Die
Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den
inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in
allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so
den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen
Benennungstraditionen? Heute: Die Europäische Grüne Partei. (Zum Anfang der Serie.)
Was man sich unter „grüner Politik“ vorstellen soll, hätte noch vor einem halben Jahrhundert wohl niemand in Europa verstanden. Zwar ist es schon weitaus länger üblich, politischen Richtungen bestimmte Farben zuzuordnen: Der Kommunismus und die Sozialdemokratie sind natürlich rot, die Christdemokratie je nach Land schwarz oder weiß, der Liberalismus meist gelb, manchmal auch blau. Die Farbe Grün aber spielte dabei kaum eine Rolle. Sie wurde von einigen Bauernparteien verwendet, von irischen Nationalisten und vom politischen Islam – auf gesamteuropäischer Ebene allesamt eher weniger einflussreiche Weltanschauungen.
„Grüne“ Welle der 1980er
Dann aber gewann der Umweltschutz als politisches Thema immer mehr an Bedeutung und begann die Farbe für sich in Beschlag zu nehmen. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre traten in Deutschland erstmals kommunale und regionale Wahllisten an, die sich selbst als „grün“ bezeichneten, 1980 wurde die Partei Die Grünen gegründet. In den Folgejahren wurde diese Selbstbezeichnung zum Standard unter den jungen westeuropäischen Umweltparteien: Seit 1983 gab es in Luxemburg und den Niederlanden, seit 1984 in Frankreich und Spanien, seit 1986 in Italien und Österreich, seit 1988 in Finnland und seit 1990 in Großbritannien Parteien, die das Wort „grün“ im Namen trugen.
In einigen Fällen beschlossen sogar bereits zuvor entstandene Parteien eigens ihren Namen zu ändern oder zu ergänzen, um ebenfalls an der neuen „grünen“ Mode teilzuhaben: So heißt die 1981 gegründete schwedische Miljöpartiet („Umweltpartei“) seit 1985 Mijöpartiet de gröna („Umweltpartei Die Grünen“); die irische Ecology Party („Ökologiepartei“), ebenfalls von 1981, wurde 1983 zunächst zur Green Alliance („Grüne Allianz“), 1987 zur Green Party („Grüne Partei“).
Nach dem Ende des Kalten Krieges setzte sich diese grüne Welle auch in den neuen Demokratien in Osteuropa fort: Schon 1990 entstanden die tschechische Strana Zelených (SZ, „Partei der Grünen“) und die Latvijas Zaļā Partija (LZP, „Grüne Partei Lettlands“), 2003 die polnischen Zieloni („Die Grünen“), 2005 der rumänische Partidul Verde (PV, „Grüne Partei“) – um nur einige Beispiele zu nennen.
Die EGP ist die Partei mit der höchsten Namens-Homogenität
Tatsächlich ist die 2004 gegründete Europäische Grüne Partei (EGP) heute diejenige unter den europäischen Parteien, deren nationale Mitglieder in ihrer Selbstbezeichnung die größte Homogenität aufweisen: Unter ihren gut 30 nationalen Mitgliedsparteien in EU-Staaten gibt es derzeit nur ein knappes halbes Dutzend, in deren Namen das Wort „grün“ überhaupt nicht vorkommt.
Diese starke Geschlossenheit in der Namenswahl führt einerseits natürlich zu einem hohen länderübergreifenden Wiedererkennungswert. Vierzig Jahre nach den ersten „grünen Listen“ gibt es in Europa eben kein Land mehr, in dem man nicht wüsste, für welche politische Weltanschauung diese Farbe steht. Andererseits drückt sich darin jedoch wohl auch ein gewisser Purismus der EGP selbst aus: Bei der Aufnahme neuer Mitgliedsparteien legte diese bislang offenbar größten Wert darauf, dass diese in ihrer Selbstdarstellung die gemeinsame Bezeichnung als „grün“ verwenden – und weniger darauf, ob sie damit in ihren jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten auch ankommen.
Purismus der EGP
Dieser Purismus der EGP kontrastiert dabei besonders mit der Expansionsstrategie der liberalen ALDE, die ich in einem früheren Artikel dieser Serie beschrieben habe: Um auf europäischer Ebene an Einfluss zu gewinnen, hat die ALDE vor allem in den letzten Jahren zahlreiche neue nationale Mitgliedsparteien aufgenommen, deren Namen keinerlei Beziehung zum Begriffsfeld des „Liberalismus“ aufweisen, die aber bei nationalen Wahlen Erfolge erzielten. Während die Grünen auf die ideologisch-symbolische Geschlossenheit ihrer Mitglieder setzten, betätigte sich die ALDE eher als eine Sammlungspartei, die ein breites Spektrum von weltanschaulich nur vage zusammenhängenden Positionen in sich vereinigt.
Wenigstens kurzfristig scheinen die Liberalen damit jedenfalls erfolgreicher zu sein als die Grünen; inzwischen gibt es nur noch wenige EU-Mitgliedstaaten, in denen die ALDE als politische Kraft keinerlei relevante Rolle spielt. Die EGP hingegen leidet an einem starken regionalen Ungleichgewicht: In Westeuropa, wo in den 1980ern die ersten grünen Parteien gegründet wurden, sind diese bis heute recht erfolgreich sind und waren in mehreren Ländern bereits an der Regierung beteiligt. Demgegenüber sind die grünen Parteien in den östlichen Mitgliedstaaten, die erst entstanden, als Umweltpolitik bereits zum politischen Mainstream gehörte, in der Regel eher schwach; in vielen nationalen Parlamenten sind sie überhaupt nicht vertreten.
Und tatsächlich scheinen auch die Grünen selbst ihre puristische Strategie inzwischen etwas weniger strikt zu verfolgen: Unter den fünf nationalen Parteien, die seit 2010 (als Vollmitglieder oder Kandidaten) neu in die EGP aufgenommen wurden, verwendet jedenfalls nur noch eine einzige, die bulgarischen Zelenite („Die Grünen“), den bis dahin quasi-kanonischen Namen.
„Umwelt“, „Ökologie“, „Nachhaltigkeit“
Doch auch bei den Grünen, die sich selbst nicht oder nicht nur als „grün“ bezeichnen, dominiert bei der Namenswahl oft das Selbstverständnis als Umweltpartei – am offensichtlichsten im Fall der schon erwähnten schwedischen Miljöpartiet de gröna (MP, „Umweltpartei Die Grünen“).
Recht oft findet sich zudem der Begriff „Ökologie“: etwa bei den griechischen Ikologi Prasini (IP, „Ökologen Grüne“), dem portugiesischen Partido Ecologista Os Verdes (PEV, „Ökologische Partei Die Grünen“) oder auch den belgischen Écologistes confédérés pour l’organisation de luttes originales („Konföderierte Ökologen zur Organisation originaler Kämpfe“, deren umständlicher Name nur als Rechtfertigung für das schöne Akronym ECOLO dient).
Bei der jüngsten EGP-Mitgliedspartei wiederum lässt sich sehen, wie sich der umweltpolitische Diskurs in Europa im Lauf der Zeit weiterentwickelt hat und neue Schlagwörter entstehen ließ: Die erst 2013 gegründeten kroatischen Grünen heißen Održivi Razvoj Hrvatske (ORaH): „Nachhaltige Entwicklung Kroatiens“.
„Alternative“
Unter den wenigen weiteren politischen Schlüsselbegriffen jenseits des Wortfelds „Umwelt“, auf die die EGP-Mitglieder in ihrer Namenswahl zurückgreifen, ist das wichtigste die „Alternative“. Tatsächlich nutzten bereits in den 1970er Jahren viele der Gruppierungen, aus denen später die grünen Parteien entstanden, diese Selbstbezeichnung – etwa die „alternativen Listen“ in verschiedenen deutschen Bundesländern.
Heute findet sich das Schlüsselwort noch im Namen der österreichischen Die Grünen – Die Grüne Alternative sowie der maltesischen Alternattiva Demokratika (AD, „Demokratische Alternative“); aber auch die erst 2009 gegründete ungarische EGP-Mitgliedspartei Lehet Más a Politika (LMP, „Politik kann anders sein“) greift sinngemäß darauf zurück. Die 1981 gegründete belgische Partei Anders Gaan Leven (Agalev, „Anders leben“) hingegen benannte sich 2003 in Groen („Grün“) um.
Letztlich, so scheint es, befindet sich die „Alternative“ als Selbstbezeichnung unter den grünen Parteien eher auf dem Rückzug – was auch damit zu tun haben könnte, dass dieses Schlüsselwort in den letzten Jahren auch von einigen rechtskonservativen Parteien übernommen wurde: etwa von der Alternative für Deutschland oder dem luxemburgischen AEKR-Mitglied Alternativ Demokratesch Reformpartei (ADR, „Alternative Demokratische Reformpartei“).
„Grün-links“
Die EGP hingegen verortet sich eher im linken Teil des politischen Spektrums, was einige ihrer nationalen Mitgliedsparteien auch in ihrem Namen deutlich machen. So bezeichnen sich das größere der beiden niederländischen und das kleinere der beiden ungarischen EGP-Mitglieder jeweils als „grün-links“ (GroenLinks bzw. Zöld Baloldal).
Und auch in der Bezeichnung der spanischen EGP-Mitgliedspartei klingen linke Positionen an: Diese wählte als ihren Namen das Kunstwort Equo, das für sich allein keine Bedeutung hat (und überdies gegen die spanischen Rechtschreibregeln verstößt, wo ein qu vor einem o eigentlich nicht vorkommen kann). Der Name, der von dem Dichter Fernando Beltrán erfunden wurde, soll aber die Verbindung der beiden zentralen Werte der Partei zum Ausdruck bringen: ecología und equidad social, „Ökologie“ und „soziale Gerechtigkeit“.
Das typisch dänische Kuriosum
Und schließlich gibt es noch das typische Kuriosum aus Dänemark: Wie in früheren Folgen dieser Serie bereits beschrieben, bezeichnen sich die dortigen Liberalen aus historischen Gründen als Venstre („Linke“), sodass dieser Begriff für das dänische Mitglied der Europäischen Linkspartei nicht mehr zur Verfügung stand. Stattdessen nennt dieses sich Enhedslisten – de rød-grønne („Einheitsliste – die Rot-Grünen“) und verwendet damit die eigentlich von der EGP besetzte Farbe.
Die dänischen Grünen wiederum tragen einen Namen, an dem die Mitgliedschaft in der EGP beim besten Willen nicht zu erkennen ist: Socialistisk Folkeparti (SF, „Sozialistische Volkspartei“). Auch diese Bezeichnung hat historische Gründe. Tatsächlich ist die SF das einzige EGP-Mitglied, das älter ist als die moderne Umweltbewegung; sie entstand bereits 1959 als reformerisch-demokratische Abspaltung von der Sowjetunion-treuen dänischen Kommunistischen Partei. Erst später übernahm die SF auch umweltpolitische Ziele, 2014 trat sie der EGP als bislang jüngstes Vollmitglied bei.
„Europa“
Interessant ist schließlich auch das Verhältnis der EGP zur europäischen Integration: Nachdem viele der grünen Bewegungen in ihren Anfangsjahren eher europaskeptisch waren, versteht sich die EGP heute als besonders integrationsfreundliche Partei. Zwei ihrer nationalen Mitgliedsparteien tragen dieses Bekenntnis zu Europa sogar im Namen: nämlich die französische Europe Écologie – Les Verts (EELV, „Europa Ökologie – Die Grünen“) und die kleine slowenische Stranka Mladih – Zeleni Evrope (SMS, „Partei der Jugend – Europäische Grüne“).
Ganz regionalistisch gibt sich hingegen das katalanische EGP-Mitglied, das sich Iniciativa per Catalunya Verds (ICV, „Initiative für Katalonien Grüne“) nennt. Allerdings ist das nichts, was besonders typisch für die Grünen allgemein wäre: In fast allen europäischen Parteien gibt es einzelne Mitglieder, die nur eine bestimmte Region oder ethnische Minderheit vertreten wollen – etwa die Südtiroler Volkspartei in der christdemokratischen EVP oder die Istarski Demokratski Sabor („Istrische Demokratische Versammlung“) in der liberalen ALDE.
Darüber hinaus gibt es auf europäischer Ebene allerdings auch eine Partei, die sich explizit die Repräsentation von regionalistischen und Minderheiteninteressen zum Ziel gesetzt hat: die Europäische Freie Allianz (EFA), die im Europäischen Parlament zusammen mit der EGP eine Fraktionsgemeinschaft bildet. Um sie soll es in der nächsten Folge dieser Serie gehen.
Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
Bild: By The Green Party of Ireland Comhaontas Glas [CC BY-ND 2.0], via Flickr.
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