Die
Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den
inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in
allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so
den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen
Benennungstraditionen? Heute: Die Europäische Volkspartei. (Zum Anfang der Serie.)
Die Europäische Volkspartei, die sich auf ihrer Homepage selbst als „die politische Familie der rechten Mitte“ beschreibt, ist die größte der gesamteuropäischen Parteien – und das nicht nur nach Sitzen im Europäischen Parlament, sondern auch nach der Anzahl ihrer nationalen Mitgliedsverbände. In den 28 EU-Staaten gibt es über fünfzig nationale Parteien, die der EVP angehören: sechs allein in Italien, fünf in Bulgarien und jeweils vier in Rumänien und der Slowakei. Dahinter steht offenbar eine Strategie der breiten Präsenz: Die europaweite Führungsrolle, die die Europäische Volkspartei heute einnimmt, verdankt sie nicht zuletzt ihrer Fähigkeit, so viele gemäßigt konservative Einzelparteien unter ihrem Dach zu vereinen.
Dass
auch ihr Name eher allgemein gehalten ist, dürfte dabei ebenfalls
von Vorteil sein: „Volkspartei“ lässt für sich allein ja noch
kaum eine inhaltliche Positionierung erkennen, sondern lediglich den
Anspruch, einen möglichst großen Teil der europäischen Bevölkerung
anzusprechen. Darüber hinaus ist die Selbstbezeichnung als
„Volkspartei“ allerdings auch unter ihren nationalen
Mitgliedsparteien recht weit verbreitet. Auf die ein oder andere
Weise taucht sie bei etwa jedem fünften Mitgliedsverband der EVP
auf, in Reinform etwa bei der Österreichischen Volkspartei
(ÖVP), der Südtiroler Volkspartei (SVP)
oder dem spanischen Partido Popular (PP,
„Volkspartei“).
Republikaner,
Bürger, Demokraten
Hinzu kommen zahlreiche Parteien, die zwar nicht das Wort „Volk“ im
Namen tragen, aber durch andere Begriffe auf das Ziel einer
Vereinigung möglichst großer Bevölkerungsschichten verweisen.
Mögliche Schlüsselwörter sind etwa „Sammlung“ oder
„Aufruf“ – so bei der finnischen Kansallinen Kokoomus (Kok., „Nationale Sammlung“) oder der zyprischen Dimokratikos Synagermos (DISY, „Demokratischer Aufruf“). Noch häufiger bezeichnen sich die EVP-Mitglieder als „Union“, etwa die Christlich
Demokratische Union Deutschlands (CDU)
oder die Unió Democrática de Catalunya (UDC,
„Demokratische Union Kataloniens“). In
Lettland schließlich trägt
die Partei schlicht den Namen Vienotība
(V, „Einigkeit“).
Die
Idee, wenigstens potenziell das ganze Volk anzusprechen, die den Namen vieler EVP-Mitgliedsparteien zugrunde liegt, lässt sich jedoch auch noch etwas stärker politisch aufladen.
In einigen Fällen erfolgt dies vor allem als Anspielung an bürgerlich-republikanische
Werte: etwa bei den französischen Républicains („Die Republikaner“) oder
der polnischen Platforma
Obywatelska (PO,
„Bürgerplattform“).
Oft ist das Schlüsselwort dabei einfach
„Demokratie“. Beispiele dafür sind die griechische
Nea Dimokratia (ND, „Neue Demokratie“), die
Slovenska Demokratska Stranka (SDS, „Slowenische Demokratische Partei“) oder die
Hrvatska Demokratska Zajednica (HDZ, „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“).
Nationalisten (und Europäer)
In
anderen Fällen haben die
Namen jedoch auch eher
patriotisch-nationalistische Konnotationen: so bei der estnischen
Isamaa ja Res Publica Liit (IRL, „Vaterlands- und Res-Publica-Bund“) oder der maltesischen Partit Nazzjonalista (PN, „Nationalistische Partei“).
Noch deutlicher wird dieser nationale Einschlag bei einer weiteren Gruppe
von EVP-Mitgliedsparteien,
die in ihrer Bezeichnung vor
allem den Namen des jeweils eigenen Landes in den Mittelpunkt
stellen. Am bekanntesten ist
dabei wohl die
Berlusconi-Partei Forza
Italia (FI, „Vorwärts,
Italien“), die ihren Namen
einem Anfeuerungsruf für die
Nationalmannschaft im Sport
verdankt.
Aber auch die Demokrati
sa Silna Balgarija (DSB,
„Demokraten für ein Starkes Bulgarien“), die
Fine Gael (FG,
„Familie der Iren“) oder das portugiesische Wahlbündnis Portugal
à Frente („Portugal nach
vorn“) folgen einem ähnlichen Muster.
Anders
hingegen die größte
bulgarische EVP-Mitgliedspartei:
Die Graschdani sa Ewropejsko Raswitie na Balgaria
(GERB, „Bürger für eine Europäische
Entwicklung Bulgariens“) stellen
gerade nicht
die nationale, sondern eine
europäische Identität in den Vordergrund. Worin
genau eine „europäische Entwicklung“ besteht, bleibt
dabei natürlich ebenso Interpretationssache wie die
Frage, wo sich für Italien
oder Portugal „vorne“
befindet.
Die Parteien mit dem C
Der
Appell an das „Volk“ ist allerdings nicht das einzige Schlagwort
der europäischen
Mitte-Rechts-Familie: Vor der Gründung der EVP im Jahr 1976
bezeichnete sie sich in der Regel als „christdemokratisch“, und
noch heute trägt ihre Fraktion im Europäischen Parlament offiziell
den Namen „Fraktion der Europäischen Volkspartei
(Christdemokraten)“ – auch wenn sie diesen in der öffentlichen
Darstellung, etwa auf ihrer Homepage,
nicht mehr
verwendet.
Auf nationaler Ebene allerdings ist der Verweis auf das Christentum nach wie vor weit verbreitet:
Allein ein
Dutzend der EVP-Mitgliedsparteien
bezeichnet
sich in der ein oder anderen Weise als christdemokratisch, weitere
drei als christlich-sozial. Die
Liste reicht von der deutschen CDU über den niederländischen Christen Democratisch Appèl (CDA, „Christlich-Demokratischer Aufruf“) und die dänischen Kristendemokraterne
(KD, „Christdemokraten“) bis zur luxemburgischen Chrëschtlech Sozial Vollekspartei (CSV, „Christlich-Soziale Volkspartei“).
Allerdings zählen die Parteien mit dem C im Namen nur in Deutschland und den Benelux-Staaten
zu den stärksten politischen Kräften ihres jeweiligen Landes. In vielen anderen Fällen sind sie hingegen lediglich die zweitgrößte EVP-Mitgliedsorganisation in ihrem Land: So ist die ungarische
Kereszténydemokrata
Néppárt
(KDNP, „Christdemokratische Volkspartei“) nur
der kleine Partner der größeren, ebenfalls zur EVP gehörenden
Fidesz – Magyar Polgári Szövetség („Fidesz – Ungarischer Bürgerbund“). Und
auch die finnischen Kristillisdemokraatit (KD,
„Christdemokraten“) sind im Gegensatz zur
Kansallinen
Kokoomus nur eine Kleinpartei.
Die
Mitte
Passend zum Selbstverständnis als „Volkspartei“ ist ein weiteres beliebtes Begriffsfeld bei der Namenswahl der EVP-Mitglieder auch die „politische Mitte“. Zu dieser bekennen sich etwa die italienische Unione di Centro (UdC, „Union der Mitte“), das belgische Centre Démocrate Humaniste (CDH, „Demokratisch-Humanistische Mitte“) sowie – sinngemäß – die schwedische Moderata samlingspartiet (M, „Gemäßigte Sammlungspartei“). Und auch das italienische Nuovo Centrodestra (NCD, „Neue rechte Mitte“) positioniert
sich wenigstens nicht allzu weit davon entfernt.
Die von vielen externen Beobachtern verwendete Beschreibung als „konservativ“
vermeiden die meisten EVP-Parteien in ihrer Namenswahl hingegen. Lediglich
die kleine Konservative
Folkeparti (K, „Konservative Volkspartei“) aus
Dänemark verwendet
dieses Stichwort auch als Selbstbezeichnung.
Portugiesisches Kuriosum
Insgesamt geben die Namen der
nationalen EVP-Mitgliedsparteien also ein sehr vielfältiges Bild ab. Sie
kreisen zwar um zwei recht deutlich erkennbare Begriffsfelder – zum
einen die Idee der Volkseinheit, zum anderen der Verweis auf das
Christentum –, nutzen dabei jedoch einen bunten Strauß
an Schlüsselbegriffen mit im Einzelnen durchaus unterschiedlichen
Konnotationen.
Einzelne
Mitgliedsparteien
verlassen in ihrer Namensgebung das gemeinsame Begriffsfeld auch
ganz: etwa die tschechische Tradice,
Odpovědnost, Prosperita 09
(TOP09, „Tradition,
Verantwortung, Wohlstand“) oder
die slowakische Most–Híd (M-H,
„Brücke“, gemeint
ist eine
kulturelle Brücke zwischen der slowakischen Bevölkerung und der
ungarischen Minderheit).
Das
schönste Kuriosum aber
dürfte der Name des
größten
portugiesischen
EVP-Mitglieds
sein: Seit
ihrer Gründung 1974 trägt
diese den
Namen Partido Social Democrata (PSD, „Sozialdemokratische Partei“). In
der portugiesischsprachigen Welt ist
das nicht weiter ungewöhnlich; auch in Brasilien und Osttimor gibt
es bürgerliche Mitte-Rechts-Parteien mit diesem Namen. In
Europa allerdings ruft
der
Begriff „Sozialdemokratie“ sonst
eher andere Assoziationen hervor – um
die Sozialdemokratische Partei Europas soll es im nächsten Kapitel
dieser
Serie gehen.
Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
Bilder: By European People's Party (EPP 35th anniversary event) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons.
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