- Grenzkontrollen, die eigentlich nur vorübergehend sein sollten, sind im Schengen-Raum zur Normalität geworden. Die Folge sind hohe materielle und politische Kosten bei unklarem Nutzen.
Schengen sollte in festlicher Stimmung sein: Im Juni 2025 feierte die kleine Stadt in Luxemburg den 40. Jahrestag des Übereinkommens, das nach ihr benannt ist. Zusammen mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen, das fünf Jahre später unterzeichnet wurde, bildete es 1995 die Grundlage für die Abschaffung von Grenzkontrollen zwischen den Schengen-Mitgliedstaaten. Inzwischen ist eine ganze Generation ohne Kontrollen an Schengen-internen Grenzübergängen aufgewachsen. Der Schengen-Raum hat die grenzüberschreitende Arbeitsmobilität und Warenaustausch erleichtert und so den Handel im Binnenmarkt gefördert. Die Abwesenheit von Grenzkontrollen ist ein symbolischer und physischer Ausdruck der Freizügigkeit der Unionsbürger:innen, die diese hoch zu schätzen wissen.
Die Rückkehr der Grenzkontrollen
Doch diese Errungenschaften sind keine Selbstverständlichkeit. Der Schengener Grenzkodex erlaubt (in seinem Titel III) den Mitgliedstaaten die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen als letztes Mittel in Fällen einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit. Seit 2015 haben die Mitgliedstaaten diese Option immer häufiger genutzt. Österreich, Dänemark, Schweden, Norwegen, Frankreich und Deutschland haben seitdem bestimmte Teile ihrer Grenzen aus unterschiedlichen Gründen durchgehend kontrolliert, was den „vorübergehenden“ Charakter der Kontrollen in Frage stellt. Zu den Begründungen für diese Maßnahmen zählten größere politische oder sportliche Veranstaltungen, die COVID-19-Pandemie, terroristische und andere Sicherheitsbedrohungen und/oder Migration (insbesondere Asylbewerber:innen, die aus ihren Ankunfts-Mitgliedstaat weiterziehen – sogenannte „sekundäre Migrationsbewegungen“).
Mit Stand Ende Juni 2025 haben elf Mitgliedstaaten – die sechs genannten sowie die Niederlande, Slowenien, Spanien, Italien und Bulgarien – der Kommission mitgeteilt, dass sie aktuell Grenzkontrollen durchführen, hauptsächlich aus Sicherheitsgründen und/oder wegen Migration. Mitgliedstaaten stellen Migration dabei regelmäßig als direktes Sicherheits- und Terrorismusrisiko dar, auch wenn der Forschungsstand zeigt, dass soziale und lokale Umstände Kriminalität und Terrorismus treiben, nicht die Herkunft.
Keine effiziente Maßnahme
Tatsächlich sind Grenzkontrollen keine besonders effektive Antiterrormaßnahme. Und auch für die nachhaltige Begrenzung irregulärer Migration sind sie keine Garantie: Kontrollen können zwar kurzfristig zu mehr Aufgriffen und Zurückweisungen führen, aber Migrant:innen – und Schlepper:innen – passen sich mittelfristig oft an und wechseln auf andere Routen.
Es ist deshalb fragwürdig, ob interne Grenzkontrollen eine effiziente Maßnahme sind, um irreguläre Migration und Sicherheitsbedrohungen nachhaltig zu bearbeiten. Gleichzeitig können sie die Errungenschaften des Schengenraums unterminieren: Grenzkontrollen wirken sich negativ auf den Binnenmarkt aus, da sie die Wartezeiten für Waren und Pendler:innen an den Grenzen verlängern, sie schränken die Freizügigkeit der Unionsbürger:innen ein, und auch wenn einige Beobachter:innen eine Art „kooperatives Re-bordering“ unter den EU-Mitgliedstaaten zu erkennen meinen, argumentieren andere, dass dadurch das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten geschwächt wird.
Die Kommission hält sich zurück
Mit Blick auf diese „temporären“ Grenzkontrollen haben sowohl Wissenschaftler:innen als auch andere EU-Institutionen, wie das Europäische Parlament, die Kommission dafür kritisiert, dass sie ihre Rolle als Hüterin der Verträge nicht gerecht werde.
Angesichts der schwierigen politischen Verhandlungen über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) schlug die Kommission einen sanften Kurs ein und kam den Mitgliedstaaten entgegen, etwa indem sie einen Reformvorschlag für den Schengener Grenzkodex vorlegte, der die Maximaldauer für temporäre Grenzkontrollen unter bestimmten Bedingungen von sechs Monaten auf drei Jahre verlängert hat. Insgesamt scheint es, dass ein gewisses Ausmaß von scheinbar „vorübergehenden“ Grenzkontrollen im eigentlich grenzfreien Schengenraum inzwischen akzeptiert ist.
Vom Vorreiter zum Bremser? Deutschland in Schengen
Deutschland ist einer der fünf Erstunterzeichnerstaaten des Schengener Übereinkommens, zusammen mit Frankreich und den drei Benelux-Ländern (wobei Letztere die Grenzkontrollen untereinander bereits ab 1960 abgeschafft hatten). Mit diesen Partnern setzte sich Deutschland politisch für den grenzfreien Schengenraum ein, der erst mit dem 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam ins EU-Primärrecht integriert wurde.
Heute hingegen ist Deutschland mit seinen seit 2015 andauernden Kontrollen an der österreichischen Grenze unter den Spitzenreitern hinsichtlich der Länge der internen Grenzkontrollen. Als sie eingeführt wurden, wurden „Sekundärbewegungen“ von Asylbewerber:innen als Hauptgrund genannt. Zehn Jahre später dominieren diese noch immer die deutsche Debatte. Deutschland ist das Hauptzielland dieser Art von Migration.
Hitzige Debatte über Grenzkontrollen
Im letzten Jahr hat sich diese deutsche Debatte über Grenzkontrollen aufgeheizt. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht, die „Integrität des Schengenraums […] wiederher[zu]stellen“, hat die 2021 ins Amt gewählte Ampelkoalition wiederholt existierende Kontrollen verlängert und im Oktober 2023 neue Kontrollen an der Grenze zu Polen, Tschechien und der Schweiz eingeführt. Während der Fußball-Europameisterschaft 2024 fanden an allen deutschen Grenzen Kontrollen statt, ein klassischer Fall tatsächlich vorübergehender Kontrollen.
Nach einem tödlichen Messerangriff durch einen syrischen Staatsangehörigen, der nach den Dublin-Regeln nach Bulgarien hätte zurückgeführt werden sollen, führte die damalige Innenministerin Nancy Faeser (SPD/SPE) diese Kontrollen im September 2024 erneut ein. Nach einer Reihe weiterer tödlicher Terroranschläge und inmitten eines intensiven Wahlkampfs über das Thema Migration verlängerte sie sie bis September 2025.
Anfang 2025 brachten CDU und CSU (beide EVP) während dieses Wahlkampfs einen Entschließungsantrag zur Migration in den Deutschen Bundestag ein, der nur dank der Unterstützung der rechtsextremen AfD (ESN) verabschiedet wurde und deshalb außerordentlich umstritten war. Zu den Forderungen des rechtlich nicht verbindlichen Fünf-Punkte-Plans gehörten dauerhafte – nicht nur vorübergehende – Kontrollen sowie die Zurückweisung von Asylbewerber:innen an allen deutschen Grenzen. Letzteres hatte bereits der frühere Innenminister Horst Seehofer (CSU/EVP) 2018 gefordert. Damals wurde die Idee jedoch aufgrund von Konflikten mit europäischem Recht, insbesondere der Dublin-Verordnung, fallen gelassen.
Rechtliche Grenzgänge der neuen Bundesregierung
Der Koalitionsvertrag zwischen SPD (SPE) und CDU/CSU (EVP) sieht Kontrollen an allen deutschen Grenzen „bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz und der Erfüllung der bestehenden Dublin- und GEAS-Regelungen durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ zu einem unbestimmten Punkt in der Zukunft vor. Außerdem sollen „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ Asylbewerber:innen bereits an der Grenze zurückgewiesen werden. Der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU/EVP) hat an seinem ersten Tag im Amt die existierenden Grenzkontrollen intensiviert und Polizeibeamte beauftragt, nicht-vulnerablen Asylbewerber:innen die Einreise zu verwehren. Eine Woche später bezeichnete er die Maßnahme als erfolgreich und verwies auf 739 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen im Vergleich zu 511 in der Woche vor seinem Amtsantritt. Zwischen dem 8. Mai und 4. Juni wurden insgesamt 160 Asylbewerber:innen an den Grenzen zurückgewiesen.
Die meisten Rechtsexpert:innen halten diese Zurückweisungen für europarechtswidrig, da Deutschland verpflichtet sei, Asylbewerber:innen einreisen zu lassen, um zu ermitteln, welcher Mitgliedstaaten im Rahmen der Dublin-Regelungen für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Das Argument der Regierung, dass der Druck auf die Gemeinden und die außerordentlich hohe Anzahl an Asylbewerber:innen ihre Maßnahme gemäß Art. 72 AEUV rechtfertige, der es Mitgliedstaaten gestattet, in Ausnahmesituationen vom EU-Recht abzuweichen, wurde in einem ersten Rechtsverfahren zu dem Thema vom Verwaltungsgericht Berlin zurückgewiesen.
Zudem gehen viele Rechtsexpert:innen davon aus, dass auch die Grenzkontrollen an sich gegen Europarecht verstoßen. Tatsächlich wurden auch hierzu einige Gerichtsverfahren eingeleitet und andere mit dem Argument gewonnen, dass sie die Freizügigkeit der Unionsbürger:innen unverhältnismäßig einschränken.
Politische Kritik – aber noch immer hohe Zustimmung in Umfragen
Politisch haben Polizeivertreter:innen darauf hingewiesen, dass die Kontrollen zu einem erhöhten Arbeitsaufwand führen, der nicht langfristig aufrechterhalten werden könne. Zudem führen die Grenzkontrollen zu vermehrten Berichte über diskriminierendes Racial Profiling.
Auch die Koordinierung mit den Nachbarstaaten zur Zurückführung von Asylbewerber:innen scheint nicht reibungslos zu funktionieren, auch wenn unter deren Regierungen viele eine restriktivere Migrationspolitik unterstützen. Auf der einen Seite hat Österreich zunächst ambivalente Signale geschickt, sucht nun aber wie Frankreich den Schulterschluss mit der deutschen Regierung. Auf der anderen Seite hat Luxemburg der Kommission ein förmliches Beschwerdeschreiben geschickt, Polen hat zurückgewiesene Asylbewerber:innen nicht akzeptiert und erwägt, ebenfalls Kontrollen einzuführen. Belgien führt ebenfalls Grenzkontrollen ein, und die Schweiz hat mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht.
Innerhalb der deutschen Öffentlichkeit ist die Zustimmung zu Grenzkontrollen und zur Zurückweisung von Asylbewerber:innen fast ebenso hoch wie die Wertschätzung der europäischen Freizügigkeit. Während in einer Umfrage von Mai 2025 nur die Hälfte der Befragten die Kontrollen für eine effektive Abschreckung von Asylbewerber:innen hielten, waren in einer anderen Umfrage rund zwei Drittel dafür, die Zurückweisungen fortzusetzen, obwohl ein Gericht sie für rechtswidrig befunden hatte. Insgesamt scheint sich Deutschland von einem Verfechter eines Raums ohne Binnengrenzen zu einem von mehreren Mitgliedstaaten entwickelt zu haben, die die Grenzen in diesem Raum wieder aufbauen.
Empfehlungen für die neue deutsche Regierung
Dem ungewissen Nutzen der deutschen Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylbewerber:innen stehen hohe materielle und politische Kosten gegenüber. Die Maßnahmen verstoßen womöglich gegen europäisches Recht, da sie Unionsbürger:innen und Asylbewerber:innen Rechte vorenthalten, und sie unterminieren das wechselseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die neue deutsche Bundesregierung sollte deshalb die Zurückweisungen an den Grenzen stoppen, die Grenzkontrollen abbauen, und stattdessen:
- die Effekte von Grenzkontrollen objektiv bewerten. Der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass Grenzkontrollen eine einfache Lösung für irreguläre Migration seien, etwa durch Verweis auf die absolute Zahl an Zurückweisungen oder auf den Rückgang an Asylanträgen im Jahr 2024, is faktisch irreführend. Tatsächlich sank beispielsweise die Zahl der Asylanträge 2024 in Europa allgemein. Eine solche Rhetorik kann nach hinten losgehen, wenn Versprechen nicht erfüllt werden. Stattdessen sollte die Regierung mit Wissenschaftler:innen zusammenarbeiten, um die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen von Grenzkontrollen objektiv zu evaluieren, und die Ergebnisse klar kommunizieren.
- die GEAS-Reform umsetzen und dabei das individuelle Asylrecht aufrechterhalten. Der Fokus der Regierungen sollte auf der Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) liegen. Insbesondere sind diplomatische Anstrengungen nötig, um die Solidaritätskomponente der Reform zu verwirklichen, die die Überlastung der Asylaufnahmesystem bestimmter Mitgliedstaaten reduzieren könnte. Statt Asylbewerber:innen an der Grenze zurückzuweisen und einen Domino-Effekt in anderen Mitgliedstaaten zu riskieren, der letztlich zu noch mehr rechtswidrigen Pushbacks an den EU-Außengrenzen führen könnte, sollten die Koalitionsparteien sicherstellen, dass bei der Umsetzung des GEAS Verfahrensgarantien und Kontrollmechanismen eingehalten werden.
- mit den europäischen Nachbarländern bei der Prüfung alternativer Maßnahmen zusammenarbeiten. Mehrere Kommissionsinitiativen und die Änderungen am Schengen-Kodex von 2024 haben die Mitgliedstaaten aufgefordert, statt Grenzkontrollen alternative Maßnahmen zu nutzen. Dazu gehören etwa die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit, Polizeikontrollen im Grenzbereich oder ein neues Überstellungsverfahren für Menschen ohne Einreiseerlaubnis oder Asylantrag. All diese Maßnahmen werden ihrerseits kritisiert. Doch sie richten womöglich weniger Schaden an als Grenzkontrollen, sind ein intelligenterer Weg, um Sicherheitsbedrohungen zu begegnen, und wurden noch nicht vollständig ausgeschöpft. Außerdem sind sie ein Weg zu einer tatsächlichen Zusammenarbeit mit den Regierungen der Nachbarländer und innerhalb der Grenzregionen, der nicht das Risiko birgt, das wechselseitige Vertrauen zu untergraben.
Leider scheint die neue deutsche Bundesregierung jedoch entschlossen, die Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern auf absehbare Zukunft aufrechtzuerhalten, wahrscheinlich auch jenseits des derzeitigen Endtermins im September 2025. Dies ist kein angemessenes Geschenk zu Schengens 40. Geburtstag. Hoffen wir, dass es mehr zu feiern gibt, wenn Schengen in zehn Jahren 50 wird.
Johanna Hase ist wissenschaftliche Referentin der Geschäftsführung am Institut für Europäische Politik (IEP) in Berlin. |

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch in der Berlin-Perspectives-Reihe des Instituts für Europäische Politik (IEP). Für die hier veröffentlichte deutsche Fassung wurde er aktualisiert und geringfügig erweitert.
Bilder: Verkehrskegel: Andres Nuñez [Unsplash License], via Unsplash; Porträt Johanna Hase: Institut für Europäische Politik [alle Rechte vorbehalten].
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