19 August 2015

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen (2): Die Europäische Volkspartei

Die Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen Benennungstraditionen? Heute: Die Europäische Volkspartei. (Zum Anfang der Serie.)
Wie viele Völker gibt es in der Europäischen Volkspartei?

Die Europäische Volkspartei, die sich auf ihrer Homepage selbst als „die politische Familie der rechten Mitte“ beschreibt, ist die größte der gesamteuropäischen Parteien – und das nicht nur nach Sitzen im Europäischen Parlament, sondern auch nach der Anzahl ihrer nationalen Mitgliedsverbände. In den 28 EU-Staaten gibt es über fünfzig nationale Parteien, die der EVP angehören: sechs allein in Italien, fünf in Bulgarien und jeweils vier in Rumänien und der Slowakei. Dahinter steht offenbar eine Strategie der breiten Präsenz: Die europaweite Führungsrolle, die die Europäische Volkspartei heute einnimmt, verdankt sie nicht zuletzt ihrer Fähigkeit, so viele gemäßigt konservative Einzelparteien unter ihrem Dach zu vereinen.

Dass auch ihr Name eher allgemein gehalten ist, dürfte dabei ebenfalls von Vorteil sein: „Volkspartei“ lässt für sich allein ja noch kaum eine inhaltliche Positionierung erkennen, sondern lediglich den Anspruch, einen möglichst großen Teil der europäischen Bevölkerung anzusprechen. Darüber hinaus ist die Selbstbezeichnung als „Volkspartei“ allerdings auch unter ihren nationalen Mitgliedsparteien recht weit verbreitet. Auf die ein oder andere Weise taucht sie bei etwa jedem fünften Mitgliedsverband der EVP auf, in Reinform etwa bei der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der Südtiroler Volkspartei (SVP) oder dem spanischen Partido Popular (PP, „Volkspartei“).

Republikaner, Bürger, Demokraten

Hinzu kommen zahlreiche Parteien, die zwar nicht das Wort „Volk“ im Namen tragen, aber durch andere Begriffe auf das Ziel einer Vereinigung möglichst großer Bevölkerungsschichten verweisen. Mögliche Schlüsselwörter sind etwa „Sammlung“ oder „Aufruf“ – so bei der finnischen Kansallinen Kokoomus (Kok., „Nationale Sammlung“) oder der zyprischen Dimokratikos Synagermos (DISY, „Demokratischer Aufruf“). Noch häufiger bezeichnen sich die EVP-Mitglieder als „Union“, etwa die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) oder die Unió Democrática de Catalunya (UDC, „Demokratische Union Kataloniens“). In Lettland schließlich trägt die Partei schlicht den Namen Vienotība (V, „Einigkeit“).

Die Idee, wenigstens potenziell das ganze Volk anzusprechen, die den Namen vieler EVP-Mitgliedsparteien zugrunde liegt, lässt sich jedoch auch noch etwas stärker politisch aufladen. In einigen Fällen erfolgt dies vor allem als Anspielung an bürgerlich-republikanische Werte: etwa bei den französischen Républicains („Die Republikaner“) oder der polnischen Platforma Obywatelska (PO, „Bürgerplattform“). Oft ist das Schlüsselwort dabei einfach „Demokratie“. Beispiele dafür sind die griechische Nea Dimokratia (ND, „Neue Demokratie“), die Slovenska Demokratska Stranka (SDS, „Slowenische Demokratische Partei“) oder die Hrvatska Demokratska Zajednica (HDZ, „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“).

Nationalisten (und Europäer)

In anderen Fällen haben die Namen jedoch auch eher patriotisch-nationalistische Konnotationen: so bei der estnischen Isamaa ja Res Publica Liit (IRL, „Vaterlands- und Res-Publica-Bund“) oder der maltesischen Partit Nazzjonalista (PN, „Nationalistische Partei“).

Noch deutlicher wird dieser nationale Einschlag bei einer weiteren Gruppe von EVP-Mitgliedsparteien, die in ihrer Bezeichnung vor allem den Namen des jeweils eigenen Landes in den Mittelpunkt stellen. Am bekanntesten ist dabei wohl die Berlusconi-Partei Forza Italia (FI, „Vorwärts, Italien“), die ihren Namen einem Anfeuerungsruf für die Nationalmannschaft im Sport verdankt. Aber auch die Demokrati sa Silna Balgarija (DSB, „Demokraten für ein Starkes Bulgarien“), die Fine Gael (FG, „Familie der Iren“) oder das portugiesische Wahlbündnis Portugal à Frente („Portugal nach vorn“) folgen einem ähnlichen Muster.

Anders hingegen die größte bulgarische EVP-Mitgliedspartei: Die Graschdani sa Ewropejsko Raswitie na Balgaria (GERB, „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“) stellen gerade nicht die nationale, sondern eine europäische Identität in den Vordergrund. Worin genau eine „europäische Entwicklung“ besteht, bleibt dabei natürlich ebenso Interpretationssache wie die Frage, wo sich für Italien oder Portugal „vorne“ befindet.

Die Parteien mit dem C

Der Appell an das „Volk“ ist allerdings nicht das einzige Schlagwort der europäischen Mitte-Rechts-Familie: Vor der Gründung der EVP im Jahr 1976 bezeichnete sie sich in der Regel als „christdemokratisch“, und noch heute trägt ihre Fraktion im Europäischen Parlament offiziell den Namen „Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten)“ – auch wenn sie diesen in der öffentlichen Darstellung, etwa auf ihrer Homepage, nicht mehr verwendet.

Auf nationaler Ebene allerdings ist der Verweis auf das Christentum nach wie vor weit verbreitet: Allein ein Dutzend der EVP-Mitgliedsparteien bezeichnet sich in der ein oder anderen Weise als christdemokratisch, weitere drei als christlich-sozial. Die Liste reicht von der deutschen CDU über den niederländischen Christen Democratisch Appèl (CDA, „Christlich-Demokratischer Aufruf“) und die dänischen Kristendemokraterne (KD, „Christdemokraten“) bis zur luxemburgischen Chrëschtlech Sozial Vollekspartei (CSV, „Christlich-Soziale Volkspartei“).

Allerdings zählen die Parteien mit dem C im Namen nur in Deutschland und den Benelux-Staaten zu den stärksten politischen Kräften ihres jeweiligen Landes. In vielen anderen Fällen sind sie hingegen lediglich die zweitgrößte EVP-Mitgliedsorganisation in ihrem Land: So ist die ungarische Kereszténydemokrata Néppárt (KDNP, „Christdemokratische Volkspartei“) nur der kleine Partner der größeren, ebenfalls zur EVP gehörenden Fidesz – Magyar Polgári Szövetség („Fidesz – Ungarischer Bürgerbund“). Und auch die finnischen Kristillisdemokraatit (KD, „Christdemokraten“) sind im Gegensatz zur Kansallinen Kokoomus nur eine Kleinpartei.

Die Mitte

Passend zum Selbstverständnis als „Volkspartei“ ist ein weiteres beliebtes Begriffsfeld bei der Namenswahl der EVP-Mitglieder auch die „politische Mitte“. Zu dieser bekennen sich etwa die italienische Unione di Centro (UdC, „Union der Mitte“), das belgische Centre Démocrate Humaniste (CDH, „Demokratisch-Humanistische Mitte“) sowie – sinngemäß – die schwedische Moderata samlingspartiet (M, „Gemäßigte Sammlungspartei“). Und auch das italienische Nuovo Centrodestra (NCD, „Neue rechte Mitte“) positioniert sich wenigstens nicht allzu weit davon entfernt.

Die von vielen externen Beobachtern verwendete Beschreibung als „konservativ“ vermeiden die meisten EVP-Parteien in ihrer Namenswahl hingegen. Lediglich die kleine Konservative Folkeparti (K, „Konservative Volkspartei“) aus Dänemark verwendet dieses Stichwort auch als Selbstbezeichnung.

Portugiesisches Kuriosum

Insgesamt geben die Namen der nationalen EVP-Mitgliedsparteien also ein sehr vielfältiges Bild ab. Sie kreisen zwar um zwei recht deutlich erkennbare Begriffsfelder – zum einen die Idee der Volkseinheit, zum anderen der Verweis auf das Christentum –, nutzen dabei jedoch einen bunten Strauß an Schlüsselbegriffen mit im Einzelnen durchaus unterschiedlichen Konnotationen.

Einzelne Mitgliedsparteien verlassen in ihrer Namensgebung das gemeinsame Begriffsfeld auch ganz: etwa die tschechische Tradice, Odpovědnost, Prosperita 09 (TOP09, „Tradition, Verantwortung, Wohlstand“) oder die slowakische Most–Híd (M-H, „Brücke“, gemeint ist eine kulturelle Brücke zwischen der slowakischen Bevölkerung und der ungarischen Minderheit). Das schönste Kuriosum aber dürfte der Name des größten portugiesischen EVP-Mitglieds sein: Seit ihrer Gründung 1974 trägt diese den Namen Partido Social Democrata (PSD, „Sozialdemokratische Partei“). In der portugiesischsprachigen Welt ist das nicht weiter ungewöhnlich; auch in Brasilien und Osttimor gibt es bürgerliche Mitte-Rechts-Parteien mit diesem Namen. In Europa allerdings ruft der Begriff „Sozialdemokratie“ sonst eher andere Assoziationen hervor – um die Sozialdemokratische Partei Europas soll es im nächsten Kapitel dieser Serie gehen.



Bilder: By European People's Party (EPP 35th anniversary event) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons.

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