Ob
Finanzkrise, Klimawandel, Außenpolitik, Migration oder die Zukunft der
Demokratie: Die EU ist in so vielen Bereichen aktiv, dass es keinen Grund gibt,
vor der Europawahl auf nationale Nebenschauplätze auszuweichen. In einer Serie
werden hier die Vorschläge verglichen, die die großen europäischen Parteien in ihren Wahlprogrammen formuliert haben – die
christdemokratische EVP (Manifest/Aktionsprogramm), die sozialdemokratische
SPE, die liberale ALDE, die grüne EGP und die linke EL. (Zum Anfang der Serie.)
- Mehr erneuerbare Energien wollen alle europäischen Parteien. Allerdings werden dabei nicht alle gleich konkret.
Kaum
ein anderes Politikfeld ist so offensichtlich grenzüberschreitend
wie der Umwelt- und Klimaschutz. In den letzten Jahren fand dieses
Thema zwar in den Medien nicht ganz so viel Aufmerksamkeit wie etwa
die Eurokrise. Dennoch ist klar, dass der Kampf gegen die
Erderwärmung letztlich nur auf überstaatlicher Ebene erfolgreich
sein kann – und dass dabei die Politik der Europäischen Union eine
zentrale Rolle spielt. Entsprechend räumen auch die großen
europäischen Parteien dem Thema in ihren Wahlprogrammen einen
wichtigen Stellenwert ein: Unter allen herrscht dabei Einigkeit, dass
eine nachhaltige Energiepolitik und mehr Ressourceneffizienz zentrale
Zukunftsaufgaben sind.
Im Detail allerdings
unterscheiden sich die Argumente der Parteien durchaus. So wollen
Liberale und Christdemokraten „weniger abhängig von Importen
fossiler Brennstoffe werden“ (EVP), während die Europäische Linke
die Ökologie vor allem als „eine Angelegenheit von
Volkssouveränität und Demokratie“ betrachtet. Am ausführlichsten
aber beschäftigen sich die Grünen mit dem Thema, bei denen die
Warnung vor einem „katastrophalen
Klimawandel“
bereits nach wenigen Absätzen zum ersten Mal erscheint; insgesamt
kommt das Wort im Wahlprogramm der EGP nicht weniger als zwanzig Mal
vor.
Emissionsziele
Auch
bei den konkreten Forderungen zeigen sich diese Nuancen. So stimmen
wiederum alle Parteien überein, dass die EU ihre
Kohlenstoffemissionen weiter reduzieren muss. Nur die Grünen nennen
dabei jedoch konkrete Werte: Gegenüber den Werten von 1990 wollen
sie die Emissionen bis 2020 um 30% reduzieren (statt, wie derzeit
vorgesehen, um 20%), bis 2030 um 55%, und 2050
soll eine „komplett CO2-emissionsfreie
Wirtschaft und Gesellschaft“
erreicht sein. Hierfür soll das europäische Emissionshandelssystem
(ETS) „radikal reformiert werden“. Falls dies
scheitert, will die EGP „nationale CO2-Mindestpreise“
einführen.
Demgegenüber bleiben die
anderen Parteien deutlich allgemeiner. Auch die EL kritisiert die
schlechte Arbeitsweise des ETS, nennt aber keine Alternativen dazu.
Die ALDE hingegen ist „für ein funktionierendes
Emissionshandelssystem“ und will es „als einen Motor für
Innovationen und energieeffiziente Lösungen ausbauen“, da ein
„effektiver und gut funktionierender Kohlenstoffmarkt […] der
Schlüssel zur kostenwirksamen Verringerung von
Treibhausgasemissionen“ sei. Die SPE fordert „weitergehende
verbindliche Zielwerte für die Senkung von Treibhausgasen“, nennt
dazu aber keine Zahlen.
Erneuerbare
Energien und Energieeffizienz
Ein
ähnliches Muster zeigt sich bei der Förderung von erneuerbaren
Energien und Energieeffizienz. Auch hier sind sich alle Parteien im
Grundsatz einig: Die SPE fordert „weitergehende verbindliche
Zielwerte für […] die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien
und die Verbesserung der Energieeffizienz“; die ALDE will, „dass
sich die Mitgliedstaaten und die Europäische Union gemeinsam
bemühen, die Energieeffizienz zu erhöhen“ und „auf eine
kohlenstoffarme Energieerzeugung umzustellen“, und zwar unter
anderem durch „eine noch stärkere Nutzung erneuerbarer
Energieträger“. Auch die EVP ist für „eine Abkehr von unserer
Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen“. Erneut
sind jedoch die Grünen die Einzigen, die konkrete Zahlen nennen: Bis
2030 wollen sie den Energieverbrauch
um 40% senken; erneuerbare
Energien sollen dann 45% des Energieverbrauchs ausmachen.
Erreichen
will die EGP dies durch die Förderung grüner Technologien und ein
Ende der öffentlichen
Subventionen und Investitionen in fossile Energieträger. Rundheraus
verbieten wollen die Grünen die Schiefergasförderung; außerdem
setzen sie sich für „frackingfreie Regionen in Europa“ ein. Und
natürlich spricht sich die EGP für
„eine Abschaltung aller Nuklearkraftwerke in Europa“ aus:
Auch hierzu sollen vor allem Subventionen gekürzt werden,
insbesondere indem Kraftwerksbetreiber bei Atomunfällen künftig
voll haftbar gemacht werden sollen. Ein „besonderer Stellenwert“
kommt der EGP zufolge außerdem der „Schaffung einer europäischen
Gemeinschaft für erneuerbare Energien“ zu. (Was es damit genau auf
sich haben soll, verrät das Programm allerdings nicht. Der
interessierte Wähler muss erst selbst ein wenig im Internet suchen,
bevor er schließlich zum
Beispiel hier fündig wird.)
Ähnlich
konkrete Forderungen finden sich bei den übrigen Parteien kaum. Am
weitesten gehen noch die Liberalen, die sich ebenfalls dafür
aussprechen, „umweltschädliche
Subventionen stufenweise abzubauen, einschließlich jener für die
Erzeugung und den Verbrauch fossiler Brennstoffe“. Zugleich
unterstützt die ALDE – als einzige Partei – explizit die
Förderung der umstrittenen „Technologien zur
Kohlenstoffabscheidung
und -speicherung“. Ein
gemeinsames Ziel von EGP, ALDE und EVP ist schließlich der Ausbau
der gesamteuropäischen Stromnetze, um dadurch die Energieversorgung
effizienter und zuverlässiger zu machen. In diesem
Fall sind es ausnahmsweise die Christdemokraten, die als Einzige
konkrete Zahlen nennen: „Keine Region und kein Mitgliedstaat sollte
nach 2015 nicht an die europäischen Netze angeschlossen sein.“
Energiepreise
Dass
die Energiewende auch Geld kostet, beschäftigt vor allem die beiden
größten Parteien: Sowohl SPE als auch EVP betonen, dass trotz des
Kampfes gegen den Klimawandel die Energiepreise nicht zu sehr steigen
sollen. Dabei machen sie allerdings einen interessanten Unterschied
bei der Schwerpunktsetzung: Während die SPE „Energiearmut
bekämpfen und einen Mindestzugang zu Energie für alle garantieren“
möchte, hat die EVP eher das Wohlergehen der europäischen
Unternehmen auf dem Weltmarkt im Blick: In ihren Augen bedeuten die
hohen Energiepreise in Europa „einen wesentlichen
Wettbewerbsnachteil für die europäische Industrie und eine
zunehmende Belastung für KMU und Privathaushalte“.
Die wichtigste Lösung
ist für die EVP dabei die „Diversifizierung unserer
Energiequellen“ sowie „eine Vollendung des Binnenmarkts für
Energie […], um die Energiepreise wirksam zu senken“. Darüber
hinaus deuten die Christdemokraten allerdings auch an, dass sie aus
Sorge um das ökonomische Wohlergehen durchaus zu Abstrichen bei der
Energiewende selbst bereit sind. Insbesondere machen sie die
Übernahme ambitionierterer Klimaziele explizit von deren
wirtschaftlichem Nutzen abhängig: „Bindende,
gleichzeitig jedoch realistische Zielvorgaben auf EU-Ebene
für das Jahr 2030 könnten in denjenigen Politikbereichen
vorgeschlagen werden, in denen sie für nachweislichen Mehrwert im
Hinblick auf Anlegersicherheit und Kosteneffizienz sorgen.“
Grüne
Investitionen
Auch
die Frage, wie grüne Technologien
gefördert werden können, beantworten die Parteien unterschiedlich.
Am radikalsten ist dabei die Europäische Linke, die die
„Verwirklichung des ökologischen Wandels“ im Zusammenhang mit
ihrer Forderung nach einer „Wiederübernahme strategischer Sektoren
durch den Staat“ erwähnt.
Sozialdemokraten und Liberale haben vor allem
öffentliche Investitionen im Blick. Die SPE unterstützt „die
Einführung von Projektbonds
zur Finanzierung sinnvoller Investitionen in die Grüne Wirtschaft,
in Erneuerbare Energie und Erneuerbare Technik“, die ALDE will eine
„Verlagerung von EU-Förderungen im Rahmen von Struktur- und
Kohäsionsfonds auf Forschung und Investition in zukunftsorientierte
Branchen wie den Bereich der erneuerbaren Energie“.
Die EVP hingegen setzt
vor allem auf den privaten Sektor. Worum es ihr geht, sind „Chancen
für die Unternehmen in Europa, neue nachhaltige Technologien zu
entwickeln, die neue Arbeitsplätze schaffen, unsere Abhängigkeit
von Energieimporten senken und dazu beitragen können, eine
glaubwürdige europäische Politik im Kampf gegen den Klimawandel
umzusetzen“.
Die
Grünen schließlich präsentieren ein ganzes Bündel von Maßnahmen.
Geht es nach ihnen, sollen künftig „Ressourceneffizienz
und ökologische Innovation den Politiken und
Investitionsentscheidungen in allen wirtschaftlichen Sektoren
zugrunde liegen“. Ähnlich wie die EVP setzen sie dabei auf die
Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und streben an,
dass „Industrie und Handwerk wichtige Partner bei dieser
innovationsorientierten grünen Transformation werden“. Erreichen
wollen sie dies durch unter anderem durch „Regeln,
die Ökodesign fördern, einen verbesserten Zugang zur öffentlichen
Auftragsvergabe, klare Regeln für staatliche Unterstützung, private
Investitionen, Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen
sowie Kooperativen, bessere Finanzierung von Forschung, Entwicklung
und Bildung, Förderung des UnternehmerInnentums insbesondere auch
des SozialunternehmerInnentums, gute Beziehungen zwischen den
Tarifpartnern, Demokratie am Arbeitsplatz und die Bekämpfung der
Durchsetzung einseitiger unternehmerischer Eigeninteressen“.
Als einzige Partei setzt die EGP zudem einen Schwerpunkt auf die
europäische Verkehrspolitik, wo sie durch grenzüberschreitende
Eisenbahnverbindungen, energieeffiziente Autos sowie mehr öffentliche
Verkehrsmittel den Ressourcenverbrauch verringern will.
Umweltschutz
global
Einigkeit
zwischen EVP, SPE und EGP besteht schließlich auch darüber, dass
Umweltpolitik keine rein europäische Angelegenheit ist:
Alle drei Parteien wollen „weltweit eng mit unseren Partnern
zusammenarbeiten“ (SPE), um eine „globale Lösung für den
Klimawandel“ (EVP) zu erreichen.
Am konkretesten werden
dabei erneut die
Grünen, die sich dafür aussprechen, alle
bestehenden UN-Umweltagenturen zu einer
„Weltumweltorganisation“
zusammenzulegen. EVP und SPE hingegen scheinen den globalen
Umweltschutz eher als eine Art Wettbewerb zu sehen: In ihren Augen
soll die EU „beim Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen
sowie im Kampf gegen Umweltverschmutzung und den Klimawandel wieder
eine weltweite Führungsrolle übernehmen“ (SPE) bzw. „auf diesem
Gebiet Weltmarktführer bleiben“ (EVP).
Fazit
Bei der Klima- und
Umweltpolitik sind sich die europäischen Parteien im Grundsatz
weitgehend einig. Profilieren kann sich jedoch vor allem die EGP,
deren Wahlprogramm zu diesem Thema nicht nur etwas über diejenigen
der übrigen Parteien hinausgeht, sondern auch deutlich konkreter die
angestrebten Ziele und Mittel nennt. Ansonsten zeigt sich ein
leichter Links-Rechts-Gegensatz: Während SPE, aber auch ALDE bei der
Förderung umweltfreundlicher Technologien auf öffentliche
Investitionen setzen, hat die EVP vor allem die Zusammenarbeit mit
privaten Unternehmen im Blick – und legt auch Wert darauf, dass die
Energiewende nicht zu einem Wettbewerbsnachteil für die europäische
Industrie werden soll.
Europawahlprogramme – Übersicht
1: Warum wir vor der Europawahl eher die europäischen als die nationalen Parteiprogramme lesen sollten
2: Wirtschaft, Steuern und Soziales
3: Umwelt, Klima, Energie
4: Außenpolitik, Erweiterung, TTIP
5: Freizügigkeit, Einwanderung, Grenzschutz
6: Demokratie, Vertragsreform, Europäischer Konvent
1: Warum wir vor der Europawahl eher die europäischen als die nationalen Parteiprogramme lesen sollten
2: Wirtschaft, Steuern und Soziales
3: Umwelt, Klima, Energie
4: Außenpolitik, Erweiterung, TTIP
5: Freizügigkeit, Einwanderung, Grenzschutz
6: Demokratie, Vertragsreform, Europäischer Konvent
Bild: By Eclipse.sx (Own work) [CC-BY-SA-3.0 or GFDL], via Wikimedia Commons.
Das mit den EU Förderungen ist halt immer so ein Thema... Keiner weiß genau wo man sie bekommt und zu welchen Bedingungen. Aber grade für "grüne" Technologien und Projekte im weitesten Sinn sollte man auf jeden Fall schauen, dass Finanzierungsmöglichkeiten vorhanden sind.
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