Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die
europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der
Bundestagsparteien – CDU/CSU
(EVP), SPD
(SPE), FDP
(ALDE), Grüne
(EGP) und Linke
(EL). Heute: Außenbeziehungen. (Zum
Anfang der Serie.)
Außenbeziehungen der EU
- Dass an diesem Brunnen in Togo statt der Flagge eines europäischen Einzelstaats die zwölf gelben Sterne der EU aufgemalt sind, finden nicht alle Entwicklungspolitiker gut.
In der letzten
Folge dieser Serie ging es um die Institutionen der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik der EU: den Europäischen Auswärtigen
Dienst, die Europäische Verteidigungsagentur und die (wenn es nach
der Mehrzahl der deutschen Parteien geht) künftige Europa-Armee.
Aber natürlich beschränken sich die außenpolitischen Aktivitäten
nicht auf Diplomatie und Militäreinsätze. Auch in der
Entwicklungszusammenarbeit spielt die Europäische Union seit jeher
eine wichtige Rolle, und mit den USA verhandelt sie seit einigen
Monaten über ein neues transatlantisches Freihandelsabkommen.
Außerdem äußern sich die Bundestagsparteien in ihren
Wahlprogrammen zu einer Reihe von einzelnen außenpolitischen
Standpunkten, die von der „Zentralasien-Strategie“ bis zu den
Sanktionen gegen Weißrussland reichen. Was sie dazu zu sagen haben,
soll Thema der heutigen Folge sein.
Bilaterale
und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit
Die
Rolle der Europäischen Union in der Entwicklungszusammenarbeit geht
bis auf die Römischen Verträge von 1957 zurück. War es damals noch
die Idee, die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Kolonien der
Mitgliedstaaten zu pflegen, die sich gerade im Unabhängigkeitsprozess
befanden, so ist sie heute global aktiv und hat „die
Bekämpfung und auf längere Sicht die Beseitigung der Armut“ zum
Ziel (Art. 208
AEUV). Recht offen ist dabei allerdings das Verhältnis zwischen
den entwicklungspolitischen Aktivitäten der EU und denen ihrer
einzelnen Mitgliedstaaten: Laut Vertrag sollen sie einander „ergänzen
und verstärken“, was natürlich jede Menge Ausgestaltungsspielraum
lässt.
In
der Praxis nimmt die EU heute eine Mittelrolle zwischen der
klassischen bilateralen Entwicklungshilfe einerseits und der
multilateralen Zusammenarbeit andererseits ein. Ein häufiges Problem
in der globalen Entwicklungspolitik ist die Vielzahl von
Mittelgebern, die alle nur relativ wenig Geld zu verteilen haben und
dafür jeweils ihre eigenen Bedingungen stellen – was für die
Empfängerländer einen größeren Verwaltungsaufwand bedeutet und
die Entwicklung einer kohärenten Gesamtstrategie erschwert. Häufig
ist die multilaterale Zusammenarbeit unter der Verantwortung der
Vereinten Nationen oder der Weltbank deshalb effizienter als eine
rein bilaterale Entwicklungspolitik. Letztere ist allerdings bei den
Geberstaaten oft populärer, da sie die internationale Sichtbarkeit
des eigenen Landes erhöht und manchmal auch zu anderen
außenpolitischen Zielen „mitgenutzt“ werden kann.
Europäischer
Entwicklungsfonds
Die
Tätigkeiten der EU zeigen Merkmale beider Arten von
Entwicklungszusammenarbeit: Zum einen koordiniert sie die nationalen
entwicklungspolitischen Aktivitäten ihrer Mitgliedstaaten; zum anderen unterhält sie mit dem Europäischen
Entwicklungsfonds (EEF) auch ein eigenes Hilfsinstrument, das jährlich derzeit
rund 3,5 Milliarden Euro verteilt. Bemerkenswerterweise gehört
dieser Fonds allerdings bis heute nicht zum regulären EU-Haushalt.
Stattdessen wird er (sehr
zum Ärger der Europäischen Kommission)
aus Beiträgen finanziert, die die Mitgliedstaaten nach eigenem
Ermessen festsetzen – und ist zugleich der einzige
EU-Ausgabenposten, über den das Europäische Parlament keine
Kontrolle hat.
Blickt
man zurück auf die letzten Jahre, so zeigte sich in der
Entwicklungspolitik der europäischen Staaten eine Tendenz in
Richtung von weniger Multilateralismus. So hatte sich die derzeitige
deutsche Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2009 explizit zum Ziel gesetzt, dass die bilateralen Leistungen
künftig zwei Drittel des Gesamtbudgets der deutschen
Entwicklungshilfe umfassen sollten. Infolgedessen ging
der Anteil der Mittel, die Deutschland für die multilaterale und
europäische Entwicklungspolitik zur Verfügung stellt, seit 2009 von
über 40 Prozent auf rund 33 Prozent des gesamten deutschen
Entwicklungshilfe-Etats zurück. Und im vergangenen Februar beschloss
der EU-Ministerrat, das Budget
des Europäischen Entwicklungsfonds im Zeitraum 2014-2020
einzufrieren, obwohl die Kommission zuvor eine deutliche
Erhöhung der Mittel vorgeschlagen hatte.
Die
Forderungen der Parteien
Vor
der Bundestagswahl sprechen sich vor allem die Oppositionsparteien in
ihren Wahlprogrammen dafür aus, diese Tendenz zu mehr
Einzelstaatlichkeit in der Entwicklungspolitik zu stoppen. So fordern
die Grünen eine „deutliche Stärkung der
multilateralen Zusammenarbeit, um mit der EU und den VN mehr Wirkung
für Entwicklung zu erzielen“ und sprechen sich dafür aus, die von
der jetzigen Bundesregierung eingeführte „1/3:2/3-Quote“
aufzuheben. Und auch die SPD ist der Meinung, dass die EU
„[b]esonders in der Entwicklungspolitik […] noch
deutlicher als bisher einen integrierten gemeinsamen Ansatz
verfolgen“ muss.
Zurückhaltender
sind hingegen die Regierungsparteien. So will die CDU/CSU in der
Entwicklungszusammenarbeit die „Arbeitsteilung
zwischen den Mitgliedstaaten und mit der EU-Kommission weiter
verbessern“. Dabei soll die EU „da tätig werden, wo
gesamteuropäisches Handeln Vorteile bietet“: Mehr als ein
Gemeinplatz ist das nicht. Etwas widersprüchlich ist schließlich
die FDP. Auch diese will die EU „in ihrer
Rolle der Geberkoordinierung“ stärken und fordert zudem als
einzige Partei ausdrücklich, den Europäischen Entwicklungsfonds in
den regulären EU-Haushalt zu integrieren, „um die fehlende
parlamentarische Kontrolle herzustellen“. Zugleich spricht sich die
FDP aber auch gegen eine „Vergemeinschaftung der
Entwicklungspolitik“ aus – und verlangt damit, dass letztlich
doch die nationalen Regierungen in diesem Bereich das letzte Wort
behalten.
Budgethilfe
und andere entwicklungspolitische Maßnahmen
Neben
der Frage, wie weit die EU sich überhaupt entwicklungspolitisch
engagieren soll, ist auch das Ausmaß umstritten, in dem die
europäischen Hilfsleistungen an bestimmte politische Bedingungen – etwa politische und
wirtschaftliche Reformen in den Entwicklungsländern – geknüpft
sein sollen. So spricht sich die FDP für eine „Reform
der allgemeinen Budgethilfe“ aus und will die „Kriterien
für Budgethilfe weiter verschärfen, um eine blinde Subventionierung
von korrupten Regierungen zu verhindern“. Die Linke hingegen
kritisiert genau diese Kriterien. In ihren Augen ist die „deutsche
und europäische ‚Entwicklungshilfe‘ […] oftmals an
erpresserische Strukturreformen geknüpft und untergräbt somit
eigenständige Entwicklung“. Sie fordert
deshalb Abkommen, „die tatsächlich eine Entwicklung ermöglichen
und fördern, und zwar durch „gerechten, solidarischen Handel,
kulturellen Austausch und technologische und wissenschaftliche
Zusammenarbeit“ sowie einen „ehrlichen und solidarischen
Wissenstransfer“.
Allerdings
umfasst Entwicklungspolitik nicht nur finanzielle Hilfen, sondern
auch handels-, umwelt- oder rechtspolitische Unterstützung. Hierzu haben vor allem die Grünen einen
ganzen Strauß an Einzelvorschlägen: Wenn es nach ihnen geht, soll
die EU Produkten aus
Entwicklungsländern einen „diskriminierungsfreien Zugang zum
europäischen Markt“ gewähren. Außerdem sollen „Opfer
von schweren Menschenrechtsverletzungen, die [in Drittstaaten] von
[…] europäischen Unternehmen verursacht wurden“, in der EU eine
Klagemöglichkeit bekommen, wobei die europäischen Mutterkonzerne
für ihre Töchter in den Drittstaaten haften sollen. Des Weiteren sind die
Grünen dafür, die „EU-Fischereiabkommen
auf ökologische und soziale Auswirkungen zu überprüfen und neu zu
verhandeln“ und wollen europäische „Fischereiaktivitäten vor
den Küsten von Entwicklungsländern stark einschränken“. Und
schließlich sollen in allen Investitions- und Handelsabkommen der EU
mit Drittländern „umfassende Transparenz,
verpflichtende menschenrechtliche, soziale und ökologische
Folgeabschätzungen […], verbindliche […] Menschenrechts-
und Umweltklauseln, die Anerkennung von Schutzinteressen schwächerer
Länder, die Förderung lokalen und regionalen Handels und der Ausbau
der Wertschöpfung in den Entwicklungsländern“ sichergestellt
werden.
Transatlantische
Freihandelszone
Nun
schließt die EU solche Handelsverträge freilich nicht nur mit
Entwicklungsländern ab: Zu den großen außenwirtschaftspolitischen
Themen der nächsten Jahre zählt zweifellos auch das transatlantische
Freihandelsabkommen mit den USA, für das die Verhandlungen
vor einem halben Jahr offiziell beschlossen wurden. Obwohl noch
nicht ganz klar ist, welche
Bedeutung dieses Projekt am Ende haben wird, widmen ihm fast alle
Bundestagsparteien einige Worte in ihren Wahlprogrammen.
Besonders
enthusiastisch ist dabei die FDP. Aus ihrer Sicht ist die
transatlantische Freihandelszone geeignet, „um gemeinsame
Wohlstandsgewinne zu erreichen und um weltweit deutlich zu machen,
dass die beiden globalen Zentren demokratischer Marktwirtschaft eng
kooperieren“. CDU/CSU und SPD begrüßen die Verhandlungen mit den
USA ebenfalls, sind dabei jedoch etwas zurückhaltender: Die
Christdemokraten wollen „darauf
achten, dass die Stärken unserer Unternehmen und Märkte erhalten
bleiben“; die Sozialdemokraten verlangen, dass in dem Abkommen „die
jeweils fortschrittlichsten Regeln hinsichtlich ökonomischer,
sozialer und ökologischer Standards, der Regulierung der
Finanzmärkte und deren Transparenz zugrunde gelegt werden“.
(Außerdem forderte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nach der
Veröffentlichung des Wahlprogramms als
Reaktion auf den NSA-Skandal eine Unterbrechung der Verhandlungen
über die Freihandelszone.)
Die
Linke hingegen erwartet von der „neuerdings
vielfach geforderten Freihandelszone zwischen der EU und den USA […]
keine positive Entwicklung“. Stattdessen fürchtet sie „verschärfte
Konkurrenz zwischen den jeweiligen Großunternehmen“, eine
„unbeschränkte Einfuhr gentechnisch behandelter Produkte“, die
„völkerrechtliche Zementierung von Niedrigstandards“ bei
Finanzdienstleistungen und „dass die Daseinsvorsorge
uneingeschränkt Gegenstand ungeregelter Weltmarktkonkurrenz wird“.
Sonstige
Länder und Regionen
Außer
diesen Themen, die alle Parteien beschäftigen, finden sich in den
Wahlprogrammen oft noch weitere spezifische Vorschlägen, die jeweils
die EU-Politik gegenüber einzelnen anderen Ländern oder Regionen
betreffen. So will die SPD „die Asienpolitik
der Europäischen Union auf eine breitere Grundlage als bisher
stellen und in den letzten Jahren vernachlässigte Ansätze wie die
EU-Zentralasienstrategie revitalisieren“. Den Grünen liegt daran,
dass der „Staat
Palästina […] zeitnah von Europa anerkannt und als Vollmitglied in
die VN aufgenommen“ wird. Außerdem wollen sie die Europäische
Nachbarschaftspolitik mit den Staaten in Nordafrika und Osteuropa
ausweiten und setzen dabei auf „Erleichterungen bei der
Visavergabe, dem Marktzugang und der Arbeitsmigration“ und auf mehr
„Austausch in den Bereichen Bildung, Sport und Kultur“.
Die
FDP wiederum blickt auf Weißrussland und fordert eine „europäisch
abgestimmte Sanktionspolitik gegenüber dem
Lukaschenko-Regime und verstärkte Zusammenarbeit mit der
Zivilgesellschaft“. Die Linke schließlich verlangt die
„bedingungslose
Aufhebung des ‚Gemeinsamen
Standpunktes‘ der EU gegenüber Kuba“, in dem die EU die Demokratisierung des
Landes zur Bedingung für eine Intensivierung der Zusammenarbeit macht. Tatsächlich setzt sich im Ministerrat vor allem die spanische
Regierung schon seit einigen Jahren für eine Überarbeitung dieses
Gemeinsamen Standpunkts ein, was bislang nicht
zuletzt an Deutschland gescheitert ist.
Fazit
Nachdem
die Bundesregierung in den letzten Jahren die deutschen Finanzmittel
für die multilaterale Entwicklungshilfe deutlich reduziert hat,
setzen sich nun vor allem SPD und Grüne für eine Stärkung der
europäischen Entwicklungspolitik ein. CDU/CSU und FDP wünschen von
der EU hingegen nur eine bessere Koordinierung. Immerhin ist die FDP
aber bereit, dem Europäischen Parlament das seit langem geforderte
Mitspracherecht über den Europäischen Entwicklungsfonds zu geben.
Außerdem will die FDP die politischen Bedingungen für die Vergabe
von Budgethilfe verschärfen – im Gegensatz zur Linken, die in
dieser Konditionierung eher ein Entwicklungshindernis sieht.
Die
transatlantische Freihandelszone mit den USA stößt bei den meisten
Parteien grundsätzlich auf Zustimmung. Allerdings haben CDU/CSU, SPD
und Grüne dabei jeweils gewisse Vorbehalte: Während sich die
Christdemokraten um die europäischen Unternehmen sorgen, stehen bei
SPD und Grünen soziale, ökologische und menschenrechtliche
Standards im Vordergrund. Die Linke lehnt das Freihandelsabkommen
als einzige Partei vollständig ab.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: By Erik Cleves Kristensen [CC BY-2.0], via Flickr.
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