- Zeitweilig stand die AfD Marine Le Pens „Europa der Nationen und der Freiheit“ nahe. Aber das war unter Frauke Petry.
Bei
der Bundestagswahl
am vergangenen 24. September zog die Alternative für Deutschland
(AfD) mit 12,6 Prozent der Stimmen erstmals in den Bundestag ein.
Anders als andere
rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Europa ist sie
zwar noch weit von einer Regierungsbeteiligung entfernt. In absoluten
Zahlen waren die fast 5,9 Millionen Stimmen für die AfD jedoch eines
der stärksten Ergebnisse, die nationale Rechtsparteien in Europa
jemals bei Parlamentswahlen erreicht haben – mehr als die 3,0
Millionen Stimmen des Front National (FN/BENF) bei der
französischen Wahl im Juni, die 4,4 Millionen Stimmen der UKIP (ADDE) bei der Europawahl
in Großbritannien 2014 oder die 5,7 Millionen Stimmen der PiS (AKRE) bei der Parlamentswahl
in Polen 2015.
Doch
obwohl die AfD damit endgültig zu einem der großen Akteure im
europäischen Rechtsaußen-Spektrum geworden ist, gehört sie bis
heute keiner der drei wichtigen gesamteuropäischen Rechtsparteien
an. Und obwohl die AfD bereits seit 2014 mit Abgeordneten im
Europäischen Parlament vertreten ist, hat sich auch ihre
Zugehörigkeit zu einer der entsprechenden Fraktionen immer wieder
verändert – und ist heute vielleicht unklarer denn je.
Die drei
Rechtsfraktionen im Europäischen Parlament
Zum
Überblick: Auf europäischer Ebene gibt es rechts der
christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) im Wesentlichen
drei große Gruppierungen:
●
erstens die nationalkonservative Allianz der Konservativen und
Reformer Europas (AKRE) mit der zugehörigen Fraktion der
Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europäischen
Parlament. Tonangebend in dieser Gruppierung, die derzeit 74
Europaabgeordnete stellt, sind die britischen Tories sowie die
polnische PiS, die jeweils in ihrem Land die Regierung stellen.
Darüber hinaus gehören der AKRE auch einige Mitglieder aus
Nicht-EU-Ländern an, darunter die türkische Regierungspartei AKP.
●
zweitens die populistische
Allianz für Direkte Demokratie in
Europa (ADDE),
die
von der britischen UKIP dominiert wird. Zu ihrer Fraktion im
Europäischen Parlament, Europa der Freiheit und der Direkten Demokratie (EFDD, 45 Abgeordnete), gehört außerdem auch das italienische Movimento Cinque Stelle (M5S)
um Beppe Grillo.
●
drittens
die stramm
rechte
Bewegung
für ein Europa der Nationen und der Freiheit (BENF),
die
unter anderem den französischen FN um
Marine Le Pen,
die österreichische FPÖ um
Heinz-Christian Strache
und die italienische Lega Nord um
Matteo Salvini vereint.
In
der
dazugehörigen
Fraktion
Europa
der Nationen und der Freiheit (ENF,
37
Abgeordnete)
ist
außerdem auch der
niederländische PVV um Geert Wilders vertreten.
Darüber
hinaus gibt es noch einige rechtsextreme und neofaschistische
Europaabgeordnete (etwa der deutschen NPD oder der ungarischen
Jobbik), die keiner Fraktion angehören. Da mit dem Fraktionsstatus
jedoch einige wichtige Mitspracherechte sowie zusätzliche Ressourcen
einhergehen, versuchten
zuletzt
alle
großen nationalen Rechtsparteien, sich einer der drei
Gruppierungen
anzuschließen.
EKR-Beitritt
der AfD unter Bernd Lucke
Dabei
machte auch die AfD keine Ausnahme, als sie bei der Europawahl 2014
mit sieben Abgeordneten in das Europäische Parlament einzog.
Parteichef
und Spitzenkandidat
der AfD war damals allerdings noch Bernd Lucke, der
eher einen nationalliberalen als einen rechtsextremen Kurs anstrebte.
Eine
Zusammenarbeit mit Marine
Le Pen schloss
Lucke
deshalb von
vornherein aus und
strebte
stattdessen
eine Mitgliedschaft in der gemäßigteren EKR-Fraktion an –
auch wenn einige Parteimitglieder bereits zu dieser Zeit eher
mit dem
UKIP-Shootingstar
Nigel Farage
und
seiner EFDD liebäugelten.
Umgekehrt
gab es auch in der EKR von Anfang an Vorbehalte gegen die AfD. Vor
allem der damalige Tory-Chef David Cameron versuchte ihren
Fraktionsbeitritt zu verhindern, da er davon eine Belastung des
Verhältnisses zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP)
befürchtete. Letztlich wurden die Tories jedoch von
den übrigen Fraktionsmitgliedern überstimmt, sodass die sieben
AfD-Europaabgeordneten im Juni 2014 der EKR beitreten konnten.
Luckes
Austritt und der EKR-Rauswurf
Nur
ein Jahr später führte die zunehmende Radikalisierung der AfD
allerdings zur Parteispaltung. Mitte
2015 traten
Bernd
Lucke und vier weitere Europaabgeordnete aus
der AfD aus
und gründeten stattdessen die neue Partei ALFA, die sich später in
Liberal-Konservative Reformer (LKR) umbenannte. Sie sind bis heute
Mitglied der EKR-Fraktion. (2016 traten die LKR auch der zugehörigen
Europapartei AKRE bei, die sie wenige Monate später jedoch wieder
verließen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, die
türkische AKP
aus der AKRE ausschließen
zu lassen.)
In
der AfD selbst verblieben nur zwei der sieben ursprünglich gewählten
Abgeordneten, nämlich Beatrix von Storch und Marcus Pretzell.
Angesichts
der immer extremeren Positionen der Partei arbeitete die Gruppe um
Bernd Lucke allerdings auf deren Ausschluss aus der Fraktion hin –
und tatsächlich forderte der Fraktionsvorstand Pretzell und von
Storch im
März 2016 auf, die EKR zu verlassen.
Aufteilung
auf zwei verschiedene Fraktionen
Die
beiden verbliebenen
AfD-Abgeordneten reagierten unterschiedlich auf diese Aufforderung.
Von Storch kam einem Ausschluss aus der EKR zuvor, indem sie
freiwillig
zur EFDD wechselte. Pretzell hingegen wartete ab, bis die EKR ihn
einige
Tage später formal ausschloss. Zudem ließ er zunächst offen,
welcher Gruppierung er sich stattdessen anschließen würde, und
setzte die Frage der Fraktionszugehörigkeit stattdessen auf die
Tagesordnung eines damals kurz bevorstehenden AfD-Parteitags. Erst
als die Parteitagsdelegierten den Punkt kurzerhand wieder von der
Tagesordnung herunternahmen,
kündigte
Pretzell aus
eigener Entscheidung den Beitritt zur ENF an.
Seit
April 2016 ist die AfD im Europäischen Parlament deshalb in zwei
verschiedenen Fraktionen vertreten –
was zu dieser Zeit offiziell damit gerechtfertigt wurde, dass die AfD
als
„politische Klammer“ dienen wolle und eine
Vereinigung der verschiedenen rechtsnationalen Bewegungen zu
„einer großen EU-kritischen Fraktion“ anstrebe. Zu dieser
Vereinigung kam es freilich
nie,
vor
allem
weil UKIP-Chef
Nigel
Farage keinerlei
Interesse daran hatte.
Annäherung
an die BENF
Insgesamt
jedoch sah
es in den folgenden Monaten recht
deutlich so
aus,
als ob von
Storchs Entscheidung für die EFDD-Fraktion eine rein persönliche
Wahl bleiben und die
AfD als
Gesamtpartei sich
unter das Dach der BENF begeben würde.
Unter
der Bezeichnung „Blaue Allianz“ hatte die AfD bereits Anfang 2016
eine
engere Zusammenarbeit mit der österreichischen BENF-Mitgliedspartei
FPÖ eingeleitet. Im
Januar 2017 war Pretzell
Gastgeber
bei einer ENF-Konferenz
in Koblenz,
bei der auch
Le Pen, Wilders, Salvini und andere nationale
Parteichefs anwesend waren. Zu
einer vertieften Kooperation der
AfD mit der britischen UKIP oder anderen EFDD-Mitgliedern kam
es hingegen (abgesehen von einem Wahlkampfauftritt von Nigel Farage mit Beatrix von Storch Anfang September) nicht.
Allerdings
war die Annäherung an die BENF auch in der AfD
nicht unumstritten. Vorangetrieben
wurde sie vor allem von dem Europaabgeordneten Marcus Pretzell selbst
sowie seiner Ehefrau, Parteichefin Frauke Petry. Andere
prominente
AfD-Politiker wie Alexander Gauland
hielten
sich hingegen eher zurück,
und
Petrys Ko-Parteichef Jörg Meuthen äußerte
anlässlich des Koblenzer Treffens sogar offene
Ablehnung.
Erneute
Spaltung und Austritt von Marcus Pretzell
In
der neuerlichen Spaltung der AfD, die sich im Lauf des Jahres 2017
abzeichnete, kam es damit zu einer paradoxen Situation: Auf
nationaler Ebene stand
Frauke
Petry für
einen gemäßigteren,
„realpolitischen“
Kurs, während ihre innerparteilichen Gegner um
Meuthen und Gauland als
Vertreter einer hart rechtsnationalistischen Linie gelten.
Auf
europäischer
Ebene
strebte Petry hingegen
eine
Annäherung an das am weitesten rechts positionierte Bündnis an,
während Meuthen und Gauland eine klare Positionierung vermieden.
Als
der innerparteiliche Streit der AfD nach der Bundestagswahl
eskalierte, zögerten
Marine
Le Pen und andere BENF-Politiker deshalb nicht, sich auf die Seite von Frauke Petry zu stellen
– nur wenige Tage bevor diese zusammen
mit Marcus Pretzell die AfD verließ. Derzeit ist es deshalb wahrscheinlich, dass Pretzell künftig als parteiloser Abgeordneter in der ENF-Fraktion verbleiben wird.
Der letzte Sitz der AfD
Der AfD bleibt damit nur noch ein einziger Sitz im Europäischen
Parlament – jener von Beatrix von Storch, die allerdings am 24.
September in den Bundestag gewählt wurde und ihr Europamandat
deshalb aufgeben wird. Nachrücken soll an ihre Stelle Dirk Driesang, wobei derzeit noch nicht offiziell
bekannt ist, welcher Fraktion er sich anschließen
wird.
Dass
Driesang ausgerechnet jetzt zur ENF wechselt, erscheint allerdings
unwahrscheinlich. Denn zum einen wird die AfD nun bemüht sein,
größtmögliche Distanz zu Marcus Pretzell aufzubauen. Und zum
anderen zählt Driesang zum
gemäßigten Flügel der AfD und passt deshalb auch
programmatisch eher nicht in das Lager um Marine Le Pen. Wahrscheinlich ist deshalb, dass Driesang wie schon von Storch in der EFDD sitzen wird, also der ideologisch schwer zu fassenden, nationalpopulistischen Gruppierung um Nigel Farages UKIP und Beppe Grillos M5S.
Spätestens
2019
wird die Zugehörigkeit erneut zum Thema werden
Aber
ist damit schon das letzte Wort gesprochen? Wohl
kaum: Spätestens
mit
der Europawahl 2019 dürfte die europäische Zugehörigkeit der AfD
erneut zum Thema werden. Denn
nicht
nur wird mit
dem Brexit
die
UKIP aus dem Europäischen Parlament ausscheiden
– auch mehrere andere EFDD-Mitgliedsparteien werden nach
Stand der Dinge 2019 die Wiederwahl ins Europäische Parlament
verpassen. Es ist deshalb gut möglich, das die EFDD dann nicht mehr als
eigenständige Fraktion existieren wird.
Wo
also wird die AfD auf europäischer Ebene in zwei Jahren stehen? Eine
Möglichkeit ist,
dass sie
sich dann doch wieder der ENF annähert.
Explizit
öffentlich
ausgeschlossen hat eine Zusammenarbeit mit Marine Le Pen zuletzt
jedenfalls keiner der verbliebenen AfD-Spitzenpolitiker.
Sobald
Marcus
Pretzell von der europapolitischen
Bühne verschwunden ist,
könnten
Gauland und Meuthen sich deshalb
leicht für
eine erneute
Zusammenarbeit mit dem Rechtsaußen-Bündnis entscheiden.
Die
PiS als Partner?
Es
gibt allerdings auch noch eine andere Möglichkeit: nämlich eine Rückkehr
in die EKR-Fraktion. Mit dem Brexit werden schließlich auch die
britischen Tories das Europäische Parlament verlassen, und Bernd
Lucke und seine LKR werden bei der Europawahl 2019 aller Voraussicht
nach keine Mandate mehr erringen. Damit
werden in der EKR-Fraktion die wichtigsten
gemäßigten
Kräfte wegfallen. Es
ist deshalb
zu erwarten, dass sich die Fraktion unter Führung der polnischen PiS
nach 2019 radikalisiert, sodass
dann
auch
die AfD darin
wieder einen Platz finden könnte.
Wird also bald PiS-Chef Jarosław Kaczyński der wichtigste europäische Partner der AfD? Klar ist derzeit nur, dass das rechte Spektrum im europäischen
Parteiensystem weiterhin im Fluss ist – und dass die AfD ihren
endgültigen Platz darin noch nicht gefunden hat.
Bild: © European Union 2015 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
Mich persönlich würde es auch interessieren, wie sich die Zusammensetzung des Europaparlaments 2019 verändern könnte. Beispielsweise ob es weiterhin die Fraktion der Grünen/EFA geben wird und wenn nicht, in welche Fraktionen die Mitglieder wechseln könnten. Außerdem würde mich interessieren, ob möglicherweise Fidesz die Fraktion wechseln könnte. Über so einen Artikel würde ich mich sehr freuen :)
AntwortenLöschenInformationen zur Entwicklung der europäischen Parteienlandschaft gibt es auf diesem Blog in den Artikeln zu den achtwöchentlich aktualisierten Europawahl-Projektionen. Dort bin ich in der Vergangenheit auch schon auf die beiden erwähnten Fragen eingegangen: Die Aussichten der Grünen, ihren Fraktionsstatus zu erhalten, scheinen mir besser zu sein als die nackten Umfragedaten suggerieren, da die Fraktion in der Vergangenheit oft noch unabhängige Mitglieder hatte, die nur zur Europawahl kandidieren und in den regulären Umfragen nicht auftauchen (z.B. Indrek Tarand aus Estland). Was Fidesz betrifft, wird die Partei selbst kaum daran interessiert sein, die EVP zu verlassen. Die Bereitschaft der EVP, Fidesz auszuschließen, könnte aber steigen, da der Vorsprung der EVP auf die S&D wächst und die EVP deshalb weniger auf Fidesz angewiesen ist, um stärkste Fraktion zu sein. Viktor Orbán wird deshalb stärker darauf achten müssen, seine strategischen Partner innerhalb der EVP nicht zu vergrätzen.
LöschenAllerdings ist das alles sehr spekulativ. Wirkliche Klarheit über diese Fragen wird es ziemlich sicher erst nach der Wahl 2019 geben.