29 Januar 2016

Keine Vertragsreform in Sicht? Wie das Europäische Parlament das Potenzial der geltenden EU-Verträge sondiert – und Sie sich daran beteiligen können

Eigentlich, na klar, braucht die EU eine Vertragsreform. So leicht aber ist die nicht zu haben – und deshalb macht man sich im Europäischen Parlament gerade Gedanken darüber, welche Verbesserungen auch innerhalb des derzeitigen Vertragsrahmens möglich sind. Die Abgeordneten Elmar Brok (CDU/EVP) und Mercedes Bresso (PD/SPE) haben dem Verfassungsausschuss dafür jüngst einen Berichtsentwurf vorgelegt, zu dem bis zum 16. Februar Änderungsanträge gestellt werden können. 

Sven Giegold (Grüne/EGP), der das Dossier als Schattenberichterstatter der Grüne/EFA-Fraktion betreut, Christian Moos als Generalsekretär der Europa-Union Deutschland, David Schrock von den Jungen Europäischen Föderalisten und ich haben dazu eine Plattform eingerichtet, auf der man den Berichtsentwurf kommentieren, Ideen, Kritik und Änderungswünsche äußern kann.

Demokratischere Verfahren und andere Vorschläge

Im Einzelnen macht der Bericht Vorschläge zu demokratischeren Verfahren und zu zentralen Politikbereichen wie der Währungsunion oder der gemeinsamen Außenpolitik. Unter anderem geht es dabei um Fragen wie diese:

● Sollte sich das Parlament seltener auf informelle Vorab-Kompromisse mit der Kommission und dem Ministerrat einlassen, durch die Rechtsakte schon in der ersten Lesung endgültig verabschiedet werden können (Rn. 40)?
● Sollten das Amt des Kommissionspräsidenten und das des Präsidenten des Europäischen Rates zusammengelegt werden (Rn. 45)?
● Sollte es anstelle der diversen Einzelformationen des Ministerrats künftig nur noch einen „Gesetzgebungsrat“ geben, dem die nationalen Fachminister inhaltlich zuarbeiten (Rn. 48)?

● Sollten die nationalen Vetorechte bei der Verabschiedung des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU und bei der Festlegung der EU-Eigenmittel abgeschafft werden (Rn. 72-73)?
● Sollte es einen eigenen Haushalt für die Eurozone geben, und wie sollte dieser beschaffen sein (Rn. 77-78)?
● Sind für die demokratische Kontrolle auf Ebene der Eurozone neue parlamentarische Institutionen nötig, oder kann das Europäische Parlament diese Aufgabe übernehmen (Rn. 91)?

Außen-, Asyl-, Grenzschutz- und Familienpolitik

● Sollten nationale Vetorechte bei der Gestaltung der EU-Außenpolitik reduziert werden, indem die Außenminister ein umfassendes Strategiepapier verabschieden, für dessen konkrete Umsetzung dann nur noch Mehrheitsentscheidungen notwendig wären (Rn. 106)?
● Sollten verteidigungspolitische Maßnahmen der EU verstärkt gemeinschaftlich statt auf einzelstaatlicher Ebene finanziert werden, um Negativanreize für die Mitgliedstaaten abzubauen (Rn. 119)?

● Sollte es eine einheitliche EU-Asylpolitik geben, bei der Asylbewerber nach einem bestimmten Schlüssel auf die Mitgliedstaaten verteilt werden? Und falls nur ein Teil der Mitgliedstaaten dazu bereit ist: Sollten diese eine verstärkte Zusammenarbeit in diesem Bereich beschließen (Rn. 125)?
● Sollte die EU-Grenzschutzagentur Frontex neue Kompetenzen erhalten (Rn. 126, 128)?
● Sollte im Bereich Justiz und Inneres sowie in grenzüberschreitenden Fragen des Familienrechts künftig das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gelten, d.h. nationale Vetorechte abgeschafft werden und dafür das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht erhalten (Rn. 131)?

Ein Ort, um sich in die Diskussion einzumischen
 
Schon diese kurze Liste zeigt, wie wichtig die Themen sind, die das Parlament in dem Bericht verhandelt. Freilich: Auch wenn es ihn annimmt, werden die darin enthaltenen Vorschläge nicht sofort verwirklicht werden. In den meisten Fällen ist dafür vielmehr ein einstimmiger Beschluss der nationalen Regierungen im Ministerrat notwendig. Dennoch wäre es falsch, die Forderungen der Abgeordneten nur für eine leere Geste zu halten. Gerade wenn es in Krisenzeiten schnell gehen muss, sind die Regierungen auch in der Vergangenheit oftmals institutionellen Vorschlägen des Europäischen Parlaments gefolgt, die sie zuvor lange Zeit ignoriert hatten.

Wenn aber solcherart über die Zukunftspotenziale der EU diskutiert wird, dann sollten auch wir Bürgerinnen und Bürger uns stärker einmischen. Wer daran interessiert ist: Hier ist ein geeigneter Ort dafür.

Bild: Logos und Fotos der Organisatoren, v.l.n.r. oben: Europa-Union Deutschland, Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament, Sven Giegold, unten: Junge Europäische Föderalisten Deutschland, Manuel Müller, via sven-giegold.de.

1 Kommentar:

  1. Ich finde es sollte mehr nationale Entscheidungsmacht geben anstatt weniger. Die einzelnen Länder wissen am besten was gut für sie ist. Europa sollte nicht vereinheitlicht sondern individueller gestaltet werden

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