- Mario Monti will statt der Schuldenbremse eine Goldene Regel einführen. Das klingt nicht nur besser, sondern ist es auch.
Nun also
sind die Nachverhandlungen zum Fiskalpakt eröffnet, und im Moment
ist nicht abzusehen, was dabei herauskommen mag. Beim „informellen
Abendessen“ am vergangenen Mittwoch blieb Angela Merkel (CDU/EVP)
noch hart, aber ihre zunehmende Isolierung ist offensichtlich. Wenn
sich Anfang Juni in Rom die Staats- und Regierungschefs der vier
größten Euro-Länder treffen – Gastgeber ist Mario Monti (parteilos), geladen sind neben Merkel noch François
Hollande (PS/SPE) und Mariano Rajoy (PP/EVP)
–, könnte der Druck sich weiter erhöhen. Insbesondere Hollande und Monti haben in den Tagen seit den französischen Wahlen immer wieder den Schulterschluss geübt. Welche Chancen bestehen,
dass die Vorschläge der beiden Nachverhandler dem Fiskalpakt seine radikal-austeritäre
Spitze nehmen?
Eurobonds
können die Schuldenkrise lösen …
Die
Aufmerksamkeit der deutschen Medien richtete sich in den letzten
Tagen vor allem auf die Forderung nach Eurobonds, also
Staatsanleihen, die von einzelnen Ländern herausgegeben werden, für
die aber alle Euro-Mitgliedstaaten gemeinsam haften. Der
Eurogruppenvorsitzende Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) schlug diese schon
vor Jahren als Lösung der Schuldenkrise vor, Hollande hat
die Forderung nun mit Unterstützung Montis aufgegriffen, und da
Spanien einer der Hauptprofiteure wäre, dürfte auch Rajoy am Ende keinen
allzu großen Widerstand gegen den Plan leisten.
Das
Merkwürdige daran ist, dass Eurobonds mit dem eigentlichen Problem
des Fiskalpakts und dem zuletzt so viel diskutierten Gegensatz zwischen Sparen
und Wachsen nicht viel zu tun haben: Ob die Konjunktur in der
Eurozone anzieht oder nicht, hängt zunächst einmal nicht davon ab, ob die
Mitgliedstaaten jeweils einzeln oder gemeinsam für ihre
Staatsanleihen haften. Junckers Ursprungsidee zielte auf etwas ganz
anderes ab, nämlich auf die akuten Finanzierungsprobleme, denen einige
Mitgliedstaaten derzeit ausgesetzt sind. Da die Märkte fürchten,
dass die schwächeren Länder der Eurozone nicht mit den Folgen der
Finanzkrise von 2008 klarkommen werden, verlangen sie bei Krediten an
diese Länder einen hohen Risikoaufschlag. Der Vorteil von Eurobonds
bestünde darin, das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit dieser
Länder zu erhöhen: Wenn die Märkte wissen, dass notfalls
Deutschland für irische Staatsanleihen gerade steht, werden sie auch
Irland wieder zu bezahlbaren Zinsen Geld leihen.
Der Nachteil
der Eurobonds ist der damit verbundene Moral Hazard:
Wenn die irische Regierung weiß, dass für ihre Anleihen notfalls
Deutschland haftet, könnte sie immer höhere Kredite aufnehmen und
dann, wenn sie sie nicht zurückzahlen kann, einfach auf die
solideren Staaten verweisen. Deshalb entbehrt es nicht einer gewissen
Logik, wenn man als Vorbedingung für gemeinsame Anleihen eine Regel
einführt, die einzelne Länder daran hindert, sich kopflos zu
verschulden – tatsächlich ist das so ziemlich der einzige
vernünftige Grund, den es überhaupt für eine europaweite Pflicht zu nationalen Schuldenbremsen gibt.
Und entsprechend verteidigt auch die Europäische Kommission zur
Lösung der Schuldenkrise schon länger eine Kombination aus
Eurobonds und Fiskalpakt.
… aber
nicht das Investitionsproblem
Doch
in seinem Bestreben, eine übermäßige Schuldenaufnahme der
Mitgliedstaaten zu verhindern, kippt der Fiskalpakt das Kind mit dem
Bade aus. Denn die darin enthaltene Schuldenbremse begrenzt das
jährliche Haushaltsdefizit auf 0,5 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts – ein Wert, der so niedrig ist, dass er
langfristig zu einer massiven Absenkung der Staatsquote in den
europäischen Ländern führen muss. Damit aber schwindet nicht nur
die Möglichkeit der öffentlichen Hand, durch antizyklische
Maßnahmen mäßigend auf konjunkturelle Schwankungen einzuwirken. Es
ist, noch schlimmer, zu erwarten, dass in den nächsten Jahrzehnten
nützliche staatliche Investitionen ausbleiben und damit das
langfristige Wirtschaftswachstum der Eurozone dauerhaft beschädigt
wird.
Diese
Entwicklung könnte auch die Einführung von Eurobonds nicht
verhindern: Die Staaten der Eurozone könnten sich dadurch zwar im
Durchschnitt für niedrigere Zinsen Geld leihen, aber eben nur in dem
Umfang, den der Fiskalpakt erlaubt. Und dieser macht keinen
Unterschied zwischen sinnvollen und sinnlosen Krediten, zwischen
Vorsorge und Verschwendung, zwischen Energiewende und
Pendlerpauschale, zwischen Staatsanleihen, die der Finanzierung
wichtiger Infrastrukturprojekte dienen, und solchen, aus denen
Steuergeschenke für die Wählerklientel einer Regierungspartei
bezahlt werden.
Goldene
Regel der Finanzpolitik
Die Lösung für dieses Problem kann ein Vorschlag bieten, den
Mario Monti vor einiger Zeit ins Spiel gebracht hat. Während er in
Italien inzwischen recht breit diskutiert wird, ging er in der
deutschen öffentlichen Diskussion über die Neuverhandlung des
Fiskalpakts bislang weitgehend unter (obwohl sich inzwischen
immerhin ein Teil der SPD für die Idee zu erwärmen scheint).
Konkret geht es darum, bei der für die Schuldenbremse relevanten
Berechnung des öffentlichen Defizits nur Konsumausgaben
einzubeziehen, nicht aber staatliche Investitionen, die auf das
künftige Wirtschaftswachstum ausgerichtet sind – etwa in das Energienetz, die Internetversorgung oder das Bildungssystem.
Den Sinn dieses Prinzips, das in der Wirtschaftswissenschaft auch als
„goldene Regel der Finanzpolitik“ bekannt ist, hat der deutsche
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung (die sogenannten „Wirtschaftsweisen“) in einem
Gutachten aus dem Jahr 2007 zusammengefasst. Entgegen dem
Argument, dass staatliche Kredite immer zulasten der kommenden
Generationen gingen, heißt es dort:
Auch [eine dauerhafte Staatsverschuldung] kann […] unter intergenerativen Verteilungsgesichtspunkten gerechtfertigt sein, nämlich im Zusammenhang mit öffentlichen Investitionen, die das Vermögen kommender Generationen erhöhen oder, vermittelt über ihre Produktivitätseffekte, künftige Erträge hinterlassen und diese somit „reicher“ machen. Die intergenerative Umverteilungswirkung der Staatsschuld ist hier ein gewünschtes Ergebnis, um auch die künftigen Nutznießer der heutigen Ausgaben an den Finanzierungslasten zu beteiligen. Dies ist die Intention hinter der „Goldenen Regel der Finanzpolitik“, die eine Kreditfinanzierung von Investitionen zulässt.
Im
deutschen Verfassungsrecht schlug sich diese Erkenntnis bis 2009 in
Artikel 115 Abs. 2 GG
nieder, demzufolge die jährliche staatliche Neuverschuldung durch die Höhe
der öffentlichen Investitionen begrenzt war. Im
Gutachten des Sachverständigenrats wurde diese Regelung unterstützt und nur kritisiert, dass sie zu unpräzise
sei und Verstöße kaum geahndet werden könnten. Die
Wirtschaftsweisen entwickelten deshalb einen Vorschlag, Artikel 115
GG neu zu fassen, ohne seine richtige Grundidee aufzugeben. Und
entsprechend verärgerte Reaktionen gab es,
als die Große Koalition unter Angela Merkel (CDU/EVP) und Peer
Steinbrück (SPD/SPE) stattdessen zwei Jahre später eine pauschale
Schuldenbremse verabschiedete, in der von einer Rücksichtnahme auf
öffentliche Investitionen nichts mehr zu finden war.
Ein
funktionierendes Modell
Dank
Mario Monti hat die Eurozone nun die Chance, eine Wiederholung dieses
Fehlers zu vermeiden. In seiner jetzigen Version verbietet der
Fiskalpakt jede Kreditaufnahme gleichermaßen, was das
Wirtschaftswachstum unnötig hemmen würde. Ersetzt man die
Schuldenbremse aber durch die Goldene Regel, so bliebe den
Mitgliedstaaten die Möglichkeit wachstumsfördernder Investitionen –
während gleichzeitig der wichtigste Zweck des Paktes noch immer
gewährleistet wäre: Moral
Hazard
zwischen den Mitgliedstaaten der Währungsunion zu verhindern und
dadurch die Einführung von Eurobonds zu ermöglichen. Und mit denen wiederum könnte, siehe oben, die
Schuldenkrise gelöst werden.
Diese
Konstruktion wäre ziemlich sicher nicht das beste Modell, das man
sich für die Währungsunion ausdenken kann: Sie würde noch immer
recht wenig automatische Stabilisatoren bieten, um asymmetrische
Schocks zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten abzufedern. Aber
immerhin könnte uns die Kombination aus Eurobonds und Goldener Regel aus dieser Krise heraushelfen, ohne bereits
den Keim der nächsten Krise in sich zu tragen. Und das ist unter den
derzeitigen Umständen wohl schon das Höchste, worauf man hoffen
kann.
Bild: By Giuseppe Lillo (Foto) [GFDL or CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons.
Einfach weitermachen mit der Verschuldung ist keine nachhaltige Lösung, egal wie man es verpackt. Die Vorstellung, man könne zwischen objektiv zwischen "guten" und "bösen" Schulden unterscheiden, ist naiv. Wer soll da der Richter sein. Abgesehen davon, dass alle Gelder durch einen gemeinsamen nationalen Haushalt laufen. Es gibt schlicht und einfach keine Schulden für "Energiewende" aber nicht für "Pendlerpauschale" genauso wenig, wie man die Tabaksteuer für Krebsvorsorge aber nicht für Kohlesubventionen erhöhen kann.
AntwortenLöschenWürden Staaten wirklich Geld *investieren*, sprich: welchens einsetzen, um hinterher mehr zurückzuerhalten, dann hätten wir auch kein Schuldenproblem. Das gleiche gälte, wenn Keynesiansmus tatsächlich politisch funktionieren würde.
Sie wünschen eine hohe Staatsquote? Bitteschön. Dann werden Sie aber der unangenehmen Diskussion, wer diese mit seinen Steuern bezahlen soll, aber nicht ausweichen können. Es hilft nicht, das Problem auf seine Kinder, das Ausland oder den Weihnachtsmann abzuschieben oder auf gesichtslose "Spekulaten" zu verweisen, die irgendwie daraun Schuld sind, das wir mehr Geld vom Staat kassieren wollen als wir Willens sind, dem Staat zu geben.
Im übrigen gilt die goldene Regel: no taxation without representation. Fürs Budget bezahlen die, die die Ageordneten wählen, die es beschließen.
Ähem... Ich stimme durchaus zu, dass es nichts hilft, "auf gesichtslose Spekulanten zu verweisen", aber ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich das jemals getan hätte. Das Problem besteht nicht darin, dass Menschen oder Institutionen, die dem Staat Geld leihen und dafür Zinsen wollen (bzw. die manchen Staaten kein Geld leihen, wenn sie keine ausreichend hohen Zinsen bekommen) irgendwie moralisch verwerflich wären. Das Problem besteht darin, wie man einen sinnvollen politischen und rechtlichen Rahmen zur Finanzierung der Staatstätigkeiten schaffen kann.
AntwortenLöschenUnd da kann man eben sehr wohl zwischen "guten" und "bösen" Staatsschulden unterscheiden - man könnte auch sagen: zwischen ökonomisch effizienten und ineffizienten, oder eben: zwischen staatlichen Investitionen und staatlichem Konsum. Das ist ja nichts, was ich mir ausgedacht hätte, sondern etwas, was sich in jedem finanzpolitischen Lehrbuch findet (oder eben in dem oben verlinkten Gutachten des Sachverständigenrats, der ja nicht gerade eine Trutzburg des Keynesianismus ist).
Kurz zur Erläuterung: Geld, das der Staat in die Pendlerpauschale steckt, kommt unmittelbar heute lebenden Bürgern zugute; es ist nichts als eine Umverteilung von den Nicht-Pendlern an die Pendler. Wenn dafür Schulden aufgenommen werden, ist das ungerecht gegenüber späteren Generationen, die in keinerlei Weise davon profitieren, dass es heute Pendler gibt. Geld, das in den Aufbau den Energienetzes fließt, bringt späteren Generationen dagegen sehr wohl etwas - in Form einer nachhaltigen Energieversorgung und eines höheren Bruttoinlandsprodukt. Während die Kosten der Energiewende komplett heute anfallen, verteilt sich der Nutzen auch auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Deshalb ist es sinnvoll, solche Ausgaben über Kredite zu finanzieren und damit einen Teil der Kosten auf die künftigen Generationen zu verlagern. Für unsere Kinder ist das allemal besser, als wenn wir auf derartige Investitionen ganz verzichten, weil wir sie uns aus den laufenden Steuererträgen nicht leisten können.
Euro Bonds + Goldene Regel
AntwortenLöschenGut, dann müssen nur noch alle Mitmachen, Fiskalpakt mit Goldener Regel schnell ratifizieren, Griechenland mehrheitlich demokratisches Parlament wählen, Eurobonds ankündigen und Banken direkt mit ESM Geld ausstatten.