Minister diskutieren, etwas genauer an, so könnte sich ein Scheitern zuletzt sogar als das bessere Ergebnis erweisen. Denn der Entwurf, den das Europäische Parlament 2015 vorlegte, wurde von den nationalen Regierungen inzwischen so sehr verwässert, dass von seinen eigentlichen Inhalten kaum noch etwas übrig ist.

Selbst wenn die Reform doch noch zustande kommt, wird sie für einen wirklich europäischen Europawahlkampf deshalb keinen relevanten Fortschritt bringen. Gleichzeitig ginge mit einem solchen Pseudo-Erfolg die Gefahr einher, dass die Wahlrechtsreform auf absehbare Zeit von der politischen Agenda verschwindet und wirkliche Verbesserungen in Zukunft eher noch schwieriger durchzusetzen sein werden.

Deutschland will die Reform – für die nationale Sperrklausel

Aber der Reihe nach. Für die Befürworter eines europäischeren Europawahlrechts brachte schon die vergangene Wahlperiode 2009-2014 eine herbe Enttäuschung: Nachdem der Verfassungsausschuss des Parlaments einen Vorschlag für eine ambitionierte Wahlrechtsreform mit transnationalen Wahllisten (den sogenannten Duff-Bericht) vorgelegt hatte, scheiterte dieser im März 2012 an der fehlenden Unterstützung vor allem der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Alle Hoffnungen auf eine Wahlrechtsreform mussten damit auf die Zeit nach der Europawahl 2014 verschoben werden.

Dennoch herrschte nach der Wahl zunächst leichter Optimismus, wenn auch aus einem etwas paradoxen Anlass: 2011 hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht (in einem überaus zweifelhaft begründeten Urteil) die Fünf-Prozent-Sperrklausel im deutschen nationalen Europawahlgesetz gekippt. Diese Entscheidung trug nicht nur zur Zementierung der permanenten Großen Koalition im Europäischen Parlament bei, sondern widersprach auch unmittelbar den Interessen der deutschen Regierungsparteien CDU (EVP) und SPD (SPE). Der einzige Weg, den diese Parteien für eine Wiedereinführung der Sperrklausel fanden, war ein Spiel über die europäische Bande: Wenn der Ministerrat die deutsche nationale Sperrklausel im EU-Direktwahlakt obligatorisch vorschreiben würde, könnte das Bundesverfassungsgericht nicht mehr viel dagegen unternehmen.

2014 stand also fest, dass Deutschland als der mächtigste Akteur im Ministerrat eine europäische Wahlrechtsreform unterstützen würde. Angesichts der erforderlichen Einstimmigkeit war das allein zwar noch nicht genug, aber doch immerhin eine recht gute Ausgangsposition. Entsprechend machte sich das Europäische Parlament schon recht bald nach der Europawahl an die Ausarbeitung eines neuen Reformvorschlags.

Der vorsichtige Parlamentsentwurf von 2015

Allerdings entschieden sich Danuta Hübner (PO/EVP) und Jo Leinen (SPD/SPE), die zuständigen Berichterstatter im Verfassungsausschuss, für eine eher vorsichtige Vorgehensweise. Gesamteuropäische Listen, die im Duff-Bericht noch eine zentrale Forderung gewesen waren, kamen in ihrem Entwurf (Wortlaut) nur noch als vage Zukunftsperspektive vor. Stattdessen setzten sie auf kleinere Reformschritte, um die nationalen Wahlgesetze der Mitgliedstaaten aneinander anzugleichen. Im Einzelnen forderten sie unter anderem:

● eine einheitliche Frist von zwölf Wochen vor der Wahl, bis zu der die nationalen Parteien ihre Wahllisten aufstellen müssen,
● eine Möglichkeit für alle außerhalb der EU lebenden EU-Bürger, in ihrem jeweiligen Herkunftsland an der Wahl teilzunehmen,
● das Anbringen von Namen und Logos der europäischen Parteien auf den Stimmzetteln,
● einen einheitlichen Zeitpunkt für die Schließung der Wahllokale in allen Mitgliedstaaten (nämlich am Wahlsonntag um 21 Uhr),
● die Gleichstellung von Männern und Frauen auf den nationalen Wahllisten.

Außerdem sollte der Direktwahlakt künftig einen expliziten Verweis darauf beinhalten, dass die europäischen Parteien Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten nominieren. Und natürlich war auch die von Deutschland gewünschte Pflicht zu einer nationalen Sperrklausel zwischen drei und fünf Prozent enthalten.

Zu viel europäische Demokratie für die nationalen Regierungen

Auf diesem Blog kritisierte ich diesen Entwurf, den das Europäische Parlament im November 2015 mit den Stimmen von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen annahm, damals als eine verpasste Gelegenheit, da sich die Aussichten auf eine ambitionierte Reform in der Zukunft kaum verbessern würden.

Für die nationalen Regierungen hingegen brachten selbst die recht bescheidenen Pläne der Abgeordneten offenbar schon viel zu viel an europäischer Demokratie. Und so machten sie sich in den folgenden Jahren daran, die Wahlrechtsreform nach und nach abzuschwächen, bis von den ursprünglichen Vorhaben kaum noch etwas zu erkennen war.

Streit um die Spitzenkandidaten

Der erste Angriff des Ministerrats galt dabei der Idee, die europäischen Spitzenkandidaten im Direktwahlakt zu verankern. Unter den nationalen Regierungen hat dieses Verfahren, das bei der Europawahl 2014 erstmals angewandt wurde, nicht allzu viele Freunde, denn es macht die EU zwar demokratischer, schwächt dabei aber die nationalen Regierungschefs im Europäischen Rat. 2016 sprachen sich deshalb alle Mitgliedstaaten bis auf Italien gegen die vom Parlament gewünschte formale Institutionalisierung der Spitzenkandidaten aus. Dieser Aspekt der Wahlrechtsreform war damit vom Tisch.

In der Praxis freilich dürften die Regierungen damit wenig erreichen. Denn um Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu nominieren, benötigen die europäischen Parteien keine ausdrückliche Ermächtigung im Direktwahlakt. Auch wenn einige nationale Regierungen sich nach wie vor dagegen sträuben, wird es deshalb auch 2019 wieder Spitzenkandidaten geben – nur eben mit etwas mehr institutioneller Unsicherheit, als wenn ihre Nominierung auch durch das europäische Wahlrecht geregelt wäre.

Von den Vorschlägen des Parlaments blieb nicht viel übrig

Doch auch von den anderen Reformmaßnahmen, die das Europäische Parlament 2015 vorgeschlagen hatte, blieb im Ministerrat nicht allzu viel übrig. Im jüngsten Kompromisspapier vom 12. April (Wortlaut) sind sie alle bis zur Unkenntlichkeit verwässert worden:

● Ob es eine verbindliche Frist für die Aufstellung der Wahllisten gibt, soll weiterhin allein den Mitgliedstaaten überlassen sein. Und falls sich ein Mitgliedstaat dazu entscheidet, eine solche Frist einzuführen, muss diese nur „mindestens drei Wochen“ vor der Wahl liegen. Letztlich bleibt der Zeitpunkt der Listenaufstellung also weiterhin jedem Land selbst überlassen.
● Gleiches gilt für die Wahlteilnahme von Bürgern, die außerhalb der EU leben. Nach dem Reformvorschlag „können“ Mitgliedstaaten künftig ihren in Drittstaaten lebenden Bürgern die Wahlteilnahme ermöglichen – oder eben nicht, ganz wie es die „innerstaatlichen Wahlverfahren“ vorsehen.
● Ein ähnliches Schicksal ereilte die Namen und Logos der europäischen Parteien. Dem Kompromisspapier zufolge sollen die Mitgliedstaaten künftig „gestatten können“, dass diese Namen und Logos auf dem Wahlzettel auftauchen. Diese Formulierung ist insofern inhaltsleer, als dies den Mitgliedstaaten ja noch niemals verboten war: Hätten sie die europäischen Parteien auf den Stimmzetteln sichtbar machen wollen, hätten sie das auch in der Vergangenheit schon gekonnt.
● Komplett gestrichen wurde der einheitliche Zeitpunkt für die Schließung der Wahllokale. Auch künftig wird es für die Europawahl nur ein gemeinsames Zeitfenster von vier Tagen (Donnerstag bis Sonntag) geben, innerhalb dessen jeder Mitgliedstaat den Zeitraum für die Wahl vollkommen frei bestimmt.
● Auch von der Gleichstellung von Männern und Frauen ist im Ratspapier keine Rede mehr.

Was bleibt, ist die Sperrklausel

Die einzige Maßnahme, die die Debatten im Ministerrat einigermaßen wohlbehalten überstanden hat, ist die Pflicht zu einer nationalen Sperrklausel. Zwar wurde auch diese eingeschränkt: Statt mindestens 3 Prozent soll sie nur mindestens 2 Prozent betragen; und statt für alle Mitgliedstaaten soll sie nur für Länder mit mindestens 35 Abgeordneten gelten – das heißt nur für Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen (von denen Frankreich, Italien und Polen schon jetzt eine Sperrklausel besitzen).

Dennoch hätte die deutsche Bundesregierung damit ihr wichtigstes Ziel erreicht: Kleinstparteien wie die Piraten, die Freien Wähler, die NPD oder die PARTEI würden bei Europawahlen künftig wohl an einer Zwei-Prozent-Hürde scheitern. Tatsächlich üben die betroffenen Parteien dagegen bereits seit einigen Wochen lauten Protest. Und sollte die Wahlrechtsreform am Ende erfolgreich sein, so wird wohl auch die deutsche Medienöffentlichkeit nur darüber diskutieren, ob nationale Sperrklauseln bei der Europawahl nun wünschenswert sind und ob das Spiel über Bande, mit dem die Bundesregierung das Urteil des Verfassungsgerichts von 2011 umging, demokratisch legitim war oder nicht.

Das Europäische Parlament sollte diese Farce beenden

Doch diese Diskussion lenkt letztlich nur von der viel wichtigeren Frage ab, wie die Europawahlen zu einer wirklichen gesamteuropäischen Richtungsentscheidung werden könnten. Eine substanzielle Wahlrechtsreform könnte dazu einen wichtigen Beitrag leisten – aber nicht jene Farce, über die der Ministerrat in diesen Tagen berät. Die beste Hoffnung liegt deshalb darin, dass die Wahlrechtsreform nach der Europawahl 2019 erneut auf die Tagesordnung kommt. Und das wiederum bedeutet, dass man den Appetit der deutschen Bundesregierung auf eine nationale Sperrklausel möglichst nicht schon jetzt befriedigen sollte.

Nach Art. 223 AEUV müssen der europäischen Wahlrechtsreform alle nationalen Regierungen im Ministerrat zustimmen, aber auch das Europäische Parlament. Die Abgeordneten sollten dieses Vetorecht nutzen und den jetzt im Rat diskutierten Kompromiss vollständig verwerfen. Darin läge ein Signal, dass auch das Parlament nicht alles mit sich machen lässt – und die beste Chance auf einen neuen Anlauf in der kommenden Wahlperiode.

Bild: European Parliament/Pietro Naj-Oleari [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

20 April 2018

Die deutsch-französische Allianz ist nichts Unvergleichliches

Der deutsch-französische Motor ermöglichte viele wichtige Durchbrüche in der Entwicklung der EU, doch in den letzten Jahren scheint er etwas an Zugkraft verloren zu haben. Kann ein neuer Élysée-Vertrag die Partnerschaft wiederbeleben? In einer Serie von Gastartikeln antworten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft hier auf die Frage, welche Rolle die deutsch-französische Zusammenarbeit in der EU künftig spielen kann. Heute: Christel Zunneberg. (Zum Anfang der Serie.)

„Für die wichtigsten Ratsangelegenheiten waren in den letzten Jahren nicht ‚Merkozy‘ oder ‚Merkollande‘, sondern ‚MerRutte‘ prägend.“
Die Entwicklung der EU hat eine neue bilaterale Realität geschaffen. Mit der Erweiterung, der Einführung von Mehrheitsentscheiden und differenzierten Integrationsformen (wie Schengen und der Eurogruppe) hat die bi- und trilaterale Koordinierung zwischen Mitgliedstaaten an Bedeutung gewonnen. Bilaterale Beziehungen sind ein integraler Bestandteil eines multilateralen Systems und tragen zu seiner Strukturierung bei, womit sie einen neuen politischen Raum schaffen.

Politikwissenschaftler heben dabei typischerweise die Verbindungen zwischen Schwergewichten, vor allem die deutsch-französische Allianz hervor. Dank ihrer bilateralen Nähe und ihrer europäischen Orientierung gilt eine gemeinsame proeuropäische Agenda dieser beiden großen Akteure als Dreh- und Angelpunkt und ‚Motor‘ der europäischen Zusammenarbeit. Mehr noch: Aufgrund der historischen Verantwortung für den Frieden in Europa gilt sie als existenziell für die EU. Die Partnerschaft zwischen Berlin und Paris erscheint als etwas Unvergleichliches.

Deutsch-französischer und deutsch-niederländischer Bilateralismus

Der wahre Wert der bilateralen deutsch-französischen Beziehungen für die EU-Integration und ihre Zukunftsaussichten unter ‚Mercron‘ können aber nur aus einer Vergleichsperspektive verstanden werden. Ein auf den ersten Blick unangemessen scheinender Vergleich, nämlich mit dem deutsch-niederländischen Duo, kann helfen, den genauen Mehrwert (oder „multilateralen Effekt“) des deutsch-französischen Bilateralismus zu erkennen.

Hierzu habe ich eine Reihe von Interviews mit hochrangigen niederländischen und deutschen Diplomaten (die sowohl in den jeweiligen Hauptstädten als auch in Brüssel für die Europapolitik ihres Landes zuständig sind) über die bilateralen Beziehungen zwischen ihren Ländern im expliziten Vergleich mit dem deutsch-französischen Verhältnis geführt. Diese Interviews zeigen, dass die beiden Duos zwei unterschiedliche Allianz-Archetypen verkörpern. Mit einigen Überlegungen zu ihrer Zukunft zeigt dieser Beitrag die Schwäche des deutsch-französischen Modells auf und wirft ein neues Licht auf seine behauptete Einmaligkeit.

Deutschland und die Niederlande: Freunde mit strategischen Vorzügen

Deutschland und die Niederlande sind gewissermaßen strategische Seelenverwandte. Für Berlin ist Den Haag ein attraktiver Partner – wegen des „hohen Maß an grundsätzlicher politischer Übereinstimmung, was die Grundkoordinaten unserer Europapolitik angeht“ (I), und wegen dreier Gründe, die mit der Größe der Länder zu tun haben (II).

Erstens erklären die Interviewpartner, dass die beiden Länder sich oft auf eine Arbeitsteilung verständigen: Während die Niederlande (die als kleiner Mitgliedstaat keine Verantwortung für die Kompromisssuche haben) eine Position als ‚Flankenspieler‘ einnehmen, sucht Deutschland nach einem Mittelweg mit anderen Regierungen.

Zweitens entspricht – angesichts des allgemeinen Unbehagens gegenüber einer deutschen Führungsrolle und angesichts der deutschen Furcht, als zu dominant wahrgenommen zu werden – die besondere Beziehung mit diesem kleinen Mitgliedstaat der europäischen Idee von gleichberechtigter Zusammenarbeit. In der Praxis „schlagen die Niederlande regelmäßig deutsche Initiativen vor, die für andere einfacher zu verdauen sind, wenn sie von einem kleineren Mitgliedstaat kommen“.

Und drittens sind die Niederlande als gleichgesinnter Partner für Deutschland auch deshalb attraktiv, weil sie gut mit anderen kleinen wohlhabenden Mitgliedstaaten vernetzt sind. Deutsche Interviewpartner erklären, dass das niederländische Netzwerk hilfreich ist, um ein deutsch-niederländisches Bündnis zu einer breiteren Koalition auszuweiten. „Wir bilden gewisse Allianzen […] und versuchen, andere noch dazuzugewinnen. Da ist Holland-Deutschland oft der Kern, von wo aus man dann arbeitet.“ Die Niederlande und Deutschland sind in diesem Sinne Freunde mit gewissen strategischen Vorzügen, die für Ratsentscheidungen eine gleichgesinnte Ad-hoc-Koalition zusammenstellen können – im besten Fall eine siegreiche Mehrheit oder eine Sperrminorität.

Deutschland und Frankreich: Partner in einer Zweckehe

Die politische Ausrichtung (I) und die Größe (II) sind auch der Schlüssel, um den grundsätzlich unterschiedlichen ‚multilateralen Effekt‘ des deutsch-französischen Bilateralismus zu erklären. Die deutsch-französische Allianz ist eine ‚Zweckehe‘. Wenn diese beiden Schwergewichte die Distanz zwischen einander überwinden können, schmieden sie einen europäischen Kompromiss, der für alle vorbildlich und annehmbar ist. Wie deutsche Interviewpartner erklären: „Weil viele Länder sich an den Franzosen orientieren, hat man die überwiegende Mehrheit der anderen Partner an Bord.“

Allerdings regt die deutsch-niederländische Allianz asymmetrischer Partner die europäische Zusammenarbeit wegen der Größe der beiden Länder an, die deutsch-französische hingegen trotz ihrer Größe – das heißt, trotz der Kritik kleinerer Mitgliedstaaten, dass die ‚Großen Sechs‘ (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen) formale EU-Treffen vorher unter sich ausmachen, ein Direktorium bilden und die Prinzipien gleichberechtigter europäischer Zusammenarbeit verletzen.

Allianzen in der Praxis

Die deutsch-französische Allianz stellt also einen besonderen Archetyp dar, dessen besondere Praxis im Folgenden durch weitere Vergleiche mit der deutsch-niederländischen Partnerschaft beschrieben werden soll. Eine Schlüsselbeobachtung der Interviewserie ist, dass das Profil der deutsch-französischen und der deutsch-niederländischen Partnerschaft – das Ausmaß an Kooperation und Institutionalisierung – sich erstens in Bezug auf die Politikbereiche und zweitens in Bezug auf die Ebene der Zusammenarbeit unterscheiden.

So bestätigen die Interviewpartner, dass die Niederlande und Deutschland „politisch sehr wesensnah“ sind, vor allem was die Vertiefung der Währungsunion, den EU-Haushalt und die Migrationspolitik betrifft. In institutionellen Fragen gehen die Ansichten hingegen öfter auseinander. Das deutsch-niederländische Bündnis fördert deshalb die wirtschaftliche (weniger politische) Integration. Auf der anderen Seite arbeitet die deutsch-französische Allianz traditionellerweise an der Förderung der politischen Integration, während die ökonomischen Unterschiede zwischen den Ländern oft zu unvereinbaren Positionen führen.

Während die Mitgliedstaaten logischerweise auf allen Akteursebenen dieselben Positionen vertreten, ist der Einfluss der bilateralen Zusammenarbeit gleichgesinnter Partner unmittelbar mit der Entscheidungsebene verbunden. Er sieht deshalb auf der Arbeitsebene anders aus als in und um den Europäischen Rat.

Keine Allianzen auf der Arbeitsebene

In Beratungen des Ausschusses der Ständigen Vertreter – dem Gremium der nationalen EU-Botschafter, kurz Coreper genannt – nehmen Deutschland und die Niederlande oft gemeinsame Positionen ein, unterstützen einander und organisieren gemeinsam Sperrminoritäten. „Wenn man es mal zählen würde, vielleicht noch mal einen Tick häufiger als mit den Franzosen“, bestätigen Interviewpartner der niederländischen und der deutschen Ständigen Vertretung bei der EU.

Dennoch gibt es keine festen Allianzen im Coreper, weder eine deutsch-niederländische noch eine deutsch-französische: Die Koalitionsbildung ist flexibel und nur vom Thema abhängig. Interviewpartner erklären diese Fluidität der Coreper-Entscheidungen mit zwei Gründen. Erstens die Art der Dossiers: Eine gemeinsame Führungsrolle in Fragen über die Finalität der EU bedeutet nicht notwendigerweise auch eine Zusammenarbeit in technischen Fragen.

Und zweitens die Funktionsweise der Brüsseler Arbeitsebene: Aufgrund des Zeitdrucks geht die bilaterale Kooperation unter zwischen der zwingenden zügigen Beratung mit den nationalen Parlamenten über Kommissionsvorschläge und der folgenden multilateralen Koordinierung in den vorbereitenden Gremien des Coreper. Angesichts der beschränkten Zeit und (bei den kleineren Mitgliedstaaten) Arbeitskapazitäten bleibt kein Raum für parallele bilaterale Verhandlungen über einzelne Maßnahmenvorschläge oder Rechtsaktentwürfe

Hindernisse der bilateralen Zusammenarbeit mit Deutschland

Niederländische Interviewpartner verweisen darüber hinaus auf zwei landesspezifische Faktoren, die die bilaterale Zusammenarbeit mit Deutschland im Coreper behindern. Einer davon ist ideologischer, der andere verfassungsrechtlicher Art: Erstens ist Deutschland aufgrund seiner konsensorientierten Mentalität, die aus der historischen Verantwortung für den europäischen Integrationsprozess resultiert, zögerlich gegenüber Initiativen mit einzelnen Mitgliedstaaten und wendet sich stattdessen lieber an die Kommission.

Zweitens ist auch der deutsche Föderalismus ein strukturelles Hindernis, das eine bilaterale Koordinierung bis zu einer weiter vorgerückten Phase der Verhandlungen erschwert. Art. 23 Grundgesetz verpflichtet die deutsche Bundesregierung, einen Großteil der EU-Angelegenheiten eng mit den sechzehn Bundesländern abzustimmen. Ihre Position im Coreper bleibt deshalb stets vorläufig und sie ist gezwungen, sich zu enthalten (das berüchtigte ‚deutsche Votum‘), bis sie endlich einen festen Standpunkt erreicht hat. Das deutsche Föderalsystem macht Deutschland auf der Arbeitsebene zu einem handlungsunfähigen und unflexiblen Partner – sowohl für die Niederlande als auch für Frankreich.

Kooperation auf Arbeitsebene: nur unter Gleichgesinnten

Statt einer deutsch-niederländischen oder deutsch-französischen Allianz gibt es deshalb verschiedene Antriebs- und Steuerkräfte, die die Ad-hoc-Koalitionsbildung auf Arbeitsebene beeinflussen: die Europäische Kommission, die Vorschläge initiiert, das Ratssekretariat und die Ratspräsidentschaft. Untersuchungen von Politikvorschlägen bestätigt, dass in einer bunten Stichprobe von Alltagsdossiers keine deutsch-französische Allianz zu erkennen ist. Dass Deutschland und Frankreich oft gemeinsam ‚an Bord‘ sind, liegt eher an den Bemühungen der Ratspräsidentschaft als an einer bilateralen Koordination zwischen ihnen.

Dennoch gibt es auf Verwaltungsebene eine bilaterale Kooperation – jedoch nur unter gleichgesinnten Ländern. Unabhängig von den konkreten Themen im Coreper finden interministerielle Beratungen über bestimmte Ziele statt. So nehmen Deutschland und die Niederlande an verschiedenen regelmäßigen Dialogformaten zwischen gleichgesinnten Ländern teil, beispielsweise zur Handels-, Landwirtschafts- oder Entwicklungspolitik. Die Interviewpartner unterstreichen die Bedeutung dieser zielspezifischen Beratungen: Da es keine informelle Verhandlungsebene für den Umgang mit einzelnen Coreper-Dossiers gibt, ist die Koordination unter ‚natürlichen Verbündeten‘ wertvoll, um eine breitere Übereinstimmungsbasis zu erzielen.

Frankreich und Deutschland, die keine politischen Seelenverwandten sind, besitzen hingegen keine solchen institutionalisierten Kontakte auf der Arbeitsebene. Vielmehr organisiert sich Frankreich selbst mit seinen eigenen gleichgesinnten Mitgliedstaaten.

Allianzen auf der hohen Ebene

Ein anderes Bild entsteht, wenn man die Ebene der Minister und der Staats- und Regierungschefs betrachtet, wo beide Duos versuchen, den allgemeinen politischen Kurs der EU zu beeinflussen. Nach den Interviewpartnern fördern der deutsch-niederländische und der deutsch-französische Bilateralismus die europäische Zusammenarbeit und Integration eher hier als auf Arbeitsebene. Dies liegt an der anderen Art der Dossiers (die Themen sind hier eher richtungsweisender als technischer Natur), an der reibungsloseren Positionierung Deutschlands (Entscheidungen der Bundeskanzlerin werden vom Bundeskanzleramt vorbereitet und unterliegen nicht einer schwerfälligen Bürokratie) und an der Infrastruktur des Rates.

Typischerweise finden im Vorfeld und am Rande der Ratstreffen parallele Gespräche zur Strategie-Koordinierung statt, in denen es sehr oft zu hochrangigen Kontakten sowohl zwischen Berlin und Den Haag als auch zwischen Berlin und Paris kommt. Im Vergleich verlaufen die hochrangigen Kontakte zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Rutte und ihren jeweiligen Sherpas (den persönlichen Vertretern der Regierungschefs bei EU-Beratungen) jedoch außergewöhnlich familiär. Die bilaterale Nähe zwischen Deutschland und den Niederlanden macht eine Institutionalisierung der hochrangigen Koordinierung, abgesehen von Treffen zwischen dem europapolitischen Berater der Bundeskanzlerin und den Benelux-Botschaftern, weitgehend unnötig.

Demgegenüber ist die Zweckehe zwischen dem Elysée-Palast und dem Bundeskanzleramt formalisierter und institutionalisierter – eine Umgangsweise, auf die die Franzosen großen Wert legen.

MerRutte‘, nicht ‚Merkollande‘ prägten die letzten Jahre

Blickt man auf das letzte Jahrzehnt zurück, so zeigt sich, dass der deutsch-französische ‚konsensbildende‘ Allianzen-Archetyp weniger robust ist als das deutsch-niederländische ‚koalitionsbildende‘ Modell, das – ausgehend von Gleichgesinntheit – institutionalisierte Kontakte auf Arbeitsebene und sehr familiäre Kontakte auf hochrangiger Ebene ermöglicht. Die Interviewpartner betonten, dass in den letzten Jahren ‚MerRutte‘, nicht ‚Merkozy‘ oder ‚Merkollande‘ für die wichtigsten Angelegenheiten auf der Ratsagenda prägend waren.

Seit der Finanz- und Eurokrise (2008) bildete die Allianz mit Den Haag in Wirtschafts- und Währungsangelegenheiten ein Gegengewicht zu jener mit Paris und übertraf diese sogar an Bedeutung. Im Umgang mit der griechischen Schuldenkrise (2010) stellte sich das deutsch-niederländische Duo gegen die Kommission und forderten die Beteiligung des IWF. Der EU-Türkei-Deal (März 2016) war eine deutsch-niederländische Initiative, die die Migrationskrise lösen sollte. Die Allianz stellt ein Musterbeispiel für eine gemeinsame Führungsrolle dar: Die Art, in der Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Rutte im Europäischen Rat die Führung übernahmen, war „das, was man von der deutsch-französischen Zusammenarbeit erwarten würde“.

Auch wenn dieses enge Bündnis nicht zuletzt den schlechten Beziehungen zwischen Berlin und Paris unter Präsident Hollande geschuldet war, birgt der deutsch-niederländische Bilateralismus ein dauerhaftes Führungspotenzial. Die deutsch-französische Maschine hingegen muss erst eingeschaltet werden, da sie sonst nicht läuft – mit keinem vergleichbaren Sicherheitsnetz auf der Arbeitsebene. Dies erklärt auch die berechtigte Aufregung über die Zukunft von ‚Mercron‘: Mit dem deutsch-französischen Modell lässt sich aus der Performance der Vergangenheit (glücklicherweise) keine Voraussage für die Zukunft treffen.

Die deutsch-französische Allianz – nicht jenseits des Vergleichs

Das Verständnis der deutsch-französischen Allianz als ein spezifischer Archetyp wirft neues Licht auf ihre behauptete Unvergleichbarkeit. Es eröffnen sich zwei Vergleichsebenen: Zum einen könnten andere ‚Zweckehen‘, zugegebenermaßen in geringerem Ausmaß, einen ähnlichen ‚multilateralen Effekt‘ der Konsensbildung auslösen, wenn es ihnen gelingt, ihre Differenzen zu überwinden. Berlin/Paris mag einzigartig in Bezug auf den Umfang ihres Einflusses sein, aber nicht in Bezug auf die zugrundeliegende Logik.

Zum anderen unterscheidet sich der ‚multilaterale Effekt‘ der deutsch-französischen Partnerschaft von jenem des deutsch-niederländischen Archetyps. Letzterer besitzt einen ganz andersartigen Wert für die Vertiefung der EU-Integration, indem er Koalitionen zwischen gleichgesinnten Staaten ermöglicht.

Der scheinbar unangemessene Vergleich mit dem deutsch-niederländischen Duo bringt also gute und schlechte Neuigkeiten. Die schlechte: Der deutsch-französische Allianzen-Archetyp ist von Natur aus fragil. Die gute: Die Zukunft der EU hängt nicht allein von dem konsensbildenden Archetyp ab – wie das deutsch-niederländische koalitionsbildende Modell gezeigt hat, als es die EU durch ihre schwersten Krisen der Gegenwart führte.

Christel Zunneberg ist External Policy Fellow im Projekt Rethink: Europe des European Council on Foreign Relations (Berlin).


Übersetzung aus dem Englischen: Manuel Müller.
Bilder: By Minister-president Rutte [CC BY 2.0], via Flickr; Christel Zunneberg (alle Rechte vorbehalten).

The Franco-German axis – not beyond compare

The Franco-German engine has allowed for many important breakthroughs in the development of the EU, but in recent years it seems to have lost some of its traction. Can a new Elysée Treaty revive the partnership? In a series of guest articles, representatives from politics and science respond to the question of what role German-French cooperation can play in the future of the EU. Today: Christel Zunneberg. (To the start of the series.)

“‘MerRutte’, rather than ‘Merkozy’ or ‘Merkollande’ left their mark on affairs at the top of the Council’s agenda in recent years.”
The evolution of the EU created a ‘new bilateral reality’. With enlargement, qualified majority voting and divers forms of integration (such as Schengen and the Eurogroup), bi- and trilateral coordination have gained in importance. Bilateral relationships that are an integral part of and contribute to the structuring of a multilateral system are implicitly acknowledged to create political space.

EU scholars typically eulogize nexuses between heavyweights, most notably the Franco-German axis. It is due to their bilateral proximity on the one hand and their European orientation on the other that a joint pro-European agenda of these major actors is considered the linchpin of and ‘motor’ for European cooperation. Even more, with an historical responsibility for peace in Europe, it is considered being of existential importance to the EU. The partnership between Berlin and Paris is portrayed as beyond compare.

Comparing Franco-German and Dutch-German bilateralism

However, the true value of the Franco-German bilateral relationship for EU integration, and what is at stake with its future under “Mercron” can only be estimated in comparative perspective. What at first sight might seem an awkward comparison, namely with the Dutch-German duo, will prove most helpful in determining what exactly is the added value (or ‘multilateral effect’) of Franco-German bilateralism.

A series of interviews with senior Dutch and German diplomats (handling EU affairs both in the capitals and in Brussels) about their countries’ bilateral relationship in explicit comparison with the Franco-German one, clarifies that both duos represent two distinct axes-archetypes. Speculating about its future, this commentary explains for the fragility of the Franco-German model and puts the claim of the uniqueness in a new perspective.

Germany and the Netherlands: friends with strategic benefits

Germany and the Netherlands are strategic soulmates, if you will. For Berlin, The Hague is an attractive partner (I) for the “hohes Maß an grundsätzlicher politischer Übereinstimmung, was die Grundkoordinaten unserer Europapolitik angeht”, and (II) for three strategic size-related reasons.

Firstly, interviewees explain that the Netherlands adopting a clear position as “flank player” (as a small member state it does not bear responsibility for finding the compromise) and Germany trying to find middle ground oftentimes is an agreed division of labour. Secondly, in the face of general uneasiness about Germany taking the lead and German anxiety to be perceived as imposing its will, Berlin’s exceptional relationship with this smaller member state does justice to the European idea of cooperating on an equal footing. In praxis, “the Netherlands regularly puts forward German initiatives, which are easier to digest if proposed by a smaller member state”.

Thirdly, the Netherlands’ network capital amongst other smaller affluent member states renders Germany’s like-minded partner even more attractive. German interviewees contend that Dutch network centrality is instrumental in enlarging a Dutch-German alliance that often forms the coalition core. “Wir bilden gewisse Allianzen (…) und versuchen, andere noch dazuzugewinnen. Da ist Holland-Deutschland oft der Kern, von wo aus man dann arbeitet.” The Netherlands and Germany are, for that matter, friends with strategic benefits, rallying an ad-hoc like-minded coalition – ideally a winning majority or a blocking minority.

Germany and France: a marriage of convenience

Political orientation (I) and size (II) are also key to explaining the fundamentally different ‘multilateral effect’ of Franco-German bilateralism. The Franco-German axis is a ‘marriage of convenience’. When these two heavyweights bridge the distance between them, they forge a European compromise that is exemplary to and agreeable for all. German interviewees explain that “weil viele Länder sich an den Franzosen orientieren, hat man die überwiegende Mehrheit der anderen Partner an Bord.”

It should be noted that whilst the Dutch-German axis of asymmetric partners stimulates European cooperation because of its size, the Franco-German one does so despite of it – that is despite accusations by smaller member states that ‘the Big Six’ pre-cook formal EU meetings, form a directory and violate the principles of European cooperation.

Axes in praxis

Having established – through juxtaposing – the Franco-German axis as one archetype, further recurring comparisons with the basic profile and impact of Dutch-German bilateralism will help to comprehend the distinct praxis of the Franco-German axis. A key observation from the interview series is that the profile of Franco-German and Dutch-German bilateralism – the degree of cooperation and institutionalisation – differs depending firstly on the policy area and secondly on the level of EU cooperation.

The interviewees confirm that the Netherlands and Germany are “politisch sehr wesensnah”, particularly as regards deepening the Economic and Monetary Union, the European budget and migration. Differing about institutional questions, Dutch-German bilateralism stimulates economic (rather than political) integration. On the other hand, the Franco-German axis traditionally works so as to stimulate European political integration, noting that their economic dissimilarities are oftentimes irreconcilable.

Whilst member states logically represent the same positions at all actor levels, the impact of bilateralism in fields of like-mindedness is inextricably linked to the process direction of decision-making: bottom-up (at the working level) or top-down (in and around the European Council). This assessment holds true both for Franco-German and for Dutch-German bilateralism.

No axes at play at the working level

In “Coreper” consultations – the Committee of Permanent Representatives, made up of each country’s (deputy) head of mission in Brussels – Germany and the Netherlands frequently take common positions, provide mutual support and co-organize blocking minorities. “Wenn man es mal zählen würde, vielleicht noch mal ein Tick häufiger als mit den Franzosen,” interviewees from the Dutch and the German Permanent Representation to the EU contemplate.

Nevertheless, there are no axes at play in Coreper, neither a Dutch-German, nor a Franco-German: coalitions are issue-dependent and solid alignment patterns absent. Interviewees provide two reasons for the fluidity in Coreper decision-making: the nature of the dossiers and Brussels’ working-level machinery for dealing with them. Firstly, joint leadership on questions about the Finalité of EU does not necessarily translate into cooperation on technical matters. Secondly, under time pressure the bilateral level is caught between compulsory expeditious consultation with national parliaments about Commission proposals and subsequent multilateral coordination within the Committee of Permanent Representatives’ preparatory bodies. There is no parallel negotiation trajectory to discuss single policy proposals and drafts for acts due to time and (in small-scale administrations) capacity constraints.

What obstructs bilateral cooperation with Germany in Coreper

Dutch interviewees point at two country-specific factors that obstruct bilateral cooperation with Germany in Coreper, one ideological and one constitutional. For one thing, its consensual mind-set, which originates in its historical responsibility for and stake in European integration, renders Germany hesitant to undertake initiatives with individual member states; it rather approaches the Commission.

For another, Germany’s federal system constitutes a structural obstacle in coordinating with the country up to an advanced phase of the negotiation process. Article 23 of the German constitution requires the Federal Government to coordinate the vast bulk of EU affairs closely with the sixteen bundesländer. Its position in Coreper consequently remains provisional, forcing it to abstain (the notorious ‘German vote’), until it ultimately reaches a fixed standpoint. The federal system renders Germany an incapable and inflexible partner at the working level – both for the Netherlands and for France.

Task-specific consultations unite German and Dutch bureaucracies

Rather than a Dutch-German or Franco-German axis, there are multiple driving and steering forces that affect ad-hoc coalition building at the working level: the European Commission that initiates proposals, the Council secretariat and the Presidency. Policy evaluators confirm that a cross section of mundane dossiers does not display a Franco-German axis. Germany and France are oftentimes ‘on board’ due to the Presidency’s efforts, rather than as a result of bilateral coordination between them.

Bilateral cooperation does exist at the bureaucratic level, yet only between like-minded countries. Decoupled from concrete issues in Coreper, inter-ministerial task-specific consultations typically do prevail. Germany and the Netherlands jointly partake in various continuous dialogues between like-minded countries, e.g. on trade, agrarian and development policy. The interviewees stress the importance of these task-specific consultations: in the absence of an informal trajectory activated to deal with Coreper issues, coordination amongst ‘natural allies’ is valuable in creating a wider support base a propos. Not being soulmates, France and Germany lack such institutionalised working-level contacts. Indeed, France organizes itself with its own like-minded EU member states.

Axes at play in high-level contacts

A different picture emerges at the ministerial and head-of-government/state level, where both duos seek to steer the EU’s general political course and priorities. Interviewees explain that Dutch-German and Franco-German bilateralism stimulate European cooperation and integration top-down rather than bottom-up. This is accounted for by the different nature of the dossiers (the matters under discussion are directional more than technical), by smooth high-level decision-making in Germany (if in the portfolio of the Bundeskanzlerin, matters are prepared by the Bundeskanzleramt and do not pass through the cumbersome bureaucracy), and by the infrastructure of Council meetings.

There typically is a parallel trajectory to coordinate grand strategies prior to and in the margins of Council meetings – where high-level contacts both between Berlin and The Hague and between Berlin and Paris are very frequent. In comparison, however, the high-level contact between Bundeskanzlerin Merkel and Minister-President Rutte and their Sherpas (the personal representative of the head of state or government) is extraordinarily familiar. Whereas the Dutch-German bilateral proximity renders it redundant to institutionalize high-level coordination (meetings between the Bundeskanzlerin’s EU advisor and the Benelux ambassadors being atypical in that regard), the marriage of convenience between the Elysée and the Bundeskanzleramt is more formalized and institutionalized – a way of doing to which the French attach great value.

‘MerRutte’ rather than ‘Merkollande’ left their mark in recent years

A record of the last decade proves that the Franco-German ‘consensus-building’ axis-archetype is less robust than the Dutch-German ‘coalition-building’ model, which – based on like-mindedness – allows for institutionalized working-level contact and extraordinarily familiar high-level contact. Interviewees point out how ‘MerRutte’, rather than ‘Merkozy’/‘Merkollande’ left their mark on affairs that were at the top of the Council’s agenda in recent years.

Since the Financial and Eurocrisis (2008) the alliance with The Hague counter- and outweighed the one with Paris in economic and monetary matters. In the handling of the Greek government-debt crisis (2010), the Dutch-German duo counterbalanced the Commission, advocating the IMF’s involvement. The EU-Turkey deal (March 2016) was a Dutch-German initiative concluded to mend the migration crisis. It constitutes an example of joint leadership par-excellence: the manner in which Bundeskanzlerin Merkel and minister-president Rutte took the lead in the European Council was “what you would expect from the Franco-German cooperation.”

Even if conditional (namely upon the strained relationship between Berlin and Paris under President Hollande), Dutch-German bilateralism bears continual leadership potential. The Franco-German engine, in contrast, needs to be switched on or is indeed switched off, with no comparable safety net on the working level. Hence the justified agitation about the future of ‘Mercron’: With the Franco-German model, past performance (luckily) is no guarantee for the future.

The Franco-German axis – not beyond compare

To understand the Franco-German axis as one archetype is to shed new light on the claim that it is beyond compare. It opens up two avenues for comparison. For one thing, other ‘marriages of convenience’ might, admittedly to a lesser but certain extent, sort the same ‘multilateral effect’ of consensus-building if they manage to sort out their differences. Berlin-Paris might be unique in the dimensions of its impact, but not in the logic behind it. For another, it is incomparable in its ‘multilateral effect’ with the Dutch-German archetype, which is of a distinct value for deepening EU integration building coalitions between like-minded member states.

This commentary’s seemingly awkward comparison with the Dutch-German duo thus brings good and bad news. The bad: the Franco-German axis-archetype is inherently fragile. The good: the future of the EU does not depend on the consensus-building archetype – as the Dutch-German coalition-building model has proven to steer the EU through its severest contemporary crises.

Christel Zunneberg is External Policy Fellow in the Rethink: Europe team of the European Council on Foreign Relations (Berlin).


Images: By Minister-president Rutte [CC BY 2.0], via Flickr; Christel Zunneberg (all rights reserved).

13 April 2018

Europa neu denken: Wir brauchen einen deutsch-französischen Impuls für die europäische Erneuerung

Der deutsch-französische Motor ermöglichte viele wichtige Durchbrüche in der Entwicklung der EU, doch in den letzten Jahren scheint er etwas an Zugkraft verloren zu haben. Kann ein neuer Élysée-Vertrag die Partnerschaft wiederbeleben? In einer Serie von Gastartikeln antworten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft hier auf die Frage, welche Rolle die deutsch-französische Zusammenarbeit in der EU künftig spielen kann. Heute: Sabine Thillaye. (Zum Anfang der Serie.)

„Ein gemeinsam handelndes deutsch-französisches Tandem kann eine tiefgreifende und nachhaltige Reform der Europäischen Union anregen.“
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren mit der Finanz- und Währungskrise eine ihrer härtesten Bewährungsproben durchlaufen. Diese Krise scheint überstanden, doch die Probleme werden angesichts stetig wachsender Zustimmung für populistische und nationalistische Stimmen, der Abwendung einzelner Mitgliedstaaten von europäischen Werte- und Rechtsstandards und des Austritts Großbritanniens nicht geringer. Offensichtlich ist die Europäische Union in ihrer heutigen Form für bedeutende Teile der europäischen Bürger kein überzeugendes Angebot mehr. Das Zeitfenster für die Reformen, die diesen Trend umkehren können, ist eng. Noch vor den Europawahlen 2019 sollten wir erste Bausteine für eine erneuerte Europäische Union setzen.

Unterschiede als Trumpf

Eine gemeinsame deutsch-französische Initiative ist hierfür unverzichtbar. Der neue Elysée-Vertrag, den unsere beiden Länder schließen wollen, ist ein deutliches Bekenntnis. Für eine Neuordnung der EU reicht dieser jedoch nicht. Eine Reform muss im Konsens und Dialog mit allen Mitgliedstaaten vorangebracht werden.

Die Geschichte der EU hat uns aber gezeigt, dass der deutsch-französische Motor als Initiator und Clearing-Stelle fungieren kann. Unsere unterschiedlichen Ansichten dürfen wir dabei nicht als Hindernis begreifen, sondern als Trumpf. Eine aktive, transparente und ehrliche Diskussion unserer unterschiedlichen Vorschläge werden uns zu einem konstruktiven Ergebnis bringen.

Bilaterale Projekte mit europäischem Potenzial

Wir laden alle europäischen Partner ein, sich an unserer Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union zu beteiligen. Genauso laden wir alle Staaten dazu ein, sich an unseren bilateralen Kooperationsprojekten zu beteiligen, für die sich unsere beiden Parlamente in der gemeinsamen Erklärung vom 22. Januar 2018 ausgesprochen haben.

Unsere beiden Länder wollen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit weiter verstärken und hierfür unter anderem:
  • die Entscheidungskompetenzen der Eurodistrikte erweitern und so den Grenzregionen ermöglichen, eigene Projekte unbürokratisch und effizient umzusetzen.
  • eine einheitlichen deutsch-französischen Markt durch die Harmonisierung von Regeln und den Abbau von bürokratischen Hürden schaffen.
  • vergleichbare Sozialstandards schaffen und die europäische Säule sozialer Rechte umsetzen.
  • Impulse für eine Digitalunion setzen, die die Grundrechte der Bürger auch in einer digitalen Gesellschaft schützt, Wege für eine gerechte Besteuerung aller Unternehmen findet und ein führender Akteur im Innovationsbereich wird.
Jedes einzelne dieser Projekte verbessert das Leben unserer Bürger im Alltag und verstärkt die Bindung zwischen unseren beiden Nationen. Die Teilnahme anderer Nachbarstaaten an den Projekten ist dabei wünschenswert. Bilaterale Projekte können so im Bestfall sukzessive zu gesamteuropäischen Instrumenten wachsen. Erprobte Erfolge in Einzelstaaten können skeptische Mitgliedstaaten überzeugen und ihnen die Angst vor weiterer Integration nehmen. Eine solche Bottom-up-Dynamik in Ergänzung zu konzertierten Initiativen der Kommission oder des Europäischen Rates nimmt auch den Wind aus den Segeln derer, die der EU den Sinn für Demokratie, Diskurs und der Kritikfähigkeit absprechen.

Eine konstruktive Debatte über die Zukunft Europas

Diese bilateralen Projekte dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir für die Europäische Union einen langfristigen Kompass brauchen. Einzelkompromisse und Teilreformen bleiben in der Summe Flickwerk, wenn das Endziel unbestimmt bleibt. Das Weißbuch der EU von 2017, in dem Kommissionspräsident Juncker mögliche Entwicklungsszenarien für die EU vorstellt, war ein wertvoller Beitrag zur Richtungsdebatte innerhalb der EU und hat verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt: Soll die EU sich auf ihre Aufgabe als Binnenmarkt beschränken? Sollte sie zu einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten werden? Sich auf weniger Politikbereiche konzentrieren und so effizienteres Handeln garantieren? Oder sollte am Ende unserer Bemühungen doch ein föderales Europa mit einer gestärkten Euro-Zone im Kern stehen?

Eine konsensfähige Antwort auf diese Frage wird sich nur aus einer konstruktiven Debatte ergeben können. Eine solche Debatte wiederum kann nur dann entstehen, wenn gesellschaftliche und politische Akteure den Mut aufbringen, sich zu positionieren und offen den Austausch suchen.

Frankreich hat sich positioniert

Nach langer Zeit der Abwesenheit auf der Bühne der Europäischen Union hat Frankreichs neues Staatsoberhaupt diese Notwendigkeit erkannt. Präsident Emmanuel Macron hat mit seiner Sorbonne-Rede die Prioritäten beschrieben, die Frankreich für die Entwicklung der EU in der nahen Zukunft hat. Angestrebt werden sollen demzufolge:
  1. ein souveränes Europa, das
    • Sicherheit in allen Dimensionen gewährleistet,
    • für die Herausforderungen der Migration gewappnet ist,
    • seine Partner im Mittelmeerraum und in Afrika stützt,
    • ein Vorbild für nachhaltige Entwicklung ist,
    • mit Innovation und Regulierung den Herausforderungen der digitalen Welt gewachsen ist und
    • eine Wirtschafts- und Währungsmacht bleibt: stark genug, um der wachsenden Konkurrenz anderer aufstrebender Kräfte zu trotzen.
  2. ein geeintes Europa
    • durch eine konkrete Solidarität,
    • soziale und steuerliche Konvergenz
    • und die Schaffung eines Zugehörigkeitsgefühls durch den Austausch von Kultur und Wissen.
  3. ein demokratisches Europa, indem wir
    • die europäische Bevölkerung in Form einer europaweiten Bürgerbefragung in die Debatte einbinden und
    • europaweite Listen für die Wahl des Europäischen Parlaments einführen.
Die Debatte zeigt Wirkung

Wie groß die Wirkung solcher klar geäußerten Positionen sein kann, zeigen die Entwicklungen, die auf Macrons Rede folgten. Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit wurde im Dezember von 25 der 27 zukünftigen Mitgliedstaaten beschlossen. Die europaweiten Bürgerbefragungen werden ab März in 26 der 27 Mitgliedstaaten stattfinden.

Die transnationalen Listen hingegen wurden im Februar vom Europäischen Parlament abgelehnt. Zwar bin ich immer noch der Überzeugung, dass diese europäischen Listen ein wichtiger Schritt für ein demokratisches Europa gewesen wären, doch auch Niederlagen liegen in der Natur des Diskurses und sind Bedingung dafür, ein austariertes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Positionen zu erreichen.

Lasst uns Europa voranbringen!

Wenn man die Fortschritte des letzten Jahres betrachtet und dabei bedenkt, dass die Bundesrepublik seit September während eines Zeitraumes von fünf Monaten auf eine neue Regierung gewartet hat, so bin ich sehr zuversichtlich, dass ein gemeinsam handelndes deutsch-französisches Tandem eine tiefgreifende und nachhaltige Reform der Europäischen Union anregen kann. Ich appelliere also an die neue Bundesregierung und an alle anderen Regierungen der Europäischen Union:

Lasst uns die Europäische Union neu denken! Lasst uns streiten! Und lasst uns Europa voranbringen!

Sabine Thillaye ist Vorsitzende des Ausschusses für Europaangelegenheiten der französischen Assemblée Nationale.


Bilder: European Council [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; Sabine Thillaye (alle Rechte vorbehalten).

05 April 2018

Wenn am nächsten Sonntag Europawahl wäre (April 2018): S&D stürzt weiter ab, „En Marche“ könnte dritte Kraft werden, Fünf Sterne suchen neue Fraktion


GUE/
NGL
Grüne/
EFA
S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
EP heute 51 52 189 68 219 71 44 36 21
Feb. 18 65 33 142 102 179 47 42* 41 11 16
April 18 58 33 137 104 180 41 23* 44 12 46

Stand: 03.04.2018.
Die Talfahrt der europäischen Sozialdemokraten setzt sich fort: Nach den Wahldebakeln der letzten Jahre, bei denen die Partei unter anderem in Griechenland, den Niederlanden und Frankreich ihren Status als Volkspartei einbüßte, in Polen aus dem nationalen Parlament flog und in Deutschland das schlechteste Ergebnis seit Ende des Zweiten Weltkriegs erzielte, stürzte sie nun auch bei der Parlamentswahl in Italien ab – jenem Land, in dem sie bei der Europawahl 2014 noch die meisten Stimmen erzielte.

Tatsächlich stehen die europäischen Sozialdemokraten gut ein Jahr vor der Europawahl 2019 in den Umfragen so schlecht da wie noch nie zuvor. Gegenüber der letzten Projektion von Februar fallen sie noch einmal zurück und kämen nur noch auf insgesamt 137 Mandate (–5) – ein neuer historischer Tiefstand. Außer in Italien verlieren die Sozialdemokraten vor allem in Rumänien und Spanien an Zustimmung; in Estland würden sie nun überhaupt nicht mehr ins Europäische Parlament einziehen. Nur in wenigen Ländern können sozialdemokratische Parteien dem allgemeinen Negativtrend widerstehen und sogar leicht zulegen, unter anderem in Ungarn, Österreich und Belgien.

Auch EVP stagniert

Angesichts dieser Schwäche der Sozialdemokraten scheint der christdemokratischen Europäischen Volkspartei der Sieg bei der Europawahl 2019 kaum noch zu nehmen. Wirklich zufrieden mit ihren Umfragewerten kann aber auch die EVP nicht sein: Nachdem sie in der Februar-Projektion auf ihren schlechtesten Wert in der laufenden Wahlperiode gefallen war, musste sie in den letzten acht Wochen in vielen Ländern weitere Rückschläge verzeichnen. Insbesondere ihre italienische Mitgliedspartei Forza Italia blieb bei der nationalen Parlamentswahl deutlich hinter den Erwartungen zurück, aber auch in zahlreichen weiteren Ländern verschlechterten sich die Umfragewerte leicht.

Deutliche Zugewinne erfuhr die EVP allerdings in Polen, wo nicht nur die PO merklich zugelegt hat, sondern auch der kleineren christdemokratischen Partei PSL nun wieder der Sprung über die nationale Fünf-Prozent-Hürde gelingen würde. Insgesamt kann sich die EVP deshalb gegenüber Februar minimal verbessern und käme nun auf 180 Mandate (+1). Dies wäre allerdings noch immer der geringste EVP-Sitzanteil seit der Europawahl 1989.

GroKo ohne Mehrheit

Diese historisch schwachen Werte der beiden größten Fraktionen lassen für die Zeit nach der Europawahl eine deutliche Machtverschiebung erwarten. Die europäische Politik war traditionell von einer informellen Großen Koalition aus EVP und Sozialdemokraten geprägt, die als einziges Bündnis im Parlament über eine stabile Mehrheit verfügte. In der aktuellen Projektion käme diese Große Koalition hingegen nur noch auf 317 von 678 Sitzen und würde deshalb für eine absolute Mehrheit in jedem Fall die Unterstützung einer weiteren Fraktion benötigen.

Eine Schlüsselrolle in der nächsten Wahlperiode dürften deshalb die Liberalen der ALDE-Fraktion einnehmen, die in den letzten Jahren europaweit starke Zugewinne verzeichneten und in Zukunft als Zünglein an der Waage bei der Mehrheitsbildung im Parlament fast unumgänglich werden könnten. In den aktuellen Umfragen können die Liberalen unter anderem in Spanien, Finnland und Estland leicht zulegen, während sie in Tschechien, Polen und den Niederlanden leichte Verluste erfahren. Insgesamt käme die ALDE nun auf 104 Sitze (+2).

Spaltet Macron die Liberalen?

Diese starke Position der Liberalen steht allerdings unter einem wichtigen Vorbehalt: Sie setzt voraus, dass sich auch die neue französische Regierungspartei LREM der ALDE anschließt. Die erst 2016 gegründete LREM wird bei der kommenden Europawahl erstmals ins Europäische Parlament einziehen und hat mit den Liberalen einige inhaltliche und strategische Überschneidungen. Allerdings hat der Parteigründer (und heutige französische Staatspräsident) Emmanuel Macron mehrmals deutlich gemacht, dass er statt eines ALDE-Beitritts eigentlich die Bildung einer ganz neuen, eigenen Fraktion im Europäischen Parlament bevorzugen würde. Dafür sind nach der Geschäftsordnung des Parlaments allerdings Abgeordnete aus mindestens sieben verschiedenen Mitgliedstaaten notwendig.

Kann Macron diese Hürde überwinden? Vor einigen Tagen habe ich auf diesem Blog einen Weg dargestellt, wie eine neue europäische „En Marche“-Fraktion entstehen könnte und welche Parteien sich daran möglicherweise beteiligen würden. Im Wesentlichen müsste Macron dafür die derzeitige ALDE-Fraktion spalten, indem er deren europafreundlicheren Mitgliedsparteien in sein eigenes Lager zieht. Gelingt ihm das, so könnten auch einige Parteien des liberalen Flügels der Sozialdemokraten den Sprung in die neue Fraktion wagen. Im besten Fall könnte „En Marche“ auf diese Weise sogar zur drittstärksten Kraft im Europäischen Parlament werden.

Ein Szenario mit „En Marche“-Fraktion

Die nebenstehende Grafik zeigt, wie die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments in diesem Fall aussehen könnte. Als sichere Mitglieder der neuen „En Marche“-Fraktion gelten dabei die französische LREM, die spanischen Ciudadanos und die rumänische USR. Als weitere Parteien kämen die niederländische D66, die griechische EK, die belgischen Open-VLD und MR, die schwedischen Liberalerna, die österreichischen Neos sowie die luxemburgische DP (derzeit alle ALDE) sowie der italienische PD und die ungarische DK (derzeit beide S&D) in Frage.

Sollten sich tatsächlich all diese Parteien „En Marche“ anschließen, käme die neue Fraktion auf 70 Abgeordnete, während die S&D auf 121, die ALDE auf 50 Sitze zurückfallen würde. Denkbar wäre zudem, dass auch noch einzelne christdemokratische Abgeordnete zur „En Marche“-Fraktion wechseln würden – etwa aus Protest gegen die fortdauernde Unterstützung der EVP für den national-autoritären Kurs der ungarischen Regierungspartei Fidesz. „En Marche“ wäre damit die drittstärkste Kraft im Europäischen Parlament: hinter EVP und S&D, aber vor Linken, Liberalen und Rechten.

All diese Zahlen sind allerdings in hohem Maße spekulativ. Schon ob es überhaupt zu einer neuen Fraktion kommen wird, steht derzeit keineswegs fest; geschweige denn, welche Parteien sich ihr tatsächlich anschließen würden. Das hier beschriebene Szenario sollte deshalb nicht so sehr als eine Voraussage verstanden werden, was nach der Europawahl tatsächlich passieren wird – sondern eher als eine Veranschaulichung, wie viel in der Auseinandersetzung um ein europäisches „En Marche“ auf dem Spiel steht.

Die Linke verliert deutlich

Aber nicht nur für die großen Fraktionen der politischen Mitte, auch für den linken und rechten Rand des politischen Spektrums brachten die Umfragen der letzten Woche einige Bewegung. Auf der linken Seite musste die GUE/NGL-Fraktion deutliche Einbußen hinnehmen und käme nun nur noch auf 58 Sitze (–7). Hauptgrund dafür ist das schlechte Abschneiden der italienischen Linkspartei LeU, die nun deutlich an der nationalen Vier-Prozent-Hürde scheitern würde. Auch die slowenische Levica würde nach den aktuellen Umfragen den Einzug ins Europäische Parlament verpassen. Leicht zulegen können hingegen die spanische Unidos Podemos, die niederländische SP und die tschechische KSČM.

Kaum Veränderungen gibt es bei den europäischen Grünen. Seitdem die G/EFA-Fraktion im Juni 2017 auf ihren tiefsten Wert in dieser Wahlperiode gefallen war, konnte sie mehr als ein halbes Jahr lang in jeder neuen Projektion dazugewinnen. In den letzten acht Wochen stagnierte sie hingegen bei 33 Sitzen (±0): Leichten Gewinnen in den Niederlanden standen leichte Verluste in Flandern gegenüber.

EKR schwächelt in Polen, ENF in Italien stark

Auf der rechten Seite des politischen Spektrums hat die EKR-Fraktion ebenfalls einen langen Erfolgslauf seit Mitte 2017 hinter sich. Nun aber brechen die europäischen Nationalkonservativen ein, was vor allem an einigen überraschend schwachen Umfragen ihrer polnischen Mitgliedspartei PiS liegt. Insgesamt käme die EKR noch auf 41 Sitze (–6).

Zulegen kann hingegen die Rechtsaußen-Fraktion ENF, die vor allem von den überraschend guten Ergebnissen ihres italienischen Mitglieds Lega Nord profitiert. Auch wenn andere ENF-Parteien, etwa die niederländische PVV, zuletzt etwas schwächere Umfragewerte verzeichneten, kann sich die ENF dadurch auf 44 Sitze verbessern (+3). Damit wäre die ENF nun wieder die stärkste der drei Rechtsfraktionen im Europäischen Parlament; gleichzeitig wäre die Lega innerhalb der ENF wieder die stärkste Kraft vor dem französischen Front National.

EFDD-Parteien können zulegen …

Die größten Veränderungen aber erfährt die nationalpopulistische EFDD-Fraktion. Für deren Mitglieder brachten die letzten Wochen vor allem gute Nachrichten: Die deutsche AfD konnte in den Umfragen leicht zulegen; die französische DLF wiederum profitiert von einer Reform des französischen Europawahlrechts, nach der die Sitze künftig nicht mehr über regionale, sondern über nationale Listen verteilt werden (was grundsätzlich kleineren Parteien zugute kommt).

Vor allem aber übertraf das italienische Movimento Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung, M5S) bei der nationalen Parlamentswahl die ohnehin schon hohen Erwartungen. Wenn jetzt Europawahl wäre, könnte das M5S mit 28 Sitzen rechnen und wäre damit knapp hinter der deutschen CDU/CSU und noch vor der französischen LREM die zweitstärkste nationale Einzelpartei im Europäischen Parlament.

aber das M5S will die Fraktion verlassen

Doch ob die EFDD an diesen Erfolgen auch in Zukunft teilhaben wird, ist derzeit mehr als fraglich – denn das M5S ist offenbar zu einem Austritt aus der Fraktion entschlossen. Hintergrund dafür ist ein schleichender europapolitischer Kurswechsel der Partei, die unter ihrem Gründer Beppe Grillo noch auf schrill europaskeptische Töne setzte, mit dem neuen Parteichef Luigi Di Maio hingegen seit einigen Monaten eher integrationsfreundliche Signale aussendet. Umgekehrt dürfte die EFDD mit dem Ausscheiden der britischen UKIP und dem Aufstieg der deutschen AfD von einer eher nationalpopulistischen zu einer stramm rechten Ausrichtung übergehen.

In den letzten Tagen berichteten italienische Medien deshalb, dass das M5S in der nächsten Wahlperiode aus der Fraktion austreten will. Für die EFDD wäre das ein herber Rückschlag: Ohne die Cinque Stelle käme sie nur noch auf 23 Abgeordnete (–19). Zudem wäre sie auf nur noch vier Parteien reduziert und müsste damit neue Mitglieder aus mindestens drei weiteren Ländern neu anwerben, um sich wieder als eigenständige Fraktion konstituieren zu können.

Wie weiter für die Cinque Stelle?

Wohin aber wird es das M5S verschlagen? Den italienischen Medien zufolge würde sich die Partei am liebsten einer „En Marche“-Fraktion anschließen. Doch ob es dazu kommt, ist völlig unklar: Europe en Marche, ein Macron nahestehender europapolitischer Verein, wies die Avancen des M5S zunächst jedenfalls brüsk zurück. Kurz darauf stellte LREM über ihren offiziellen Twitter-Account zwar klar, dass der Verein dabei nicht für die Partei sprach: Anscheinend will sich Macron zunächst alle Optionen offenhalten. Doch ob es tatsächlich zu einem Bündnis zwischen LREM und M5S kommt, werden wir wohl erst nach der Europawahl erfahren.

Andernfalls wäre es auch möglich, dass das M5S schlicht fraktionslos bleibt. Sollte es dazu kommen, würde der Block der Fraktionslosen deutlich anwachsen: Seine derzeitigen Mitglieder – größtenteils extremistische Parteien, die selbst für die ENF-Fraktion zu weit rechts stehen – kommen in den aktuellen Umfragen lediglich auf 12 Sitze (+1). Allerdings ist die Fraktionslosigkeit für das M5S ein eher unattraktives Szenario, da es dadurch an Einfluss und Ressourcen verlieren würde. Und es scheint auch kaum wahrscheinlich, dass wirklich sämtliche im Parlament vertretenen Fraktionen bereit sind, auf einen so starken Partner zu verzichten.

Vorläufig wird die Partei in der Projektion auf diesem Blog deshalb unter den „weiteren Parteien“ erscheinen, die keiner europäischen Fraktion klar zugeordnet werden können. Diese Gruppe steigt dadurch auf 46 Sitze an (+30) – ein deutliches Zeichen für die wachsende Ungewissheit über die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments. Ein gutes Jahr vor der Europawahl 2019 nehmen die unbekannten Variablen eher zu als ab.

Die Übersicht

Die folgende Tabelle schlüsselt die Projektion für die Sitzverteilung zwischen den Fraktionen im nächsten Europäischen Parlament nach nationalen Einzelparteien auf. Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Projektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Da das Vereinigte Königreich noch vor der nächsten Europawahl aus der Europäischen Union austreten wird, werden die britischen Parteien in der Projektion seit Mai 2017 nicht mehr berücksichtigt. Parteien, bei denen die Teilnahme an einer möglichen neuen „En Marche“-Fraktion plausibel erscheint, sind in der Tabelle farbig gekennzeichnet.

Wie die Datengrundlage für die Länder im Einzelnen aussieht und nach welchen Kriterien die nationalen Parteien den europäischen Fraktionen zugeordnet wurden, ist im Kleingedruckten unter der Tabelle erläutert. Mehr Informationen zu den europäischen Parteien und zu den Fraktionen im Europäischen Parlament gibt es hier.


GUE/
NGL
Grüne/
EFA
S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
EP heute 51 52 189 68 219 71 44 36 21
Feb. 18 65 33 142 102 179 47 42* 41 11 16
April 18 58 33 137 104 180 41 23* 44 12 46
DE 10 Linke
1 Tier
11 Grüne
1 Piraten
1 ödp
17 SPD 8 FDP
1 FW
30 Union 1 Familie 13 AfD
1 Partei
1 NPD
FR 12 FI
7 PS 24 LREM 11 LR
5 DLF 15 FN

IT

15 PD
10 FI
1 SVP


16 LN
3 FdI

28 M5S
ES 8 UP 1 ERC
1 Comp
1 ICV
12 PSOE 15 Cʼs
1 PDeCAT
15 PP




PL

4 SLD 3 .N 14 PO
3 PSL
22 PiS


5 Kʼ15
RO

12 PSD 3 ALDE
4 USR
11 PNL
2 UDMR





NL 3 SP
1 PvdD
3 GL 2 PvdA 5 VVD
3 D66
3 CDA 1 CU
2 PVV
2 FvD
1 50plus
EL 6 Syriza
1 KA 1 EK 8 ND


2 XA
2 KKE

BE 1 PTB 1 Groen
1 Ecolo
1 sp.a
3 PS
2 OpenVLD
2 MR
2 CD&V
1 cdH
1 CSP
5 N-VA
1 VB

PT 1 CDU
2 BE

10 PS
8 PSD-CDS




CZ 2 KSČM 3 Piráti 2 ČSSD 8 ANO 2 KDU-ČSL 3 ODS
1 SPD

HU
1 LMP 3 MSZP
1 DK

12 Fidesz


4 Jobbik
SE 2 V 1 MP 6 S 2 C
1 L
4 M
4 SD


AT 6 SPÖ 1 Neos 6 ÖVP

5 FPÖ

BG

6 BSP 1 DPS 8 GERB



2 OP
DK 1 FmEU 1 SF 5 S 3 V
3 DF



FI 1 Vas 2 Vihr 3 SDP 3 Kesk 3 Kok 1 PS



SK

3 SMER
1 M-H 2 OĽ-NOVA
2 SaS

1 SNS 2 ĽSNS 2 SR
IE 3 SF

3 FF 5 FG




HR 2 ŽZ
4 SDP
4 HDZ



1 Most
LT
3 LVŽS 2 LSDP 1 LRLS 3 TS-LKD
1 TT

1 LCP
LV

3 SDPS 2 ZZS 1 V 1 NA


1 JKP
SI

2 SD 1 SMC 2 SDS
1 NSi-SLS




2 LMŠ
EE


2 KE
3 RE





1 EKRE
CY 2 AKEL
1 DIKO
3 DISY




LU
1 Déi Gréng 1 LSAP 1 DP 3 CSV




MT

4 PL
2 PN





Verlauf


GUE/
NGL
G/EFA S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
03.04.2018 58 33 137 104 180 41 23 44 12 46
05.02.2018 65 33 142 102 179 47 42 41 11 16
13.12.2017 56 30 142 109 196 45 37 36 9 18
16.10.2017 55 28 150 106 192 45 38 37 12 15
22.08.2017 57 24 149 108 196 42 29 44 12 17
27.06.2017 55 23 155 109 201 38 28 42 11 16
02.05.2017 46 28 170 82 198 35 27 59 12 21
mit GB 47 35 186 88 198 68 36 59 13 21
06.03.2017 50 35 182 80 191 69 48 60 14 22
16.01.2017 48 40 180 82 191 63 48 68 14 17
14.11.2016 48 38 182 91 194 65 47 61 13 12
13.09.2016 47 38 181 91 189 62 53 63 14 13
26.07.2016 48 39 185 90 192 59 54 61 13 10
25.05.2016 55 40 174 85 187 63 51 70 14 12
05.04.2016 52 37 179 85 192 72 50 53 15 16
07.02.2016 51 34 183 82 196 70 51 55 12 17
14.12.2015 52 33 185 87 192 68 52 53 12 17
17.10.2015 51 33 193 75 204 66 51 54 12 12
21.08.2015 56 35 190 74 204 70 47 49 11 15
30.06.2015 61 34 188 73 205 69 43 47 11 20
03.05.2015 60 32 193 80 205 62 44 51 15 9
10.03.2015 60 31 196 77 216 60 43 49 12 7
12.01.2015 65 40 190 70 212 59 47 43 17 8
18.11.2014 60 42 195 69 212 59 47 43 16 8
23.09.2014 53 39 196 67 223 61 47 40 15 10
28.07.2014 56 47 191 75 215 66 44 40 13 4
EP 01.07.14 52 50 191 67 221 70 48 37 15

Die Zeile „EP 01.07.14“ kennzeichnet die Sitzverteilung zum 1. Juli 2014, dem Zeitpunkt der Konstituierung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl im Mai 2014. Bis März 2017 sind die Werte der Sitzprojektion einschließlich dem Vereinigten Königreich angegeben, ab Mai 2017 ohne das Vereinigte Königreich. Die Zeile „mit GB“ kennzeichnet die Werte für Mai 2017 mit dem Vereinigten Königreich. Die Spalte für die ENF-Fraktion gibt bis Mai 2015 die Werte der Europäischen Allianz für Freiheit (EAF) bzw. der Bewegung für ein Europa der Nationen und Freiheiten (BENF) und ihr nahestehender Parteien an, die bis zur Fraktionsgründung im Juni 2015 fraktionslos waren.

Die vollen Namen der Fraktionen und der nationalen Einzelparteien erscheinen als Mouseover-Text, wenn der Mauszeiger eine kurze Zeit regungslos auf der Bezeichnung in der Tabelle gehalten wird. Bei den „weiteren“ Parteien ist zudem die ungefähre politische Ausrichtung angegeben, um ihre Bündnismöglichkeiten auf europäischer Ebene anzudeuten. Da die betreffenden Parteien allerdings oft erst vor kurzer Zeit gegründet wurden, befindet sich ihre Programmatik zum Teil noch im Fluss, sodass die Angabe lediglich zur groben Orientierung dienen kann.

Fraktionszuordnung

Für die Projektion werden Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet, es sei denn, sie haben ausdrücklich ihren Entschluss zu einem Fraktionswechsel nach der nächsten Wahl erklärt oder ein Fraktionswechsel erscheint aus anderen Gründen sehr wahrscheinlich. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören oder ihr in der politischen Ausrichtung sehr nahe stehen, werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. In Fällen, bei denen sich die Mitglieder einer nationalen Liste nach der Wahl voraussichtlich auf mehrere Fraktionen aufteilen werden, wird jeweils die am plausibelsten scheinende Verteilung zugrundegelegt. Parteien, bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden als „Weitere Parteien“ eingeordnet. Diese Zuordnungen folgen zum Teil auch einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung der Parteien. Jeder Leserin und jedem Leser bleibt es deshalb selbst überlassen, sie nach eigenen Kriterien zu korrigieren.

Für die Bildung einer eigenständigen Fraktion sind nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich. Mit einem Asterisk (*) gekennzeichnete Gruppierungen würden diese Bedingungen nach der Projektion derzeit nicht erfüllen. Sie müssten deshalb gegebenenfalls nach der Europawahl zusätzliche Abgeordnete (z. B. aus der Spalte „Weitere“) für sich gewinnen, um sich als Fraktion konstituieren zu können.

Die derzeit nicht im Parlament vertretene französische Partei LREM hat programmatische und strategische Überschneidungen mit der ALDE-Fraktion, strebt für die Zeit nach der Europawahl 2019 aber die Gründung einer eigenen Fraktion an. Welche anderen Parteien sich an einer solchen zentristischen „En Marche“-Fraktion beteiligen könnten, ist derzeit weitgehend offen; einige (etwas spekulative) Überlegungen dazu sind hier nachzulesen. In der Tabelle sind die entsprechenden Parteien farbig gekennzeichnet.

Datengrundlage

Soweit verfügbar, wurde bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. In Ländern, wo es keine spezifischen Europawahlumfragen gibt oder wo die letzte solche Umfrage mehr als ein Jahr zurückliegt, wurde stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament verwendet. Wo mehr als eine Umfrage erschienen ist, wurde der Durchschnitt aller Umfragen aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten Umfrage berechnet. Für Mitgliedstaaten, für die sich überhaupt keine Umfragen finden lassen, wurde auf die Ergebnisse der letzten nationalen Parlaments- oder Europawahl zurückgegriffen.
In der Regel wurden die nationalen Umfragewerte der Parteien direkt auf die Gesamtzahl der Sitze des Landes umgerechnet. In Belgien und Irland, wo die Wahl in regionalen Wahlkreisen ohne Verhältnisausgleich erfolgt, werden regionale Umfragedaten genutzt, soweit diese verfügbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Sitzzahl für jeden Wahlkreis einzeln berechnet, dabei aber jeweils die nationalen Gesamt-Umfragewerte herangezogen. Nationale Sperrklauseln werden, soweit vorhanden, in der Projektion berücksichtigt.
In Belgien entsprechen die Wahlkreise bei der Europawahl den Sprachgemeinschaft, während Umfragen üblicherweise auf Ebene der Regionen durchgeführt werden. Für die Projektion wurden für die französischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Wallonien, für die niederländischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Flandern genutzt. Für die deutschsprachige Gemeinschaft wird das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen.
In Ländern, in denen es üblich ist, dass Parteien zu Wahlen in Listenverbindungen antreten, werden der Projektion jeweils die am plausibelsten erscheinenden Listenverbindungen zugrunde gelegt. Insbesondere werden für Spanien folgende Listenverbindungen angenommen: Unidos Podemos, Compromís und ICV (mit Compromís auf dem 3., ICV auf dem 6. Listenplatz); PDeCAT, PNV und CC (mit PNV auf dem 2., CC auf dem 4. Listenplatz).
Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, können Parteien bereits mit weniger als 1 Prozent der Stimmen einen Sitz im Europäischen Parlament gewinnen. Mangels zuverlässiger Umfragedaten wird für diese Kleinparteien in der Projektion jeweils das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (je 1 Sitz für Tierschutzpartei, ödp, Piraten, FW, Familienpartei, PARTEI und NPD).
In Italien können Minderheitenparteien durch eine Sonderregelung auch mit nur recht wenigen Stimmen ins Parlament einziehen. In der Projektion wird die Südtiroler Volkspartei deshalb jeweils mit dem Ergebnis der letzten Europawahl (1 Sitz) geführt.

Die folgende Übersicht führt die Datengrundlage für die Mitgliedstaaten im Einzelnen auf:
Deutschland: nationale Umfragen, 21.3.-2.4.2018, Quelle: Wikipedia.
Frankreich: nationale Europawahl-Umfragen, 1.12.2017, Quelle: Wikipedia.
Italien: nationale Umfragen, 15.-28.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Spanien: nationale Umfragen, 16.-29.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Polen: nationale Umfragen, 17.-30.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Rumänien: nationale Umfragen, 5.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Niederlande: nationale Umfragen, 19.3.-1.4.2018, Quelle: Wikipedia.
Griechenland: nationale Umfragen, 13.-23.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Belgien, niederländischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Flandern) für die nationale Parlamentswahl, 6.-17.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Belgien, französischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Wallonien) für die nationale Parlamentswahl, 6.-17.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Belgien, deutschsprachige Gemeinschaft: Ergebnisse der Europawahl, 25.5.2014.
Portugal: nationale Umfragen, 5.-14.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Tschechien: nationale Umfragen, 15.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Ungarn: nationale Umfragen, 14.-24.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Schweden: nationale Umfragen, 7.-19.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Österreich: nationale Umfragen, 18.-29.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Bulgarien: nationale Umfragen, 13.12.2017, Quelle: Exacta.
Dänemark: nationale Umfragen, 18.-25.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Finnland: nationale Umfragen, 15.-27.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Slowakei: nationale Umfragen, 13.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Irland: nationale Umfragen, 13.-22.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Kroatien: nationale Umfragen, 19.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Litauen: nationale Umfragen, 10.3.2018, Quelle: Vilmorus.
Lettland: nationale Umfragen, Februar 2018, Quelle: Wikipedia.
Slowenien: nationale Umfragen, 14.-25.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Estland: nationale Umfragen, 14.-24.3.2018, Quelle: Wikipedia.
Zypern: Ergebnis der nationalen Parlamentswahl, 22.5.2016.
Luxemburg: nationale Umfragen, 19.10.2017, Quelle: Luxemburger Tageblatt.
Malta: nationale Umfragen, 20.2.-1.3.2018, Quelle: Wikipedia.

Bilder: Eigene Grafiken.