- Die Iren dürfen mal wieder über Europa abstimmen. Aber was ihre Entscheidung bedeuten wird, liegt nicht in ihrer Hand.
Am 31. Mai dürfen die
Iren mal wieder ein Europa-Referendum durchführen. Es ist das erste
seit demjenigen über den Vertrag von Lissabon, Thema ist die
Ratifikation des Fiskalpakts, und die irische Regierung hat
zugesichert, diesmal solle (ausnahmsweise) die Abstimmung nicht so
lange wiederholt werden, bis das Ergebnis passt. Die Spannung ist
also groß, auch wenn die Umfragen
auf ein deutliches Ja hindeuten. Außerhalb von Irland
läuft sich unterdessen bereits wieder die Empörungsmaschinerie der
Freunde von nationalen Volksentscheiden warm: Wie kommt es, dass die Iren als
Einzige direkt über den Vertrag abstimmen? Warum dürfen wir
nicht genauso ran?
Doch bevor der Neid auf die Iren allzu groß wird, sollte man sich vielleicht die Frage stellen, wie man eigentlich selbst abstimmen würde, wenn man in ihrer Lage wäre. Ich persönlich wüsste das jedenfalls nicht. Dabei habe ich durchaus eine Meinung zum Fiskalpakt: Ich denke, dass er mittelfristig deutlich mehr Schaden als Nutzen anrichten wird, und wenn es einen gesamteuropäischen Volksentscheid darüber gäbe, würde ich mit Nein stimmen. Doch bei dem irischen Referendum geht es nicht um den Fiskalpakt insgesamt, sondern nur um die irische Ratifikation – und letztlich zeigt die Abstimmung dort nur, wie absurd es ist, nationale Referenden über europäische Themen durchzuführen. Denn die Iren können zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich wissen, was es bedeutet, wenn sie Ja oder Nein ankreuzen, und das gleich aus zwei verschiedenen Gründen.
Erstens: Der
Fiskalpakt ist Work in Progress
Eigentlich
ist der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der
Wirtschafts- und Währungsunion, vulgo Fiskalpakt, längst fertig. Am
2. März 2012 wurde er unterzeichnet, Griechenland,
Portugal und Slowenien haben bereits ratifiziert.
Wer ihn sich durchlesen will, findet ihn auf der Homepage des
Europäischen Rates (hier
die
deutsche Version). Man könnte also meinen, dass die Iren wissen,
worum es geht.
Doch
so einfach ist die Sache nicht. Bekanntlich gab der neue französische
Präsident François Hollande (PS/SPE) vor seiner Wahl das
Versprechen, den Fiskalpakt „nachzuverhandeln“.
An diesem Mittwoch, gerade einmal acht Tage vor dem irischen
Referendum, wird es ein „informelles Abendessen“ des Europäischen
Rates geben, wo über seine Forderungen gesprochen werden soll. Zu
den Vorschlägen gehören unter anderem die Einführung von Eurobonds sowie
eine von dem italienischen Premierminister Mario Monti ins Spiel
gebrachte „Goldene Regel“,
derzufolge staatliche Investitionen bei der Berechnung des
öffentlichen Defizits nicht (oder nur teilweise) mitzählen sollen.
Während Eurobonds eine neue Vertragsänderung erforderlich machen
würden, handelt es sich bei Montis Idee formell nur um eine
technische Frage, die per Verordnung geregelt werden könnte. Beide
Pläne aber würden dem Fiskalpakt einen völlig neuen Sinn geben und
einige seiner schlimmsten Folgen deutlich abmildern (siehe auch hier).
Es
kann nun durchaus sein, dass bei dem informellen Abendessen ein
Beschluss über diese Vorschläge fällt. Angesichts der vehementen
Gegenwehr von Angela Merkel ist es jedoch wahrscheinlicher, dass alle
Entscheidungen auf den nächsten offiziellen Gipfel im Juni
verschoben werden. Die tatsächliche Umsetzung der Vorschläge wird
ohnehin frühestens in den nächsten Monaten erfolgen. Die Iren
werden also über einen Vertrag abstimmen, dessen Bedeutung sich –
je nachdem, ob sich Hollande und Monti am Ende durchsetzen oder nicht
– noch gravierend verändern kann.
Zweitens:
Unklarheit über das Inkrafttreten des Vertrags
Noch
schwerwiegender für die Iren ist jedoch eine andere Frage: Ob der
Fiskalpakt in Kraft treten wird oder nicht, ist derzeit noch nicht zu
sagen. Bedingung dafür ist die Ratifikation durch zwölf
Euro-Staaten – sobald diese erreicht ist, ist der Vertrag wirksam,
allerdings nur für die Länder, die auch tatsächlich ratifiziert
haben. Mit dem Referendum entscheiden die Iren darüber, ob der
Fiskalpakt für sie
gelten soll; ob er für den Rest der Mitgliedstaaten gilt, haben sie
nicht in der Hand. Das war eine der Lektionen aus dem
Lissabon-Referendum: Die Regierungschefs wollten vermeiden, dass noch
einmal ein einzelnes Land das Inkrafttreten des gesamten Vertrags
verhindern kann.
Doch
der Fiskalpakt steht nicht für sich allein, sondern hängt auch mit
dem Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammen (also dem
dauerhaften Euro-Rettungsschirm, der derzeit ebenfalls zur
Ratifikation aufliegt). In Erwägungsgrund 5 des ESM-Vertrags
heißt es, es sei „anerkannt und vereinbart, dass die Gewährung
von Finanzhilfe im Rahmen neuer Programme durch den ESM ab dem 1.
März 2013 von der Ratifizierung des VSKS [d.h. des Fiskalpakts]
durch das betreffende ESM-Mitglied abhängt“. Mit anderen Worten:
Wer den Fiskalpakt nicht ratifiziert, soll künftig auch kein Geld
aus dem Rettungsschirm erhalten.
Nun
ist der rechtliche Wert dieser Regelung zweifelhaft – die
Erwägungsgründe sind nur Teil der Präambel, die eigentlich keine
juristische Bedeutung hat. Außerdem ist auch unklar, was eigentlich
passieren würde, wenn der ESM-Vertrag in Kraft tritt, der Fiskalpakt
aber nicht. Auf jeden Fall aber käme Irland in eine unangenehme
Lage, wenn es am Ende das einzige Land wäre, das den Fiskalpakt
nicht ratifiziert hat. Zwar würde, Erwägungsgrund hin oder her, der
Rest der Eurozone das Land wohl schon aus Eigeninteresse auch in
Zukunft nicht fallen lassen, wenn es in einer schweren Finanzkrise
Hilfe aus dem ESM benötigt. Aber jedenfalls bliebe ein Zweifel
erhalten, und der würde sich unmittelbar in einem höheren
Risikoaufschlag für irische Staatsanleihen niederschlagen.
Wenn
ich Ire wäre
Wenn
ich ein irischer Wähler wäre, befände ich mich jetzt in einer
widersprüchlichen Lage: Da ich der Meinung bin, dass der Fiskalpakt
schlecht für die EU ist, würde ich gegen die Ratifizierung stimmen
wollen – weil das vielleicht die einzige Möglichkeit ist, das
Inkrafttreten noch zu verhindern. Gleichzeitig garantiert aber auch
ein irisches Nein noch nicht das Scheitern des Vertrags. Und falls
die anderen Mitgliedstaaten das Ratifikationsverfahren zum Abschluss
bringen und der Vertrag am Ende doch in Kraft tritt, dann würde ich
als irischer Wähler nicht wollen, dass mein Land außen vor bleibt. Welche
Option ich auf dem Stimmzettel ankreuzen will, wäre also davon
abhängig, wie sich die übrigen Mitgliedstaaten verhalten. Da ich
das jedoch nicht weiß, hätte das Referendum für mich
keinen Sinn.
Natürlich
hätte es Möglichkeiten gegeben, die Volksabstimmung so zu gestalten, dass sie auch auf
die Abhängigkeit von den restlichen Ländern eingeht: Zum Beispiel
hätte man eine Zusatzfrage stellen können, die nur zum Tragen kommt, falls eine Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten
die Ratifikation beschließt. Oder man hätte gleich ein
gesamteuropäisches Referendum über den Fiskalpakt durchführen können, mit zusätzlichen
nationalen Volksentscheiden, ob das jeweils eigene Land sich bei einem Inkrafttreten daran
beteiligen soll. In der Art jedoch, wie das Referendum am 31. Mai formuliert sein wird, bietet es dem Wähler keine Möglichkeit, auf bedeutungsvolle Weise seinen Willen zum Ausdruck zu bringen. Es ist nichts als ein hohles Ritual nationaler Demokratie, das in einem
Europa, wo alle voneinander abhängig und aufeinander angewiesen
sind, seine Funktion verloren hat.
Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F011303-0007 / Steiner, Egon / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons.
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