Weitgehend unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit sind Mitte Dezember die sogenannten Sixpack-Verordnungen in Kraft getreten, die der Europäischen Kommission zusätzliche Kompetenzen bei der Überwachung der nationalen Haushalte geben. Insbesondere müssen Mitgliedstaaten, deren Haushaltsdefizit über den im Stabilitätspakt vorgeschriebenen 3 Prozent liegt, mit der Kommission ein Programm zur Schuldenreduktion vereinbaren. Halten sie sich dann nicht an die Empfehlungen der Kommission, so greifen automatische Sanktionen – die Länder müssen 0,2 Prozent ihres BIP auf ein gesperrtes Konto überweisen und bekommen das Geld nur zurück, wenn sie entweder den Empfehlungen der Kommission doch noch folgen oder der Finanzministerrat ihnen mit qualifizierter Mehrheit die Absolution erteilt.
Der Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn (Kesk./ELDR) zögerte nicht lange, von diesen neuen Kompetenzen Gebrauch zu machen. Bereits im November hatte er einigen Staaten mit der Einleitung eines Defizitverfahrens gedroht, wenn sie ihr Budget für 2012 nicht überarbeiten. Vor einigen Tagen nun erhöhte er den Druck: Der Haushalt, den das belgische Parlament beschlossen hatte, sei „zu optimistisch“ in seinen Annahmen – um ein Sanktionsverfahren zu vermeiden, müssten deshalb die geplanten Ausgaben reduziert werden. Die belgische Regierung unter Elio Di Rupo (PS/SPE) reagierte darauf prompt, indem sie 1,3 Milliarden Euro im Haushaltsplan auf Eis legte. Am vergangenen Donnerstag gab Rehn deshalb eine Presseerklärung ab, in der er Belgien lobte und erklärte, die Ereignisse zeigten, „dass das Sixpack schon jetzt funktioniert. Es gibt der Europäischen Kommission die nötige Handhabe, wirksam gegen Länder vorzugehen, die ihre Defizite nicht eindämmen und ihre Schulden nicht abbauen.“
Alles gut also? Keineswegs – politisch gingen die Probleme jetzt erst los. Ebenfalls am Donnerstag erschien nämlich in der belgischen Zeitung De Morgen auch ein Interview mit dem belgischen Wirtschaftsminister Paul Magnette (PS/SPE), der in seiner Kritik an der Vorgehensweise der Kommission kein Blatt vor den Mund nahm: Durch den Zwang zur Ausgabenkürzung verhindere sie Maßnahmen zur Wiederbelebung des belgischen Wirtschaftswachstums, die allein für steigende Steuereinnahmen sorgen könnten.
Der Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn (Kesk./ELDR) zögerte nicht lange, von diesen neuen Kompetenzen Gebrauch zu machen. Bereits im November hatte er einigen Staaten mit der Einleitung eines Defizitverfahrens gedroht, wenn sie ihr Budget für 2012 nicht überarbeiten. Vor einigen Tagen nun erhöhte er den Druck: Der Haushalt, den das belgische Parlament beschlossen hatte, sei „zu optimistisch“ in seinen Annahmen – um ein Sanktionsverfahren zu vermeiden, müssten deshalb die geplanten Ausgaben reduziert werden. Die belgische Regierung unter Elio Di Rupo (PS/SPE) reagierte darauf prompt, indem sie 1,3 Milliarden Euro im Haushaltsplan auf Eis legte. Am vergangenen Donnerstag gab Rehn deshalb eine Presseerklärung ab, in der er Belgien lobte und erklärte, die Ereignisse zeigten, „dass das Sixpack schon jetzt funktioniert. Es gibt der Europäischen Kommission die nötige Handhabe, wirksam gegen Länder vorzugehen, die ihre Defizite nicht eindämmen und ihre Schulden nicht abbauen.“
Alles gut also? Keineswegs – politisch gingen die Probleme jetzt erst los. Ebenfalls am Donnerstag erschien nämlich in der belgischen Zeitung De Morgen auch ein Interview mit dem belgischen Wirtschaftsminister Paul Magnette (PS/SPE), der in seiner Kritik an der Vorgehensweise der Kommission kein Blatt vor den Mund nahm: Durch den Zwang zur Ausgabenkürzung verhindere sie Maßnahmen zur Wiederbelebung des belgischen Wirtschaftswachstums, die allein für steigende Steuereinnahmen sorgen könnten.
En we gaan blijven zeggen: „Olli Rehn, u vergist zich, de strenge economische politiek die u voert, is niet de juiste.“ Alle grote economisten zeggen het: de Europese Commissie is een recessie van vijftien jaar aan het voorbereiden. […] We accepteren de begrotingsdiscipline. We moeten onder de 3 procent, we kunnen niet anders. Maar de marge om te bepalen hoe we dat doen, moet vrij blijven. Vandaag gaat de Europese Commissie te ver met het opleggen van maatregelen. Wie kent Olli Rehn? Wie heeft ooit het gezicht van Olli Rehn gezien? Wie weet waar hij vandaan komt en wat hij heeft gedaan? Niemand. Terwijl hij wel zegt hoe wij onze economische politiek moeten voeren. Europa heeft geen democratische legitimiteit om dat te doen.
Und wir werden weiterhin sagen: „Olli Rehn, Sie irren sich, Ihre strenge Wirtschaftspolitik ist nicht richtig.“ Alle großen Ökonomen sagen das: Die Europäische Kommission ist dabei, eine fünfzehnjährige Rezession vorzubereiten. […] Wir akzeptieren die Haushaltsdisziplin. Wir müssen unter 3 Prozent, wir haben keine andere Wahl. Aber wir müssen einen Entscheidungsspielraum haben, um zu entscheiden, wie wir das tun. Heute geht die Europäische Kommission beim Auferlegen von Maßnahmen zu weit. Wer kennt Olli Rehn? Wer hat jemals das Gesicht von Olli Rehn gesehen? Wer weiß, wo er herkommt und was er getan hat? Niemand. Und dabei sagt er uns, wie wir unsere Wirtschaftspolitik führen sollen. Europa hat keine demokratische Legitimation, dies zu tun.
Noch am selben Tag distanzierte sich Regierungschef Di Rupo von seinem Wirtschaftsminister und Parteifreund, indem er erklärte, Belgien habe „eine lange pro-europäische Tradition“: Wenngleich „jeder seinen eigenen Standpunkt haben kann“, bleibe Europa „unsere gemeinschaftliche Basis“. Das ist nun sicher schön und gut – aber mit Integrationspathos allein ist das Problem der demokratischen Legitimation von Olli Rehns Wirtschaftspolitik noch nicht gelöst.
Linke und rechte Wirtschaftspolitik
Die Parallelen zwischen dieser Angelegenheit in Belgien und der steuerpolitischen Kehrtwende der spanischen Regierung unter Mariano Rajoy (PP/EVP) sind zu offensichtlich, als dass ich hier all das wiederholen wollte, was ich hier vor zwei Wochen über die schleichende Sinnlosigkeit nationaler Wahlen geschrieben habe. Auffällig ist jedoch ein Unterschied: Während Rajoy die Vorgaben aus Brüssel in vorauseilendem Gehorsam umsetzte, begehrte Magnette wenigstens rhetorisch auf. Außer dem Versuch Rajoys, sich diplomatisch möglichst weit an Deutschland und Frankreich anzunähern, scheint mir der Hauptgrund dafür ihre politische Ausrichtung zu sein. Rajoy gehört wie Merkel, Sarkozy und Kommissionschef Barroso der konservativen Europäischen Volkspartei an, die sich zur Lösung der Krise für eine Strategie der Austerität einsetzt. Auch wenn sie seinen Wahlversprechen entgegenlief, entsprach die von der Kommission geforderte Steuererhöhung und Ausgabenkürzung doch seinem ökonomischen Weltbild, demzufolge der Staat auf eine Wirtschafts- und Schuldenkrise mit Sparmaßnahmen reagieren muss. Magnette dagegen ist Sozialdemokrat und steht damit der keynesianischen Wirtschaftstheorie näher, derzufolge der Staat in der Wirtschaftskrise die Konjunktur wiederbeleben muss und dafür gegebenenfalls zusätzliche Schulden aufnehmen sollte, die er dann im Aufschwung wieder abtragen kann.
Wie ich schon vor einiger Zeit geschrieben habe, ist es eigentlich ein Glück für die Demokratie, wenn sich die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ansätze in parteipolitischen Gegensätzen niederschlagen: Dies gibt den Wählern die Möglichkeit, selbst eine Entscheidung zwischen ihnen zu treffen und überträgt ihnen damit auch die Verantwortung für die Risiken, die mit der einen und der anderen Strategie verbunden sind. Auch schwierige Entscheidungen in Krisenzeiten können deshalb mit einer gewissen sozialen Akzeptanz rechnen.
Delegitimierung der EU
Durch die unklare Kompetenzverteilung auf europäischer Ebene jedoch wird dieser Mechanismus ausgehebelt. Die sozialistischen belgischen Regierungsmitglieder, die mit dem Versprechen einer wachstumsorientierten, keynesianischen Wirtschaftspolitik angetreten sind, werden von der konservativ dominierten Kommission (Olli Rehn selbst gehört der liberalen ELDR an) zu einer Austeritätsstrategie gezwungen. Formal aber wird der belgische Haushalt weiterhin von den Regierungsparteien im belgischen Parlament beschlossen, und diese sind es deshalb auch, die von der belgischen Öffentlichkeit später dafür zur Verantwortung gezogen werden. Es verwundert deshalb nicht, dass Magnette den Konflikt aus dem Feld der Parteipolitik in das der nationalen Kompetenzen zieht und eine Ausweitung seines Entscheidungsspielraums fordert: Falls es tatsächlich zu einer Rezession kommt, will er sich nicht gern von den eigenen Wählern für eine Politik abstrafen lassen, die er überhaupt nicht angestrebt hat.
Zugleich aber birgt diese Drehung eine enorme Gefahr: Solange konservative Parteien für Austerität stehen, Sozialdemokraten dagegen für Keynesianismus, fällt die Entscheidung über die einzuschlagende Strategie alle vier, fünf Jahre bei der Parlamentswahl. Wenn künftig aber „Europa“ für Austerität steht und „Nationalstaat“ für Keynesianismus, dann würden die wirtschaftspolitischen Präferenzen zu einer Frage der Loyalität zur einen oder anderen politischen Ebene. An die Stelle der parteipolitischen Konkurrenz träten dann Argumente nationaler Identität und Souveränität – und Bürger, die mit dem gegenwärtigen Kurs unzufrieden sind, könnten sich ihren Frust nicht einfach bis zum nächsten Wahltag aufheben, sondern wären gezwungen, das gesamte politische System in Frage zu stellen. Wollte man gezielt ein Programm zur Delegitimierung der Europäischen Union entwerfen: So ungefähr könnte es aussehen.
Und wie reagiert Rehn?
Linke und rechte Wirtschaftspolitik
Die Parallelen zwischen dieser Angelegenheit in Belgien und der steuerpolitischen Kehrtwende der spanischen Regierung unter Mariano Rajoy (PP/EVP) sind zu offensichtlich, als dass ich hier all das wiederholen wollte, was ich hier vor zwei Wochen über die schleichende Sinnlosigkeit nationaler Wahlen geschrieben habe. Auffällig ist jedoch ein Unterschied: Während Rajoy die Vorgaben aus Brüssel in vorauseilendem Gehorsam umsetzte, begehrte Magnette wenigstens rhetorisch auf. Außer dem Versuch Rajoys, sich diplomatisch möglichst weit an Deutschland und Frankreich anzunähern, scheint mir der Hauptgrund dafür ihre politische Ausrichtung zu sein. Rajoy gehört wie Merkel, Sarkozy und Kommissionschef Barroso der konservativen Europäischen Volkspartei an, die sich zur Lösung der Krise für eine Strategie der Austerität einsetzt. Auch wenn sie seinen Wahlversprechen entgegenlief, entsprach die von der Kommission geforderte Steuererhöhung und Ausgabenkürzung doch seinem ökonomischen Weltbild, demzufolge der Staat auf eine Wirtschafts- und Schuldenkrise mit Sparmaßnahmen reagieren muss. Magnette dagegen ist Sozialdemokrat und steht damit der keynesianischen Wirtschaftstheorie näher, derzufolge der Staat in der Wirtschaftskrise die Konjunktur wiederbeleben muss und dafür gegebenenfalls zusätzliche Schulden aufnehmen sollte, die er dann im Aufschwung wieder abtragen kann.
Wie ich schon vor einiger Zeit geschrieben habe, ist es eigentlich ein Glück für die Demokratie, wenn sich die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ansätze in parteipolitischen Gegensätzen niederschlagen: Dies gibt den Wählern die Möglichkeit, selbst eine Entscheidung zwischen ihnen zu treffen und überträgt ihnen damit auch die Verantwortung für die Risiken, die mit der einen und der anderen Strategie verbunden sind. Auch schwierige Entscheidungen in Krisenzeiten können deshalb mit einer gewissen sozialen Akzeptanz rechnen.
Delegitimierung der EU
Durch die unklare Kompetenzverteilung auf europäischer Ebene jedoch wird dieser Mechanismus ausgehebelt. Die sozialistischen belgischen Regierungsmitglieder, die mit dem Versprechen einer wachstumsorientierten, keynesianischen Wirtschaftspolitik angetreten sind, werden von der konservativ dominierten Kommission (Olli Rehn selbst gehört der liberalen ELDR an) zu einer Austeritätsstrategie gezwungen. Formal aber wird der belgische Haushalt weiterhin von den Regierungsparteien im belgischen Parlament beschlossen, und diese sind es deshalb auch, die von der belgischen Öffentlichkeit später dafür zur Verantwortung gezogen werden. Es verwundert deshalb nicht, dass Magnette den Konflikt aus dem Feld der Parteipolitik in das der nationalen Kompetenzen zieht und eine Ausweitung seines Entscheidungsspielraums fordert: Falls es tatsächlich zu einer Rezession kommt, will er sich nicht gern von den eigenen Wählern für eine Politik abstrafen lassen, die er überhaupt nicht angestrebt hat.
Zugleich aber birgt diese Drehung eine enorme Gefahr: Solange konservative Parteien für Austerität stehen, Sozialdemokraten dagegen für Keynesianismus, fällt die Entscheidung über die einzuschlagende Strategie alle vier, fünf Jahre bei der Parlamentswahl. Wenn künftig aber „Europa“ für Austerität steht und „Nationalstaat“ für Keynesianismus, dann würden die wirtschaftspolitischen Präferenzen zu einer Frage der Loyalität zur einen oder anderen politischen Ebene. An die Stelle der parteipolitischen Konkurrenz träten dann Argumente nationaler Identität und Souveränität – und Bürger, die mit dem gegenwärtigen Kurs unzufrieden sind, könnten sich ihren Frust nicht einfach bis zum nächsten Wahltag aufheben, sondern wären gezwungen, das gesamte politische System in Frage zu stellen. Wollte man gezielt ein Programm zur Delegitimierung der Europäischen Union entwerfen: So ungefähr könnte es aussehen.
Und wie reagiert Rehn?
Natürlich muss es so weit nicht kommen: Wenn die Wirtschaftspolitik künftig auf europäischer Ebene gemacht wird, könnte man schließlich auch die parteipolitische Debatte von der nationalen auf die europäische Ebene heben. Doch danach sieht es im Moment leider noch nicht aus. Auf Magnettes Vorwürfe ließ Olli Rehn jedenfalls nur durch einen Sprecher antworten, über die wirtschaftliche Strategie habe „eine demokratische Debatte mit dem Europäischen Parlament und den 27 Regierungen der EU“ stattgefunden, die Europäische Kommission habe „keine politische Agenda, wenn sie versucht, die Regeln anzuwenden“, und ihre Entscheidungen basierten nur „auf rigoroser ökonomischer Analyse“.
Mit Verlaub, so funktioniert das nicht. Wenn Rehn der Überzeugung ist, dass der Weg der Austerität für Europa richtig ist, dann soll er sich der belgischen Presse stellen und die Gründe dafür erklären. Wenn er dagegen eine andere Strategie bevorzugen würde, damit aber an den Machtverhältnissen im Europaparlament und im Europäischen Rat gescheitert ist, dann sollte er das ebenfalls offenlegen – so wüssten wir Wähler wenigstens, wen wir sonst dafür verantwortlich machen müssen. Aber wer einen so hochpolitischen Posten wie den des Europäischen Kommissars für Wirtschaft und Währung innehat, darf sich nicht hinter dem Gestus des Technokraten verschanzen, wenn er nicht die Akzeptanz für den europäischen Integrationsprozess insgesamt gefährden will.
Mit Verlaub, so funktioniert das nicht. Wenn Rehn der Überzeugung ist, dass der Weg der Austerität für Europa richtig ist, dann soll er sich der belgischen Presse stellen und die Gründe dafür erklären. Wenn er dagegen eine andere Strategie bevorzugen würde, damit aber an den Machtverhältnissen im Europaparlament und im Europäischen Rat gescheitert ist, dann sollte er das ebenfalls offenlegen – so wüssten wir Wähler wenigstens, wen wir sonst dafür verantwortlich machen müssen. Aber wer einen so hochpolitischen Posten wie den des Europäischen Kommissars für Wirtschaft und Währung innehat, darf sich nicht hinter dem Gestus des Technokraten verschanzen, wenn er nicht die Akzeptanz für den europäischen Integrationsprozess insgesamt gefährden will.
Bild: By Friends of Europe [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.
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