Für
alle Kurzentschlossenen: Am morgigen Samstagabend, 22. Oktober, findet in
Berlin eine öffentliche Podiumsdiskussion mit dem Titel Le Pen, Wilders, Farage: Wie sollen europäische Medien mit
Rechtspopulismus umgehen? statt. Veranstalter ist der treffpunkteuropa, und
diskutieren werden Andreas Bock von euro|topics, Chadi Bahouth von den Neuen Deutschen
Medienmachern,
Ralf Melzer von der Friedrich-Ebert-Stiftung und ich. Los
geht es um 18 Uhr am Sitz der Jungen Europäischen Föderalisten in der
Sophienstr. 28/29.
In
Vorbereitung auf die Diskussion hier sieben Thesen zum Verhältnis zwischen
Rechtspopulismus und Medien.
1. Rechtspopulismus
entsteht nicht primär durch die Medien
Nicht
nur in Europa, sondern auch in vielen anderen Industriestaaten sind
Rechtspopulisten – genauer: Nationalpopulisten – derzeit erfolgreich. Diese
Entwicklung hat im Kern erst einmal wenig mit den Medien zu tun und lässt sich
am besten als eine Reaktion auf die Globalisierung verstehen: Seit den 1990er
Jahren hat die grenzüberschreitende Verflechtung von Wirtschaft und Gesellschaft
stark zugenommen, was sich nicht nur an gesteigerten Handelsströmen zeigt,
sondern auch an Migrationsbewegungen und anderen Veränderungen, die sich im Alltagsleben
der Menschen bemerkbar machen.
Diese
Veränderungen erleben manche Menschen als Bereicherung, andere aber auch als
Bedrohung. Die Globalisierung erzeugt also nicht nur wirtschaftlich, sondern
auch kulturell Gewinner und Verlierer. An diese Globalisierungsverlierer richten
sich die Nationalpopulisten – freilich weniger mit rationalen Argumenten, sondern mit einem vorurteilsbeladenen Diskurs, in dessen Mittelpunkt das Versprechen steht, durch die Ausgrenzung des Fremden
den eigenen Lebensstil zu schützen.
2. Am besten helfen institutionelle Reformen
Dieses
nationalpopulistische Potenzial wird noch
verstärkt durch die unzureichende supranationale Demokratie. Wenn man die
Globalisierung politisch gestalten will, ist das nur durch überstaatliche Politik
möglich. Diese überstaatliche Politik findet derzeit jedoch oft in Institutionen
statt, die keine oder nur sehr indirekte demokratische Legitimation besitzen.
Auch
in der EU spielt
das Fehlen einer demokratischen Opposition den Nationalpopulisten in die Hände.
Da die Entscheidungsverfahren der EU faktisch eine permanente Zusammenarbeit
der großen pro-europäischen Parteien notwendig machen, können Europagegner als
einzige Alternative zu einer ansonsten „alternativlosen“ Politik auftreten. Dieses
Problem der fehlenden Opposition hat auch eine mediale Dimension – schließlich geht
es dabei nicht zuletzt um die Inszenierung
von Parteiengegensätzen und politischen Handlungsoptionen.
Das
Problem ist aber nur sehr begrenzt auf Ebene der Medien lösbar. Medien können
versuchen, die existierenden Unterschiede zwischen den großen europäischen
Parteien besser zu erläutern (und überhaupt die
Existenz gesamteuropäischer Parteien besser in der öffentlichen Wahrnehmung zu
verankern). Doch um wirklich eine lebhafte parteipolitische Debatte auf
europäischer Ebene zu bekommen, müssen
sich nicht die Medien ändern, sondern die EU.
3. Die Medienpluralisierung bietet auch Rechtspopulisten Raum
Es
gibt aber auch einige reine Medieneffekte, die zur Ausbreitung
rechtspopulistischer Ideen beitragen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das
Internet, das die Kosten für die Veröffentlichung von Informationen drastisch gesenkt
und dadurch das Medienangebot erweitert und pluralisiert hat. Das bietet einerseits
zahlreiche Chancen, etwa für
die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit (auch dieses Blog hier
würde ohne das Internet nicht existieren).
Andererseits
gibt diese Pluralisierung des Medienangebots natürlich auch einen Raum zur
Verbreitung von Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Verschwörungstheorien. Nicht
erst seit dem Brexit-Referendum und der Präsidentschaftskandidatur von Donald
Trump sind die post-truth politics
zu einem zentralen Schlagwort geworden. Medien wie Breitbart in
den USA oder Politically
Incorrect in Deutschland hätten als Zeitungen wohl kaum so schnell ein
so großes Publikum gefunden, dass sich ihr Erscheinen finanziell rentiert hätte.
Als Onlineportale waren ihre Startkosten hingegen deutlich geringer, und heute
versorgen sie täglich hunderttausende Leser mit rechtspopulistischem Ideengut.
Bis
heute ist das Internet, besonders die sozialen Medien, eine der wichtigsten
Bühnen für Rechtspopulisten. Je mehr sich deren Aufschwung konsolidiert, desto
einfacher wird es aber auch für gedruckte Medien, in diesem Milieu ein Publikum
zu finden. So gibt es in Deutschland heute auch Zeitungen,
Zeitschriften und Buchverlage, die genau diese Zielgruppe ansprechen.
4. Nötig ist
mehr Medienkompetenz der Leser
Eine
besondere Rolle spielen gerade im Internet technische und soziale Filterblasen:
Medienkonsumenten werden – durch Personalisierungsalgorithmen in der
Google-Suche, vor allem aber durch die Empfehlungen ihres
Social-Media-Freundeskreises – hauptsächlich auf solche Nachrichten und Meinungstexte
aufmerksam gemacht, die den Ansichten entsprechen, die sie ohnehin bereits
haben. Im Extremfall können Menschen dadurch in einer Vorstellungswelt leben,
die sich nahezu ausschließlich aus nationalpopulistischen Medien speist und mit
der Welt der Qualitätsmedien nichts mehr zu tun hat. Das Aufeinanderprallen
dieser Vorstellungswelten äußert sich nicht zuletzt im Schlagwort der „Lügenpresse“.
Da
die Qualitätsmedien selbst nur wenig Chancen haben, in die
nationalpopulistische Filterblase einzudringen, können sie auch die gegen sie
erhobenen „Lügenpresse“-Vorwürfe nur schlecht ausräumen. Die Hoffnung liegt hier
vielmehr auf einer höheren Medienkompetenz der Konsumenten selbst, die in der
Lage sein müssten, selbst die Qualität der ihnen gebotenen Informationen einzuschätzen.
Die Vermittlung dieser Medienkompetenz kann wiederum nur eine Institution übernehmen,
die (anders als die Medien) Zugang zu allen jungen Menschen im Land hat: die
Schule.
5. Ausgrenzung
ist keine Lösung mehr
Trotzdem
bleibt für die Medien die Frage, welcher Umgang mit Rechtspopulisten angemessen
ist. In Deutschland und anderswo wurden Rechtsaußenpositionen im öffentlichen
politischen Diskurs traditionell ausgegrenzt: Politiker der NPD (AFF) wurden nicht in
Talkshows eingeladen, Zeitungen ignorierten ihre Äußerungen und boten ihnen
auch in Gastkommentaren keine Bühne.
Der
Rechtspopulismus scheint heute jedoch zu stark geworden zu sein, um diese Ausgrenzungsstrategie
weiter durchzuhalten. Im Gegenteil kann sie Populisten helfen, um sich einen
Opfermythos zu schaffen, mit dem sie gerade Protestwähler ansprechen. Außerdem
erschwert die Ausgrenzung die direkte Auseinandersetzung: Wenn Rechtspopulisten
nicht zu Wort kommen, ist es auch schwerer, ihnen zu widersprechen und ihre argumentativen
Fehlschlüsse aufzudecken.
6. Normalisierung ist eine Gefahr
Auf
der anderen Seite besteht aber auch die Gefahr, dass nationalpopulistische
Thesen gerade durch die mediale Normalisierung gesellschaftsfähig werden. So verfolgt
der französische FN (BENF) unter Marine Le Pen gezielt eine Strategie
der „Entdämonisierung“, die ein möglichst breites Publikum anzusprechen
versucht. Und beim Brexit-Referendum zeigte sich, dass das häufige
und laute Wiederholen von Unwahrheiten durchaus dazu führen kann, dass eine
Mehrheit der Bevölkerung ihnen folgt.
Gerade
in angelsächsischen Qualitätsmedien, die die Trennung von Nachricht und Meinung
und die Neutralität der Berichterstattung traditionell sehr ernst nehmen, ist
deshalb die false equivalence – die
unangemessene Gleichbehandlung von Politikern aus dem gesamten Spektrum – zu
einem wichtigen Thema geworden. Entgegen ihren früheren Gepflogenheiten
sind Zeitungen wie die New York Times
dazu übergegangen, bestimmte Aussagen von Donald Trump rundheraus
als „Lüge“ zu bezeichnen.
7. Guter
Journalismus braucht Populisten nicht zu fürchten
Letztlich
aber scheint mir die Wahl zwischen Ausgrenzung und Normalisierung wenigstens
für den Qualitätsjournalismus ein falsches Dilemma zu sein. Relevant wird die false equivalence vor allem dann, wenn
Journalismus sich auf das bloße Wiedergeben oder Nicht-Wiedergeben von
Verlautbarungen beschränkt – oder wenn sich die politische Debatte auf bloße
Schlagworte reduziert und man nur noch darüber diskutiert, ob eine bestimmte
Partei nun als „rechtspopulistisch“, „rechtsextrem“ oder „reaktionär“ und eine
bestimmte Aussage nur als „Unwahrheit“ oder schon als „Lüge“ zu bezeichnen ist.
Ein
Journalismus, der sein Thema tatsächlich durchdringt, braucht hingegen die
Auseinandersetzung mit dem Populismus nicht zu fürchten. Er muss die Ansichten
der Populisten weder verdammen noch sich zu ihrem Sprachrohr machen – sondern sie
erklären, hinterfragen, problematisieren und kontextualisieren. Das ist,
zugegeben, eine oft mühevolle Arbeit, gerade wenn man es mit rabulistischen
Verschwörungstheoretikern zu tun hat. Aber genau in dieser Arbeit besteht nun
einmal guter Journalismus: dass er dem besseren Argument eine Chance gibt, um sich
durchzusetzen.
Bild: By Judy Van der Velden [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
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