- Rückkehr des Faschismus oder alles halb so schlimm? Giorgia Meloni (FdI/EKR) wird wohl nächste italienische Premierministerin.
Die Ergebnisse der gestrigen Wahlen in Italien senden ihre Schockwellen durch Europa. Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt, aber schon jetzt ist klar, dass das Rechtsbündnis aus Fratelli d’Italia (FdI/EKR), Lega (ID) und Forza Italia (FI/EVP) einen hohen Sieg eingefahren hat und die nächste Regierung wird bilden können. Zwar verdankt die Koalition der drei Parteien ihren hohen Sieg im Wesentlichen dem stark verzerrenden Wahlsystem: Seit 2017 wird in Italien ein großer Anteil der Sitze per Mehrheitsverfahren in Ein-Personen-Kreisen vergeben, sodass sich das geeint auftretende Rechtsbündnis fast überall gegen die meist einzeln antretenden Mitte- und Mitte-links-Parteien durchsetzen konnte. Zudem war die Wahlbeteiligung so niedrig wie noch nie in Italien: Die neue Regierung könnte nach absoluten Wählerstimmen eine der schwächsten sein, die das Land je hatte.
Wahlsieger Fratelli d’Italia
Doch was am Ende zählt, sind die Sitze in den beiden Kammern des italienischen Parlaments, und da zeichnet sich sowohl im Senat als auch im Abgeordnetenhaus eine deutliche Mehrheit ab. Mit Abstand der größte Gewinner sind dabei die FdI, die ihr Wahlergebnis von rund 4,4 % auf 26,0 % verbessern können und deren Chefin Giorgia Meloni voraussichtlich neue Premierministerin wird.
Im Zuge zahlreicher Umgründungen aus der postfaschistischen Partei MSI entstanden, sind die FdI heute eine moderne, europäisch vernetzte Rechtsaußenpartei, die zwar auch Mussolini-Nostalgiker:innen bedient, politisch aber mehr mit Viktor Orbán, Marine Le Pen oder Jarosław Kaczyński gemeinsam hat. Meloni selbst ist Vorsitzende der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der unter anderem auch die polnische Regierungspartei PiS und die tschechische Regierungspartei ODS angehören.
Breites Spektrum an Einschätzungen
Aber was bedeutet das italienische Wahlergebnis für Europa in den kommenden Jahren? Liest man internationale Kommentare zur Wahl, so findet man ein sehr breites Spektrum an Einschätzungen: Auf der einen Seite finden sich Warnungen vor einer „Rückkehr der Postfaschisten“; auf der anderen Seite wird vor unnötiger „Panik“ gewarnt. Womit ist jetzt also zu rechnen?
Klar ist, dass die Agenda des neuen italienischen Regierung weit rechts außen angesiedelt sein wird. Das gemeinsame Wahlprogramm des Rechtsbündnisses war zwar betont sachlich gefasst, aber bietet deutliche Hinweise, wenn etwa von der „Verteidigung der jüdisch-christlichen Wurzeln Europas“ die Rede ist oder Einwanderung ausschließlich als ein Problem für die innere Sicherheit behandelt wird. Zudem sind alle drei Parteien (vor allem FI und FdI) intern stark autoritär strukturiert und würden gern auch den italienischen Staat per Verfassungsänderung von einem parlamentarischen in ein präsidentielles Regierungssystem umwandeln.
Checks and balances
Klar ist aber auch, dass sich die drei Parteien untereinander in vielen Fragen auch nicht einig sind, dass sie zum Teil um die gleiche Wählerschaft konkurrieren und sich über bestimmte Fragen leicht zerstreiten könnten – etwa über die politische Dezentralisierung und das Verhältnis zwischen dem reichen Norden (mit dem sich die Lega früher einmal von Italien abspalten wollte) und dem ärmeren Süden des Landes (in dem die FdI traditionell die meisten Stimmen gewinnen).
Zudem hat das italienische politische System starke checks and balances, etwa durch die relativ starke Position des Staatspräsidenten Sergio Mattarella (PD/SPE) bei der Ernennung der Regierung und durch eine unabhängige und selbstbewusste Justiz. Auch der Verwaltungsapparat (der bei den typischerweise sehr schnell wechselnden italienischen Regierungen natürlich eine wichtige Rolle für die Kontinuität der Regierungsführung spielt) ist demokratisch und proeuropäisch geprägt.
Allgemein ist Italien bekannt dafür, dass politische Reformen oft sehr lang brauchen und an vielen institutionellen Fallstricken hängen bleiben. Auch die neue Regierung dürfte deshalb kaum einfach „durchregieren“ können. Dass die italienische Demokratie schon die Regierungen unter Silvio Berlusconi überstanden hat, an denen ebenfalls FI, Lega und FdI bzw. deren Vorgängerparteien beteiligt waren, kann ein weiterer Grund für Optimismus sein.
Meloni hat ein stärkeres politisches Mandat als ihre Vorgänger
Zu viel Vertrauen sollte man in diese inhärente Langsamkeit des italienischen politischen Systems allerdings auch nicht legen, denn die neue Rechtskoalition startet in mancher Hinsicht unter anderen Voraussetzungen als ihre Vorgängerinnen. Seit über zehn Jahren wurde das Land immer von Technokratenkabinetten, breiten „nationalen Einheitsregierungen“ oder nur widerwillig geformten Koalitionen aus ideologisch sehr ungleichen Parteien geführt. Seit der Abwahl von Silvio Berlusconi Ende 2011 gab es sechs verschiedene nationale Regierungschefs – aber kein einziger von ihnen war zuvor bei einer nationalen Parlamentswahl als Spitzenkandidat angetreten.
Giorgia Meloni hingegen hat mit ihrer politisch relativ kompakten Koalition und ihrem deutlichen Wahlsieg ein klareres politisches Mandat als ihre Vorgänger. Die Tatsache, dass die Wähler:innen vor der Wahl wussten, was sie von Meloni und ihrer Koalition zu erwarten haben, wird es für Akteure wie Staatspräsident Mattarella schwerer machen, sich ihr entgegenzustellen. Und zugleich sind mit dem deutlichen Wahlsieg natürlich auch Erwartungen der rechten Wählerschaft und Parteibasis verbunden: Das Rechtsbündnis wird, wenigstens symbolisch, „liefern“ müssen, was die drei Parteien (nach außen und innen) zusammenschweißen kann.
Wie lange hält die Einheit der Rechtsparteien?
Wie lange die in den letzten Monaten demonstrierte Einheit der drei Rechtsparteien halten wird, dürfte dennoch zur Schlüsselfrage der Koalition werden. Dabei werden vor allem innerparteiliche Dynamiken eine wichtige Rolle spielen: Sowohl die Lega als auch FI haben deutlich schlechter abgeschnitten als bei der letzten Wahl 2018. Vor allem Lega-Chef Matteo Salvini könnte deshalb bei seinen eigenen Parteifreund:innen unter Druck geraten.
FI-Chef Silvio Berlusconi wiederum wird in dieser Woche 86 Jahre alt, und wie lange wird er sich gesundheitlich noch auf den Beinen halten kann, ist mehr als fraglich. Seine Nachfolge in der Partei könnte Antonio Tajani antreten, der derzeit noch Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Europäischen Parlament ist und als möglicher neuer Verteidigungsminister gehandelt wird. Aber wird Tajani die Partei zusammenhalten können, die schon vor der Wahl viele ihrer prominentesten Mitglieder verloren hat?
Eine weitere Rolle spielt natürlich auch der genaue Wahlausgang: Während dieser Text verfasst wird, ist noch unklar, ob FdI und Lega gegebenenfalls auch ohne FI eine Mehrheit hätten – oder ob wenigstens theoretisch auch eine Regenbogen-Koalition aus PD (SPE), M5S (–), Az/IV (–/EDP), FI (EVP) und weiteren Kleinparteien denkbar wäre. All dies wird die Dynamiken innerhalb der Rechtskoalition beeinflussen und könnte letztlich auch zu ihrem Sturz führen.
Und was bedeutet das alles für die italienische Europapolitik und die EU? Dazu demnächst mehr!
Was bedeutet die italienische Wahl für Europa?
Am Mittwoch, 28.9.2022, 18.00-19.30 Uhr, organisiert die Europa-Union Deutschland einen Online-Bürgerdialog zum Thema „Parlamentswahl in Italien – Rechtsruck als Vorbote für die Europawahl 2024?“. Podiumsgäste sind die italienischen Senatorinnen Laura Garavini (IV/EDP) und Julia Unterberger (SVP/EVP) sowie der deutsche Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer (SPD/SPE). Ich selbst werde moderieren. Alle Informationen und Anmeldung hier. |
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